Die fatalen Folgen der Zwangsmaßnahmen durch Schweizer Fürsorgebehörden

1 Beitrag / 0 neu
Bild des Benutzers Helmut S. - ADMIN
Helmut S. - ADMIN
Offline
Verbunden: 21.09.2010 - 20:20
Die fatalen Folgen der Zwangsmaßnahmen durch Schweizer Fürsorgebehörden
DruckversionPDF version

Studie der Berner Fachhochschule:

Vergessene Nachkommen von Weggesperrten und Fremdplatzierten

Das Leiden der Eltern vergällt den Kindern das Leben

von Pascal Derungs, Zürich | für die Online-Zeitung INFOsperber

Viele Kinder der Opfer von 'fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen', kurz FSZM, leiden noch heute an den Folgen. Das deckt eine Studie auf. Bis ins Jahr 1980 haben Schweizer Fürsorgebehörden armutsbetroffene oder unangepasste Kinder, Jugendliche und Erwachsene systematisch fremdplatziert oder administrativ weggesperrt. Die psychischen, sozialen und finanziellen Folgen währten ein Leben lang. Jetzt zeigt sich, dass sie oft auch den Nachkommen weitergegeben worden sind. – Das belegt eine neue Studie der Berner Fachhochschule (BFH).

► Das Leiden der Eltern vergällt den Kindern das Leben

Die skandalösen Umstände dieser 'fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen' und die oft tragischen Folgen für die Direktbetroffenen sind in der Schweiz mittlerweile breit dokumentiert und im Bundesrecht offiziell anerkannt worden. Viele der Opfer haben finanzielle Entschädigungen und andere Hilfe erhalten.

Doch das Thema kann nicht ad acta gelegt werden, denn das Leiden wird oft tradiert auf die Nachfolgegeneration. Das belegt das Forschungsprojekt «Von Generation zu Generation: Familiennarrative im Kontext von Fürsorge und Zwang» der Berner Fachhochschule. Die Mitautorin Nadine Gautschi, Sozialwissenschaftlerin und Dozentin im 'Departement Soziale Arbeit', schreibt im Online-Magazin «Geschichte der Gegenwart»:

«In der Zweitgeneration wiederholten sich ökonomische Prekarität, Stigmatisierungen, Traumatisierungen und damit verbundene soziale Abwertungen erneut, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Wie die Kindheiten der Eltern waren auch die der Nachkommen geprägt von Gewalt – sei es häusliche Gewalt zwischen den Eltern, aber auch körperliche, sexuelle und psychische Gewalt und Vernachlässigung, die gegen sie selbst gerichtet war.»

Das alles beeinflusste die Bildungslaufbahnen und Lebensläufe der Nachkommen. So «vererbten» sich die sozialen Benachteiligungen, die in der Erstgeneration ihren Anfang genommen hatten.

Kinderarmut-Scham-armutsbetroffene-Kinder-Armutserfahrung-Armutsfolgen-Armutsrisiko-Ausgrenzung-Kritisches-Netzwerk-Kindesentwicklung-Kindesperspektive-Kindeswohl

► Viele Opfer konnten keine tragfähigen Familienstrukturen entwickeln.

Man weiss heute relativ viel über die traumatischen Erfahrungen vieler von Zwangsmaßnahmen Betroffener: Abwertung in Form körperlicher und psychischer Gewalt, Lieblosigkeit und Demütigung, Misshandlung, oft auch sexuelle Ausbeutung. Nach der Entlassung aus den Massnahmen waren sie auf sich allein gestellt und konfrontiert mit erneuter Stigmatisierung und sozialer Isolation.

Mangels Ausbildung fanden sie kaum existenzsichernde Arbeit und litten schon in jungen Jahren unter gesundheitlichen Problemen. Ohne tragende soziale und familiäre Netze entwickelten viele früh ein starkes Bedürfnis nach einem Zuhause, gründeten eine eigene Familie, jedoch ohne die ökonomischen und sozialen Ressourcen, um diese positiv zu gestalten. Unter solchen Voraussetzungen konnte sich das Leiden – quasi wie eine Ansteckung – auf die Nachkommen übertragen.

