Abgespeist – Überflüssig Gemachte und Gemachtes an einer Tafel

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von Günther Salz


In dem Maße, wie Armut und Ungleichheit zugenommen haben, ist auch die Tafelbewegung als »Brücke zwischen Überfluss und Mangel« gewachsen. Aus der ersten Tafel für Obdachlose in Berlin 1993 ist eine halbprofessionelle Tafelbewegung für arme Jederfrauen und -männer geworden mit mehr als 2 000 Ausgabestellen und 1,5 Millionen NutzerInnen. Eine der größten öffentlich-privaten Partnerschaften nach dem 2. Weltkrieg, die so ganz in den verschlankten, neoliberalen Sozialstaat passt. Ein Ansatz, der den wegen ihrer Ausbeutungs- und Ausspitzelungs-Methoden in die Kritik geratenen Lebensmittel-Discountern wie gerufen kam. Metro-Chef Caparros z.B. freute sich öffentlich, dass er nun den armen Menschen als »Lebens-Mittler« (!) helfen und ihnen eine Perspektive geben könne.

Aber auch viele katholische und evangelische Pfarrer und manche Caritas- und Diakonie-Vertreter sind ganz in ihrem Element, wenn sie Tafeln einweihen oder von christlicher Nächstenliebe, ja bisweilen gar von einer Vorform des Reiches Gottes fabulieren können.
 

Da es nach der Lebensmittel-Branche auch der Politik aufgefallen ist, dass immer mehr Lebensmittel entsorgt oder einfach weggeworfen werden, kam ein neues Motiv, das der »Nachhaltigkeit« ins Spiel. So wurde der Bundesverband der Tafeln 2011 mit dem Nachhaltigkeitspreis »Eco-Care« der Lebensmittel-Wirtschaft ausgezeichnet. Schließlich sorge er dafür, dass große Mengen von Esswaren vor der Vernichtung bewahrt und rationell an die Tafeln verteilt würden. Auf diese Weise macht sich der Bundesverband, der nach eigenen Angaben gegen Armut kämpft, sowohl armuts- als auch ökopolitisch unverzichtbar. Kann man angesichts dieser Entwicklungen noch annehmen, dass sich die Tafeln und der Bundesverband »überflüssig« machen wollen? Und geht es hier um »Nachhaltigkeit«, wo doch die Überproduktion von Lebensmitteln die Geschäftsgrundlage der Tafeln ist?

Bei dieser Fragestellung sind wir schon mitten in der kapitalistischen Ökonomie, die den Bezugsrahmen von Armut und Überfluss ebenso wie für die Tafelbewegung darstellt. Dieser muss geklärt werden, wenn wir einigermaßen zureichend über unser Thema sprechen wollen. Werfen wir also einen Blick auf die Unterwelt der Warenwelt.

Tafeln, Überproduktion und Armut sind Erscheinungen der Warenproduktion, einer verrückten Reichtumsform, in der Güter nicht eigentlich zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse produziert werden, sondern zum Zweck der Geldvermehrung beziehungsweise zur Kapitalakkumulation. Lebensmittel werden im Kapitalismus aus Profitgründen hergestellt und vertrieben und nicht, weil Menschen essen und trinken wollen. Mittels permanenter Überproduktion von Lebensmitteln werden Ansprüche auf die vorhandene Massenkaufkraft geltend gemacht. In der Konkurrenz spekulieren die Unternehmen darauf, mit aggressiver Werbung, Preiskampf und Marktverdrängung trotz allgemeiner Überproduktion immer noch einen größeren Mehrwert für sich einfahren zu können. In der Logik dieser Strategien liegt es auch, die Fristen für das Mindesthaltbarkeitsdatum zu verkürzen, um den Warenumschlag und damit die Profite zu erhöhen. Der hierdurch zusätzlich anfallende Müll und seine Entsorgungskosten werden »eingepreist« und auf alle Waren umgelegt. Am Ende hat man schließlich die Tafeln.
 

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