Auszüge aus Claudia Szczesny-Friedmann's Buch
► Buchtipp von Helmut Schnug
Vorwort
Menschliche Existenz ist gefährdet. Um das Überleben des einzelnen und der menschlichen Art zu sichern, haben sich Menschen deshalb von jeher zusammengeschlossen und versucht, gemeinsam Mittel und Wege zu finden, das Leben zu bestehen. Dies machte es dann aber auch notwendig, das Zusammenleben der Menschen so zu organisieren, daß der soziale Zusammenhalt gewährleistet war und keiner zum Opfer der rohen Gewalt eines anderen wurde. All jene Leistungen und Einrichtungen, die wir unter dem Begriff "Kultur" zusammenzufassen pflegen, dienen letztlich diesen zwei Zielen: den Menschen vor den Unbilden der Natur zu schützen und zugleich die Beziehungen der Menschen untereinander befriedigend zu regeln. An diesen beiden Ansprüchen muß sich jede Kultur messen lassen, auch wenn wir dabei von vornherein sicher sein können, daß sie nie zur vollkommenen Zufriedenheit aller Menschen und in jedem Fall nur annäherungsweise erfüllt werden können.
Was die Kultur in den westlichen Industrieländern der Gegenwart betrifft, so hat es allerdings den Anschein, als ob sie bei dem Versuch, den Bedürfnissen der Menschen nach Sicherheit zu entsprechen, ihre grundlegenden Ziele aus den Augen verloren hätte. Die Anstrengungen, die im Verlauf der Industrialisierung und Modernisierung unternommen wurden, Natur zu beherrschen, drohen nämlich bekanntlich inzwischen unsere Lebensgrundlagen zu zerstören. Was einmal Mittel zum Zweck war, wurde Zweck in sich selbst: auf diese Weise beschwor die technologische Entwicklung der letzten hundert Jahre neue Risiken herauf, statt die Risiken menschlicher Existenz nur zu mindern. So geht es heute nicht mehr nur darum, die Menschen vor der Natur zu schützen, sondern ebensosehr darum, die Natur vor dem Zugriff der Menschen zu schützen: eine historisch völlig neue kulturelle Aufgabe.
Das Unbehagen an der Kultur der Moderne rührt aber nicht allein daher, daß wir nun mit selbst produzierten Gefahren zu leben haben, deren Bewältigung nicht in Sicht ist; eine weitere wesentliche Quelle der Frustration des modernen Menschen liegt in seinen Beziehungen zu anderen Menschen. Diese Beziehungen werden vom einzelnen nämlich zunehmend als mangelhaft und unbefriedigend empfunden, nicht als Rückhalt und Bereicherung, sondern als Belastung, wenn nicht gar als Bedrohung seiner persönlichen Autonomie. Auch die Art und Weise, in der wir die Beziehungen der Menschen untereinander geregelt haben, läßt das ursprüngliche Ziel menschlicher Gemeinschaft also immer weniger ahnen: sich bei der Bewältigung des Lebens gegenseitig zu unterstützen. Dabei ist es ein charakteristischer Zug der Moderne, alle Schwierigkeiten und Probleme, die in zwischenmenschlichen Beziehungen auftauchen, dem einzelnen anzulasten. Was in Wirklichkeit eine Folge soziokultureller Gegebenheiten ist, wird deshalb meist nur als privater Konflikt, als persönliches Versagen, als individuelle Störung sichtbar, und auch nur auf dieser Ebene einer möglichen Lösung zugeführt. Das Allgemeine im Besonderen der sozialen Beziehungen der Moderne zu beschreiben, ist deshalb Anliegen dieses Buchs. Es handelt von den Beziehungen zwischen Männern und Frauen, zwischen dem einzelnen und den anderen, zwischen Erwachsenen und Kindern – und von den Bedingungen der Unmöglichkeit der Nähe zwischen ihnen.
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