Fluchtpunkt unter den Linden: Ein Blick aus München auf das Berliner Schloss

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Wolfgang Blaschka
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Fluchtpunkt unter den Linden: Ein Blick aus München auf das Berliner Schloss
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Fluchtpunkt unter den Linden


Vorwärts, zurück in die Gegenwart!

Ein Blick aus München auf das Berliner Schloss


Da der Zustand der Beziehungen zwischen Berlin und München in die Kategorie "folkloristische Spannung" fällt, sollte vor dem Artikel unseres bayerischen Korrespondenten erwähnt werden, dass die Münchner auch ein Schloss haben. Sie nennen es "Residenz" und es wurde ebenfalls im Krieg zerstört allerdings, anders als das Berliner Schloss, ziemlich schnell wieder aufgebaut. Die Münchner sind sehr stolz auf ihr Schloss.

Wer sich heute ein Schloss bauen lässt, hat sie entweder nicht mehr alle oder einfach zuviel Geld auf der hohen Kante. Beides zeitigt in der Regel ästhetisch fragwürdige Ergebnisse. Bei Neureichen bordern dann schnell die Erkerchen über, und das Schmiedeeisen treibt allzu üppig. Das ist deren Privatsache, und liegt meist ohnehin glücklich abseits. Etwas anderes ist es, wenn Altreiche bauen, an prominenter Stelle und mit öffentlichen Geldern. Da wird nicht gekitscht, sondern gecatcht, was Computerprogramme und Archivalien hergeben, getreu dem Vorbild streng nachempfunden, mit wissenschaftlicher Akribie kopiert und stilsicher ins Hier und Heute eingefügt. Die Grundsteinlegung durfte nicht weniger als ein Staatsakt sein. Kaum dass die 660 Millionen für die nicht nur luftverkehrsrechtlich unzulässigen Drohnen in den Wind geschrieben sind, wird eine weitere satte halbe Milliarde in den Berliner Boden versenkt, der keinen Grund mehr zu kennen scheint.

 

Ansicht von der Nord-West-Seite    /    © Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum / Franco Stella - weiter


Es war schon immer etwas schlechter einen teuren Geschmack zu haben. 590 Millionen für das Schloss einer Dynastie, deren Staat es nicht mehr gibt, ist noch weniger als eine Luftnummer. Das ist schon eine Nummer im luftleeren Raum. Aber mitten im Herzen von Berlin eine Liegewiese, das geht freilich nicht. Was sollen die Nachbarvölker von den Deutschen denken?! Also wird gebaut, wovon weiland der bayerische Märchenkönig nicht einmal tagzuträumen gewagt hätte: Mitten in der Hauptstadt ein Barock-Klotz, der nicht zu übersehen ist, an dem niemand vorbeikommt und der ihn fast nichts kostet. Weil der Bund zahlt. Berlin ist nur mit 32 Millionen dabei, den Rest zahlt die Nation, für das Phantomreich Preußen, und ein Spendenfond. Nur mit der Abgeschiedenheit hapert's. Das hätte dem Ludwig II. nicht so gefallen. Untendrunter Unter den Linden die U5 zu Kanzleramt und Hauptbahnhof, ringsum die Doppeldeckerbusse mit Scharen von Touristen, da dräuen keine melancholisch nebelumschwadeten Mondnächte, wo hinterm Schloss statt tosendem Wasserfall nur trostlos der Verkehr rauscht, und kein Bergpanorama, sondern der Telespargel in den grauen Himmel stakt. An der Ostseite, dem traditionell ärmeren Berlin zu, ist auch Schluss mit Stuck und Prunk. Da gitterrastert's in schlichter Lego-Bauweise. Barockornamentik wäre auch weniger passend als Fotohintergrund fürs Marx-Engels-Denkmal, wo sich noch immer Hochzeitspaare fotografieren lassen, falls die Touris sie mal hinlassen.
 
