Neue Maßstäbe für den Wohlstand: Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität"

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Neue Maßstäbe für den Wohlstand: Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität"
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Neue Maßstäbe für den Wohlstand

Siebzehn Abgeordnete des Deutschen Bundestages und siebzehn Wissenschaftler, Männer wie Frauen, diskutierten seit 2010 in der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“.

Herausgekommen ist ein neuer Kompass für den Wohlstand. Man verabschiedet sich vom quantitativen Wirtschaftswachstum als der alleinigen Maßgröße zur Beurteilung des Wohlstandes. Man erkannte auch in diesem Gremium, erfreulich genug, dass die Wachstumswirtschaft immense Schäden anrichtet, ökologische durch den Klimawandel, ökonomische durch die Finanzblasen und soziale Schäden durch den zunehmenden Abstand zwischen Arm und Reich.

Um unseren Wohlstand angemessen zu bestimmen, seien neue Maßgrößen erforderlich.

Deren Bestimmung blieb allerdings hoch kontrovers, was seinen Ausdruck darin fand, dass neben dem Endbericht der Mehrheit der Enquete-Mitglieder zahlreiche Sondervoten eingereicht wurden. Auf der Homepage des Deutschen Bundestages sind sie nachzulesen. Wütende und gemäßigte, aggressive und freundliche, nachdenkliche und belehrende Stellungnahmen kann man zur Kenntnis nehmen.

Auch in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ist die Notwendigkeit und Möglichkeit eines radikalen Bewusstseinswandels für eine befriedetere, gerechtere und zukunftsfähigere Welt noch nicht in allen Köpfen und Herzen angekommen.

Vgl. Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“. weiter

Peter Kern

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Enquete-Kommission sucht neue Maßstäbe für den Wohlstand


Enquete-Kommission sucht neue Maßstäbe für den Wohlstand
 
Schön, dass wir drüber geredet haben


Dass die Marktwirtschaft etwas ramponiert wirkt nach Jahren der Dauerkrise, ist evident. Das Kapital in den klassischen imperialistischen Staaten hat ein Verwertungsproblem. Es kann die menschliche Arbeitskraft nicht mehr lukrativ genug ausbeuten, und sucht daher nach immer neuen Anlagesphären, die teilweise soweit der Realität entrücken, dass sie in Luftnummern ausarten, die dann in sich zusammenbrechen. Ein wesentlicher Grund für diese Flucht ins Irreale ist die relative Verbilligung der Arbeit hierzulande, vorsätzlich bewerkstelligt durch die "Liberalisierung des Arbeitsmarktes". Weniger oder stagnierende Binnennachfrage wegen allgemeiner Lohnsenkungstendenz zwingt Banken und Industrie nicht nur verstärkt in den Export, sondern auf höherer Stufe wiederum in genau jenen unbefriedigten Gläubigerstatus, dem sie durch die Außenverlagerung ihres inneren Problems zu entkommen suchten: Die potenziellen, aber nicht potenten Kunden zuhause haben ebenso wie die Volkswirtschaften im (europäischen) Ausland zuwenig Geld, um die Importe, also den Einkauf oder ihre Kredite dafür zu bezahlen. Die Umverteilung von unten nach oben stößt an ihre Grenzen. Die Wertschöpfungskette bekommt einen Riss, wenn der Hauptzweck der Herstellung von Waren (nämlich die Bereicherung der Produktionsmittelbesitzer und ihrer Geldgeber) nicht mehr erfüllt wird.

 
Die Erde ist kein Luftballon. Die Geldmenge anscheinend doch
 
Dann entsteht ein allgemeines Entsetzen: Das Ende des Wachstums stünde bevor. In Wirklichkeit ist es die drohende Verarmung der Konsumenten, der Abnehmer der industriell hergestellten Waren. Freilich gibt es noch China, Indien oder Brasilien, aber auch diese "Wachstumsmärkte" finden ihre Grenzen in der Verelendung breiterer Teile der Bevölkerung. Die Luxuskonsumenten vermehren sich nicht wie verarmte Proleten (ehemals Bauern), deren einziger Reichtum ihre Kinder sind. Die noblen Aufsteiger halten "ihr Sach" eher zusammen, sie bilden eine elitäre Minderheit, die irgendwann auch alles hat. Wohin also mit dem vagabundierenden Kapital? Es ließe sich noch auf den Niedergang des Planeten verwetten, man könnte auf Hunger spekulieren, Optionen auf die letzten Ressourcen kaufen oder Unterverbriefungen der Derivate, denen die Schulden geplatzter Kredite beigemischt sind, eben all diese "Finanzprodukte", denen kein wirklich existierender Wert gegenübersteht, weil er sich auch gar nicht real erwirtschaften ließe. So wird nach wie vor und unvermindert mit hohlen Versprechungen gehandelt, die kaum einzulösen sind; alles nur ungedeckte Anteilsscheine auf einen Anschein von Zukunftsfähigkeit. Die kaufen allerdings immer weniger Narren ab. Die meisten haben schon zuviel verloren. Den kleineren Zockern ist das Geld ausgegangen.
 
