Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina
- Der zionistische Siedlerkolonialismus in Wort und Tat
Autor: Petra Wild
Verlag: Promedia, Wien (13. März 2013) – zur Verlagsseite [4]
ISBN-13: 978-3-85371-355-6
broschiert, 240 Seiten mit 5 Landkarten, 15,90 Eur[D] / 15,90 Eur[A] / 22,90 CHF
Über die Palästina-Frage scheint schon alles gesagt. Das Buch von Petra Wild beweist das Gegenteil. Es orientiert sich an den neuesten Erkenntnissen der Kolonialismus- und Genozidforschung, die den Zionismus als eine Form des europäischen Siedlerkolonialismus ausweisen.
Nach einer Einführung in den Ursprung des palästinensisch-israelischen Konflikts und den exklusiv ethno-religösen Charakter des Staates Israel wird in diesem Werk detailliert auf die israelische Politik gegenüber den Palästinensern innerhalb der Grenzen Israels und in den 1967 besetzten Gebieten eingegangen. Diese wird von israelischen, palästinensischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen wie auch von UN-Organisationen immer wieder als Apartheid angeprangert.
Da der zionistische Siedlerkolonialismus anders als der südafrikanische nicht auf die Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung als billige Arbeitskräfte, sondern auf deren möglichst vollständige Ersetzung durch die Siedlerbevölkerung zielt, ist die schleichende ethnische Säuberung neben der Apartheid das Hauptmerkmal der zionistischen Kolonialpolitik. Wie diese Politik in der Praxis aussieht, wird in einzelnen Kapiteln über die Ghettoisierungspolitik in der Westbank, die ethnische Säuberung des Jordantals, die Gewalt der kolonialen Siedler sowie die Vertreibung der einheimischen Bevölkerung und die Zerstörung der historischen Stadt Jerusalem dargelegt.
Dass es dennoch einen Silberstreif am Horizont gibt, zeigt das Abschlusskapitel zur Debatte über die Ein-Staat-Lösung, wie sie unter Palästinensern, antizionistischen Israelis und Aktivisten der internationalen Solidaritätsbewegung geführt wird. Angestrebt wird die Errichtung eines demokratischen säkularen Staates auf dem Boden des historischen Palästinas, in dem muslimische, christliche und drusische Palästinenser sowie jüdische Israelis auf der Basis von gleichen Rechten zusammenleben. Der seinem Anspruch nach exklusiv jüdische Staat Israel soll durch einen multiethnischen, multireligiösen und multikulturellen ersetzt werden. Die Ein-Staat-Lösung würde nicht nur den Palästinensern ihre von der UNO anerkannten Rechte auf Selbstbestimmung, Rückkehr und Entschädigung garantieren, sondern auch die jüdisch-israelische Bevölkerung von ihrem Status als Kolonialherren befreien.
► Inhaltsverzeichnis:
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . 7
Der Ursprung des Konflikts: Zionistischer Siedlerkolonialismus und die ethnische Säuberung 1947/1948 . . . . . . . . . . . . . . . 11
Ethnokratie, Apartheid und ethnische Säuberung . . . . . . . . . . . . . . . 21
Die gläserne Mauer: Segregation und Ausschluss der Palästinenser innerhalb der Grünen Linie . . . . . . . . . . . . . . . 33
Vertreibung, Landraub und Zerstörung der einheimischen Kultur innerhalb der Grünen Linie am Beispiel des Naqab/Negev . . . . . . . . . . . . . . . 55
Rassismus in der jüdisch-israelischen Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . 73
Die israelische Kolonialpolitik in den 1967 besetzten Gebieten vor und nach den Oslo-Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . 91
Gettoisierung, Enteignung und schleichende Vertreibung der Palästinenser in der Westbank . . . . . . . . . . . . . . . 111
Die ethnische Säuberung des Jordantals . . . . . . . . . . . . . . . 125
Die Funktion der Siedler: Landraub und Terrorisierung der einheimischen Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . 141
Ethnische Säuberung und Zerstörung der historischen Stadt in al-Quds/Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . 159
Die Blockade des Gazastreifens und die Genozid-Debatte . . . . . . . . . . . . . . . 183
Demokratischer säkularer Staat statt Apartheid und ethnischer Säuberung . . . . . . . . . . . . . . . 209
Literaturliste . . . . . . . . . . . . . . . 223
Landkarten . . . . . . . . . . . . . . . 233
► 1. Leseprobe: Einleitung
Die Realität in Palästina wird besonders in Deutschland verdeckt durch einen dichten Schleier aus Desinformation und Manipulation. Durch ständige Wiederholung werden im Bewusstsein der Öffentlichkeit bestimmte Verknüpfungen und Konnotationen hergestellt: Dass Israel der Staat der Überlebenden des Holocausts sei; dass Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten sei; dass Israel ein bedrohter und belagerter Staat in einer feindlichen und zivilisatorisch rückständigen Region sei; dass die Araber und Muslime Israel ablehnten, weil der Islam eine repressive und barbarische Religion und/oder die arabische Kultur in vormodernen Strukturen gefangen sei; dass Israel nach Frieden strebe, während Palästinenser, Araber und Iraner Israel vernichten wollten; dass jeder israelische Krieg per definitionem nur der Selbstverteidigung diene und Israels Recht auf Selbstverteidigung sakrosankt sei, ebenso dessen Anspruch, ein exklusiv jüdischer Staat sein zu wollen. Die immer gleichen propagandistischen Versatzstücke prägen die Reaktionsmuster der Öffentlichkeit, die sich oftmals in eingeübten Reflexen auf gegebene Reize erschöpfen.