Früher feierten sie im Palast der Republik, heute bleibt nur noch, dem Karl Marx auf den Schoß zu krabbeln. Man saß recht edel und kommod in "Erichs Lampenladen", und jeder konnte es sich leisten. Für 3 Mark fünfundsechzig gab's da ein Kalbsmedaillon auf Bohnengemüse und Sättigungsbeilage mit Kräuterbutter, dazu die unvermeidliche "Rohkost". Ganz akkurat wurden 5 Pfennig Frühkartoffel-Zuschlag draufgerechnet, während der Pianist sein Bestes gab. Nebenan tagte die Volkskammer, was keinen störte. Im Reichstag filzen sie dich heute bis auf die Knochen, wenn du auf die Kuppel willst. Davon konnte im "Unterdrückungs-Staat" nicht die Rede sein. Gab auch keine Kuppel. Ein wirklich repräsentativer Bau der Moderne, in dessen Fassade sich der Berliner Dom spiegelte, ein politisches und kulturelles Zentrum der Hauptstadt der DDR. Dass sowas nicht Bestand haben durfte, war klar, als man daran ging, das realexistierende Erbe bis auf die Ampelmännchen und den Rechtsabbiegepfeil abzuwickeln. Glücklicherweise fand sich Asbest. Mit diesem Argument ließe sich halb Westdeutschland und Westberlin entsorgen, zumindest was Nachkriegsarchitektur bis Anfang der 80er Jahre anbelangt, soweit sie den Brandschutzbestimmungen überhaupt entsprach. In Berlin ist man da bekanntlich sehr streng. Doch geht es weniger um Berlin als um die Nation. Schließlich hat das Ganze der Bundestag beschlossen. Schlossbau ist Sache des Souveräns, jedenfalls vertretungsweise.

 

Belvedere   /    ©  Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum / Franco Stella - weiter


Dabei war das Stadtschloss eigentlich Honeckers Traum. Nur gut, dass die DDR-Architekten nicht so einen teuren Geschmack hatten. Erich war bei seinen Staatsbesuchen in Madrid und Paris so sehr angetan von den monumentalen Repräsentations-Palästen, dass er sich über Ulbrichts Abriss der Schlossruine im Jahr 1950 insgeheim grämte, die DDR könnte mit dem dusteren Hohenzollern-Kasten doch mindestens genauso prunkvoll ihre Staatsgäste beeindrucken wie die Franzosen und die Spanier. Allerdings sagte er das nur im kleinen Kreis vor Politbüromitgliedern. Aufgegriffen hat diese Schnapsidee zwei Jahre und eine Wende später der damalige Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums in Berlin, der FDP-Mann und Historiker Christoph Stölzl, der vor der Volkskammerwahl im März 1990 seinen Ost-Kollegen von der Schwesterpartei LDPD diesen Alleinstellungsmerkmal-Knüller vorschlug, mit dem Wiederaufbau des Schlosses zu werben. Nutzte nicht viel. Da musste prominentere Schützenhilfe nachlegen. Der Hitlerkenner und Historiker Joachim Fest schwang sich im November 1990 zum Hauptstadtplaner und Bundesgeneralbaumeister auf und deklamierte im Zentralorgan des großen (Spenden-)Geldes: Das Stadtbild Berlins verlange an dieser Stelle einen Baukörper, "der die beziehungslosen Bauteile um den Lustgarten wieder verklammert sowie den Linden einen Fluchtpunkt gibt". Das saß. Das FAZ-Feuilleton-Völkchen schluckte ergriffen. "Fluchtpunkt" klang gut. Fast wie Rettungsanker. Letzte Chance auf Restauration. Die Berliner Republik im Glanz und Gloria des ollen Preußen, das längst von der Landkarte getilgt war, wie Ahmadinedschad gefeixt hätte. Das gefiel den Nationalkonservativen in Ost und West.
 