Die Banken kranken und wanken, drehen den Geldhahn zu und drohen mit Pleite. Die Bürger verstummen ehrfürchtig und bürgen für etwas, das sie nie bestellt haben. Das Parlament, das sich zusehends zur Abnick-Bude degradiert sieht, hebt in übergroßer Koalition die Hand für weitere Rettungsmilliarden. Doch die stur  fortgesetzte Umverteilung von unten nach oben verschärft genau das Problem, das zur Krise geführt hat: Die Verarmung der 90 Prozent angesichts der überflüssigen, nicht sinnvoll investierbaren Milliarden bei den oberen zehnen. Massenhaft geplatzte Kredite, unverkäufliche Immobilien, Offenbarungseide in Serie, all das hindert die Broker offenbar nicht daran genauso fortzufahren auf den internationalen Börsen-Parketts wie vor der Lehman-Pleite. Die Regierungen regulieren nichts wesentlich. Sie bangen vielmehr um das Ranking ihrer Staaten, auf dass der Fiskus weiterhin günstig Kredite aufnehmen könne. Wo? Bei den Banken. Die gewähren solche Staatskredite gern aus den Rettungsmilliarden zurück an die öffentlichen Haushalte, gegen Zinsen. Eine sichere Bank! So ticken die Schuldenuhren unerbittlich in sekündlichen Tausenderschritten.

 
Wo guter Rat teuer wird, macht's auch keine schlechte Tat billiger
 
Was macht ein Parlament, das den Reichen nicht an den Kragen, den Verarmenden aber auch nicht zur Seite gehen will? Es bildet eine Kommission. Zur Beratung über Grundsätzliches: Wie weiter mit dem System, das seine eigenen Grundlagen auffrisst? Das die Rohstoffe verpulvert, die Umwelt unterminiert, ja selbst die ihm ureigenst zugrunde liegenden Wertschöpfungsprozesse nicht mehr nutzen will oder kann? Wegen Reichtums vorübergehend geschlossen! Da es um grundsätzliche Fragen ging, beriet eine Enquete-Kommission über neue Maßstäbe für den Wohlstand jenseits des Brutto-Inland-Produkts (BIP): „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität". Für immer mehr Menschen lesen sich solche Begriffe wie aus alten Zeiten.
 
Sie debattierte 28 Monate, also drei menschliche Schwangerschaften lang seit 2010 das neue Wohlstands- und Fortschrittsmaß der "W3-Indikatoren": Im Rahmen dieses Modells sollen neben dem "materiellen Wohlstand" auch die Dimensionen "Soziales und Teilhabe" sowie "Ökologie" künftig Auskunft geben, wie es um die Lebensqualität steht. Am 15. April 2013 wurde nun der Abschlussbericht über tausend Seiten der Öffentlichkeit vorgestellt, mit vielen Sondervoten und Minderheitsmeinungen, versteht sich. Einig waren sich die Vertreter aller 5 Bundestagsparteien nur in einem: Die Steigerung der Wirtschaftsleistung soll kein Selbstzweck mehr sein. Das war sie auch noch nie. Es ging immer zuerst ums Geldverdienen, nachrangig um Güterherstellung zu diesem Zweck. Was nichts brachte, kam nicht in die Tüte. Keine Neuerung also.
 
Tatsächlich ergab sich das Bild einer nicht geschlagenen Schlacht: Dr. Georg Nüßlein (CSU) wertete es als Erfolg, dass die Koalition Bestrebungen aus den Reihen der Opposition hin zu einer "sozialökologischen Transformation" der Gesellschaft abgewehrt habe. Der CSU-Politiker gab sich überzeugt, dass die soziale Marktwirtschaft auch die Herausforderung der Nachhaltigkeit bewältigen werde. Sein Wort in Mammons Ohr! Das neoliberale Credo "Nach uns die Sintflut" wird schon beim nächsten Quartalsbericht kurzerhand, aber nachhaltig darüber hinweggegangen sein.

 
„Gezähmter Kapitalismus“. Ist das noch „evolutionär“ oder schon Wahlkampf?
 
Bei einer Debatte der Kommission über Ordnungspolitik betonte auch der von der FDP benannte Sachverständige Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué, es gehe um eine evolutionäre "pragmatische Anpassung" des "gezähmten Kapitalismus", um Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Ökologie zu erreichen, Verteilungsprobleme zu lösen oder die Staatsfinanzen in den Griff zu bekommen. Tolles Rundum-Paket! Schon Tante Emmas Gemischt-Kolonialwarenladen enthielt irgendwie fast alles, was heute in Supermärkten zu finden ist. Wer den Dompteur geben soll für diese Dressurnummer, verriet der Aktenmappenträger des Liberalismus nicht.
 
