Ressourcenexperte: Entwicklungsversprechen sind nicht mehr einlösbar

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Ressourcenexperte: Entwicklungsversprechen sind nicht mehr einlösbar

von Mag. Andreas Exner, Graz / Österreich


Wozu Entwicklung? - Tansania, das Kupfer, und ein Ende des Kapitalismus

Entwicklung war eine große Erzählung. Zu groß. Noch bis vor Kurzem galt ihr alles. Nachhaltig sollte sie sein, ein Segen für die Menschheit. Während die EU zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank ihre Ränder kurz und klein schlägt, verdampft die dünn gewordene Suppe der Entwicklung vollends.


Nun scheint Entwicklung von einer hohlen Phrase in das Traumreich der vergessenen Worte überzuwechseln. Schon seit geraumer Zeit spricht die Weltbank ja weniger von Entwicklung, sondern vielmehr von Armutsreduktion im globalen Süden. Die neoliberale Strukturanpassung der 1980er Jahre, ein fortlaufendes Projekt ohne Ende, heißt heute einfach anders. Spätestens seit dem Zusammenbruch der UdSSR hat der Kapitalismus im Grunde das Versprechen einer nachholenden Entwicklung unter dem toten Gewicht der Milliarden inhaltsloser Zahlen so genannten Werts begraben, die sich „verwerten“ sollen und dies nur mehr unter zunehmenden Menschenopfern zustande bringen.

Dennoch spukt die Entwicklung noch herum, in den Entwicklungsländern, in der Entwicklungshilfe, in der Entwicklungspolitik. Unter so viele Anführungsstriche kann man das Wort freilich gar nicht mehr setzen, dass es noch einen Reim auf etwas Vernünftiges macht.

Wie dem Bannkreis von Entwicklung entkommen, zur Befreiung ins Hier und Jetzt?


Das Entwicklungsbedürfnis

Woraus entspringt das Entwicklungsbedürfnis, das uns nicht aus dem Kopf will? Fragen wir, was man darunter landläufig versteht, so meint man wohl irgendeine Art der Verbesserung des Lebensstandards. Worin aber besteht diese Verbesserung genau? Hier schon beginnt die Schwierigkeit und es enthüllt sich etwas. Im Folgenden will ich einige Thesen präsentieren, was Entwicklung eigentlich ist, und warum sie uns gefangen hält wie eine fixe Idee.

Das Entwicklungsbedürfnis ist eine schein-natürliche Ideologie des Niemals-Ankommens, des „Never-Catch-Up“ und entspringt einem Paradox: Ausbeutung generiert Reichtum auf der einen, Armut auf der anderen Seite, und zwar als eine relative soziale Position. Armut bemisst sich immer im Verhältnis zu einer Gruppe, die nicht arm ist. Ein bescheidenes kollektives Leben wäre keine Armut sondern ganz einfach das Leben selbst. Die arm Gemachten, in ihrem Streben die Kluft zu schließen, die sie von den Reichen trennt, eine Kluft, welche die Ausbeutung ihnen setzt und die sich beständig vergrößert, verlangen nach Entwicklung; zumindest nach einer längeren Geschichte der Ausbeutung. Nicht alle „Armen“ wollen Entwicklung, denn da gibt es zum Beispiel jene, die kaum mit der globalen Stufenleiter des abfallenden Reichtums in Kontakt gekommen sind; es gibt sie, immer noch.

Das Entwicklungsbedürfnis setzt jedoch gerade eine Fortführung der Ausbeutung, also seine eigene Ursache, in noch größerem Maßstab voraus. Das ist ein Problem. Denn so kann es grundsätzlich nicht befriedigt werden. Dies deshalb, weil es eben Ausbeutung voraussetzt und damit die soziale Ungleichheit, deren Schere zu schließen es vorgibt und auch anstrebt. Entwicklung ist wie eine Karotte vor dem Esel, der den Karren der feinen Herren zieht.

