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Kommentar vom Hochblauen

Jenseits von Wahrheit


Von Evelyn Hecht-Galinski


Im deutschen Blätter-/Märchenwald habe ich erneut Furchtbares gefunden. Es ist nicht nur das Schweigen im deutschen Blätterwald, wenn es um den Palästina-Konflikt geht, sondern darüber hinaus auch die in erschreckender Weise einseitigen Fehlinformationen. Immer sind es die "militanten" Palästinenser, oder die "radikalen Islamisten", die Raketen auf Israel abfeuern, oder die Waffenruhe brechen. Man suggeriert bewusst, und das schon seit Jahrzehnten, hier die bösen Palästinenser/Muslime, da die guten Juden/Israelis. Diese Darstellung ist mittlerweile so in die Berichterstattung eingebrannt, dass sie funktioniert wie eine Gehirnwäsche.

Tatsache ist doch, dass Wut und Verzweiflung im Gazastreifen immer stärker werden, denn die Menschen dort fühlen sich von der ganzen Welt verraten und verkauft. Es stimmt zwar, dass das israelische Besatzerregime das erste Mal seit November letzten Jahres wieder Luftangriffe flog, doch wer die schreckliche Wirklichkeit vor Ort kennt, weiß wer den Waffenstillstand nicht eingehalten hat. Die deutschen Medien berichten in der altbekannten Manier wie bereits vor den beiden schrecklichen Angriffen auf Gaza 2008 und 2011, mit den vielen getöteten Palästinensern, die hauptsächlich Zivilisten waren. Dagegen versucht man uns immer wieder glauben zu machen, die IDF handele nur in Verteidigung auf palästinensische Angriffe! Die schlimmen Kassam-Raketen aus Gaza bedrohen das kleine schutzlose Israel.
 
Wie sollen sich die unter Besatzung lebenden Menschen in Gaza eigentlich noch wehren? Wie sollen sie all diesen Provokationen widerstehen? Vergeltung können sie gegen den Besatzer-Staat nicht üben, dazu fehlen ihnen die Mittel. Also sollte es die Pflicht jedes Journalisten sein, wahrheitsgemäß zu berichten und nicht immer nur einseitig der israelischen Propaganda zu folgen, auch wenn das im Sinne der deutschen Staatsräson für Israel ist und von der Politik gewünscht wird. 2013 sollte es endlich an der Zeit sein, trotz der "besonderen" Beziehungen zum jüdischen Staat, einen sauberen Journalismus zu betreiben. Warum wird nicht viel mehr hinterfragt und aufgedeckt, warum der Konflikt wirklich eskaliert, und vor allem, wer der wirkliche Provokateur ist. Kann man solchen Journalisten und deren Medien eigentlich noch irgend etwas glauben? Nein, in der Tat, wer einmal lügt, dem glaubt man nicht...
 
Kommen wir jetzt zu den Fakten: Von Ende November bis Ende Februar tötete Israel im Gazastreifen 4 Palästinenser und verletzte 91. Seit dem sogenannten Waffenstillstand schossen israelische „Verteidigungs“soldaten 63 mal auf palästinensische Zivilisten und 30 mal griff die israelische „Verteidigungs“marine unbewaffnete palästinensische Fischer vor Gaza an. 13 mal fielen israelische „Verteidigungs“truppen in den Gazastreifen ein. Der sogenannte Waffenstillstand zwischen Israel und dem Gazastreifen wurde von der "Israelischen Verteidigungsarmee" (IDF) 63 mal gebrochen. Diese Zahlen sind authentisch, sie wurden nicht nur von palästinensischen Quellen, sondern auch vom "Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten" (OCHA) - eine Abteilung des UN-Sekretariats -  veröffentlicht, und sind damit für JEDEN Interessierten, also auch Journalisten frei zugänglich.
 
