Mutti macht's doch wohl nicht ohne!?

1 Beitrag / 0 neu
Bild des Benutzers Wolfgang Blaschka
Wolfgang Blaschka
Offline
Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Mutti macht's doch wohl nicht ohne!?
DruckversionPDF version

Mutti macht's doch wohl nicht ohne!?

Der Wählerwille lässt das Koalitions-Karussell durchdrehen


Der ideelle Gesamtwähler hat gesprochen, in 80.000 Stimmbezirken und 299 Wahlkreisen bei 61,8 Millionen Wahlberechtigten, davon 31,8 Mio. (51,5 %) weiblich und 30 Mio (48,5 %) männlich, und das bei 3 Millionen Erstwählern, einigermaßen gutem Wetter und in der 84-prozentigen Überzeugung, dass Mutti Merkel "unser Land in der Welt gut" vertrete. Eine statistische Meisterleistung! Nachdem er über Monate gewissenhaft alle 34 Parteiprogramme durchstudiert, kritisch hinterfragt und abgewogen, sämtliche Talkshows gesehen und die meisten Kommentare und Berichte über Streuselkuchenrezepte, IM-Vorlaufakten, Pädophilie-Debatten der 70-er Jahre sowie über Jagdhütten- und Porsche-Besitzer gelesen und verdaut hatte, kam er zu dem abgewogenen Urteil, dass er von den 4451 Kandidaten, darunter ein Viertel Kandidatinnen, eigentlich nur noch eins will: Mutti soll weitermachen. Also gab er sich einen kleinen Ruck nach rechts, aber nicht zu weit, kickte die FDP raus, ließ aber die AfD knapp draußen, wenngleich er sie beinahe reingelassen hätte.
 
Immerhin hat er zu über 71,3 Prozent entschieden, und damit die Nichtwähler ein bisschen abgestraft. An die Willy-Wahl von 1972 mit 91,1 Prozent kam das freilich nicht heran, aber das hat auch niemand ernstlich erwartet, wenngleich die Erwartungen in der Endphase des Wahlkampfs doch wieder etwas höher gespannt wurden. Punkt 18 Uhr entlud sich am Wahlabend die kunstvoll hochgerechnete Aufgeladenheit in einem Feuerwerk aus bunten Balkendiagrammen und Tortengrafiken, die ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen real regierender Kanzlerinnen-Union und einer zwar wahlarithmetisch vorhandenen, aber politisch nicht realistisch existierenden Alternative spiegelten, der Chimäre rot-rot-grüner Koalitions-Unmöglichkeit.
 
Die unter der 5-Prozent-Hürde nutzlos gewordenen fast 10 Prozent der bürgerlichen Stimmen opferte der Gesamtwählerwille lieber scheinbar klaren Verhältnissen, die so klar nun auch wieder nicht wurden. Ob es zur absoluten Mehrheit der Unionsparteien am Ende wirklich gereicht hätte oder nicht, war gar nicht so sehr entscheidend fürs Weiterregieren, denn der verantwortungsbewusste Gesamtwählerwille geht ohnehin zu 57 % davon aus, dass eine Große Koalition allemal am besten wäre. Davon dürfte auch die Regierungschefin ausgegangen sein, selbst wenn sie's notfalls auch allein packen könnte, indem sie sich fallweise die jeweils passenden Mehrheiten suchte, die sie noch fast immer bekommen hatte, wenn's drauf ankam.

Denn wäre es für sie überhaupt klug, alle sozialen Grausamkeiten, die zweifellos noch ausstehen, allein zu verantworten? Noch dazu allein mit Horsti, der täglich dreimal rosenkranzmäßig wiederholt, dass er ohne Maut für Ausländer keinen Koalitionsvertrag als Inländer unterschreibt, zumal die Bayern ja eigentlich auch eine eigene Nation sind?! Um in Europa weiterhin kräftig aufzumischen, braucht sie nicht nur eine knappe Minderheit, sondern eine zuverlässige, solide, möglichst große Mehrheit, die größtmögliche. Die Kluft zum restlichen Europa soll ja auch deutlich zementiert erscheinen. Knappe Mehrheiten würden nur individuellen Wankelmut bei Abstimmungen befördern.