 

Foto: Anna Rosin / Quelle: pixelio.de


Entwicklungshilfe als Versuch dieses Entwicklungsbedürfnis zu stillen muss versagen. Denn entweder sie ist eine Unterstützung der Ausbeutung oder aber sie verteilt schlicht die Güter und Dienste der Ausbeuter. Diese aber vertrocknen in einer Situation, wo Ausbeutung nicht einen eigenen Kreislauf von Wachstum bildet, wie ein Windschutzstreifen in der Wüste, oder wird von der „Ökonomie der Beziehung“ überwuchert wie landwirtschaftliche Hochleistungssorten vom Unkraut in einem von Pestiziden verschonten Acker.

Dass Ausbeutung einen eigenen Kreislauf von Wachstum bildet, ist offenbar keine triviale Angelegenheit, mal ganz abgesehen von den Menschenopfern, die dies involviert.


Eine Geschichte der Wiederholung

Wer sich mit einem Entwicklungsland befasst und seine Geschichte von den Anfängen der Kolonisierung bis in die Jetztzeit analysiert, erstaunt ob der endlosen Wiederholungen der immer gleichen Ideologie der Entwicklung. Sie verändert mitunter ihre Form, nicht aber ihren Inhalt. Nehmen wir den Fall von Tansania, nur als Beispiel. Das Staatspersonal beklagt sich über die rückständige und träge Bauernschaft, die zu dumm ist oder zu faul um das für ihr Wohl Beste zu erkennen. Was die Bäuerinnen und Bauern denken erfährt man selten.

 

Lettow-Vorbeck, Paul von: General der Schutztruppen in Tansania, Deutsch-Ostafrika 1919, Deutschland;

vlnr: englischer Offizier, Paul Emil von Lettow-Vorbeck, Major Georg Kraut auf Bank sitzend

Bundesarchiv, Bild 146-2004-0094 / CC-BY-SA - Quelle: Wikipedia engl.


Diese Dynamik war von den etwas weniger blutigen Phasen der deutschen Kolonialperiode über die britische Herrschaft, insbesondere in ihren letzten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg dieselbe wie nach der Unabhängigkeit 1961, vom so genannten Afrikanischen Sozialismus, der in die Zwangsumsiedlungen der 1970er Jahre mündete über die neoliberale Strukturanpassung bis zu den Poverty Reduction Strategy Papers der Gegenwart. Immer sind es die Eliten, die es besser wissen als die Masse der Bauern, denen zu helfen ist, die nichts können aus eigener Kraft, denen man den Weg weisen muss, und sei es mit Gewalt. Was denken diese Bäuerinnen und Bauern, diese in den Publikationen der Weltbank, den Reden des ehemaligen Präsidenten Julius Nyerere, den Berichten von Entwicklungshilfeorganisationen träge, sprachlose Masse? Wo sind ihre Träume, was wollen sie im Leben? Man schließt von sich auf sie, meint sie zu kennen. Wollen sie Entwicklung?


Gutes Leben statt Entwicklung

Ich wage eine These. Entwicklung fruchtet nicht, weil sie eine Angleichung der Lebensqualitäten in einem System anstrebt, das gerade eine fundamentale Ungleichheit der Lebensbedingungen setzt. Entwicklung ist genau deshalb erstaunlich resistent. Die Ungleichheit erzeugt den Wunsch zu den Reichen aufzuschließen, es ihnen gleich zu tun.

Entwicklung wird seit den 1980er Jahren immer wieder totgesagt, aber nie wirklich begraben, weil das System, das diese Idee aus sich hervortreibt, nicht begraben werden soll. Der wirkliche Abschied von Entwicklung bedeutet gerade, die Ausbeutung zu beenden, die Armut wie Reichtum als unversöhnliche Gegenpole menschlicher Erfahrung setzt.

Der wirkliche Abschied von Entwicklung wirft eine Menge von Fragen auf, die wir nur erahnen können, solange von einem Ende des Entwicklungsbedürfnisses nicht die Rede sein kann. Er wirft die Frage auf, was überhaupt von dem, was heute reich zu machen scheint, in eine Welt jenseits der Ausbeutung transferiert werden kann. Die Frage wird zumeist zu einfach gestellt. Man denkt sich, diese oder jene Technologie sei irgendwie frei von Herrschaft, die sie erst erzeugt hat. Oder man denkt sich, diese oder jene Technologie sei eben von Grund auf neu zu konstruieren, um der herrschaftlichen Prägung zu entgehen.

