Manipulierte Statistiken als Valium für Wähler
Dass Statistiken mit Vorsicht zu genießen sind, wissen informierte Bürger. Die Mehrheit der Wähler fällt jedoch immer wieder auf fahrlässig inkorrekte oder vorsätzlich manipulierte Statistiken herein. Aktuelle Beispiele sind der verzerrte „Gehaltsreport 2013“ des manager magazins mit einer Differenz zur Realität von über 150%, sowie der angebliche Konsumklima-Rekord der GfK.
Ich werde immer wieder gefragt, wie der Unterschied zwischen den Jubelmeldungen von Regierung und regierungsnahen Medien gegenüber der persönlichen Wahrnehmung des eigenen Umfelds zustande kommt. GfK-Konsumklimaindex, Rentenstatistiken, Gehaltsreports - Deutschland ist offiziell ein Wunderland. Warum kennen dann so viele Menschen in ihrem Umfeld so wenige Bewohner dieses angeblichen Wunderlands? Weil es tatsächlich nur Wenige sind, die einen hohen Wohlstand genießen können.
⇒ Zahlen aus dem Wirtschafts-Wunderland
Nehmen wir als aktuelles Beispiel den „Gehaltsreport 2013“ des manager magazins. Demnach soll der Median des Jahresgehalts von Angestellten bei 57.500 liegen. Das heißt: Die Hälfte aller Angestellten verdient angeblich über 57.500 €. Unterstrichen wird die vermeintliche Aussagekraft dieses Wertes durch die hohe Zahl von 107.000 Teilnehmern.
⇒ Realitäts-Check
Machen wir einen Realitäts-Check und vergleichen diese Zahlen mit der einzigen belastbaren Statistik über Einkommen – der Einkommensteuerstatistik der Finanzämter. Hier finden sich nur harte Fakten, weil sie ausschließlich aus Daten der Steuererklärungen der Erwerbstätigen zustande kommt. Im Falle der Angestellten sind diese Daten also identisch mit den Inhalten der Lohnsteuerkarte, in denen es keine Spielräume für Steuertricks wie bei Selbständigen gibt.
Laut der aktuellsten Einkommensteuerstatistik vom 12.10.2011 verdient Hälfte der insgesamt 38,4 Millionen Steuerpflichtigen weniger als 22.500 Euro jährlich – und zwar nicht pro Person, sondern pro Haushalt. Das heißt: Die 57.500 € Jahreseinkommen, die das manager magazin veröffentlicht, liegen um 156% über den tatsächlichen Einkommen der Angestellten. Berücksichtigt man die Tatsache, daß Haushaltsmitglieder von den Finanzämtern gemeinsam steuerlich veranlagt werden, liegen die Zahlen der manager magazins um mindestens das 3-fache über der Realität.
⇒ Fehlerquellen – „Die im Dunkeln sieht man nicht“
Wie kommen solche Verzerrungen zustande? Dafür gibt es mehrere Fehlerquellen:
- Die Befragten sind nicht repräsentativ, da es sich nur um Leser eines Magazins für Besserverdiener handelt.
- Nur ein Teil der Befragten antwortet.
- Der Wahrheitsgehalt der Angaben wird von niemandem geprüft.
- Die Angaben der Befragten sind daher erfahrungsgemäß geschönt, um die eigene Situation besser darzustellen als sie ist. Während Wohlhabende gern prahlen, schämen sich die materiell weniger Erfolgreichen aufgrund des gesellschaftlich-medialen Drucks.
Daß erfahrene Statistiker und Journalisten diese Fehlerquellen nicht kennen, darf man wohl ausschließen. Damit entfällt auch die Erklärungstheorie der fahrlässigen Inkompetenz. Wer als Profi immer und immer wieder falsche Statistiken erstellt und kommuniziert, handelt offensichtlich vorsätzlich und verfolgt die Interessen derer, denen solche Meldungen nutzen: Regierung und Kapitalbesitzer.
⇒ Rekord-Statistiken aus Shopping-Malls
Vorsatz ist auch die einzige logische Erklärung für die verzerrten „Konsumklima“-Statistiken der „Gesellschaft für Konsumforschung“ GfK. Unmittelbar nach der 1. Version dieses Artikels ließ es die GfK so richtig krachen und vermeldete „Kaufen, kaufen, kaufen – Konsumlaune der Deutschen auf höchstem Stand seit 5 Jahren“. Besonders im Dezember wird gern von hoher Kauflaune phantasiert. Was GfK-Statistiker noch nicht erkannt haben: Durch die tatsächlichen Umsätzen des Einzelhandels (z.B. minus 4,7% im Dezember 2012 gegenüber Vorjahr) fliegen die GfK-Märchen in jedem Januar immer wieder auf. Und „Tote Hose seit 1994“ analysiert Heiner Flassbeck für den Einzelhandel.
