► von Franz Garnreiter c/o Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V.
Bis vor wenigen Jahrzehnten war die weltweite Einkommensverteilung noch “in Ordnung“, sie entwickelte sich in den bekannten Bahnen: hier die reichen Länder mit einem hohen Durchschnittseinkommen, dort die armen Länder (als “Dritte Welt“ bezeichnet) mit einem niedrigen. Und dieser Abstand reich – arm stieg seit Jahrhunderten beständig an.
Seit 20 Jahren allerdings wird dieses vertraute Bild durch neue Nachrichten gestört: Hohe Zuwachsraten für Luxusautos in Peking, Nairobi, Tallinn. Spitzen-Quadratmeterpreise für Wohnanlagen in den Hauptstädten sehr armer Länder. Besonders starke Zunahme der Anzahl der Millionäre und gar der Milliardäre in China, Indien und anderswo, sogar empor strebende Mittelschichten. Die spektakulärsten Wolkenkratzer, Brücken usw. werden im Süden der Welt gebaut. Und auf der anderen Seite: Steigende Arbeitslosigkeit und ganz besonders steigende Langzeitarbeitslosigkeit in den reichen Ländern. Anstieg der Anzahl der US-Amerikaner, die von weniger als 2 Dollar pro Tag leben müssen, auf 1,5 Millionen: plus 130 % zwischen 1996 und 2011. Für 15 % der US-Amerikaner gilt die Lebensmittelversorgung als nicht gesichert, trotz Lebensmittelmarken. Die Säuglingssterblichkeit in den USA liegt höher als in vielen Entwicklungsländern. Das UNDP [1], das Entwicklungsprogramm der UNO, schreibt dazu: “Man kann behaupten, dass es einen ‘Süden‘ im Norden und einen ‘Norden‘ im Süden gibt“. Und: “An die Stelle eines Zentrums aus Industrieländern und einer Peripherie von weniger entwickelten Ländern tritt ein komplexeres und dynamischeres Umfeld“.
Was ist da los? Den Hintergrund für den Zerfall der bisherigen “Ordnung“ in der Verteilung von Einkommen und Lebenschancen bildet die Neugestaltung der Weltwirtschaft in den letzten Jahrzehnten:
- Den Kern der Globalisierung bilden die fortschreitende wirtschaftliche Öffnung der Länder für internationalen Handel und Kapitalverlagerungen und die daraus resultierenden Erfolge der großen multinationalen Konzerne, weltweit die günstigsten Produktionsmöglichkeiten und -standorte für sich zu nutzen. In diesem Rahmen ergreifen einige große Schwellenländer, China vornedran, ihre Chance, wirtschaftlich aufzuholen; sie wollen sich nicht mehr mit einer Marginalrolle in der Weltwirtschaft abfinden. Den meisten Ländern aus der “Dritten Welt“ gelingt das allerdings nicht, viele von ihnen fallen sogar zurück.
- Reiche mächtige Länder sehen angesichts ihres niedrigen Wirtschaftswachstums der letzten Jahre/Jahrzehnte ihren Vorsprung und ihre Macht und Überlegenheit in Gefahr geraten, v.a. ihren gesicherten Rohstoffbezug und ihre Absatzgebiete. Sie versuchen mit allen einsetzbaren Mitteln, vom Festlegen der Weltwirtschaft und des Welthandels auf ihnen günstig erscheinende Regeln bis hin zum Einsatz von Militärgewalt, ihre Vormacht aufrecht zu erhalten. Dazu gehört auch die Konzentration ökonomischer Ressourcen (Einkommen und Vermögen) an der Spitze (von “Kriegskasse“ sprechen die Konzerne). Die Steuerpolitik ist ein probates Mittel hierfür.
- Beide Entwicklungen führen zur Durchdringung der Ökonomien aller Länder mit Markt und Marktmacht, mit Konkurrenzsiegen und Chancenlosigkeit. Das führt zur Frage: Wo sind die Gewinner der Globalisierung zu finden und wo die Verlierer? Was ist mit den Milliarden Menschen in den schwachen, kleinen armen Ländern, und was ist mit den vielen Hundert Millionen, die in den reichen Ländern immer weniger mit der Konkurrenz mithalten können? Die Länder werden in die Weltwirtschaft integriert, es gibt keine abgetrennten isolierten Ökonomien mehr, und gleichzeitig werden Menschen ausgegrenzt: durch Arbeitslosigkeit, prekäre Jobs, ungesicherte Existenz, niedriges Bildungsniveau.
Das isw [2] diskutiert diese Fragen – Wie sieht die weltweite Einkommensverteilung aus? Wie hat sie sich entwickelt? Was sind wichtige Faktoren, die sie gestalten? Was sind ihre Perspektiven? – ausführlich in einem im November 2015 erschienenen Bericht, dem isw-forschungsheft 5 [3]: Globale Einkommensverteilung. Entwicklung seit 1980 und Perspektiven. Die folgenden Ausführungen beruhen auf den Ergebnissen dieses Heftes.
❖ [4]weiterlesen [5]