Man sucht das Heil in Fabbern, Open Source Ecology und so fort. Nicht dass dies nicht verfolgenswerte Wege sind um Neues in die Welt zu bringen. Doch sind Zweifel angebracht.


Die Kunststoff- und die Kupferfrage

Wer wird den Fabbern Kunststoff liefern, wer den Traktoren der Open Source Ecology Metalle? Wer überhaupt der allseits so geschätzten modernen Infrastruktur der Kommunikation das Kupfer, den Computern all ihre bergbaulich gewonnenen Innereien, die, krasser geht’s kaum, einer von der Welt entbundenen Geistigkeit als „immateriell“ gelten?

Wer sind diese Menschen, die dafür arbeiten sollen? Wo sollen sie herkommen? Kennen wir sie? Der Einwand hat Gewicht, dass in einer Gesellschaft ohne Ausbeutung alle möglichen Tätigkeiten, die heute noch verhasst wie die Pest sind und eine einzige Hölle, zur gesuchten Bewährungsprobe werden könnten, zu einer das Leben bereichernden Erfahrung.

Aber gilt dies wirklich für die Maloche in einem Kupferbergbau in Hitze und Trockenheit, umgeben von Staub, Maschinenlärm und Hässlichkeit? Gilt dies überhaupt für den Bergbau mit all seinen kaum bewältigbaren ökologischen Folgen, die sicher nicht verschwinden, nur weil Bergeschlämme dereinst vielleicht post-kapitalistisch angehäuft würden - wenn dies überhaupt möglich wäre, weil die von ihnen betroffenen Leute Büros mit Computern ihrer Subsistenz vorziehen, was zumindest nicht ganz umstandslos vorauszusetzen ist.


Recycling, ja, das wäre möglich und es ist in der Tat vielfach bereits Realität.

Wer aber wird die Hälfte allen überhaupt auf der Erde existenten Kupfers, inklusive des noch unter ihrer Oberfläche vorhandenen, das die moderne Infrastruktur der digitalen Kommunikation im globalen Norden bildet, in den Süden transferieren? Das wäre in etwa nötig, um den globalen Süden dem Norden rohstofflich gesehen ein wenig anzugleichen und den „digital divide“, nebst einigen anderen Klüften, etwas zu schließen. Dabei käme immer noch kein gleicher Pro-Kopf-Bestand an Kupfer heraus, denn die Zahl an Menschen im Süden ist bei weitem größer als die der Leute im globalen Norden.

Was bliebe dann von der geschätzten „immateriellen“ Kommunikation im Norden über? Oder möchte man wirklich noch weiter Bergbau verantworten? Wenn ja, vor wem, und wie, mit welcher Fähigkeit zur Antwort auf die Schäden, die das involviert? Und selbst wenn: ein Metall wie Kupfer, das sich wahrscheinlich bereits jenseits oder nahe des Gipfelpunkts der Förderung befindet, wird niemals mehr genausoviel hergeben wie es aus der Erde geholt und vor allem im Norden festgelegt worden ist. Und auch die geringere Menge, die nach dem Fördergipfel noch zu gewinnen ist, kann nur unter bedeutend steigenden Aufwendungen an Energie, Stoff, und Umweltschäden gewonnen werden.

 

Zeitliche Entwicklung der weltweiten Kupferförderung (in Millionen Tonnen pro Jahr)

Grafik: Leyo, Con-struct / Quelle: U.S. Geological Survey / Wikipedia  GNU Free Documentation License


Sicherlich muss man eine erhebliche Migration von Menschen aus dem Süden in den Norden unterstützen. Das ist zumindest ein kleiner Beitrag zum Ausgleich historischer Schuld. Doch würde sich, ins Extrem getrieben, damit auch nur die schon lange bekannte strukturelle Ungleichheit zwischen Stadt und Land auf interkontinentalem Maßstab wiederholen.