Edelgard Bulmahn (SPD) indes unterstrich, der Klimawandel, die Finanzkrisen und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich erforderten eine "Neujustierung der sozialen Marktwirtschaft hin zu einer nachhaltigen Entwicklung", wobei der Staat eine "aktive Rolle" zu spielen habe. Es müsse gelingen, das Wachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln und den Rohstoffkonsum zu senken.
 
Ulla Lötzer (Die Linke) warf der Koalition vor, Wachstum weiterhin als Voraussetzung für die Lösung der Probleme einzustufen. Da in Zukunft geringere Wachstumsraten absehbar seien, müsse man verstärkt über "Umverteilung" reden, ansonsten drohe eine fortschreitende "Demontage des Sozialstaats".
 
Florian Bernschneider (FDP) lehnte eine "Nullwachstumspolitik" ab, Dr. Georg Nüßlein (CSU) wandte sich ebenfalls dagegen, Wachstum zu begrenzen. Bulmahn (SPD) meinte, es sei zu klären, wo es Wachstum geben solle und wo nicht, geboten sei dies bei Bildung und Gesundheit. Ott mahnte, das Sozialsystem unabhängig vom Wachstum zu machen. Der Grünen-Obmann lobte den Konsens in der Kommission, die ökologischen Grenzen des Planeten auch für die Politik zu akzeptieren. Das ist natürlich schon ein Lob wert,  wenn endlich anerkannt wird, dass die Erde nicht nur keine Scheibe ist, sondern auch keine Euro-Münze.

 
Kontroverse Übereinstimmung, divergierende Einigkeit
 
Übereinstimmung herrschte für Ott zudem darüber, dass die weltweite Reduzierung des Rohstoffkonsums nicht allein mit mehr technischer Effizienz zu bewerkstelligen sei. Als es jedoch "zum Schwur kam" und aus diesen Einsichten konkrete Forderungen abgeleitet werden sollten, habe sich die Koalition verweigert, kritisierte Ott. Nüßlein erklärte, es habe sich gezeigt, dass der Ressourcenverbrauch vom Wachstum "relativ entkoppelbar" sei. Diese Auffassung darf bei einem CSU-Mann freilich nicht verwundern, kann er doch in jedem Biergarten beobachten, wie erhöhter Bierverbrauch zum allmählichen Zusammensinken des Trinkers führt, eher selten zu einem irgendwie gearteten Wachstum, schon gar nicht über sich selbst hinaus. Manche sind beim Nachhausewanken relativ oder komplett entkoppelt. Hätte er dagegen die Rindviecher auf der Weide studiert, wäre ihm klar geworden, dass die überhaupt nicht entkoppelbar sind, Wachstum hin oder Grasmampf her; sie würden einfach davonrennen ohne Zaun. Vielleicht hätte er einfach noch eine Mass mehr gebraucht, um klarer zu sehen.
 
Linken-Sprecherin Ulla Lötzer und Grünen-Obmann Dr. Hermann Ott kritisierten dieses Konzept als zu kompliziert. Mit den vielen Indikatoren gehe das Ziel verloren, eine Alternative zum BIP zu entwerfen, sagte Lötzer erschreckend nüchtern. Es ging also aus wie das Hornberger Schießen. Zum Befreiungsschlag mochte sich die Bundestags-Enquete-Kommission dann doch nicht durchringen. Das ungelöste und auch systemimmanent insgesamt letztlich unlösbare Umverteilungsproblem blieb auf halber Strecke stecken.

 
Es ist aber auch kompliziert. Früher schien alles irgendwie einfacher
 
Als die Früh-Menschen durch die Savanne zogen, immer den wilden Herden nach, hatten sie ein echtes Wachstums-Problem: Erstens waren sie selber klein, mussten also den aufrechten Gang üben, um über die Grasspitzen zu lugen, und zweitens hatten sie so gut wie immer Hunger. Von Beeren und Pilzen wurden sie nicht nachhaltig satt. Ihr Gehirn brauchte konzentrierte Nahrung zu seiner Entwicklung. Nachdem die ärgsten Nahrungskonkurrenten seit den Dino-Sauriern, die Neandertal-Vettern verjagt, ausgerottet oder verhungert waren, bot sich Gelegenheit zur Systematisierung der Jagd, einhergehend mit der Entwicklung ihrer Intelligenz: Sie stellten Fallen, keilten steinerne Speerspitzen, kreisten streunende Bisons ein, trieben sie auf Klippen zu und scheuchten sie in deren Todesangst über dieselben. Dann war Frischfleisch-Tag. Wo das Salz zum Pökeln fehlte, begann der Wettlauf mit Maden, Aasgeiern und der Verwesungsfrist. Zum Glück war das Feuermachen schon Kulturgut, wenn auch von keiner UNESCO als Welterbe anerkannt. Man briet also, brutzelte und schlang, soviel man konnte. Doch mehr als drei Bisons konnte die hungrigste Sippe nicht auf einen Sitz vertilgen, und so begann das Kapitel der Lebensmittelvergeudung. Der schöne Rest der totgestürzten Herde verkam unter der Sonne, wurde Hyänennahrung und endete als Ameisen-Amüsement.
 