Da wäre es doch angeraten, sich noch jemanden ins Boot zu holen, der die zu erwartenden Proteste dämpfen hilft, die Gewerkschaften besänftigt und etwas soziale Abfederungskosmetik mit ins Spiel bringt. Wer wäre da besser geeignet als die gute alte Tante SPD, die sich 150 Jahre nach Bebel rotzfrech hinstellt und bekennt: Wir haben uns mit der Agenda 2010 nicht geirrt, wir sind sogar stolz darauf, doch sehen wir an manchen Stellen Korrekturbedarf, weil die Auswirkungen am Arbeitsmarkt doch etwas verheerend ausgefallen sind. Solche selbstkritischen Figuren, die ihre eigene Politik als partiell korrekturbedürftig hinterfragen, braucht eine Kanzlerin, die als alternativlos dastehen will. Gerade, wenn das soziale Elend gar nicht korrigiert werden soll. Allerdings finden noch 55 Prozent, dass es gerecht zugehe in Deutschland.
 
Sie könnte sich bequem auf eine längst verblasste Schröder-Regierung hinausreden, die eben ein bisschen über die Stränge geschlagen hat. Und Steinbrück, der nicht unter ihr in ein Kabinett wollte, sondern vielleicht lieber neben oder hinter ihr, könnte nur betreten nicken. Vielleicht überlässt er den Abnicker-Job auch einem Anderen. Es gibt ja genug solche Abnicker in der SPD. Sie besteht fast nur noch aus Abnickern und Jasagern, wenn es um Kriegsmandatsverlängerung, Bankenrettung oder irreversible ESM-Installierung geht.
 
Die zum Allerletzten entschlossenen Genossen gaben sich in den bisherigen Jahren wirklich Mühe, nicht als "vaterlandslose Gesellen" zu gelten, sondern eine verantwortungsbewusste, staatstragende Partei zu geben, die sich bis zur Selbstmarginalisierung für die Interessen der Großen und Mächtigen, der Schönen, Reichen und Wichtigen in die Bresche geworfen hat, mit dem Hinweis ans Wahlvolk, den Sozialstaat nur retten zu können, indem man ihn zusammenstutzt. Die SPD hat getreu das Ulbrichtwort beherzigt, den Kapitalismus zu überholen ohne ihn einzuholen. Sie machte die Kärrnerarbeit für die Konservativen, die dann die Früchte ihrer Aufopferung ernteten. Sie gab den Notnagel des Kapitals, den Arzt am Krankenbett der wankenden Banken. Den Hilfskanonier in Schützenhilfe für die NATO. Den Ausputzer. Den Gaslaternenputzer.
 
DIE LINKE, obwohl drittstärkste Kraft im Bundestag (da muss der Gesamtwähler irgendwie nicht aufgepasst oder einem aufmüpfig oppositionellen Impuls nachgegeben haben) ist dies mit Sicherheit nicht. Sie würde noch eher völlig unerwartet einem Krieg zustimmen als mit CDU/CSU ins Bett zu gehen, am Ende noch einem Klassenkrieg von Unten gegen Oben, wenn sie denn von außen durch die Umstände dazu gedrängt würde. Umgekehrt tobt der ja längst, aber DIE LINKE würde sich da völlig falsch positionieren und munter querschießen. Klassenkampf mit der LINKEn gegen die arbeitende oder arbeitslose Bevölkerung ist also keine in Frage kommende Option für eine regierungsfähige Koalition. Wo sie doch nicht mal regierungsfähig ist, solange sie Kriegseinsätze nach außen konsequent ablehnt. So jemand kann nicht die Außenpolitik einer Möchtegern-Großmacht mittragen. Besser nicht.
 
Die viertgrößte Kraft, die Grünen, haben damit kein prinzipielles Problem, stehen der Union auch in einigen anderen Fragen nicht direkt feindselig gegenüber, würden sich aber rein lebensstilmäßig nicht wohlfühlen, den Ekelfaktor einer Koalition unter Mutti überwinden zu müssen. Grüne sollten sich von Haus aus nicht leicht tun Kröten zu schlucken, schon aus Tierschutzgründen. Lieber Töten für Kröten. Was bliebe sonst noch? Piraten sind nicht drin, und an die "Sonstigen" ist auch kein parlamentarisches Herankommen. Bleibt also nur die SPD. Denn die FDP gibt es im Bundestag nicht mehr. Totalausfall. Direkt aus der Regierungs-Verantwortung ins parlamentarische Aus!
 

