► von Wolfgang Blaschka, München
Hundert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg haben die Historiker Hochkonjunktur. Schließlich muss ein für allemal aufgeklärt werden, wie es zum Weltkrieg überhaupt kommen konnte, weil man ja durch den Zweiten auch nicht viel schlauer geworden ist. Einen Dritten mag sowieso niemand mehr, weil den Ersten doch auch schon keiner gewollt hat und der Zweite so verheerend war. Eigentlich mochte Weltkriege noch nie jemand, schon gar nicht in den Nationen, die sie desaströs verloren haben.
Die Deutschen haben das tatsächlich zweimal geschafft, und daher die Schnauze zwei für allemal voll von Weltkriegen. Da tun sich Australier leichter. Sie stecken ihre Schnüffelnase tief in den Giftgastopf und fördern so manches zutage, was bisherige Historiker-Generationen für zu unbedeutend gehalten hatten, um es zur Ursachenforschung heranzuziehen. Doch tiefgründige politische und ökonomische Hintergrundforschung ist schwierig und aufwendig, sie könnte überdies unangenehme Tatsachen zutage fördern – und schmerzhaft ins Auge stechende Parallelen im Verhalten imperialer Eliten, was Feindbild-Pflege anbelangt.
Außerdem wissen wir längst, dass niemand Weltkriege so verabscheut wie die Deutschen. Also können sich heutige Forscher getrost eher dem phänomenologisch Nebensächlichen widmen. Sowas lesen die Leute auch viel lieber. Christopher Munro Clark [1] ist solch ein Bestseller-Autor, der kein noch so banales Detail auslässt, um seine Schwarte auf über 600 Seiten aufzupolstern: "Die Schlafwandler – Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog". Als wären die imperialen Mächte leicht verträumt und eigentlich unabsichtlich ins erste industriell angerichtete "Stahlbad" der Menschheitsgeschichte gestolpert, ohne die tödlichen Folgen zu überreißen. So schreibt sich leicht verdauliche "History to go": Gerade das Periphere und Persönliche gibt Butter bei die Fische.
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