Armut-Pauper-Abgehaengte-Armutserfahrung-Ausgrenzung-Ueberfluessige-soziale-Ungleichheit-Ungerechtigkeit-Verelendung-Zukunftschancen-Kritisches-Netzwerk

► Die Öffentlichkeit möchte die Schande verdrängen.

Trotz der nationalen Aufarbeitung schwelt die Thematik also weiter. «Doch in der Schweizer Öffentlichkeit finden die generationenübergreifenden Folgen der FSZM bisher keine Beachtung», stellt Nadine Gautschi fest. Die im internationalen Vergleich langanhaltende gesellschaftliche Tabuisierung in der Schweiz erklärt die Sozialwissenschaftlerin damit,

«dass FSZM eine Geschichte über die Schweiz erzählen, die dem nationalen Narrativ des Erfolgsmodells fundamental widerspricht. Zur Schweiz des 20. Jahrhunderts gehören nicht nur Wohlstandszuwachs und der Ausbau des Wohlfahrtsstaats, sondern je nach sozialer Zugehörigkeit auch Diskriminierung und Rechtslosigkeit.»

Pascal Derungs, Zürich

Opfer von "fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen": Bis 1981 waren in der Schweiz zehntausende Kinder und Erwachsene von FSZM betroffen. In vielen Fällen haben sie darunter schwer gelitten und ihre körperliche, psychische oder sexuelle Integrität oder ihre geistige Entwicklung wurde unmittelbar und in schwerer Weise beeinträchtigt. Diesen Personen ist insbesondere folgendes Leid angetan worden: >> Bundesamt für Justiz BJ.


► Quelle: Der Artikel von Pascal Derungs wurde am 25. November 2022 unter dem Titel »Vergessene Nachkommen von Weggesperrten und Fremdplatzierten« erstveröffentlicht auf INFOsperber >> Artikel.

Hinter der Plattform Infosperber.ch (siehe Impressum) steht die gemeinnützige «Schweizerische Stiftung zur Förderung unabhängiger Information» SSUI. Diese ist Gründungsmitglied des Vereins «Verband Medien mit Zukunft», der unabhängigen Journalismus fördert und dessen Interessen vertritt.

Die Stiftung SSUI will zudem insbesondere journalistische Recherchen von gesellschaftlicher und politischer Relevanz fördern. Die von ihr herausgegebene Online-Zeitung Infosperber ergänzt grosse Medien, die z.T. ein ähnliches Zielpublikum haben, mit relevanten Informationen und Analysen. «Infosperber sieht, was andere übersehen» und geht davon aus, dass sich die Leserinnen und Leser in grossen Medien bereits informiert haben.

Von vielen anderen großen Medien unterscheidet sich Infosperber dadurch, dass keine Abhängigkeit von Großverlagen, Großkonzernen oder Milliardären besteht und niemand einen wirtschaftlichen Druck ausüben kann. Solche Inseln der Unabhängigkeit werden in Krisenzeiten eine wichtige Rolle spielen. Schon heute ist Infosperber eine relevante publizistische Ergänzung zu den immer weniger und mächtiger werdenden Medienkonzernen.

Die Stiftung ist auf Spenden der Leserschaft angewiesen. Infosperber finanziert sich mit Spenden, die zu über 90 Prozent der redaktionellen Arbeit zugute kommen. Journalistinnen und Journalisten im erwerbsfähigen Alter, welche ihre Beiträge selber im Administrationsbereich produzieren, erhalten Honorare und Spesen.

Sämtliche nicht-redaktionellen Aufgaben wie Buchhaltung, Spendenmanagement, Marketing, IT-Unterstützung, Übersetzungen und Korrekturen erledigen Engagierte aus der Leserschaft unbezahlt. Zudem arbeiten einige pensionierte, professionelle Journalistinnen und Journalisten unentgeltlich. Infos zur publizistischen Ausrichting finden Sie HIER.

Die täglich aktualisierte Online-Zeitung Infosperber gibt es seit dem 21. März 2011.