Es hat mal wieder alles nichts genützt. Die FDP ist draußen. Nicht genug Leihstimmen bekommen. Die CDU-Wähler sind geizig geworden. Früher war das anders. Vor 1998 gab es nur eine einzige Legislatur (1966 bis 69), ohne dass die Partei der Besserverdienenden in Permanenz mitgemischt hätte auf der einen oder auf der anderen Seite. Nach dem Krieg war sie eher deutschnational, national-konservativ, nicht ganz unähnlich der FPÖ, nach der bitteren Erfahrung der Großen Koalition 1966-69, wo sie sich nicht gebraucht sah, schwenkte sie um auf "doppelnational deutsch-deutsch", also quasi binational, um die Ostverträge unter Dach und Fach zu bringen, ohne die DDR wirklich anzuerkennen, aber den Helsinki-Prozess in Gang zu setzen, der die West-Einmischung in Ostangelegenheiten jederzeit ermöglichte. Ohne die Postillons des Liberalismus ("Hoch auf dem gelben Wagen") ging nichts in der Bundespolitik bis 1998. Ihre pragmatische Promiskuität zelebrierten sie legendär. Sie konnten den Spagat zwischen Bürgerrechtspartei (linksliberal) und Wirtschaftsliberalismus (turbobrutal), wie sie gerade gebraucht wurden.
 
Es gab mal Zeiten, da war der Begriff "liberal" noch kein Schimpfwort (das muss so um 1848 gewesen sein), sondern stand für Fortschrittlichkeit des Bürgertums gegen die Feudaldynastien, inzwischen steht er nur noch für Steuersenkungs-Opportunismus. Populismus wäre zuviel gesagt, denn ihr Klientel aus Hoteliers und Zahnärzten würden einen anzeigen, wenn man es als "Volk" beschimpfen würde. Dann war kurz Rot-Grün-Pause, doch bald kam die Zeit, da man die gelbe Nase wieder oben trug. Doch hatten sie einen groben Fehler gemacht bei den Liberalen, einen selbstmörderischen, weil selbstverüberflüssigenden. Sie waren ideologisch einfach zu erfolgreich, das hat ihnen schlussendlich das Wahlkreuz gebrochen. Denn heute, da selbst die alte Sozialdemokratie so neoliberal ist, dass sie knapp oberhalb der 18 Prozent schrammte, welche die FDP unter Möllemann seinerzeit als ihr Traumziel von unten anvisiert hatte, braucht sie wirklich keiner mehr. Die Zeichen der Zeit stehen nun mal nicht auf Steuersenkungen. Die Bierdeckel-Steuererklärungs-Rhetorik störte nur noch den Politikbetrieb mit redundantem Leistungsträger-Entlastungs-Genöle. Rösler nervte, Brüderle lallte stürzend immer nuscheliger und Westerwelle endet nun tragisch als Draußenminister. Das Mitleid hält sich in Grenzen. Außer vielleicht für Leutheuser-Schnarrenberger.
 
Jetzt werden die FDP-Politiker und ihre rund 600 Mitarbeiter am eigenen Leib verspüren, was befristete Arbeitsverhältnisse bedeuten. Der Parteichef (68) dürfte schwer vermittelbar sein, auch wenn er gern bis 70 gearbeitet hätte. Wer nimmt ihn denn noch außer vielleicht mal leiharbeitsweise zur Weinverkostung?! Das Spitzenpersonal trat umgehend ab, und übrig bleibt Christian Lindner, der, anstatt erst einmal für eine Weile betreten den Mund zu halten, gleich antritt, die Resttruppe "wieder in den Bundestag" zu bringen. Das "Nicht ohne uns" wird flugs in "Nur mit uns" umgemodelt, so als wäre nichts gewesen. War ja auch nicht.
 
