20 Jahre nach dem Brandanschlag von Solingen

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20 Jahre nach dem Brandanschlag von Solingen
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20 Jahre nach dem Brandanschlag von Solingen

Stufen in den Keller deutscher Geschichte

Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann


Die Stufen des ansonsten abgerissenen Hauses führen in den Keller der jüngeren deutschen Geschichte. Spätestens am 26. Mai 1993 hatte der Bundestag seine Verfassungsfeindlichkeit unter Beweis gestellt. Er hatte ein Grundrecht, das laut Grundgesetz Art 19 in seinem Wesensgehalt in keinem Falle angetastet werden darf, faktisch abgeschafft: das in Art 16 verankerte Grundrecht auf politisches Asyl. Drei Tage später, am 29. Mai 1993, wurde in Solingen das Haus Untere Wernerstraße 81 in Brand gesetzt. Es traf eine türkisch-stämmige Familie. Fünf von ihnen kamen um. 20 Jahre später wurde dieser Untat, von der bis heute Zweifel bestehen, ob das OLG Düsseldorf am 13. Oktober 1995 die Richtigen verurteilt hat, unter dem Motto „Das Problem heißt Rassismus“ gedacht. Die Brandstifter sitzen in Bonn. Die Verfassungsfeinde sitzen in Bonn. Mit diesen Feststellungen wurde 1993 die Rolle des Bundestages umschrieben, der damals noch in Bonn ansässig war.


Gedenkstätte auf dem Grundstück des Anschlags
Foto: ©  arbeiterfotografie.com


Am 26. Mai 1993, drei Tage vor dem Solinger Anschlag, „hatte – nach einer verantwortungslosen Debatte um 'Asylantenflut' und 'Überfremdung' – eine große Koalition aus CDU, FDP und SPD das Grundrecht auf Asyl faktisch abgeschafft. 'Erst stirbt das Recht – dann sterben Menschen'. Klarer kann man den Zusammenhang dieser beiden Ereignisse kaum formulieren, wie er seinerzeit auf einer Mauer entlang der Unteren Wernerstraße nahe des Anschlagsorts in Solingen zu lesen war.“ Mit diesen Worten leitet Rolf Gössner seine Rede zum Gedenken an den Brandanschlag vor 20 Jahren ein.


Wie krank ist die Gesellschaft (gemacht worden)?

Wirksame Feindbildprojektionen waren seinerzeit „die Fremden“, heute sind es „die Islamisten“. Der Islam wird in „kritischen Konferenzen“ zum neuen Pulverfass präpariert. Auffallend beziehen so genannte säkulare Bewegungen (der Grünen Partei zum Beispiel) nicht zu allen Religionen und religionsgeprägten Staaten gleichrangig kritisch Stellung. Feindbilder schweißen durch Aus- und Abgrenzung Gemeinschaften zusammen. Und sie leben von einem (meist konstruierten) unmenschlichen Gesicht des monströsen Fremden. Und von der Unversöhnlichkeit: Kein Vergeben, kein Vergessen. Wie soll Familie Genç sich verhalten? Und andere Opfer? Die Täter oder gar ihre deutschen Mitbürger unterschiedslos für immer verachten? Also den Hass kultivieren? Wem sollte das nutzen?

 

Demonstration durch Solingen am 25. Mai 2013

Foto: ©  arbeiterfotografie.com


Cornelia Kerth, Vorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) rief zum Auftakt der Veranstaltung den Schwur der befreiten Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald in Erinnerung: "Es ist unsere Aufgabe, die Aufgabe von AntifaschistInnen, die dem Schwur von Buchenwald verpflichtet sind, und die Aufgabe aller Menschen, dem zu folgen...“ Er lautet: “Die Vernichtung des Faschismus mit seinen Wurzeln, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.” Aber ohne Krieg! Ein zentraler Gedanke, den der damalige deutsche Außenminister Fischer 1999 für den ersten deutschen Kriegseintritt unter Aufbegehren der Auschwitz-Opfer ins Gegenteil verkehren wollte. Wie hieß es in der Demo: "Jung und alt, Hand in Hand, gegen Faschismus in jedem Land" Also auch da, wo die Bauern bei der Arbeit auf dem Feld von Rassisten erschossen werden? Die verbindliche Einhaltung des geltenden Rechts und des Völkerrechts muss die Basis sein.


„Attentatsgeschichte neu schreiben“

„Von Solingen bis NSU – es ist der Staat, der mordet.“ So heißt es auf einem der Transparente, die am 25. Mai 2013 in Solingen zum Gedenken an den Brandanschlag mitgetragen werden. Und aus einem der mitgeführten Megafone ist zu hören: „Die Täterfrage ist nach wie vor ungeklärt... Der Mord an fünf türkischen Frauen ist unaufgeklärt.“ Man habe sich viel zu wenig mit den Hintermännern des Solinger Brandanschlags befasst. Das gelte es nachzuholen.

Rolf Gössner kommt zu einer ähnlichen Erkenntnis. Der Brandanschlag von Solingen sei – wie auch andere Verbrechen, die Neonazis angelastet werden – „bis heute nicht wirklich aufgeklärt: So etwa der Lübecker Brandanschlag auf ein Asylbewerber-Heim von 1996 mit zehn Toten oder aber das Münchner Oktoberfest-Attentat von 1980, bei dem 13 Menschen ums Leben kamen.“ Es würden sich Hinweise in Richtung Staatsterrorismus verdichten – zu verantworten von geheimen NATO-Stay-Behind-Strukturen (Stichwort: Gladio). Die Attentatsgeschichte müsse wohl neu geschrieben werden. Der Gedanke, dass die heimtückische Praxis der verdeckten Operationen – weit über den deutschen Verfassungsschutz hinaus – auch auf den so genannten NSU-Komplex zutreffen könnte, wird bisher noch selten zu Ende gedacht.