Die Kunststoff-Frage ist die eine: man sieht geradezu Hektar um Hektar vor sich, zu Tausenden, von Biomasse für den rein stofflichen Bedarf; die Frage ist, wo liegt die Grenze und wer wird das alles anbauen wollen, wer wird sich an solcher Tätigkeit wirklich erfreuen können? Die andere ist die Kupferfrage. Dort steckt vielleicht noch mehr Sprengpotenzial.

Ein Abfallexperte auf einer Tagung zu strategischen Metallen sah das klar. Suffizienz, das Prinzip des Genug, das sei ihm recht sympathisch. Auch mein Plädoyer für soziale Gleichheit finde er recht nett. Nur der Mensch sei einfach so, der will ein Handy, wenn es andere haben. Er selbst verzichte ja gern auf das Auto. Aber das Handy, nein, das gebe er nicht her.

Angemerkt sei hier nur, dass mein Plädoyer nicht auf Verzicht hinausläuft. Viel eher sollte man sich fragen, worauf wir im Rad der Warenproduktion eigentlich verzichten. Ein Investitionsverzicht ist vielmehr angesagt, denn die Investition bestimmt den Verbrauch. Dennoch erfolgen Investitionen nur in Erwartung des Absatzes von Waren im Konsum. Solange der letztere mit Zähnen und Klauen verteidigt wird, anstatt Gemeingüter zu schaffen und soziale Gleichheit zu ermöglichen, ist folglich ein Netto-Investitionsstopp nicht denkbar.

Nun sind Kupferkabel aber nicht nur der recht irdische Träger immaterieller Datenströme, der auch nicht leicht durch Glasfaser und Aluminium für all die Anwendungen heute zu ersetzen ist, wie ein Blick in die Literatur dazu zeigt. Sie sind auch erstarrte Herrschaft, die sich in metallische Strukturen gegossen hat, die dem Kommando über Ressourcenströme dienen, dem Austausch von Informationen, derer andere schlicht entbehren.

Das Kupfer ist dabei nur ein Beispiel unter anderen. Es gilt zumindest auch für die Massenmetalle Kadmium, Chrom, Gold, Blei, Nickel, Silber, Zinn und Zink, ohne die moderne Infrastruktur nicht zu denken ist, und die den Untersuchungen von Werner Zittel zufolge sich wahrscheinlich ebenfalls an ihrem Förderpeak befinden.


Häresien

Was eigentlich ist so schlimm an einem Leben mit einer weit geringeren Zahl an Computern, gar ohne Handies? Man ist entsetzt, Primitivismus lautet das Schlagwort, das dafür bereitsteht. Nein, Technologien können auch ganz anders sein, grüner, schöner, netter.

Doch sind Computer wirklich in sozusagen handwerklichen Kooperativen zu erzeugen? Kann das ohne Zwang geschehen, ohne Herrschaft? Die Frage sei erlaubt.

Sicherlich, Technologien prägen den Menschen von Anbeginn seiner Evolution. Hier gibt es ein breites Band an Möglichkeiten zur Auswahl. Sicherlich auch ein gutes Stück an weiteren Verbesserungen, oder einfach Anpassungen an sich verändernde Bedürfnisse.

Robert Kurz wagte einmal die Frage zu stellen, was eigentlich an den technologischen Neuerungen der letzten Jahrzehnten wirklich neu sei, die Lebensqualität wirklich verbessere. Man darf ihn darin nachträglich unterstützen. Die Musik, um ein Beispiel herauszugreifen, befindet sich ruhigen Gewissens auf dem Niveau der 1950er Jahre. Die elektrische Gitarre etwa hat sich seit Jahrzehnten nicht wesentlich verändert, geschweige denn verbessert. Der schärfste Sound kommt immer noch aus der Röhre. Und wer den Unterschied zwischen Langspielplatte, leider aus Erdöl, und CD nicht hört, der ist wohl wirklich ein Banause.

Das soll nicht abstreiten, dass ein Soundcomputer, über den nicht wenige heute auch die Gitarre spielen, und doch häufig nur den Sound der Röhre simulieren, neue Möglichkeiten des Klangs eröffnet. Allerdings ist sicherlich kein Zufall, dass diese Möglichkeiten heute zu keinen musikalischen Neuerungen mehr Anlass geben. Im Grunde alles bereits dagewesen. Jimi Hendrix, György Ligeti, Sun Ra und Mr. Moog. Die 1960er und 1970er lassen grüßen.