Sobald es um Israel geht, wenden auch kritische Köpfe völlig andere Kriterien an als auf andere Staaten. Während es in den 1980er Jahren selbstverständlich war, den Apartheidstaat Südafrika zu boykottieren, wird die Apartheidpolitik Israels als zulässig betrachtet, da dieses seinen jüdischen Charakter bewahren müsse. Je nach politischer Vorliebe solidarisieren sich viele mit der baskischen Minderheit in Spanien oder der tibetischen in China, die Unterdrückung der palästinensischen Minderheit in Israel wird jedoch geflissentlich übersehen. Die antideutsche Linke, die alle Nationalstaaten eifrig bekämpft, glorifiziert gleichzeitig den Nationalstaat Israel. Jeder andere Staat, der im 21. Jahrhundert darauf bestünde, der exklusive Staat einer bestimmten Religionsgemeinschaft zu sein, würde als fundamentalistisch verurteilt. Jeder andere Staat, der ein System von nach Ethnien getrennten Wohngebieten und Straßen unterhielte, würde als rassistischer Staat verurteilt. In Bezug auf Israel jedoch scheint es eine Immunisierung des Denkens zu geben, die verhindert, dass die Realität so wahrgenommen werden kann, wie sie ist. Die außerordentlich brutale israelische Kolonial- und Kriegspolitik und der beharrliche Widerstand der Palästinenser dagegen haben allerdings in den vergangenen zehn Jahren in den meisten westlichen Ländern dazu geführt, dass der Schleier zerrissen wurde und die Dinge beim Namen genannt werden. Hierzulande jedoch ist die Auseinandersetzung mit der Palästina-Frage von einer bemerkenswerten Rückständigkeit gekennzeichnet. Die Solidaritätsbewegung ist schwach, die internationale Kampagne zu Boykott, Desinvestment und Sanktionen gegen Israel beginnt erst langsam sich zu entwickeln. In der Palästina-Frage gibt es keine nennenswerten Unterschiede zwischen rechten und linken Parteien und Organisationen. Die Sicherheit Israels ist von der Bundesregierung zur Staatsräson erklärt und das Existenzrecht Israels von der Linkspartei ins Parteiprogramm geschrieben worden. Die außerparlamentarische Linke, die sich als antifaschistisch versteht, überholt die herrschenden Parteien von rechts und vertritt teilweise ähnliche Positionen wie die Partei »Die Freiheit«, »politically-incorrect« und andere rechte rassistische Strömungen. Die wenigen kritischen Stimmen, die es gibt, werden regelmäßig mittels inszenierter Antisemitismusvorwürfe zum Schweigen gebracht, Veranstaltungen, die nicht die offizielle israelische Linie wiedergeben, immer wieder verhindert.
Entscheidend für das Gelingen der fortwährenden Manipulation der Öffentlichkeit ist die Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfes. Zionisten innerhalb und außerhalb Israel bezeichnen auch Antizionismus und Kritik an der Politik des Staates Israel als Formen des Antisemitismus. In den Metropolen wurde dieser Ansatz in den letzten Jahren aufgegriffen, und wenn heute von Antisemitismus die Rede ist, ist meist Israelkritik oder Antizionismus gemeint. Beides sind jedoch grundverschiedene Dinge. Während der Begriff des Antisemitismus den pauschal gegen die jüdische Religionsgemeinschaft gerichteten Rassismus bezeichnet, ist Antizionismus eine politische Position, die im Kern in der Ablehnung der Vertreibung, Enteignung und Entrechtung der Palästinenser und eines exklusiven jüdischen Staates in einem multiethnischen, multireligiösen Land besteht. Welche Theorien in Umlauf gebracht, gefördert werden und sich durchsetzen können, hängt in nicht geringem Maß von den ideologischen Interessen der Herrschenden ab. Theodor W. Adorno hat das bereits in den 1960er Jahren pointiert formuliert: »Über das, was wahr und was bloße Meinung, nämlich Zufall und Willkür sein soll, entscheidet nicht, wie die Ideologie es will, die Evidenz, sondern die gesellschaftliche Macht, die das als bloße Willkür denunziert, was mit ihrer eigenen Willkür nicht zusammenstimmt.« 1
Um der permanenten Manipulation etwas entgegenzusetzen, hatte ich ursprünglich vor, ein Buch über die israelische Apartheidpolitik und die Ein-Staat-Lösung zu schreiben. Bei meinen Studien stellte sich jedoch heraus, dass die israelische Politik gegenüber den Palästinensern sich nicht auf Apartheid beschränkt, sondern auch systematische ethnische Säuberungen einschließt. Der antizionistische Israeli Moshe Machover lehnt die Verwendung des Apartheidbegriffs sogar als Verharmlosung ab, da der Kern israelischer Kolonialpolitik die ethnische Säuberung sei. Im Gegensatz zum südafrikanischen Apartheidregime habe Israel kein Interesse an der Ausbeutung der Arbeitskraft der einheimischen Bevölkerung, sondern wolle sich ihrer entledigen. 2 Diese Einschätzung wird von mehreren kritischen Israelis und internationalen Kolonialismus- und Genozidforschern geteilt. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung wurde mir klar, dass die israelische Kolonialpolitik weder durch den Begriff der Apartheid noch durch den der ethnischen Säuberung ausreichend erklärt werden kann, da beide nur Folgen sind, Symptome.