Seit das israelische Regime 1967 das Westjordanland eroberte und besetzte, wurden laut der palästinensischen Gefangenenhilfsorganisation Addamir mehr als 700.000 Palästinenser inhaftiert. Das entspricht in etwa 20% der gesamten palästinensischen Bevölkerung und 40% aller palästinensischen Männer. Auch 10.000 Frauen befanden sich unter diesen Häftlingen! Ein Bericht der UN-Kinderhilfsorganisation UNICEF informiert, dass in dem genannten Zeitraum auch etwa 7000 Kinder und Jugendliche im Alter von zwölf bis siebzehn Jahren zeitweise verhaftet wurden. Der UNICEF-Bericht bezeichnet dieses Vorgehen, weil man die Festgenommenen zum Teil ohne Eltern oder Anwalt verhört, als "inhuman". Ein treffender Ausdruck für die menschenrechtsverletzenden Untaten des israelischen Regimes, das mit diesen Verhören, ohne Angehörige und Anwälte, ungestört von öffentlicher Kritik, gegen Artikel 37(d) der Internationalen Kinderrechtskonvention (International Convention on the Rights of the Child) verstößt.
 
Tatsache ist, dass die betroffenen Kinder weder von den Eltern Abschied nehmen können, noch Kleidung, oder sonstiges mitnehmen können. Das Besatzer-Regime holt Kinder und Jugendliche nicht nur nachts aus ihren Betten, um sie zum Verhör zu verschleppen, es holt sie auch aus den Schulen. Erst kürzlich wurden in Hebron 27 Schulkinder zwischen 7 und 15 Jahren auf ihrem Schulweg von israelischen "Verteidigungs"-Soldaten verhaftet, ein weiteres furchtbares Beispiel für die Grausamkeit der Besatzer und das Nichteinhalten der Kinder-Konvention. Werden Kinder nicht gefesselt und mit verbundenen Augen in Militärfahrzeugen zum Verhör gebracht? Wo bleiben da die Medien und unsere deutschen Menschenrechtsspezialisten? Das israelische Regime betreibt 17 Gefängnisse, in denen man etwa 4800 Gefangene inhaftiert hält, darunter 200 Minderjährige, 13 Frauen, 13 Parlamentarier und 3 ehemalige Minister; dazu werden 186 Palästinenser widerrechtlich als Administrativhäftlinge festgehalten. 71 Palästinenser sind seit über zwanzig und vierundzwanzig Jahren in israelischer Haft. Damit verstößt das israelische Regime erneut gegen das Oslo-Abkommen, auf das sich Israel wenn nötig, so gern beruft; dies sieht nämlich die Freilassung aller vor 1994 inhaftierten Gefangenen vor. Welches Abkommen, oder welche Resolution ist für Israel eigentlich noch bindend? "Nur das elfte Gebot: Israel darf alles"?
 
Folter ist in diesen Gefängnissen an der Tagesordnung: nach dem Foltertod von Arafat Jaradat am 23. Februar diesen Jahres erhöhte sich die Zahl von in israelischen Gefängnissen getöteten Palästinensern auf 203. Seit 1967 sind 78 Palästinenser durch Folter, 51 durch unterlassene medizinische Hilfeleistung und 74 direkt nach der Verhaftung getötet (ermordet!?) worden. Seit nunmehr 11 Jahren befindet sich der wohl berühmteste palästinensische Gefangene in israelischer Willkürhaft, nämlich der erste vom israelischen Regime entführte Parlamentarier - Marwan Barghouthi, Hoffnungsträger der Palästinenser und brillanter Vordenker, wird weiter zu Unrecht als politischer Gefangener gehalten und trotz unzähliger Appelle nicht freigelassen! Warum wohl? Wer fürchtet Barghouthi so sehr und warum?
 