Die digitale Kommunikation hat die Lektüre wohl verändert. Aber hat sie uns klüger oder wissender gemacht? Die Aufnahmekapazität für Informationen, und das hat noch nichts mit Wissen oder Wissenschaft zu tun, ist mit Sicherheit beschränkt. Was digitale Kommunikation erreicht ist eine andere Art des Wissenszugangs, nicht immer nur zum Vorteil, will man meinen. Übrigens heißt eine hier gedanklich in Aussicht gestellte Schrumpfung dieser Form der Kommunikation keineswegs, dass sich alte, nicht mehr existente Formen der Lektüre und Wissensproduktion wiederherstellen würden. Das ist wohl gerade der Fehler eines wirklich primitivistischen Ansatzes. Die Gesellschaft geht niemals an einen früheren Punkt zurück.


Von den Menschen ausgehen. Oder: Wenn Menschen aufeinander zugehen

Wenn ich über eine herrschaftsfreie Gesellschaft spreche, so rede ich wie ein Blinder von der Farbe. Die anderen Blinden fragen mich: Was wird aus unserem Kaffee? Was aus unseren Handies? Dazu kann ich nicht viel sagen, aber eines weiß ich: Niemand wird dazu gezwungen sein, mir Kaffee anzubauen oder Handies zu beschaffen, oder, meinetwegen, Saiten für die Gitarre, die ich spiele oder gar diese selbst. Wer das nicht akzeptiert, ist, so leid‘s mir tut, ein Feind; der Menschen. Dass das nicht schlagend wird, hat seinen einzigen Grund darin, dass keine Bewegung existiert, die irgendeine wirksame Konsequenz aus diesem Umstand zieht.

Und wirklich: Man möchte fast verzweifeln an besagtem Umstand, nicht nur, dass es niemanden wirklich stört, jenseits sonntäglicher Bedenken, sondern auch dass man sich vor die Wahl gestellt sieht auf die gesamte soziale Welt zu verzichten oder sich auf eine Position mehr oder weniger bequem zurückzuziehen, die dem entspricht, was man beklagen nennt.


Andere gingen in den Untergrund.

Zurück nach Tansania. Wer wird den Bäuerinnen und Bauern dort Entwicklung bringen, wenn es keinen Kapitalismus mehr gibt, keinen Staat, der aus ihnen Steuern schöpft? Was werden die Bäuerinnen und Bauern dort eigentlich wollen, wenn die Rohstoffe aus dem benachbarten Kongo oder von sonstwo her über den Umweg Chinas oder Europas nicht mehr ihren Einzug als Handies noch in abgelegene tansanische Dörfer finden?

Werden Menschen aus Europa in Scharen nach Tansania strömen und endlich das aufbauen, was nach menschlichem Ermessen vor allem auf einem baut: auf Ausbeutung, einem Tun, das Andere kommandieren, zum Nutzen Anderer, die selbst nicht wissen wozu eigentlich?

Vielleicht könnte man von Venezuela lernen, ein leichteres Exempel freilich, nicht zu vergleichen mit dem den westlich-kapitalistischen Normen gegenüber so derart sperrigen „Fall Afrika“, das zwar längst zu einer totalisierten Marktwirtschaft eigener Art geworden ist, aber doch nicht und nicht Entwicklung zeigen will. Ja, sicherlich, in Venezuela ging das voran, unter Chavez: eine Verbesserung der Ernährungslage, mehr von dem bitter nötigen Konsum für die Masse der arm Gemachten. Der Einwand, das beruhe doch alles nur auf den staatlichen Erdöleinnahmen ist zwar überzogen, aber auch nicht ganz falsch. Vor allem beruht es auf einer Weltwirtschaft, die definitiv vom Erdöl abhängt. Was aber nach Peak Oil?

