Aufarbeitung der NS-Gewaltherrschaft: Im Zweifel für Täter, gegen Opfer

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von Ulla Jelpke


Ein wichtiger Gradmesser für den Stand der Aufarbeitung der NS-Herrschaft ist die Frage der Entschädigung. Die Bundesregierung selbst gibt sich exzellente Noten: »Alle Bundesregierungen seit 1949 waren sich ihrer Verantwortung gegenüber Opfern der NS-Gewaltherrschaft bewußt und haben sich nach Kräften und mit Erfolg bemüht, für das von den Nationalsozialisten begangene Unrecht zu entschädigen«, teilte sie im März 2012 auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion mit. Für eine solche Selbstzufriedenheit gibt es keinerlei Anlaß.

Gerne verweist die Bundesregierung auf das Bundesentschädigungsgesetz (BEG), das eine »Wiedergutmachung« auf individueller Ebene regelte. Es blieb aber beschränkt auf NS-Verfolgte, die ihren Wohnsitz im (früheren) Reichsgebiet hatten – eine Einschränkung, die beim besten Willen nicht der räumlichen Dimension des NS-Terrors entspricht. Leistungen gibt es zudem nur für »NS-typisches« Unrecht, etwa »aus Gründen politischer Gegnerschaft oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung«. Im Behördenalltag der 1950er Jahre waren damit Zehntausende NS-Opfer ausgeschlossen: Sinti und Roma etwa, die das KZ überlebt hatten, bekamen zu hören, daß »Delikte« wie Landstreicherei oder »asoziales Verhalten« ja in jedem Fall bestrafenswert seien, mit Faschismus habe das nichts zu tun. In der Kontinuität antiziganistischer Ressentiments waren sich BRD und DDR, leider, einig. Auch Homosexuelle, Zwangssterilisierte, Opfer der Wehrmachtsjustiz und so weiter wurden aus dem BEG ausgeschlossen.

Seit den 1980er Jahren hat sich diese Sicht zwar geändert – aber zu spät: Anträge nach dem BEG konnten nur bis 1969 gestellt werden. Danach gab es allenfalls noch »Härteleistungen«, die bis vor wenigen Jahren von einer wirtschaftlichen Notlage abhängig gemacht wurden. Maximal gibt es eine Einmalzahlung von knapp 2500 Euro oder Monatsleistungen von maximal 291 Euro (bis vor wenigen Jahren nur 120 Euro) – für ein von den Nazis verpfuschtes Leben gewiß mehr Symbolik als reale Wiedergutmachung. Von mehreren zehntausend in Gefängnisse und KZ eingesperrten »Asozialen« haben nach Angaben der Bundesregierung lediglich 205 eine »Härteleistung« erhalten.
 

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