Die Berliner Bevölkerung kratzte es zunächst kaum. Erst die übergroße Plastikplane mit der plastisch gemalten Attrappe der Barockfassade in Originalgröße vermochte sie allmählich zu interessieren, und schließlich sogar eine Mehrheit gewogen stimmen, seltsamerweise vor allem unter jungen Leuten. Die Fachwelt dagegen diskutierte hitzig und konträr, bis eine international berufene Expertenkommission das historisierende Konzept in schlüterscher Pracht empfahl. Denkmalpfleger und Architekten waren entsetzt, doch eine knappe Zweidrittelmehrheit im Bundestag schien begeistert. 2008 gewann der Entwurf von Franco Stella aus Vicenza den Wettbewerb, und von nun an dürfen Heere von Steinmetzen im Auftrag einer eigens gegründeten Schlossbauhütte in einer aufgelassenen Reparaturhalle werkeln und getreu den alten Aufrissen und Detailfotos, Messbildaufnahmen und einzelnen Überresten die Monumentalplastik bis auf einen halben Zentimeter genau nachmeißeln, für drei Fassaden insgesamt 41 Preußenadler und dutzende Heroen, Giganten und Puttos. Falls mal einer daneben geht, können sie einfach die Mundwinkel etwas nach unten trimmen, und schon freut sich die Kanzlerin umso doller. Die für 2019 geplante Vollendung des Kolosses wird sie im Amt nicht mehr erleben. Dafür trägt vielleicht ein Satyr mit ihren Zügen einen Architrav oder bekrönt einen Pilaster, auf dass wir sie uns auf alle Zeiten merkeln.

 

Blick in die Eingangshalle   /    © Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum / Franco Stella - weiter

 
Aber erst noch musste störende Originalsubstanz abgerissen werden: Das historische Kellergeschoss an der Nordwestecke lag den U-Bahn-Maulwürfen im Weg. Dafür werden die Fundamente im Süden erhalten und in den Neubau integriert, und sollen sogar öffentlich zugänglich gemacht werden. Darüber wird in einem Saal die Schlossgeschichte seit dem Gründungsbau im 15. Jahrhundert präsentiert. Überhaupt wird viel präsentiert: Im ersten Stockwerk wird die Landesbibliothek Berlin ihre Bücher aus den Bereichen Musik, Film und Kunst sowie eine Kinder- und Jugendbibliothek ausstellen und die Humboldt-Universität ausgewählte Glanzstücke aus ihrer wissenschaftlichen Sammlung, im zweiten und dritten Stockwerk zeigen die Staatlichen Museen zu Berlin, die derzeit noch in Dahlem residieren, ihre außereuropäischen und ethnologischen Schätze, die wer weiß wie in ihren Besitz geraten sind. Alles sehr repräsentativ. Natürlich darf auch eine Cafeteria mit umlaufender Dachterrasse im Nordwestflügel nicht fehlen, von der aus man einen ehrfürchtigen Blick in den ehemaligen Eosanderhof werfen wird können, der allerdings bis auf die Innenseite des gleichnamigen Prunkportals nur als 30 x 30 x 30 Meter großer Kubus spartanisch rechtwinklig mit Galerien und Glasdach ausgeführt wird. Immerhin, ein großer Raumwürfel für Veranstaltungen, vom Staatsakt bis zur Autotombola. Toll. Da kann sich das römische Pantheon einkugeln. Nur diese öffentliche Nutzung als "Humboldt-Forum" hatte die Realisierung des Prachtbaus letztlich überhaupt rechtfertigen können.
 
Der Name Humboldt zieht, dessen war und ist man sich in Berlin besonders bewusst. Schon der Direktor des Kunstgeschichtlichen Instituts der gleichnamigen Universität warf sich für das ausgebrannte Relikt des untergegangenen Preußenstaates kurz vor dem Abriss noch mit aller Autorität ins Zeug: "In Ruinen steht es da, noch immer von einer faszinierenden Wucht und Monumentalität, ein Repräsentant des spezifisch norddeutschen Barock, der sich Michelangelos St. Peter in Rom, dem Louvre in Paris würdig zur Seite stellt." In seiner Begeisterung über das Monument der Monarchie vergaß er wohl, dass der Petersdom nach den Plänen von Bramante errichtet wurde, nur der Zentralbau war von Michelangelo entworfen und die Kuppel unter seiner Aufsicht vollendet, den Langbau und die Fassade fügte man nach Medernas Plänen an. Und er übersah den kleinen Unterschied, dass es Frankreich und Spanien noch gab, Preußen aber abhanden gekommen war. Doch was ist schon historische Wahrheit gegen hysterische Ergriffenheit angesichts der drohenden Sprengung! Dabei hätte er beruhigt sein können: Das neue Schloss soll ja auch eine Kuppel bekommen. Schließlich stehen in Sichtweite der Deutsche, der Französische und direkt nebenan der Berliner Dom, und schräg gegenüber der Reichstag, alle mit Kuppel. Da will man sich nicht lumpen lassen. Sollen Dresden und Florenz erblassen! Kuppel muss sein! Sonst bleibt der Block zu quadratisch und erhebt sich nicht hoch genug über die berühmten 22 Meter Berliner Traufhöhe. Dafür werden extra Spenden gesammelt.