 

Foto/Grafik: Theo Wolters / Climategate.nl - Quelle: climategate.nl


Stelle ich hier einfach zu viele Fragen? Vielleicht. Mein Ansinnen freilich ist dabei nicht, die Zukunft im Voraus zu ergründen. Keineswegs ist auszuschließen, dass Leute ihren Sinn und ihre Freude darin finden, Tiefseekabel zu verlegen. Mein Ziel jedoch ist zu ergründen, wie man sich wohl vernünftigerweise dazu verhalten soll: zur Entwicklung.

Eine praktische Konklusio, als Versuch: Unterstütze kein Bestreben, das von einem Plan der Verbesserung der Lebensbedingungen anderer Menschen ausgeht, den nicht diese Menschen selbst aufgestellt haben und auszuführen in der Lage sind, und zwar auf gleicher Augenhöhe mit Dir und anderen. Was das wohl in Tansania heißen würde?

Nun, dazu müssten diejenigen, die das interessiert, die Leute dort erst mal fragen, und nicht nur die mit Stimme und mit Fahrrad, sondern auch die, die ihr eigenes Feld kaum bestellen können, weil sie, um nicht zu verhungern, auf denen der Reicheren, die in unseren Augen immer noch hoffnungslos arm sind, arbeiten müssen. Oder umgekehrt: Es gälte abzuwarten, ob eine Frage von dort uns erreicht. Und wenn es ein Mensch ist, der ein besseres Leben in dem Land sucht, wo die Früchte seines Landes landen, dann wäre er schlicht aufzunehmen.

Vielleicht wäre das eine gute Antwort auf Entwicklung.

Andreas Exner

 


 

Informations- und Lesetips:


Der britische Geologe Dr. Colin J. Campbell hat im Jahr 2002 die Association for the Study of Peak Oil and Gas, kurz ASPO, gegründet. Diese Initiative stand Pate bei der Gründung des eingetragenen Vereins ASPO Deutschland, die am 13. Juli 2006 in Ottobrunn stattfand. Der Verein möchte in Deutschland die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Thema der künftigen Verfügbarkeit von Erdöl und Erdgas lenken.

ZWECK: Ein Netzwerk von Wissenschaftlern und anderen Interessierten zu bilden, die ein Interesse daran haben, den Zeitpunkt von Peak Oil zu ermitteln und zu bewerten; die Auswirkungen des Fördermaximums von Öl und Gas und des dann folgenden Rückgangs der Förderung, verursacht durch die Endlichkeit der Ressourcen, zu thematisieren; die auf der Erde vorhandenen Mengen an Erdöl und Erdgas auf realistische Weise und mit Hilfe gesicherter Daten einzuschätzen; den Verlauf der Erschöpfung von geologischen Lagerstätten unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte, der Nachfrageentwicklung, technologische Faktoren und politische Randbedingungen zu untersuchen und das Bewusstsein für die weitreichenden Konsequenzen dieser Entwicklungen für die Menschheit zu schärfen.

An dieser Stelle möchte ich ausgewählte Studien, Bücher und Stellungsnahmen von ASPO-Mitgliedern und anderen Autoren den Lesern nahelegen. - weiterlesen

Auch über die Webseite der ENERGY WATCH GROUP gibt es interessante Informationen zum Lesen und downloaden - weiter

 

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Entwicklungshilfe in der Diskussion


Entwicklungshilfe in der Diskussion


Wem dient Entwicklungshilfe? Wer hat eigentlich Entwicklungshilfe nötig? Die Beantwortung dieser Fragen ängt natürlich damit zusammen, wie man Entwicklungshilfe definiert und vor allem davon, wen man für arm oder bedürftig hält. Andreas Exner meint in seinem Artikel „Ressourcenexperte: Entwicklungsversprechen sind nicht mehr einlösbar“, daß sich Armut immer im Verhältnis zu einer Gruppe bemißt, die nicht arm ist. Aus der Sicht von saturierten Menschen oder gar von solchen, die mit unerschöpflichen materiellen Möglichkeiten ausgestattet sind, sind z. B. Leute wie ich, die mit einer kleinen Rente leben müssen, ziemlich arm. Aus meiner Warte sind Arbeitslose und Hartz IV-Bezieher ärmer als ich – und Menschen aus Notstandsgebieten, die nicht das nötigste zum Leben besitzen, wirklich erbärmlich arm. Bisher spreche ich nur von materieller Armut, die jedoch noch eine Schwester hat.