Ich hatte die Gelegenheit, die Ehefrau Barghouthis beim 8. Europäischen Palästinenser-Kongress 2010 in Berlin im Tempodrom in einer mitreißenden Rede zu hören. Ich erinnere mich noch sehr gern an diesen Kongress, auf dem ich auf Bitten der Veranstalter ein Grußwort gehalten habe, und dessen gut gewähltes Motto bis heute seine Bedeutung nicht verloren hat: "Unsere Heimkehr ist gewiss. Freiheit für unsere Gefangenen". Durch diesen Kongress lernte ich auch den sehr sympathischen iranischen Botschafter Ali Reza Sheikh Attar kennen, der mich und meinen Mann danach in seine Residenz einlud, wo wir ein sehr offenes und kein Thema aussparendes Gespräch führten. Vor kurzem erhielten wir eine Einladung in den Iran, die wir sehr gern annehmen würden, jedoch nur unter der Bedingung einer Zusage für einen Besuch bei dem unter Hausarrest stehenden Regisseur Jafar Pahani, dessen Filme ich sehr schätze. Das ist mir eine sehr wichtige Herzensangelegenheit und ich hoffe, dass mir die iranische Regierung diese Bedingung erfüllt, und sich nicht wie das israelische Regime verhält, das Israel-Kritikern die Einreise verweigert oder Politikern die Einreise nach Gaza.

 

Der intern. bekannte und ausgezeichnete Filmregisseur Jafar Pahani


Will man die wirklichen Zustände dort im Gazastreifen vor Besuchern verbergen? Gerade stellte die UNRWA ihre Lebensmittelspenden-Hilfe ein, da die Proteste der Verzweifelten und auf Lebensmittelhilfe Angewiesenen, es sind mittlerweile 800.000 Palästinenser, zu groß waren. Die Verteilzentren mussten aus Gründen der Sicherheit für die Mitarbeiter die Essensspenden stoppen, da sie wegen des knappen Budgets weniger Geld an bedürftige Palästinenser austeilen konnten und die verzweifelte Bevölkerung darauf wütend reagierte. Die UNRWA nahm die Spendenabgabe und Verteilung der Hilfsgüter am 9. April wieder auf. (Quelle: standard.at)   

Das sind die wahren Zustände in Gaza: erst wollte man den Eingeschlossenen die Kalorienzufuhr auf ein Minimum von 2300 Kalorien reduzieren, jetzt fehlt das Geld für die Lebensmittel! Verständlich, dass die israelische Seite nicht will, dass Besucher die wahren Verwüstungen und das Elend sehen, in das man die Bevölkerung Gazas nach den Angriffen und durch die Abriegelung gestürzt hat, und wie das größte Freiluftgefängnis der Welt aussieht. Hoffentlich macht Ministerpräsident Erdogan seine Ankündigung bald wahr, den Gazastreifen zu besuchen, auch das wäre ein wichtiges Signal. Auch Besuche bei den palästinensischen Hungerstreikenden wären dringend erforderlich. Friedensnobelpreisträger Obama hätte gut daran getan, sich mit den Angehörigen von palästinensischen Häftlingen zu treffen, anstatt das zu verweigern und nur huldvoll Briefe entgegenzunehmen. Das kommt davon wenn ein Drohnenkönig Friedensnobelpreisträger wird.
 
Am 5. April ermordete in Tulkarem die "Verteidigungs"-Armee (IDF) brutal und durch gezielte Schüsse zwei palästinensische Jugendliche, 17 und 18 Jahre alt. Man rechtfertigte sich, die beiden hätten die Soldaten mit Molotowcocktails beworfen. Tatsächlich aber hatten sie Steine nach den Soldaten geworfen. Eine palästinensische Ambulanz konnte erst nach dreißig Minuten eintreffen, weil die Ankunft von der IDF verzögert wurde, da aber war Amar Nasser schon verblutet. Den Leichnam des zweiten durch die IDF ermordeten Jugendlichen fand man erst am nächsten Tag. Auch das ein merkwürdiger Umstand, der von der IDF natürlich bis heute nicht erklärt wurde. Bekannt wurde das nur durch den dritten verwundeten Palästinenser.
 
