Das braune Fundament

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Das braune Fundament
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Das braune Fundament

Von Klaus Wallmann sen

Am 8. Mai 2013 schrieb ich über die beiden Terroristen”-Prozesse in München und Luxemburg. Beiden ist gemein, daß es sich bei den “Terroristen” um Faschisten handelt. Beiden ist gemein, daß die Verbrechen anderen in die Schuhe geschoben werden sollten. In dem einen Fall türkischen Einwanderern, in dem anderen den Linken. Beiden ist gemein, daß es zumindest Anzeichen dafür gibt, daß diese Faschisten von staatlichen Institutionen unterstützt worden sein könnten, wobei die Anzeichen in Luxemburg inzwischen einer hohen Wahrscheinlichkeit gewichen sind. In Deutschland bezeichnet man dagegen solche Anzeichen noch immer politisch korrekt als “Pannen” und “Versehen”, und das zuständige Gericht in München(!) hat bereits zu verstehen gegeben, daß man nicht gewillt ist, diesen Anzeichen eine wie auch immer geartete Beachtung zu zollen.

Dafür muß es gesellschaftliche Ursachen geben, und tatsächlich gibt es in der jüngsten Vergangenheit so einige Begebenheiten, die Hinweise auf diese möglichen Ursachen geben.
 

Jahrzehntelang lagerten die Verwaltungsakten der Nazis im “Berlin Document Center” der USA in Berlin, darunter auch die NSDAP-Zentralkartei. Der ­Journalist und Buchautor Malte Herwig fand heraus, daß die Bonner Regierung all dies nicht zurückhaben wollte, obwohl die USA die Rückgabe bereits 1967 angeboten hatte. Eine US-Depesche vom Oktober 1989 wirft ein bezeichnendes Licht auf diese Verweigerung. “Die Bundesregierung steht unter dem Druck des Parlaments. Um das öffentliche Interesse zu befrieden, wird sie von uns wieder einmal die unverzügliche Rückgabe fordern. Tatsächlich erwartet Bonn aber von uns, daß wir das strikt ablehnen.”

Die Bonner Regierung wollte also den USA den schwarzen Peter zuschieben. Der deutschen Öffentlichkeit gaukelte man heißes Bemühen vor, hatte aber tatsächlich gar kein Interesse an der Aufklärung der faschistischen Vergangenheit, vor allem nicht an der Vergangenheit so manchen deutschen Spitzenpolitikers. Der “renommierte” “Historiker” Hans Mommsen möchte das Wort “hintertreiben” in diesem Zusammenhang nicht gebrauchen, und noch heute heißt es auf der Website des Bundesarchivs: “Erst nach langjährigen Verhandlungen konnte das Bundesarchiv 1994 das BDC aus US-amerikanischer Verwaltung als Außenstelle Berlin-Zehlendorf übernehmen.”

Kaum befanden sich die Dokumente in deutschem Besitz, wurde der erste prominente Name publik: Hans-Dietrich Genscher (FDP). Herwig forschte insgesamt sechs Jahre in der nun im Bundesarchiv gelagerten NSDAP-Mitgliederkartei. Dabei stellte sich heraus, daß Prominente wie Horst Ehmke (SPD, mehrfacher Bundesminister), Peter Boenisch (Sprecher der Regierung Kohl, Herausgeber der Bild-Zeitung), Erhard Eppler (SPD, Bundesminister) und Iring Fetscher (Politikwissenschaftler) laut dieser Kartei ebenfalls als NSDAP-Mitglieder geführt wurden.

Für die laut Mommsen nicht hintertriebenen Übergabe-Verhandlungen war übrigens das Bundesaußenministerium zuständig. Dessen Chef war von 1974 bis 1992: Hans-Dietrich Genscher. Eine Historikerkommission hatte sich von 2005 bis 2010 mit dem Vorgänger des Ministeriums, dem Auswärtigen Amt beschäftigt, und war dabei zu dem Schluß gekommen, daß das Ministerium die Gewaltpolitik der Nazis vom ersten Tag an mitgetragen habe, und verurteilte es als verbrecherische Organisation. “Das Auswärtige Amt war an allen Maßnahmen der Verfolgung, Entrechtung, Vertreibung und Vernichtung der Juden von Anfang an aktiv beteiligt”, so Kommissionsleiter Conze (Welt). Nach dem Ende der Nazi-Herrschaft haben westdeutsche Politiker nicht nur versucht, die Spuren der unrühmlichen Verhangenheit des Ministeriums zu löschen. Es wurden auch belastete “Diplomaten” weiter beschäftigt.

Malte Herwig kommt zu folgendem Schluß und Ausblick: “Staatlicherseits wurden von oben – zu Recht! – Buße und Wiedergutmachung verordnet, während die betroffenen Politiker alles dafür taten, eine ‘neue Entnazifizierung’ zu verhindern. Im Klartext: Schuld und Mitschuld einzelner im ‘Dritten Reich’ waren kein Thema. Die ersten Studien über den hessischen Landtag belegen, daß die Zahl ehemaliger NSDAP-Mitglieder in deutschen Parlamenten viel größer war als offiziell zugegeben. Da wird noch einiges rauskommen.”

Herwig meint die vom hessischen Landesparlament in Auftrag gegebenen Studie, nach der von 403 ehemaligen Abgeordneten der Jahrgänge 1928 und älter mindestens 92 Mitglied der NSDAP waren. Davon waren 13 hauptamtlich in der Partei beschäftigt bzw. Funktionär. 26 “Volksvertreter” gehörten der SA, zwölf der SS oder Waffen-SS an. Der Anteil der alten Nazis im hessischen Landtag stieg kontinuierlich und “signifikant” an, und erreichte in der 5. Legislaturperiode (1962 – 1966) mit 34 Prozent den höchsten Stand.