Heute produziert der moderne Mensch, großgewachsen und industrialisiert, enorme Mengen Rinder-, Schweine- und Kalbfleisch, eingemacht in Dosen oder frisch vom Schlachthof. Bison ist eher selten geworden. Dafür mehr Pferd als auf der Packung draufsteht. Egal. Die Hälfte der Lebensmittel wird eh weggeworfen. Wir könnten bereits heute an die 12 Milliarden Menschen satt bekommen, wenn wir immer alles aufäßen. Drum ist das Wetter auch nicht immer schön. Immer nur so halbe-halbe. Was früher Unvermögen, Dummheit oder blanke Gier war, ist heute der Kapitalismus. Die Gier ist geblieben. Die Dummheit auch. Aber das Vermögen hat sich vervielfacht, technisch wie pekuniär. Und weil alles, was hergestellt wird, nicht zum Nutzen und Frommen der Menschheit produziert wird, sondern ausschließlich zur Befriedigung zahlungskräftiger Nachfrage, hungert eben der nicht zahlungsfähige Großteil der Menschheit, und ein kleinerer Teil erleidet das Schicksal der Neandertaler. Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind unter zehn Jahren irgendwo an Hunger oder leicht zu behebenden Krankheiten. 37.000 Menschen pro Tag, soviel wie seinerzeit die gesamte Erdbevölkerung. Weil Nahrungsmittel und Medikamente für sie unerschwinglich sind. Weit weg und unbekannt. Weil Lebensmittel nur hergestellt werden, wo sie Profit abwerfen. Der Rest darf hierzulande nicht verschenkt oder verbilligt verteilt werden, das machte die Preise kaputt. So geht die Logik der Marktwirtschaft. Wo es mühsam und dankenswerterweise gelingt, den Supermarktketten etwas von der Überschuss-Produktion abzuschwatzen, um es über "Tafeln" an Notleidende und Bedürftige zu verteilen, gilt das als Heldentat des grauen Alltags. Da selbst diese Spenden versteuert werden müssen, wächst nicht allzuviel herüber, sondern wandert größtenteils in die Müllcontainer. Parallel dazu werden ganze Ernten aufgekauft, um heimische Bauern zu subventionieren. Und diese eigennützigen "Spenden" werden als "Hilfslieferungen" etikettiert an die Peripherie der Wohlstandswelt verfrachtet, wo sie die dortigen Bauern unterbieten, lokale Märkte ruinieren und in Schwarzmarktkanälen versickern. Als sollten sie jede Entwicklung sabotieren. Die Spekulation auf Nahrungsmittelverknappung und Anbauflächenverminderung tut ihr übriges.
 
So strategisch dachten die Frühmenschen noch nicht. Sie lebten von der Hand in den Mund. Sie hatten gar nicht genug Zeit, sich solche fiesen Sachen auszudenken, und auch nicht die Werkzeuge dazu, nicht die Machtmittel und nicht die Vorstellung einer ersten, zweiten oder dritten Welt. Für sie war immer da die Welt, wo sie gerade waren auf ihrer Wanderschaft. Grenzenlos, staatenlos, nur mit der Natur im Hader, wenn sie mal wieder nicht alle Bisons ordentlich aufgegessen hatten. Erst als sie anfingen sesshaft zu werden, die Wölfe zu Hunden dressierten und wilde Gräser zu Getreide kultivierten, fing das mit der vorsätzlichen Vorratshaltung und im Gefolge mit der Überschussproduktion an. Man musste nicht alle Körner aufessen, sondern konnte welche zur Aussaat aufheben. Vorausschauendes Denken kam in Mode. Die Grundlage für die arbeitsteilige Klassengesellschaft war gelegt. Anbau und Viehhaltung gaben mehr her als jede zufällig eingekreiste Mammutherde. Vor allem regelmäßig, kalkulierbar.

 
Die Idee mit der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ...
 