 

Blick in die Eingangshalle   /    © Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum / Franco Stella - weiter


Das wird kaum reichen. Die 590 Millionen sind knallhart gedeckelt kalkuliert. Von den allgemein üblichen Kostensteigerungen während des Baus will man nichts wissen. Die Bauherren tun so, als würden sie ein Fertighäuschen aus dem Katalog zum Festpreis bestellt haben. So beschlossen, so gebaut, so abgerechnet. Für Kostenüberschreitungen werden die Abgeordneten gewiss nicht privat aufkommen, dafür haben sie die Steuerschatulle und ihr vornehmstes Königsrecht, die Haushaltshoheit zur Bestimmung übers Budget. Nicht dass es 68 Jahre nach Kriegsende nicht auch noch anderweitig genügend Baulücken zu schließen gäbe, nein, es muss schon was Großes her, ein Zeichen, ein Symbol, ein Ausrufezeichen dafür, dass der letzte verlorene Weltkrieg samt Nachkriegs-Teilung endlich überwunden, ja quasi ungeschehen gemacht werden könne.
 
In diesem Zusammenhang hätten sie auch auf die Idee kommen können, Rotterdam seine zerbombten Altstadthäuser, Coventry seine verbrannten Wohnviertel und Wolgograd seine prächtigen Boulevards wieder originalgetreu zu restaurieren. Nein, es musste das Hohenzollernschloss her, wo niemand drin wohnt außer dem Geist des Wilhelminismus! Das passt viel besser zu den neuen Kriegen. Da soll jetzt nichts mehr anbrennen. Und schon gar nicht abbrennen. Der Neubau des Innenministeriums dürfte wegen zu schmaler Fluchttreppen brandgefährlich werden. Daher wird hier ganz besonders auf den Brandschutz zu achten sein. Ansonsten taugte der Klotz an der Spree, falls er (wieder) mal brennt, nicht mal mehr als Fluchtpunkt, sondern nur noch zum Davonlaufen.

Wolfgang Blaschka
 



► Diesen Beitrag habe ich heute auch bei Ulrich Gellermanns RATIONALGALERIE veröffentlicht > Artikel



Bildquelle:  Pressebilder SBS-Humboldforumweiter

 

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Marie-Luise Volk
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Verbunden: 28.10.2010 - 13:29
Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses


Es steht natürlich jedem frei, sich zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses kritisch zu äußern.

Als an Kunst Interessierte habe ich nachträglich die Sprengung der damals noch erhaltenswerten Fassaden des Berliner Stadtschlosses als Akt der Barbarei empfunden. Und als der Palast der Republik abgerissen wurde, befreiend tief durchgeatmet. Dieses widerwärtige, stillose Bauwerk entsprach dem SED-Einheitsdenken. Zum Glück wurde es plattgemacht. Ich habe ihm keine Träne nachgeweint.

Mir gefällt der Entwurf des italienischen Architekten Franco Stella aus Vicenza. Ich habe auch kein gestörtes Verhältnis zur barocken Bauweise. Auch habe ich nichts gegen den Plan, das Bauwerk als Kunststätte zu nutzen. Und wenn schon Wiederaufbau, dann bitteschön original-getreu. Und lieber verschulde ich mich für Kunststätten in Deutschland als für irrsinnige Bankenrettungsschirme.

Ich habe auch kein Problem zum historischen Bezug, da fühle ich gleich wie Italiener, Franzosen, Engländer.

Auf jeden Fall ist mir der Wiederaufbau des Stadtschlosses sympathischer, als wenn dort Bankentürme wie in „Mainhattan“ entstünden. Es bleibt nur zu hoffen, dass das Risiko, welches der Baugrund mit sich bringt, richtig eingeschätzt wird.

 

 

 

 

 

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