Nicht umsonst stationiert man im Westjordanland besonders oft "Haredi/Siedler Soldaten" (Orthodoxe). Warum das alles, diese zusätzlichen Provokationen im besetzten Westjordanland? Man fordert gezielt Gegenreaktionen mit dieser Kampfansage an die gedemütigten Palästinenser heraus. Ist es nicht ein verzweifelter Widerstand, dieser wehrlosen Jugendlichen und Demonstranten gegen die Willkür und Brüskierung durch den jüdischen Staat? Widerstand gegen Besatzung ist ein legitimes Grundrecht! Das sollte auch die "einzige Demokratie/Ethnokratie im Nahen Osten, mit der ausgestreckten, leeren Hand" nicht vergessen!
 
Beinahe täglich verletzt die IDF Palästinenser/Demonstranten, sieht Siedlern bei ihrem Treiben gegen die Besetzten zu und lässt diese in ihrem verbrecherischen und schändlichen Treiben gewähren. Ist der Name „Verteidigungsarmee“ nicht genauso verlogen, wie die Berichterstattung über sie? Immer wieder schafft es der jüdische Staat, in der Medienwelt sein rassistisches Regime als friedliebender hilfloser kleiner Staat, der sich nur selbst verteidigt, darzustellen. Wir haben diesen "eingebetteten Interessen-Journalismus" satt, oder?

Was musste ich am letzten Freitag in mehreren überregionalen Zeitungen lesen? "Erst beschießen Palästinenser mit Raketen, dann antwortet Israel mit Kampfflugzeugen." Schon dieser Vergleich ist eine Desinformation. Hier wird gleichgesetzt, was nicht gleichzusetzen ist. Oder: "Ein Kompromiss ist nicht möglich, weil beide Parteien aus religiösen-ideologischen Gründen dasselbe "Heilige Land" beanspruchen." Auch dieser Vergleich hinkt. Tatsache ist, das die Palästinenser nur ihre Freiheit und gleichberechtigte Unabhängigkeit erlangen, und auf ihr verbrieftes Rückkehrrecht nicht verzichten wollen.

Warum ist es Juden aus aller Welt erlaubt, in ein "fremdes" Land wieder "heimzukehren"? Sie kehren im Gegensatz zu den einheimischen Palästinensern nicht heim, sondern können mit Hilfe der Weltgemeinschaft, ideologisch, zionistisch in den jüdischen Staat problemlos einwandern. Damit soll die Judaisierung in Israel immer mehr vorangetrieben werden. In einer anderen überregionalen Zeitung wird Palästinenserpräsident Abbas vorgeworfen, den Krebstod eines in israelischer Willkürhaft verstorbenen vierundsechzigjährigen Palästinensers propagandistisch auszunutzen. Tatsache ist auch hier, dass diesem Palästinenser, wie vielen Leidensgenossen eine adäquate medizinische Behandlung vorenthalten wurde, oder zu spät damit begonnen wird. In unseren deutschen Qualitätsmedien sieht man nicht die Horrorfotos von kranken Palästinensern, die mit Fußfesseln angekettet im Bett liegen. Ich frage mich, wie können das eigentlich die israelischen Gefängnisärzte mit ihrem Gewissen vereinbaren, wenn sie sich so verhalten und mit der Besatzungsmacht zusammenarbeiten. Verraten sie damit nicht ihr ärztliches Ethos? Warum wird diese Tatsache nicht einmal aufgegriffen und hinterfragt? Außerdem fragte sich der Kommentator doch allen Ernstes: "Warum israelische Soldaten palästinensische, jugendliche Krawallmacher im Westjordanland mit Schüssen in den Kopf und die Schulter töten, wo sie doch wissen müssen, welche Rachereflexe sie damit auslösen?" Ja, was erwarten denn die Kommentatoren dieser Zustände, auf die tödlichen Angriffe der IDF gegen Palästinenser? Zu dieser Logik fällt mir kaum mehr etwas ein, sie ist an kalter deutscher „Ausgewogenheit“ kaum zu überbieten. Wenn ich solche Zeilen lese, verzweifle ich wirklich an der deutschen Presse.
 