Manche besonders schlauen Medizinmänner begannen sich ihrem Stammeshäuptling anzudienen als Wahrsager und Schicksals-Beschwörer, stilisierten ihn mythendichtend und hymnensingend zum Fürsten, der sie dann bald darauf gemausert zum Kleinkönig umgehend anwies umzuschulen auf Tempelpriester oder Hofastronom, freigestellt von allen niederen Diensten wie Beerensuchen und Feuermachen, Wasserholen und Holzsammeln. Von nun an vermaßen sie das Land, beobachteten den Lauf der Gestirne und sagten die Zeit der Aussaat, das Hochwasser oder die besten Tage für Beutezüge an. Sie lasen aus dem Kot des Königs das Schicksal, aus dem Sonnenstand die Jahreszeiten und aus dem Mond den Kalender. Die Sterne gaben besonders wagemutigen Seefahrern sogar Orientierung bei Nacht, und in den Heiligtümern begannen sich die Vorräte zu stapeln, die man in Notzeiten verteilen und so die Leute, die Handwerker und Bauern, am Leben halten konnte, später dann sogar die Bewohner ganzer Städte. Man brauchte sie zum Verteidigungsmauern hochziehen, Bewässerungsgräben anlegen und zum Tempel- und Paläste-, irgendwann auch zum Pyramidenbau. Man begann organisiert in Heerscharen zu brandschatzen und zu rauben, und die besiegten Stämme wurden versklavt. So wuchsen reiche und große Städte heran, Stadtstaaten und schließlich Großreiche. Das Beamtentum, der Hofstaat, die Tempelpriester, Richter und Landvermesser, Sklavenhalter, Heerführer, Leibärzte und Kloakenreiniger, sie alle wurden ernährt vom Überschuss, der als Tribut abzuliefern war von den Bewohnern und den umliegenden Bauern, in einer rudimentären Vorform des Steuerwesens, das sich zur Fron auswuchs, im Mittelalter zur Leibeigenschaft.
 
Die Sklavenhaltung wurde, zumindest in Europa, als zu unproduktiv und viel zu wenig lukrativ aufgegeben. Sie verlagerte sich in die Kolonien und nach Übersee. Ein auslaufendes Geschäftsmodell: Musste doch der Sklave rund ums Jahr ernährt werden, auch wenn es nichts zu tun gab. Hatte er die Motivation, gute Arbeit zu leisten? War es nicht viel sinnvoller, ihn als Bauern oder was auch immer auf eigene Rechnung werkeln und sich durchs Leben fretten zu lassen, und ihm dann den Zehnten abzupressen? Es lohnte sich ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr, Sklaven zu halten. Und noch eine Epoche später brauchte man auch keine abhängigen Bauern mehr, sondern freie Arbeiter, die, weil verarmt, bereit waren dorthin zu ziehen, wo es einen kargen, aber verlässlichen Lebensunterhalt für sie und ihre Familien gab, in die Industriezentren.
 
Doch auch diese Ära neigt sich dem Ende entgegen. Der angelernte Arbeiter wird seltener benötigt, gefragt sind qualifizierte Fachkräfte, Ingenieure, studierte Spezialisten. So wurden Industriearbeiter regionsweise entlassen und der öffentlichen Alimentierung überantwortet, bevor sie einen anderen, meist schlechter bezahlten (Leiharbeits-)Job gefunden oder das Rentenalter erreicht haben. Eine neue Klassenschicht ist im Entstehen, eine Untergattung des klassischen Proletariats: Das Prekariat. Es ist als mobile Reserve- und Lohndrücker-Armee jederzeit zu heuern und zu feuern in der "postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft".
 
Vorbei die Zeiten, da der Burgvogt oder der Landesherr ein halbes Leben lang derselbe war, in der näheren Nachbarschaft wohnte, sich hin und wieder gar höchstpersönlich blicken ließ zu gewissen Anlässen. Es ist alles anonymer geworden, vermittelt nur noch durch Medien. Das ist gewiss kein Verlust, den Bürgermeister nur aus der Zeitung zu kennen; und der Sozialkontrolle eines Dorfes durch Umzug in die Stadt entkommen zu sein, ist gewiss ein Fortschritt, der sich freilich inzwischen facebook-elektronisch etwas relativiert. Aber alle diese Entwicklungen waren nur durch verbesserte Hygiene, mehr Nahrungsmittel und verstärkten Wohnungsbau und mehr Verkehr möglich, durch rasantes Wachstum der Städte, stellenweise qualitatives.

