► von Ron Augustin
Vor achtzig Jahren starb der unsterbliche Alexei Maximowitsch Peschkow, der sich Gorki [1], der Bittere, nannte. Bitter über die Verhältnisse, in denen die Menschen leben, aber auch unablässig optimistisch in seinem Vertrauen darauf, dass die Menschen sich mit den Verhältnissen nicht abfinden werden. Mit Romanen und Bühnenstücken wie "Foma Gordejew [2]", "Die Mutter [3]", "Nachtasyl [4]" und Klim Samgin sowie mehr als 1300 Erzählungen und Aufsätzen ein Großer der Weltliteratur. Unsterblich, aber während einige seiner Theaterstücke weiterhin aufgeführt werden, gibt es von seinen Werken nahezu keine Neuauflagen in den Verlagsprogrammen der letzten 30-40 Jahre.
Enger Freund Lenins mit einem solidarisch-kritischen Verhältnis zur Partei- und Staatsführung der UdSSR, unermüdlich in der Förderung anderer Schriftsteller, Initiator zahlloser sowjetischer Kulturprojekte, wurde er zu Zeiten der als Perestroika [5] bekanntgewordenen “Umstrukturierung” der sowjetischen Gesellschaft zur Zielscheibe einer Hetze, wie selbst einem bête noir wie Jean Genet [6] kaum zuteil geworden ist.
Noch Jahre nach dem Ende der Sowjetunion wurde er in Russland wie im Westen als stalinistischen “Götzen” betrachtet, den es vom Sockel niederzureißen galt. Sein Name wurde von den nach ihm benannten Orten und Straßen entfernt. Glücklicherweise wird in Moskau heute immer noch viel gelesen und nun gibt es dort seit kurzem sowas wie ein Gorki-revival. Sogar Gorkis Porträt, das vom Titelbild der gewichtigen Literaturzeitschrift Literaturnaja Gazeta [7] entfernt worden war, prangt dort wieder neben dem Puschkins.
Gorki wurde am 16. März 1868 in Nishni Nowgorod [8] geboren. Als er vier Jahre alt war, starb sein Vater, sechs Jahre später verlor er seine Mutter. Seine Kindheit verbrachte er hauptsächlich bei den Großeltern, die eine kleine Textilfärberei betrieben. Der Großvater soll ein jähzorniger und gewaltsamer Mensch gewesen sein, die Großmutter dagegen eine kluge Erzieherin, die dem Jungen unzählige russische Lieder, Sagen und Märchen beibrachte.
Da die Familie total verarmt war, musste er schon mit elf Jahren selbst sein Brot verdienen. Auf den Höfen der Stadt sammelte er Altmaterial, dann arbeitete er als Krämerlehrling, technischer Zeichner, Verladearbeiter und Geschirrspüler auf einem Wolgadämpfer, bis er sich auf dem Weg nach Kasan [9] machte, wo er sich 1884 den dortigen revolutionär gesinnten Studenten näherte, immer bemüht, sich weiter zu bilden. Hier begann er, Das Kapital von Karl Marx [Das Marxsche Kapital Bd. I-III im Internet [10]] in der Übersetzung Plechanows [11] zu lesen und revolutionäre Propaganda unter die Bauern des Wolgagebiets zu tragen. Jahrelang wanderte er an der Wolga entlang, lebte bei Fischern, Arbeitern, Obdachlosen und Verbannten, ernährte sich von Gelegenheitsjobs als Laufbursche, Hausdiener, Bäckereigehilfe, Nachtwächter, Eisenbahnaufseher oder was sich sonst so ergab.
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