Warum schreibt man nicht über das Massaker von Deir Yassin, das sich am 7. April 2013 zum 65. Mal jährte, und an die Ermordung von 100 Palästinensern durch die jüdische Terrorgruppe Irgun, unter Führung des Friedensnobelpreisträgers Menachem Begin, die Stern-Gruppe, und eine Eliteeinheit der Haganah, die tausende Palästinenser 1948, aus ihren Häusern vertrieb, und damit die Nakba, die Katastrophe der Palästinenser, auslöste? Über diese Tatsachen wird leider der deutschen Öffentlichkeit nicht berichtet. Dafür plant der Bundesverband der jüdischen Studenten in Deutschland eine Propaganda-Aktion für "Gleichgesinnte", um Schüler über Israel und Juden und jüdisches Leben in Deutschland und Israel aufzuklären! Zitate: "Israel ist ein demokratischer Staat." und "Jerusalem ist die Hauptstadt von Israel (nicht Tel Aviv)."
 
Das sind nur zwei "Kostproben" dieser geplanten Bildungsattacke auf deutsche Schüler, unter der Schirmherrschaft von Dr. Rita Süssmuth, ehemalige Bundestagspräsidentin, und Dr. Salomon Korn, dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. Hoffentlich geht diese Propaganda-Aktion genauso baden, wie die von den jüdischen Sozialdemokraten initiierte SPD-Baumpflanzaktion für den Jüdischen National Fond (JNF). Übrigens, ist es nicht nach der strategischen Entschuldigung bei Erdogan und der Türkei an der Zeit, sich bei den deutschen und anderen ausländischen Aktivisten, die auf der Mavi Marmara mitreisten, zu entschuldigen, und diese ebenfalls zu entschädigen?
 
Eine letzte Frage möchte ich noch stellen: Was wäre passiert, wenn die NSU jüdische Deutsche oder Israelis hier in Deutschland ermordet hätten? Hätte dann das bayerische Gericht genau so gehandelt, wie jetzt? Gewiss nicht, denn der Zentralrat der Juden und die israelische Botschaft, bzw. die israelische Regierung hätten gar nicht erst intervenieren müssen, denn sie wären mit Sicherheit nicht wie die Türken/Muslime/Migranten missachtet worden. Man hätte ihnen garantiert im vorauseilendem Gehorsam den halben Gerichtssaal freigehalten. Soviel wieder einmal zu zweierlei Maß!
 



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Wolfgang Blaschka
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Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Jenseits der Lügen


Jenseits der Lügen


Vielleicht ein kleiner Trost, liebe Evelyn: Manchmal schimmern – aus berufenem Munde – jenseits des Gestrüpps aus Lügen und inmitten des Meers aus Schweigen und Ignoranz doch auch Fetzen der geschundenen Wahrheit durch, beispielsweise in den Aussagen langjährig Verantwortlicher des israelischen Inlandsgemeimdienstes "Shin Bet", von denen sechs ehemalige Chefs interviewt werden in dem Dokumentarfilm des israelischen Filmemachers Dror Moreh: "Töte zuerst! Im Namen der inneren Sicherheit" (engl: "The Gatekeepers"):


z.B.: Yuval Diskin (Shin Bet Chef 2005 – 2011)


Dror Moreh (der Filmautor): „Ich lese Ihnen einmal vor, was Professor Yeshayahu Leibowitz [in Israel hoch angesehener „weiser Mann“ – orthodox, Chemieprofessor, Religionsphilosoph, 1903-1994], ein entschiedener Gegner der Besatzung, 1968 geschrieben hat, ein Jahr nach dem 6-Tage-Krieg:

‚Ein Staat, der über eine fremde, feindlich gesonnene Bevölkerung herrscht, wird notgedrungen zu einem Geheimdienst-Staat – mit allen Folgen für die Erziehung, die Rede- und Meinungsfreiheit und die Demokratie. Die für jedes Kolonialsystem typische Korruption wird auch Israel erfassen. Die [Militär-]Verwaltung wird arabische Aufstandsbewegungen unterdrücken und sich arabische Quislinge [Kollaborateure] und Verräter heranziehen …‘

Was halten Sie von dieser Prophezeiung mit Blick auf den Staat Israel heute?“

Yuval Diskin: „Ich stimme dem Wort für Wort zu.“

D.M.: „Geht es etwas genauer?“

Y.D.: „Wozu? Jedes Wort, das er geschrieben hat, ist in Stein gemeißelt.“

D.M.: „Sehen Sie so die israelische Gesellschaft?“

Y.D.: „Er beschreibt meiner Ansicht nach exakt die Zustände, die sich hier seit 1968 entwickelt haben. Ich würde vielleicht nicht so weit gehen, Israel als einen Shin-Bet-Staat zu bezeichnen, aber die Lage, in der wir uns gegenüber den Palästinensern befinden, hat zweifellos Zustände erzeugt, die dem ähneln, was Yeshayahu Leibowitz prophezeiht hat.“


z.B.: Avraham Shalom (Shin Bet Chef 1980 – 1986)


„Die Zukunft ist düster, da sehe ich schwarz. Der Militärdienst verändert die Mentalität der [israelischen] Bevölkerung. Nicht alle, aber die meisten unserer Jugendlichen müssen zum Militär, und was sie dort erleben, ist sehr widersprüchlich. Auf der einen Seite versucht diese Armee eine Volksarmee zu sein, ähnlich den Einheiten der Nahal [in der ursprünglich Militär- und Zivildienst kombiniert wurden]. Andrerseits ist sie auch eine grausame Besatzungsarmee, die an die Deutschen im 2. Weltkrieg erinnert [zögert etwas] – erinnert, obwohl es nicht so ist. Ich denke dabei nicht an das, was sie mit den Juden gemacht haben. Das war bodenlos und hatte seine besonderen Aspekte. Ich meine, wie sie sich gegenüber den Polen, Belgiern und Holländern verhalten haben, gegenüber den Tschechen. Das ist ein sehr negativer Charakterzug, den wir da übernommen haben, als wir – ich trau mich gar nicht, es so auszudrücken, darum sage ich es anders – als wir [schweigt eine Weile] grausam wurden gegenüber uns selbst, besonders aber gegenüber der Bevölkerung, über die wir herrschen. Und das alles unter dem Vorwand des Krieges gegen den Terror.“    

                                                                                                                                
► z.B.: Ami Ayalon (Shin Bet Chef 1996 – 2000)


„Clausewitz, der klug war, ohne Jude zu sein, zumindest haben wir bei ihm keine jüdische Herkunft entdecken können [das sagt er ohne Ironie] – Clausewitz sagte vor fast 200 Jahren etwas, das ich sinngemäß zitieren möchte. Er sagt: Siegen heißt eigentlich nur, eine bessere politische Realität zu schaffen. Das ist es. Es heißt nicht unbedingt, dass wir Gaza besetzen müssen oder Ramallah oder Nablus oder Hebron. Mein Sohn war drei, dreieinhalb Jahre bei den Fallschirmjägern und mindestens zwei-, dreimal als Besatzer in Nablus. Und ich denke, er weiß nicht, ob uns das den Sieg gebracht hat. Ich meine, nein. Die Frage ist, ob es uns einer besseren politischen Situation näher gebracht hat. Das Tragische an der Sache und der Diskussion über die Sicherheitslage in Israel ist doch, dass wir nicht erkennen, in welcher frustrierenden Situation wir sind: Wir gewinnen jede Schlacht, aber den Krieg verlieren wir.“

 



Quelle:  Zitate aus dem Dokumentarfilm des israelischen Filmemachers Dror Moreh „The Gatekeepers“/„Töte zuerst“


Wolfgang Blaschka

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