Der ideelle Gesamtwähler ist schon ein seltsames Subjekt. Was er sich einbrockt, muss er auch auslöffeln. Das ahnt er vielleicht, und auch wieder nicht. Aber gibt es ihn denn überhaupt? Hat nicht jeder Wähler und jede Wählerin nur zwei Stimmen, die er oder sie ganz subjektiv vergibt? Vorausgesetzt, er oder sie vergibt sich nichts sie zu vergeben. Manche haben da ein irrsinniges Problem. Sie grübeln und zermartern sich ihr Hirn, wem von den Kandidaten sie nun ihre wertvollen zwei Stimmen anvertrauen. Manche kommen zu dem harten Schluss, dass niemand es wirklich wert sei, sie würdig zu vertreten. Das sind die ganz souveränen Souveräne, die selbstherrlich entscheiden, dass die Wahlentscheidung gerne auch ohne sie stattfinden möge, da sie dem Politikbetrieb grundsätzlich misstrauen. Was ja nicht von ungefähr kommt. Eine gewisse Berechtigung lässt sich dem prinzipiellen Argwohn gegenüber Parlamentariern nicht absprechen. Nur geht es darum gar nicht bei der Wahl. Weder soll man den Parteien seine Geheimnummern anvertrauen, noch einzelne der Kandidaten heiraten oder auch nur auf seine Kinder aufpassen lassen. Wahlen sind nichts als Gradmesser für die politische Reife der Wahlbevölkerung. Doch scheint es manchen wohl zu heiß, das Fieberthermometer bei sich selbst anzulegen. Wer weiß, was dabei herauskäme!
 
Nun hat sich der Gesamtwähler an Muttis Hosenanzugsaum geflüchtet, und der Nicht- oder Ungültig-Wähler hat mit seiner Enthaltung dafür gesorgt, dass dies mit weniger Stimmen möglich war, als wenn er was anderes gewählt hätte. Im Ergebnis hat er Frau Merkel schweigend im Amt bestätigt, ob er das wollte oder nicht. Nicht gerade souverän, diese Nicht-Entscheidung, dem allgemeinen Wählerwillen freien Lauf zu lassen, ohne seinen eigenen zu artikulieren! Wer sich in der Wahlkabine von Skrupeln gepeinigt und kruden Bedenken zerfressen den Bleistift in die Brust rammen möchte, um mit Herzblut seine zwei Kreuzchen zu machen, hat ein echtes Selbstwahrnehmungsproblem: Er hält sich für so wichtig, dass er sich lieber gleich ganz zensiert und sein Votum komplett entsorgt. Als wäre es nicht schwer genug, nach Interessenslage taktisch, praktisch und richtig zu wählen.

Jede/r Wahlberechtigte hat nämlich ach, zwei oder vermutlich mehr Herzen in der Brust. Glaubt man dem Wahl-o-mat, könnte man selbst als LINKE-Wähler noch vieles andere gewesen sein: Ein halber Nazi, ein Zweidrittel-Sozi, ein Dreiviertel-Grüner, ein Drittel-Alternativ-Deutschländer oder ein Beinahe-MLPD-Wähler oder genausogut ein Pirat, nur kein 100-prozentiger LINKs-Wähler. Vorausgesetzt, man haderte mit einem generellen Tempo-Limit auf Autobahnen (auch nachts, versteht sich) beispielsweise, oder mit irgendeinem anderen Punkt, der im Wahlprogramm stand.
 
Wieviele wohlbedachte und voll überzeugte oder aber bestenfalls halbherzige, leidlich gefestigte oder rein persönlichkeitsbezogene Anhänger eine Partei gewählt haben, steht nicht im amtlichen Endergebnis. Und wie sehr diese wiederum das Vertrauen jedes einzelnen Wählers verdient haben werden, auch nicht. Wählerwanderungs-Analysen geben darüber auch nur sehr grobe Auskunft. Nun bekommen wir (das ist eben der schwer zu kalkulierende und am Ende ziemlich unerhebliche Gesamtwählerwille) voraussichtlich eine Regierung, die 57 % angeblich haben wollten, so aber gar nicht wählen konnten. Die jedoch irgendwie zu erwarten stand nach all der kuschelig parteiübergreifenden Nicht-Opposition außer der LINKEn. Dass diese selbst bei herben Stimmenverlusten die ebenfalls gebeutelten Grünen noch knapp überflügeln können würde, stand indes kaum zu erwarten. Insofern gab es also doch noch eine kleine Überraschung.