GfK-Statistiker führen ihre Umfragen offenbar bei Guccitüten-Trägern in Shopping-Malls und Einkaufsstraßen durch, also unter einem hohen Anteil Menschen, die Geld zum „Lust-Shoppen“ haben. In Stadtteile mit finanzschwachen Bewohnern oder vor Aldi- und Lidl-Filialen begeben sich GfK-Statistiker nicht. Die Datenbasis ist also gelinde gesagt nicht repräsentativ.
Zudem wirkt gerade in persönlichen Gesprächen der psychologische Effekt besonders drastisch, daß einkommensschwache Menschen ihre finanzielle Situation entweder besser darstellen als sie ist oder (in den meisten Fällen) schweigen und sich der Statistik entziehen. Deshalb sind auch sämtliche Umfrage-basierten Statistiken des Statistischen Bundesamts („Mikrozensus“) oft weit von der Realität entfernt.
Mit dem Schweigen der finanzschwachen Masse sind wir bei der berühmten Zeile aus Bertolt Brechts Lied von Mackie Messer (Dreigroschenoper): „Die im Dunkeln sieht man nicht.“
Gleiches gilt in so vielen Bereichen. Man sieht Armut nicht, wenn Menschen mit ALG-2, Niedriglöhnen und Armutsrenten in ihren Wohnungen sitzen, statt sinnlos durch Shoppingcenter zu flanieren, um sich Dinge anzuschauen, die sie sich nicht leisten können. Journalisten, die Deutschlands Wohlstand an den teuren Autos auf Autobahnen und in ihrem eigenen gehobenen Wohnumfeld ablesen wollen, übersehen, daß sich 80% der Unter-40-jährigen keinen Neuwagen leisten können und rd. 2 Drittel aller PKWs Firmenwagen sind, die Privatleute nicht kaufen würden. Daß rd. Die Hälfte aller Bundesbürger kein Geld für teure Urlaubsreisen ausgeben kann, wollen die meisten Journalisten auch nicht sehen.
⇒ Valium-Journalisten
Und damit sind wir beim Problem: Journalisten, die diesen Beruf besser nicht ergriffen hätten. Wer nicht als journalistische „4. Gewalt im Staate“ den Mächtigen auf die Finger schaut und Probleme benennt und stattdessen geschönte Nachrichten verbreitet, wirkt als negativer Multiplikator.
Hinsichtlich der Konsumklima-Statistiken schreibt das manager magazin über einen GfK-„Experten“, der auf einen „robusten“ Arbeitsmarkt und gute Tarifabschlüsse verweist. Daß die große Mehrheit der Erwerbstätigen in Deutschland entweder arbeitende Arme sind oder Mittelschichtler, die sich nach Abzug ihrer Fixkosten nichts mehr leisten können, übersehen die Journalisten ebenso wie die Tatsache, daß die Arbeitgeber die Tarifverträge trickreich umgehen, nicht nur durch Zeitarbeit für Hochqualifizierte, sondern immer mehr durch den Mißbrauch von Werkverträgen. Daß die Gewerkschaften teils machtlos, teils unwillig gegenüber Alternativen zuschauen, rundet das Bild ab.
Desweiteren berichten die Journalisten des manager magazins über die „außergewöhnlich geringe Sparneigung“, ohne das Offensichtliche auszusprechen, nämlich daß die Auflösung von Sparguthaben keine „Neigung“, sondern ein Ausdruck sinkender Einkommen und finanzieller Zwänge sind.
Politiker, die z.B. wie üblich nicht oder nur oberflächlich über einen Artikel /Sachverhalt nachdenken (ich spreche aus Erfahrung durch Gespräche und Korrespondenz mit Bundestagsabgeordneten) und wie im aktuellen Beispiel im manager magazin lesen, daß die Konsumenten konsumieren wie lange nicht, und daß die Hälfte aller Angestellten über 57.500 € verdienen soll, sehen sich in ihrer Haltung bestätigt, daß es keinen Handlungsbedarf bei den Einkommen von Angestellten gibt. Wer über einen steigenden Konsumklimaindex liest, sieht keinen Handlungsbedarf beim Mindestlohn, usw. Das gilt für Politiker wie auch für Wähler.