 
►  ... führte in die moderne Klassengesellschaft
 
Heute haben wir Manager, Lobbyisten, Medienmacher, Universitätsprofessoren und einen Kriegsminister. Nichts wesentlich neues also, nur ungleich effizienter. Was heute abgeschöpft wird, wird weder gewogen noch gemessen, es wird nicht mehr abgeliefert, sondern verschwindet wie von Geisterhand gleich in den Taschen derer, die die Produktionsmittel besitzen. Daneben wird das halbe Jahr für's Finanzamt gearbeitet, und den Rest reißen sich die Vermieter, die Kredithaie, die Supermärkte, die Mobilitäts-Spezialisten und die monopol-zünftigen Schornsteinfeger unter den Nagel. Dazu noch die Lotto-Annahmestellen, die Parkzettel-Aufschreiber, die professionellen Klingelbeutelschwenker aller Konfessionen und nicht zu vergessen die Wirte. Was noch übrig bleibt, wird weniger von Jahr zu Jahr, gemessen an der Kaufkraft. Für ein Eis oder zwei reicht es bei vielen schon nicht mehr. Die Schere klafft gespenstisch auseinander. Nur daran lässt sich statistisch ermitteln, wohin der Reichtum fließt: Von unten nach oben, allen Naturgesetzen zuwider. Bei denen da oben scheint sie Sonne immer, selbst in Krisenzeiten, wo sie die pleite gegangene Konkurrenz günstig "übernehmen", und in Kriegszeiten noch viel mehr als sonst von öffentlich garantierten Aufträgen profitieren. Für ihren "Platz an der Sonne" lassen sie von Zeit zu Zeit auch ganze Völker bluten. Die haben offenbar schon immer aufgegessen. Ihr Appetit ist unstillbar. Sie fressen den Planeten kahl und lassen kaum mehr das Trinkwasser übrig und saubere Luft zum Atmen.
 
Dennoch riecht es heute selbst in Großstädten gesünder als im Schlafzimmer des Sonnenkönigs. Der hatte nicht mal fließendes Wasser, saß frierend auf dem Nachttopf und parfümierte und pomadierte sich in eine barocke Wolke, welche die Hofdamen reihenweise in Ohnmacht sinken ließ. Seine Prunkkutsche ruckelte und schunkelte, dass ihm nur Riechsalz half, die Übelkeit zu übertölpeln, und gelegentlich blieb sein Tross gar im Morast stecken. Da fährt heute jeder Hartz-IV-Empfänger komfortabler in der U-Bahn oder mit dem Bus. Hätten wir beim heutigen Mobilitätsgrad noch immer Kutschen und Pferdefuhrwerke, erzielte das Pfund Hafer gewiss Goldunzenpreise. Doch alle Hochrechnungen werden zunichte durch Qualitätssprünge.
 
Der Produktivkräfte-Fortschritt ließ aus Manufakturen gigantische Fabriken wachsen, aus frühzeitlichen Schürfstellen ganze Bergwerks-Landschaften mit Halden so hoch wie Kathedralen wuchern, er modelte Feldwege zu Autobahnen um und Hütten zu Hochhäusern. Natürlich war das ohne Wachstum nicht möglich. Sowohl der Größe wie auch der Anzahl Menschen nach, als auch bezüglich der Kapazitäten, der Kapitalien wie auch der Forschung. Die Industrialisierung brachte medizinische, chemische, physikalische und gesellschaftswissenschaftliche Erkenntnisse ebenso wie die räumliche Segregation der Klassen. Je mehr Wohlstand entstand, desto ungleichmäßiger verteilte er sich. Sowohl regional als auch im Weltmaßstab wuchs das Heer der Habenichtse, und sammelte sich das Vermögen bei den Reichen und Superreichen.
 
Die hatten es meist geerbt von ihren Urvätern, den Patriziern und Junkern, Manufakturbetreibern und alten Kaufmanns-Dynastien. Sie brauchten nichts weiter zu tun als es "richtig" zu investieren: Einem Erfinder, Bastler, Banker geben. Nur so wird aus Geld Kapital, indem man es einsetzt, um andere zu "beschäftigen", für sich arbeiten zu lassen, im eigenen Kontor, an der eigenen Maschine, am Fließband oder im Fuhrpark. Es gab daneben auch "Self-made-men" ohne reiche Herkunft, aber sie haben ihr Glück nicht durch fleißiges Tellerwaschen begründet, sondern mit Startkapital, woher auch immer.

 
Woher kommt denn nun der Reichtum? Und wohin geht er?
 
Da das Geld nicht von sich aus "arbeitet", muss es jemand vermehren, durch Arbeit. Eine andere Quelle der Reichtumsvermehrung gibt es nicht als die menschliche Arbeit. Weil ein Mensch wesentlich mehr leistet im Verhältnis zu dem, was er zu seiner Selbsterhaltung und Reproduktion benötigt, als etwa ein Zugtier, dem man Hafer und Stroh geben muss, damit es zieht. Ein Mensch kann sogar hungrig rackern, wenn das Tier längst "streikt". Selbst unter erbärmlichsten Umständen überlebt der Mensch und kann Hunger und Durst ertragen, wo das Tier unweigerlich zusammenbricht und erschöpft verendet. Sage niemand, das seien Allgemeinplätze, marxistische. Das ist der Schlüssel dazu, was dieses Wirtschaftssystem zu dem gemacht hat, was es von Anfang an war und bis heute ist: Eine riesige Akkumulationsmaschinerie zur Verwertung von Arbeitskraft, die durch Ausbeutung, durch Abschöpfung des Mehrwerts, durch Vorenthaltung von Teilen des Lohns letztlich, jenen Prozess in Gang hält, den zu stoppen oder zumindest vorübergehend zu bremsen allein Kriege, Krisen und Katastrophen vermögen. Oder Revolutionen. Das Wachstum ist dem Kapitalismus immanent, bei Strafe des Untergangs. Jeder Kreditzins ist ein Versprechen auf die Erwirtschaftung künftiger Profite und muss mit deren Realisierung samt Zinseszins zurückgezahlt werden, um neue oder noch mehr Kredite zu bekommen. Das Geschäftsmodell "Investition auf Pump" kann nur auf sich blähender Kreditbasis funktionieren, deren größer werdende Schuldenlasten für immer ausgetüfteltere vernetzte Maschinerien die künftigen Generationen aufzubringen und abzutragen haben werden. Wenn sie das denn können und/oder immer "weiter so" machen wollen. Vielleicht kündigen sie die Gefolgschaft einfach auf und befreien sich aus der Zwickmühle des Schuldturms.
 