Es soll ja auch noch so etwas wie geistige, emotionale, kulturelle oder soziale Armut geben. Wer leidet darunter und muß weiter-entwickelt werden? Die armen Schlucker in den sog. Entwicklungsländern oder vielleicht eher wir in den „zivilisierten“ Regionen? Der Mensch lebt nicht vom Brot allein – sicherlich ein abgedroschener Satz. Aber was ist der vielgepriesene Wohlstand ohne innere Zufriedenheit und psychische Ausgeglichenheit wert? Wenn wir uns als Touristen in armen Ländern aufhalten, so schwärmen wir gerne von den glücklichen Gesichtern und der Zufriedenheit der dortigen Bewohner. Da spielt doch eine gewisse Portion Neid mit, wenn wir an unsere Frustrationen, unsere Depressionen, unseren Streß, unsere kaputten Beziehungen oder an unsere unersättlichen materiellen Wünsche denken. Aus dieser Ecke betrachtet könnten wir selbst eine gehörige Portion Entwicklungshilfe gebrauchen!

Das Bedürfnis nach Entwicklungshilfe darf man nicht nur unter dem Aspekt der üblichen Kriterien der Geberländer beurteilen. Denn diese „geben“ nur freiwillig etwas, wenn sie auch damit rechnen können, daß dabei reichlich Profite zurückfließen. Wie drückte sich unser fähiger Entwicklungsminister Dirk Niebel in diesem Zusammenhang vielsagend aus:


„Wenn wir kluge Entwicklungspolitik betreiben, nehmen wir Geld für Deutschland ein. Mit jedem Euro Entwicklungszusammenarbeit fließen langfristig zwei Euro zurück zu uns.​“


Aus reiner Menschenliebe passiert rein gar nichts. Deshalb hat Entwicklungshilfe im Sinne neoliberal getrimmter Regierungen auch nur ein Ziel: Die Förderungswürdigen sollen langfristig, wenn sie Glück haben, was meistens aber nicht der Fall ist, in den Stand eines Konsumenten versetzt werden, der der Exportwirtschaft der Geberländer zu reichlich Umsatz und Gewinn verhilft.

Aber durch den fatalen Umstand, daß Entwicklungshilfe darauf angelegt ist, Wirtschaftswachstum zu fördern, die Ressourcen noch intensiver auszubeuten und auch noch den letzten Urwaldbewohner zu einem konsumabhängigen Marionette zu degradieren, kurbelt sie den Niedergang und Ausverkauf dieser Welt noch stärker an. Das soll nicht heißen, daß notleidenden Menschen nicht auf die Beine geholfen werden soll, damit sie in einem mehr oder weniger bescheidenen Wohlstand leben und ihr Dasein fristen können. Aber das Maß, das wir dabei in Anschlag bringen, ist kontraproduktiv und schädlich. Es handelt sich um das Maß der kapitalistischen Marktwirtschaft, das wir selbstherrlich und überheblich allem und jedem überstülpen wollen. Andreas Exner betrachtet den Kontext folgendermaßen:

[quote=Andreas Exner]

Das Entwicklungsbedürfnis setzt jedoch gerade eine Fortführung der Ausbeutung, also seine eigene Ursache, in noch größerem Maßstab voraus. Das ist ein Problem. Denn so kann es grundsätzlich nicht befriedigt werden. Dies deshalb, weil es eben Ausbeutung voraussetzt und damit die soziale Ungleichheit, deren Schere zu schließen es vorgibt und auch anstrebt. Entwicklung ist wie eine Karotte vor dem Esel, der den Karren der feinen Herren zieht. Entwicklungshilfe als Versuch dieses Entwicklungsbedürfnis zu stillen muss versagen. Denn entweder sie ist eine Unterstützung der Ausbeutung oder aber sie verteilt schlicht die Güter und Dienste der Ausbeuter.