 

Ein böses Erwachen hätte es geben können mit dem Einzug der AfD in den Bundestag. Dass diese rechte "Alternative" aus dem Stand so hoch kam, verdankt sie nicht zuletzt der Zunft der Meinungsforscher. Noch in den letzten Tagen vor der Wahl wurde sie auf 4 Prozent hochgeschrieben, vom Allensbacher Institut ganz im Geiste von Nölle-Neumann sogar auf sagenhafte 4,5 %, nachdem sie vorher lange Zeit zwischen zwei und drei Prozent dahingedümpelt war. Das gab wohl den letzten Kick auf die dann 4,8 % im amtlichen Endergebnis. Je mehr von diesen obskuren Alternativlingen ans Licht kam, desto abgründiger wurde das Bild, das am Schluss auch im Internet auftauchte: Bernd Lucke mit stramm gerecktem Arm, der gewiss nicht absichtslos so knapp kadriert wurde, dass man die Handhaltung nicht erkennen und unwillkürlich einen angedeuteten Hitlergruß assoziieren konnte. Sein Geschwafel von "Entartungen der Demokratie" tat ein Übriges, um ihn für Rechtsradikale attraktiv zu machen und seine Senkrechtstarter-Partei als sperrangelweit offen für die Phantasien von Reaktionären düsterster Provenienz zu präsentieren. Schon die Ordner seiner Kundgebung hätten auch locker den Saalschutz für NPD-Versammlungen abgeben können, so finster sahen sie drein. Originalton Bernd Lucke aus Winsen an der Luhe: "Wir sind gewissermaßen die politischen Erben der FDP." Nur ein Stück weiter rechts. "Wenn die FDP ihre politischen Versprechen gehalten hätte, gäbe es die AfD nicht".
 
Da steht also noch einiges zu befürchten, sollte sich der sattsam bekannte Talkshow-Kapitalfreund und Gewerkschaftsfresser Olaf Henkel bei seiner demagogischen "Euro-Kritik" von diesen Türsteher-Gangs beschützen lassen. Der Schulterschluss von honorigen Professoren mit dem "kleinen Mann auf der Straße", der seine Ängste vor sozialem Abstieg und drohender Staatspleite kultiviert, bis alle Ressentiments zu einer dumpfen Melange aus borniertem National-Egoismus verkocht sind, könnte möglicherweise so etwas wie eine BZÖ auf bundesdeutsch ergeben. Die plakatierte populistisch: "Abendland in Christenhand" und ähnlich Dumpfdödeliges mehr. Die Islamfeinde bräunlicher Couleur würden jubeln. Die warten ja nur darauf, endlich eine sich halbwegs "seriös" gerierende, nicht ausschließlich hasskrakelende und vor allem einigermaßen einflussreiche politische Plattform zu entern. Das demoskopische Horrorskop hat es beinahe fertig gebracht, diese Kraft ins Parlament zu hieven. Da hat der ideelle Gesamtwähler gerade noch mal die Kurve gekratzt.
 
Ein Popanz von Rot-Rot-Grün war kurz vor der Wahl noch aufgebauscht worden, um das Wahlvolk an die Urne zu treiben, doch spannender wurde die Wahl dadurch nicht. Denn es gab niemals diese rechnerisch durchaus mögliche Option, Frau Merkel abzulösen durch solch eine strukturelle Mehrheit links der Mitte. Unabhängig davon, ob es der LINKEn zu wünschen wäre sich in einer R2G-Regierung zu verschleißen.
 
Nun dürfen die Wahlberechtigten wieder zusehen und abwarten, was die nächsten vier Jahre mit ihrer Blanko-Billigung geschieht, oder aber sich selber einmischen, im Betrieb, an der Schule, in der Uni, in ihrer Gemeinde oder im Stadtbezirk, organisiert in sozialen Bewegungen, gewerkschaftlich, selbstermächtigend, ohne amtliche Benachrichtigung und außerparlamentarisch. Da hat jetzt Jede/r noch mal die ganz persönliche Wahl, täglich wieder aufs neu. Das wird auf jeden Fall spannender und entscheidender werden als jede noch so gehypte Bundestagswahl, deren Ergebnis garantiert heißen wird: Weiter so in eine immer schwärzer werdende Zukunft der Republik, die auch für Europa wenig Hoffnungsschimmer ausstrahlt. Die Banken haben wieder mal gewonnen. Ihre Einleger und Eigentümer müssen (noch) nicht befürchten, für ihre Krise bluten zu müssen. Die Gesamtheit der souveränen Wahlberechtigten und Steuerpflichtigen darf sie kollektiv für die nächsten vier Jahre wieder vor dem Kollaps bewahren, fraglos ungefragt.

Wolfgang Blaschka, München