Vielleicht sagen sie aber auch nur: Wir beleben jetzt die Enquete-Kommission im Bundestag aufs neu, bestallt mit siebzehn Abgeordneten und siebzehn Wissenschaftlern, Männer wie Frauen, die dann wieder und noch einmal weiter diskutierten über „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“, welche dann freilich längst abgelöst ist von der noch brutaleren "Offenen Marktwirtschaft", die indische Löhne bezahlt und chinesische Arbeitsvorschriften bereithält, brasilianische Behausungen in Favellas zuweist und russische Methoden zur Schuldeneintreibung praktiziert. Solche Perspektiven wären für die Monopolisten tatsächlich noch ein kleines Quentchen BRICSelnder als die störenden Überreste lästigen "Sozialklimbims" aus Zeiten des altväterlichen  "Rheinischen Kapitalismus".

 
Diskussionsvorlagen für spätere Enquete-Kommissionen
 
Die Ergebnisse solcher Kommissionen dürften, sollten sie je veröffentlicht werden, in etwa folgende sein:


1. Das ökonomische Wachstum ist zwar bäh, lässt sich aber nicht abstellen. Daher muss es qualitativ intensiviert statt quantitativ extensiviert werden. Auch damit lassen sich Geschäfte machen.
 
2. Wenn die Bäume in den Himmel wachsen, ist das gut und nicht schlecht für das Weltklima, weil dann auch die oberen Schichten der Atmosphäre aufblühen. Nur durch das Ozonloch sollten sie nicht wachsen. Vorsicht bei Hofbegrünung: Keine unbekannten Baumarten pflanzen!
 
3. Finanzblasen werden in Sauerstoffbläschen transformiert und tragen so zur Gesundung der Umwelt bei. Wir nennen das Intensivierungs-Investition. Veraltete Technik wird grundsätzlich verboten, dafür werden Neuanschaffungen subventioniert. Denn intelligenter Konsumismus bewahrt uns vor dem Kommunismus.
 
4. Auf den Bankensektor darf nichts kommen, weil wir auch sozial sein wollen; daher würden wir niemandem seine angestammte Bank nehmen, nicht einmal einem Stadtstreicher.
 
5. Ein neuer Kompass für den Wohlstand lautet: Die freie Verfügbarkeit von Lebenszeit ist letztlich der größte Luxus, dessen ein Mensch teilhaftig werden kann. Das wissen und genießen Müßiggänger seit langem. Schieben wir sie also nicht schnöde beiseite! Diese Welt muss ihrer sein.
 
6. Daher müssen 6. peu à peu die Menschen aus dem Hamsterrad des ersten Arbeitsmarktes entlassen werden, und entweder Shareholder, Couponschneider, Playboys und Latte-Macchiato-Flaneure werden oder eben ganz arbeitslos. Letztere müssen sich nicht einmal um die Börsenkurse kümmern, und sind daher die Meist-Privilegierten. Ihnen wird eine Freizeit-Steuer auferlegt, die sie nur vermeiden, indem sie durch ärztliches Attest oder hörbares Schnarchen nachweisen können, den ganzen Tag verschlafen zu haben.
 
7. Ihre freie Zeit füllen wir mit anspruchsvollen Kochsendungen aus. Falls dabei Hunger aufkommt, mit philosophisch angehauchten Fernseh-Maitres-de-Cuisine, das gibt auch dem Geist etwas Nahrung. Nur als Anregung: "Slotterdejk macht Schalottenteig", "Brüderles Altherren-Brühe" oder "Steinbrück zum Frühstück".
 
8. Wir sind als Bildungsgesellschaft regelrecht darauf erpicht und sogar bereit, den Hartz-IV-Empfängern ihren derzeitigen Tagessatz für Bildung von 5 auf 10 Cent zu erhöhen, das ergibt pro Monat ein Comic-Heft. Dafür wird eine allgemeine Gute-Laune-Abgabe eingeführt, die nur Humorlosen auf Antrag erlassen wird.
 