Zu viele Journalisten in regierungsnahen Medien (fast durchweg in den Wirtschafts- und Politik-Redaktionen) verabreichen den Wählern Valium. Es ist höchste Zeit, such davon abzuwenden.
Ich schließe mit 2 Zitaten:
„So etwas wie eine freie Presse gibt es nicht. Sie wissen es, und ich weiß es. Nicht einer unter Ihnen würde sich trauen, seine ehrliche Meinung zu sagen. Die eigentliche Aufgabe des Journalisten besteht darin, die Wahrheit zu zerstören, faustdicke Lügen zu erzählen, die Dinge zu verdrehen und sich selbst, sein Land und seine Rasse für sein tägliches Brot zu verkaufen. Wir sind Werkzeuge und Marionetten der Reichen, die hinter den Kulissen die Fäden in der Hand halten. Sie spielen die Melodie, nach der wir tanzen. Unsere Talente, unsere Möglichkeiten und unser Leben befinden sich in den Händen dieser Leute. Wir sind nichts weiter als intellektuelle Prostituierte."
(John Swaiton, Herausgeber New York Times in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts, in seiner Abschiedsrede)
„Eine freie westliche Presse gibt es meiner Meinung nach allerdings nicht: Irgendwer kontrolliert immer die Inhalte, entweder die Eigentümer, die Anzeigenkunden oder die Regierung.“
(Mahathir bin Mohamad, bis 2003 Premierminister von Malaysia)
Jörg Gastmann > zur Vorstellung meines Buches - weiter
Statistik ist doch was Schönes
Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. Mit dieser Grundeinstellung leben die Medien prächtig, noch. Man muß schlechte Nachrichten nicht statistisch belegen, um sie meinungsbildend in die Hirne der breiten Masse einzupflanzen.
Um den Sozialabbau zu rechtfertigen, bedarf es nicht einmal eine statistischer Verbiegung oder schlechter Nachrichten. Es genügt eine Schlagzeile und das passende Bild dazu, um alle Menschen, die in einer prekären Lage sind, als unwürdige Teilhaber der Gesellschaft zu stigmatisieren. Die Schlagzeile „Hartzer läßt sich‘s gutgehen“ mit dem passenden buntem Bild einer vor dem Fernseher auf dem Sofa sitzenden, biertrinkenden und rauchenden Fettwanst sagt doch alles über diese verkommene Kaste. Nicht wahr?
Die verbogenen Statistiken sind nur das Sahnehäubchen auf den bunten Bildern, die die breite Masse konditionieren. Wenn bunte Bilder nicht mehr weiterhelfen um meine Interessen durchzusetzen, kann ich jedoch die Statistik als zweitbestes Propagandamittel einsetzen.
Ein Beispiel: Ich will als Schnapshersteller expandieren. Das geht nur, wenn mehr gesoffen wird. Da bei den Hartzern eh nicht mehr reingeht, wie wir durch das o. g. Bild wissen, muß eine andere Zielgruppe her. Wie wäre es mit den Autofahrern? Dazu müßte die Promillegrenze angehoben werden. Um meine wahren Absichten zu verschleiern, die ohnehin kontraproduktiv wären, lenke ich mal ab und greife zur Unfallstatistik. Ein Prof. Dr. Dr. stat. als Experte ist schnell eingekauft, der herausfindet, daß nur 20% aller Unfälle durch Alkoholeinfluß entstehen. Wer ist nun die gefährlichere Gruppe? Die Nüchternen selbstverständlich, die viermal so viele Unfälle produzieren wie die Besoffenen. Das heißt doch nichts anderes als daß das Unfallrisiko unter Alkoholeinfluß 80% niedriger ist. Also rauf mit der Promillegrenze. Dann brauche ich nur noch die freie Presse, um mein Anliegen marktreif zu klopfen. Sie wird dann für ihren gebetsmühlenartigen Einsatz zur Verkehrssicherheit selbstverständlich mit ganzseitiger Schnapswerbung, redaktionell von mir aufbereitet, belohnt. Da ich nur Biokorn verarbeite, wird selbst die größte grüne Hohlheit eine höhere Promillegrenze befürworten. Besonders, wenn sie einen Beratervertrag für umweltverträgliches Schnapsbrennen bekommt. Wg. der Frauenquote kommt dafür nur eine Person (m/w) mit mindestens 51% weiblichem Geschlechtshintergrund in Frage.
Statistik ist doch was Schönes. Prost.
Die Hölle ist überwindbar. (Hermann Hesse)