Bürgerliches und kriminelles Handeln

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von Dr. Meinhard Creydt


Handeln „nach Recht und Gesetz“ steht in Gegensatz zu kriminellem Handeln. Die bürgerliche Gesellschaft funktioniert normalerweise ohne kriminelles Handeln. Ihre Strukturen und Lebensweise sind zugleich so beschaffen, dass aus ihnen starke Motive für kriminelles Handeln erwachsen. Einige von ihnen skizziere ich in diesem Artikel.


Menschen und Gegenmenschen

Der Vertrag bildet in der bürgerlichen Gesellschaft die Normalform der Geschäftsbeziehungen. Materialiter [dem Wesen nach] sind die Interessen der Vertrags“partner“ oft voneinander verschieden oder einander entgegengesetzt. Im marktwirtschaftlichen Warentausch verfolgen die Teilnehmer ihren Eigennutz, ihren Sondervorteil, ihr Privatinteresse. Bei solcher Motivation für das Sich-Einlassen auf das Interesse des Anderen liegt es nahe, die Verknüpfung des Nehmens mit dem Geben zu lösen und das Nehmen betrügerisch mit dem Schein des Gebens zu erreichen oder es ohne jeden Schein von Reziprozität (auch Prinzip der Gegenseitigkeit) per Gewalt zu erzwingen.

Dem unmittelbaren oder einseitigen Egoismus stehen die Reziprozitätsnorm und die Achtung der rechtlichen und staatlichen Voraussetzungen des Systems der Marktwirtschaft entgegen. Sie überwinden allerdings nicht die Ursachen, die aus Kooperation eine antagonistische Kooperation machen: Auf Märkten bildet „die wechselseitige und allseitige Abhängigkeit der gegeneinander gleichgültigen Individuen ihren gesellschaftlichen Zusammenhang“ (Marx 1974, 74). Jeder hat an dieser Wechselseitigkeit Interesse nur, „soweit sie sein Interesse als das des andren ausschließend, ohne Beziehung darauf, befriedigt. Das heißt, das gemeinschaftliche Interesse, was als Motiv des Gesamtakts erscheint, ist zwar als fact von beiden Seiten anerkannt, aber als solches ist es nicht Motiv, sondern geht sozusagen nur hinter dem Rücken der in sich selbst reflektierten Sonderinteressen, dem Einzelinteresse im Gegensatz zu dem des andren vor“ (Ebd., 155f.).

Willkür bzw. die Durchsetzung des eigenen Zwecks ohne die Anerkennung des anderen Subjekts mit seinen Zwecken macht nicht den Regelfall der Transaktionen aus. Der Verzicht auf kurzfristige Vorteilsnahme, Übervorteilungen, Vertragsverletzungen oder offene Gewalt, aber bereits auch die Achtung der staatlichen Infrastrukturen der Marktwirtschaft (inklusive steuerlicher Abgaben) resultieren aus einem Kalkül: Im Unterschied zu einer Raub- und Abenteuerwirtschaft lassen sich die Privatinteressen in dauerhaften und gesicherten Bahnen langfristig ertragreicher befriedigen.

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