Nutzungsrechte: © Das Weiterverbreiten sämtlicher auf dem gemeinnützigen Portal www.infosperber.ch enthaltenen Texte ist AUF ANFRAGE an infosperber@infosperber.ch ohne Kostenfolge erlaubt, sofern die Texte integral ohne Kürzung und mit Quellenangaben (Autor und «Infosperber») verbreitet werden. Bei einer Online-Nutzung ist die Quellenangabe möglichst schon am Anfang des Artikels mit einem Link auf infosperber.ch zu versehen. Die SSUI kann das Abgelten eines Nutzungsrechts verlangen.

Für das Verbreiten von gekürzten oder abgeänderten Texten ist das schriftliche Einverständnis der AUTORIN oder des AUTORS erforderlich.

Die Stiftung SSUI als Verantwortliche des Informations-Portals Infosperber.ch hat folgende Postadresse: SSUI, Jurablickstrasse 69, CH-3095 Spiegel b. Bern, Telefon +41 31 972 77 88.

ZUR STIFTUNG SSUI

ACHTUNG: Die Bilder und Grafiken sind nicht Bestandteil der Originalveröffentlichung und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt. Für sie gelten ggf. folgende Kriterien oder Lizenzen, s.u.. Grünfärbung von Zitaten im Artikel und einige zusätzliche Verlinkungen wurden ebenfalls von H.S. als Anreicherung gesetzt, ebenso die Komposition der Haupt- und Unterüberschrift(en) geändert. An einigen Textstellen wurde die in der Schweiz übliche Schweibweise des doppelten s [ss] gegen die in Deutschland übliche Variante [ß] getauscht.


► Bild- und Grafikquellen:

1. Kinderarmut für oft zu Kinderdiskriminierung und Mobbing. »WAS kann ich für die soziale Herkunft und Armut meiner Eltern?« In Deutschland leben immer weniger Kinder deutscher Eltern. Ihre derzeitige und zukünftige Lebenssituation wird immer noch entscheidend durch ihre soziale Herkunft geprägt. So steigen die Chancen von Kindern auf hohe Bildungsabschlüsse, wenn die Eltern selbst einen hohen Bildungsstand haben. Kinder aus Elternhäusern mit niedrigerem sozioökonomischem Status haben zudem schlechtere Chancen, gesund aufzuwachsen.

Foto ohne Inlet: hulkiokantabak / Hulki Okan Tabak, Istanbul. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto. Inlet (Text) von H.S. eingearbeitet.

2. Trauriges Kind: Kindheitstraumata, Gewalterfahrung, Kinderarmut, Ausgrenzung etc. »In der Zweitgeneration wiederholten sich ökonomische Prekarität, Stigmatisierungen, Traumatisierungen und damit verbundene soziale Abwertungen erneut, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Wie die Kindheiten der Eltern waren auch die der Nachkommen geprägt von Gewalt – sei es häusliche Gewalt zwischen den Eltern, aber auch körperliche, sexuelle und psychische Gewalt und Vernachlässigung, die gegen sie selbst gerichtet war.« (-Nadine Gautschi). Foto: rubberduck1951 / Hans Kretzmann, Berlin. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.

3. Armut ist von Generation zu Generation übertragbar. Mangels Ausbildung fanden Menschen kaum existenzsichernde Arbeit und litten schon in jungen Jahren unter gesundheitlichen Problemen, dazu kamen noch Gewalt, Alkohol und Drogen. Ohne tragende soziale und familiäre Netze entwickelten viele früh ein starkes Bedürfnis nach einem Zuhause, gründeten eine eigene Familie, jedoch ohne die ökonomischen und sozialen Ressourcen, um diese positiv zu gestalten. Unter solchen Voraussetzungen konnte sich das Leiden – quasi wie eine Ansteckung – auf die Nachkommen übertragen. Foto: AD_Images / Alan, London. Quelle: Pixabay. Alle Pixabay-Inhalte dürfen kostenlos für kommerzielle und nicht-kommerzielle Anwendungen, genutzt werden - gedruckt und digital. Eine Genehmigung muß weder vom Bildautor noch von Pixabay eingeholt werden. Auch eine Quellenangabe ist nicht erforderlich. Pixabay-Inhalte dürfen verändert werden. Pixabay Lizenz. >> Foto.