[/quote]

Wir wollen den anvisierten Ländern großzügig unsere heruntergewirtschaftete Demokratie sowie die bröselnde und degenerierte abendländische Kultur bescheren, sie mit unseren Zivilisationskrankheiten beglücken, sie aus ihren Sippen- und Familienbanden herausreißen und von der Natur entfremden. Das soll ein Gefallen sein, den wir diesen Menschen angeblich tun und wofür wir auch noch Dankbarkeit erwarten?

Die Entwicklungshilfepolitik der schwarz-gelben Bundesregierung wird oft zu Recht kritisiert. Denn an der Spitze des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat sich ein neoliberaler Bock als Gärtner eingenistet. Der versteht Entwicklungshilfe als neoliberale Speerspitze und Mittel zum Zweck, der deutschen Exportwirtschaft Vorteile zu verschaffen. Dazu schreckt Niebel auch vor gedeihlicher Zusammenarbeit mit diversen Despoten nicht zurück. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig zu wissen, daß im Januar 2011 die Vereinigung der Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) mit dem Deutschen Entwicklungsdienst (DED) und der Agentur Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH (InWEnt) zur Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) vollzogen wurde. Lt. Niebel habe sich die staatliche Entwicklungshilfe nun viel effizienter und schlagkräftiger positioniert.

Am 17.4.2013 hat Niebel den 14. Entwicklungspolitischen Bericht der Bundesregierung (Weißbuch zur Entwicklungspolitik) vorgestellt. Interessierte können sich gerne in diese PDF-Veröffentlichung einlesen. Detailliert möchte ich nicht auf den Inhalt eingehen. Es soll jedoch nicht verschwiegen werden, daß ehemalige Entwicklungshelfer des aufgelösten bisherigen Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) Niebel massiv kritisieren. Für sie stellt die neu geschaffenen Organisation GIZ nichts anderes als ein Unternehmensprojekt dar, das mit einer ökonomischen Wachstumsstrategie versehen ist und in dem ziviles und uneigennütziges Engagement keinen Platz mehr besitzt. Die neue Zielsetzung wird aus den Reihen des ehemaligen DED als strategischer Fehler bezeichnet. Das Leitmotiv des DED „Lernen und Helfen“ sei bei Niebel zugunsten ökonomischer Interessen unter die Räder gekommen. Bei einem Festakt wurde am 24.6.2013 das 50-jährige Jubiläum des nun verschiedenen DED begangen. Auf dieser Veranstaltung wurde Niebels Marschrichtung als ein falscher Weg benannt, der „der massiv betriebenen Kommerzialisierung der deutschen Entwicklungspolitik“ Vorschub leiste.

 

    


Mir fällt da gerade noch historische Parallele einer folgenschweren Entwicklungshilfepolitik ein - der Marshallplan ( offiziell European Recovery Program, kurz ERP) der USA nach dem 2. Weltkrieg für Deutschland. Dieser und die sonstigen als selbstlose Hilfe verkauften Aufbaumaßnahmen der Amerikaner waren ebenfalls in diesem Sinne als neoliberale Entwicklungshilfe zu sehen. Bis heute schwärmen naive Deutsche noch von diesem Altruismus der Amis, ohne die wir unser Wirtschaftswunder nie geschafft hätten. Dabei handelt es sich um einen riesigen Irrtum, denn dabei war kaum Menschlichkeit im Spiel, sondern umso mehr Geschäftstüchtigkeit und Berechnung. Ökonomisch hat sich für die US-Wirtschaft der Wiederaufbau Deutschlands zigmal amortisiert – und die machtpolitischen Interessen der USA konnten durch die Besatzungspolitik ebenfalls voll befriedigt werden. Als Konsequenz dieser hervorragend gelungenen Entwicklungsarbeit sind wir heute noch ein Vasallenstaat der USA.

 

Bildquellen: 

 

Foto 1:  US-Außenminister George C. Marshall  - Quelle: US Army Image courtesy of the US Army's Center of Military History / Wikipedia Public Domain

Foto 2:  Offizielles Logo, das bei Hilfsprojekten des Marshallplans verwendet wurde - Quelle Wikipedia Public Domain


MfG Peter A. Weber

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