Die Suche nach der Ursache führte mich zur Beschäftigung mit dem Phänomen des Siedlerkolonialismus. In der neueren Kolonialismus- und Genozidforschung werden Israel und dessen Staatsdoktrin, der Zionismus, als solcher behandelt. Der reine Siedlerkolonialismus, für den Israel ein Beispiel ist, strebt danach, die einheimische Bevölkerung durch eine eingewanderte Siedlerbevölkerung vollständig zu ersetzen. Die Grenzen werden stets weiter nach vorne verschoben und die einheimische Bevölkerung auf stets kleiner werdenden Flächen zusammengedrängt, um ihr Land und ihre Ressourcen für die Siedlerbevölkerung freizumachen. Charakteristisch für siedlerkolonialistische Gebilde sind neben territorialer Expansion ein ausgeprägter Rassismus in der Siedlerbevölkerung und die Behauptung, das Land sei menschenleer gewesen, als die Siedler kamen. Die bekanntesten siedlerkolonialistischen Staaten sind die USA, Neuseeland, Australien, Südafrika und Israel. Der Begriff des Siedlerkolonialismus war der Schlüssel, um die Logik, die der Apartheid und ethnischen Säuberung in Palästina zugrunde liegt, verstehen und die konkreten Ausprägungen der zionistischen Kolonialpolitik miteinander in Bezug setzen zu können. So wurde aus einem Buch über die israelische Apartheidpolitik ein Buch über den zionistischen Siedlerkolonialismus in seinen verschiedenen Ausdrucksformen, zu denen – wie in allen siedlerkolonialistischen Staaten – Apartheid, ethnische Säuberung und schleichender Genozid gehören.
Petra Wild,
Berlin, im Januar 2013
1. Adorno, Theodor W., Meinung Wahn Gesellschaft in: Eingriffe. Neun kritische Modelle, Frankfurt/Main 1963, S. 153
2. Machover, Moshe, Is it Apartheid?, News from Within (AIC), Jerusalem, December 2004/January 2005; deutsche Übersetzung von Ellen Rohlfs, Ist es Apartheid? unter - klick hier [5]
► 2. Leseprobe: das Kapitel "Die ethnische Säuberung des Jordantals"
findet Ihr hier als direkt unter dem Coverfoto – bitte einfach den Anhang anklicken.
► Informationen zur Autorin:
Petra Wild wurde 1963 im hessischen Aarbergen (heute ca. 6 000 Einwohner) geboren, studierete im arabischen Jerusalem, in Leipzig und Damaskus Arabistik und später an der Berliner Humboldt-Universität Islamwissenschaft. Sie lebt heute in Berlin und arbeitet als freiberufliche Publizistin, vor allem zur Palästina-Frage und zur Arabischen Revolution.. Einer ihrer Arbeitsschwerpunkte ist der Palästina-Konflikt, zu dem sie das hier empfohlene Buch veröffentlicht hat. .
Mit diesem Buch, sagt Petra Wild in einem Interview mit SALAM SHALOM Arbeitskreis Palästina-Israel e.V [6] vom 30.4.2013, habe sie „der permanenten Desinformation und Manipulation rund um die Palästina-Frage“ etwas entgegensetzen wollen. „Es ist“, sagt sie im selben Interview, „meine Aufgabe [als Wissenschaftlerin], Sachverhalte zu analysieren und daraus Erkenntnisse zu formulieren, die ich der kritischen Öffentlichkeit zur Verfügung stelle.“ – „Ich orientiere mich an der kritischen Theorie [der Frankfurter Schule], und da geht es darum, die Sache selber zum Sprechen zu bringen bzw. durch die … Ebene der Erscheinungen [Phänomene] auf das Wesen der Sache zu kommen. Das Buch ist die Zusammenfassung eines Erkenntnisprozesses, der zu den vorliegenden Ergebnissen geführt hat.“
Anhang | Größe |
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Leseprobe_Petra_Wild_Die_ethnische_Säuberung_des_Jordantals.pdf [7] | 801.7 KB |