9. Die Schere zwischen Arm und Reich darf keinesfalls geschlossen werden, sonst wird der Mittelstand eingezwickt. Das darf nicht sein, weil der Mittelstand wenigstens noch nach Wohlstand strebt, während sich die anderen bereits in ihr jeweiliges Schicksal ergeben haben. Widersprüchlichkeit und Vielfalt bleiben ein Markenzeichen der freien, auch für Ungerechtigkeit offenen Gesellschaft.
 
10. Von Kriegen raten wir ab. Wir liefern lieber Waffen und lassen die andern sich gegenseitig in Schach halten. Das entschärft die Überbevölkerungsproblematik, schafft Deutschland ein Friedens-Image und bringt einen Haufen Zaster, den wir dann in Wärmedämmung, Raketenschutzschilde und in die Entwicklung des umweltgerechten 3-Liter-Panzers investieren können. Selber Kriege führen kann gesundheitsgefährdend wirken, im Extremfall sogar tödlich, das sagen uns übereinstimmend Ärzte und Apotheker.


Abgerundet wird der Kommissionsbericht mit einigen Statistiken und Diagrammen, die zeigen, dass diese Gesellschaftsordnung die schönste, beste, freieste, demokratischste und menschengerechteste ist, seit es Menschen überhaupt gibt. Im Einzelnen wird in einem umfangreichen Fußnotenapparat auf einschlägige Sekundär- und Tertiärliteratur verwiesen, bevorzugt Werbebroschüren diverser Bundesregierungen. Denn auch in der schönsten aller denkbaren Welten gehört Klappern zum Handwerk. Eigenlob stinkt nicht, wenn es wissenschaftlich untermauert werden kann (daher die Wissenschaftler in der Enquete-Kommission).

 
Und wo bitte findet sich ein Ausweg aus der Misere?
 
So kann der Kapitalismus locker noch ein paar Krisenzyklen weiterwursteln. Vielleicht sollten noch mehrere derartige Kompass-Kommissionen eingerichtet werden, etwa für "Humanen Imperialismus", Softinvestment, für artgerechte Haustier-Auswilderung, zur Belebung menschenleerer Roboter-Produktionshallen oder zur gesetzlichen Sterbehilfe ab 67. Wünschenswert wäre auch ein klassenübergreifendes Dauercolloquium zur Frage, warum wir "nicht zurück auf die Bäume" wollen. Damit wäre die "Alternative für Deutschland" schon mal ausgeschlossen, was auch gut so sein wird. Der Euro soll ja bleiben, weil er verhindert, dass deutsche Produkte auf dem Weltmarkt zu teuer würden mit einer zwangsläufig aufgewerteten D-Mark. Nur darum geht es den wirtschaftlich Mächtigen, egal in welcher Währung: Nicht um abstraktes Wirtschaftswachstum als Selbstzweck, und schon gar nicht zur selbstlosen Versorgung der Gesellschaft an sich, sondern einzig um ihre ganz private Geldvermehrung. Womit ist sekundär: Hosenknöpfe oder Rüstungsgüter? Jacke wie Hose!
 
Könnte man aus dem Verkauf von Fliegenpilzen ein Geschäft machen, und würden sich genügend Kunden darum reißen umzufallen wie die Fliegen, dann würden sie auch die Giftschwammerl im großen Stil vermarkten. Dumm an dieser Geschäftsidee wäre lediglich, dass die Kundschaft allmählich wegstürbe. Also wieder nichts mit Wachstum, kommt daher gar nicht infrage. Doch Um-fair-teilen schon zweimal nicht. Am besten, man ließe alles so, bis sich die antagonistischen Widersprüche von selbst entladen. Dann allerdings so gründlich, wie es einer Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages niemals eingefallen wäre.
 
Übrig bliebe höchstens ein billiger Minimalkonsens aller regierungsfähigen Parteien (unter Ausschluss der LINKEN, die immer noch dagegen redet): Wachstum ohne Bio-Lebensqualität ist irgendwie ungerecht, oder so ähnlich. Auf mehr Erkenntnis, als dass man Geld nicht essen könne, gelänge es wahrscheinlich auch dann nicht sich zu verständigen. Denn "auch in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ist die Notwendigkeit und Möglichkeit eines radikalen Bewusstseinswandels für eine befriedetere, gerechtere und zukunftsfähigere Welt noch nicht in allen Köpfen und Herzen angekommen", wie Peter Kern eingangs kritisch anmerkte. Zu radikal dürfte der angestrebte Bewusstseinswandel freilich nicht ausfallen. Das grenzte schließlich an "Druck von der Straße". Aber schön, dass wir mal darüber gesprochen haben.

Wolfgang Blaschka, München
 

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