 „Täter aus dem Hinterhalt bleiben verdeckt“"

Andreas von Bülow schreibt in Zusammenhang mit den Vorgängen, die zurzeit unter dem Schlagwort NSU weite Teile des öffentlichen Bewusstseins prägen: „Wem nutzen die Morde an den sympathischen muslimisch-türkischen Dönerbuden-Betreibern? Hier wird es das Ziel sein, die assimilationsbereite muslimische Seite ganz offensichtlich in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Täter aus dem Hinterhalt bleiben verdeckt, die Aufklärung wird mit Scheuklappen in die falsche Richtung gelenkt.“ Es stellt sich die Frage, inwieweit dies auch in Sachen Solingen und der weiteren gegen Ausländer gerichteten Verbrechen – wie denen von Hoyerswerda (1991), Rostock (1992), Mölln (1992) und Lübeck (1996) – zutrifft.


Front quer durch alle Parteien einig gegen RECHTS

Was in Zusammenhang mit diesem Themenkomplex auffällt, ist das unterschiedliche Verhalten von Teilen der etablierten Medien. Während es heute in Sachen NSU Herrschaftsmedien wie DER SPIEGEL sind, die eine regelrechte NSU-Kampagne angefacht haben, die Taten trotz fehlender Beweise mit bestimmten Tätern in Verbindung bringen und dabei das Rechtsstaatsprinzip der Unschuldsvermutung untergraben, war das in Sachen Solingen anders.

 

Demonstration durch Solingen am 25. Mai 2013

Foto: ©  arbeiterfotografie.com


Sogar ein Herr Leyendecker, der am 26.12.2011 diejenigen, die in Erwägung ziehen, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Eisenach von einer „in Diensten des Staates stehenden Person“ getötet worden sein könnten, als „Rauner“ und „Verschwörungsjunkies“ verteufelt, schrieb 18 Jahre zuvor im SPIEGEL vom 27.12.1993 über die Tatverdächtigen: „Längst steht nicht fest, ob sie wirklich die Mordbuben sind. Es gibt Zweifel, ernsthafte Zweifel, ob das vom Bundeskriminalamt zusammengetragene Beweismaterial für eine Verurteilung ausreichen könnte. Vielleicht sitzen sogar die Falschen ein. Zwei recht unterschiedliche Geständnisse liegen vor, zwei der Jugendlichen bestreiten mit aller Entschiedenheit.“

Damit stellt sich die Frage, was heute anders ist als damals. Hängt es zusammen mit einer unterschiedlich historischen Situation? Hat sich die Strategie der Herrschenden gewandelt? Vor zwanzig Jahren standen die etablierten Parteien (CDU, FDP und SPD) mit ihrer verheerenden Ausländer- und Asylpolitik am Pranger der Linken. Heute ist das anders. Alle – eine Front quer durch alle Parteien im Bundestag, von links bis rechts – ziehen am gleichen Strang. Heute sind sich alle einig – einig gegen RECHTS.
 



► Hinweise:


"Das Problem heißt Rassismus!"
Über nötige Konsequenzen 20 Jahre nach dem Brandanschlag von Solingen
Rede von Rolf Gössner in NRhZ-Flyer Nr. 408 vom 29.05.2013 - weiter


Was die Prozesse in Luxemburg und München erhellen könnten
False-Flag-Operationen auf der Spur
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann in NRhZ-Flyer Nr. 408 vom 29.05.2013 - weiter


Analyse zur Aussagekraft des „NSU-Bekenner-Videos“
Wiederentdeckung einer Automarke
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann in NRhZ-Flyer Nr. 375 vom 10.10.2012 - weiter


Anmerkungen zu den NSU-Skandalen
So sehen false flag operations aus
Andreas von Bülow in NRhZ-Flyer Nr. 378 vom 31.10.2012 - weiter


Beschwerde gegen NSU-Berichterstattung endgültig abgewiesen
Presserat beseitigt Rechtsstaat
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann in NRhZ-Flyer Nr. 403 vom 24.04.2013 - weiter

 


 

► Diesen Kommentar habe wir heute, 29.05.2013, erstmals bei  NRhZ-Online  veröffentlichtklick hier

Alle Fotos: arbeiterfotografie.com (Karl-Reiner Engels, Anneliese Fikentscher, Andreas Neumann und hp)

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WiKa
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Verbunden: 16.10.2010 - 23:42
Rassismus - Fremdenfeindlichkeit


Nur ein Wort zu den Begrifflichkeiten …

Ohne jetzt näher auf die einzelnen Umstände einzugehen, keinesfalls die Tat relativieren wollend oder über Täterkreis, Schuldige, Gerichte, Blinder Fleck usw. zu referieren, bin ich der Meinung, dass in der ganzen Aufarbeitung ein Kardinalfehler steckt.

Der Begriff „Rassismus“ wird mir hier allzeit zu groß geschrieben. Das Wort gehört ersetzt durch „Fremdenfeindlichkeit“ und der Begriff ist ganz anders abzuarbeiten als die historische Verknüpfung zum Rassismus und der Rassenideologie des Dritten Reiches.

Es ist so eine Art Urangst, mit der aber gänzlich anders zu verfahren ist. Und weil wir diese Differenzierungen in der Debatte nicht hinbekommen, führt es dann logischerweise immer wieder zu den bekannten und vernebelnden Saalschlachten. Manchmal habe ich den Eindruck, diese Verquickung ist gewollt, gerade um die Gesellschaft keinen Ausweg finden zu lassen und weiter zu polarisieren.

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