Aktuell macht das Bundesjustizministerium diesbezüglich von sich reden. Laut “Spiegel”, der sich dabei auf Erkenntnisse einer unabhängigen Historikerkommission beruft, saßen auch im Bundesjustizministerium weit mehr ehemalige Faschisten als bisher angenommen. 1950 waren 47 Prozent aller leitenden Beamten ehemalige NSDAP-Mitglieder. 1959 waren es 45 Prozent. 1966 waren es 60 Prozent der Abteilungsleiter und 66 Prozent der Unterabteilungsleiter.

Nazis in den Regierungen, Nazis in den Ministerien, Nazis in den Parlamenten – das ist der Boden, auf dem die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde, das ist der Boden, auf dem sie zu dem wurde, was sie heute ist. Wie sollte es möglich gewesen sein, daß nach dem deutschen Faschismus ein “anderer” Staat entsteht, wenn neben der nahtlos weiter herrschenden Klasse auch dieselben Diplomaten, Juristen und Politiker in ihren alten Positionen saßen? Ich denke, das war unmöglich.

Und indem ich zu diesem Schluß komme, kann ich mich auch nicht mehr darüber wundern, daß es in diesem “anderen” Deutschland noch immer möglich ist, daß Nazi-Demonstrationen von den Gerichten erlaubt und von der Polizei geschützt werden, während man Antifaschisten – die noch nicht einmal Linke sein müssen – schikaniert und kriminalisiert. Und wie man jahrzehntelang die Aufklärung der faschistischen Vergangenheit hintertrieb, so hintertreibt man heute die Aufklärung über die faschistische Gegenwart. “Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem DAS kroch”, warnte einst Bert Brecht. Wie recht er behalten hat, das beweist die bundesdeutsche Realität.

Klaus Wallmann sen.

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Wolfgang Blaschka
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Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Brauner Sumpf


Der braune Sumpf ist noch lange nicht trocken gelegt


Dass sich im westdeutschen Staat die Nazis recht sicher und wohl gefühlt haben, kann ich aus eigenem Erleben nur bestätigen. Mein unmittelbarer Vorgesetzter bei der Bundeswehr war bekennender Faschist. Das war Ende der Siebziger Jahre. Der Hauptmann stand zwei Jahre vor der Pensionierung. Da dachte ich noch, das Problem würde sich biologisch lösen. Weit gefehlt! Es hat sich fort gesetzt. Die alten Denkmuster und Ordnungsvorstellungen wurden tradiert, insbesonders bei den Exekutivorganen, aber auch in der judikativen Rechtspflege. Wie anders ist zu erklären, dass Staatsanwälte und Richter den Nazis freien Lauf lassen, solange sie nicht gerade SS-Runen, Hakenkreuze oder den Hitlergruß präsentieren? Selbst wenn sie lupenreine Werbung für den Nationalsozialismus machen!

In München zeigten sie bei einem ihrer Aufmärsche (das war anfangs dieses Jahrtausends!), ein schwarzes Transparent mit der Aufschrift: "Nationalismus (durchgestrichen), Sozialismus (durchgestrichen / neue Zeile): Nationalsozialismus!" Eine lupenreine Werbung für das Terrorregime der Hitler-Diktatur! Und was fiel dem Gruppenleiter der (politischen) Staatsanwaltschaft München I dazu ein? Er bügelte eine Anzeige des Münchner Bündnisses gegen Krieg und Rassismus mit folgender ausgeklügelten Argumentation ab: Diese Losung sei aus der Zeit zwischen 1933 und 45 in dieser Formulierung nicht historisch nachweisbar. Daher handele es sich dabei "nicht um eine originär nationalsozialistische Losung". Das Delikt (offene Werbung für die verbotene NSDAP) wurde nie geahndet. Darauf muss man erst mal kommen! Für die bayerische Justiz offenbar kein Problem. Auch der Staatsanwalt dürfte sich mittlerweile seiner Pension erfreuen.

Dieses "rechts"-staatliche Klima wirkt weiter, bei Geheimdiensten, bei der Polizei!

Eine der niederschmetterndsten Erfahrungen musste ich machen, als ein Polizist in Zivil seinen Dienstausweis zückte, um eine Gruppe Neonazis in einer düsteren Skinhead-Spelunke vor mir und meinen Vorhaltungen in Schutz zu nehmen. Er saß mit ihnen beim Bier, ob dienstlich oder privat, das weiß ich freilich nicht. Ich weiß nicht einmal, was skandalöser gewesen wäre: Wenn er mit ihnen privat befreundet gewesen oder wenn er sie dienstlich "betreut" hätte. Immerhin deckte er sie bei ihrem kriminellen Tun, stattdessen drohte er mir mit seiner Amtsautorität. Die Polizei, "Dein Freund und Helfer", erschien mir so in einem unziemlichen Zwielicht. Irgendwie beängstigend, diese Verbandelung.

Auch dieser Vorfall ereignete sich nach der Jahrtausendwende. Es ist noch lange nicht ausgestanden, wie wir am Fall des NSU sehen. Das staatlich "betreute Morden" muss erst noch gestoppt werden. Ach, gäbe es doch nur ein bisschen mehr von dem, was die "Sieger der Geschichte" der DDR so frech wie selbstgerecht vorgeworfen haben: Staatlich verordneten Antifaschismus!


WOB

 

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