Der Untergang des Morgenlandes

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von Hermann Wollner / Zweiwochenschrift Ossietzky


Seit dem Zusammenprall der Perser mit den Griechen einerseits und den Indern andererseits erlangte die antike Welt eine solche Ausdehnung und gleichzeitig einen solchen geistigen Zusammenhang, daß sie die himmels-geographischen Richtungen von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang zur Bezeichnung ihrer kulturellen Verschiedenheit nutzte. Alle Landstriche, in denen man Persisch, Aramäisch oder Ägyptisch (Koptisch) sprach, gehörten zum Morgenland, und alle Territorien, in denen man Griechisch sprach, gehörten zum Abendland.
 

ABEND im MORGENLAND. Foto: © Flickr-user _rami_  / Raphael Michel, Heidelberg

 

Bis weit nach dem Untergang des (West-)Römischen Reiches bestand kein Grund, diese Himmelsrichtungs-Benennungen mit anderen als folkloristischen Unterschieden (Sprache, Tracht, Namen der Götter) in Verbindung zu bringen. Ob Römer, Griechen, Syrer oder Perser – alle lebten von Ackerbau und Viehzucht und betrieben vielfältige Gewerbe mit Geschick. Architektonische Relikte gelten uns auch heute noch als Beweise des (gleich) hohen kulturellen Standes dieser Völker. Ehe auch nur ein abendländisches Schiff sich etwa bis Thule wagte, hatten die Phönizier schon Afrika umrundet und die Perser Handelskolonien auf Sansibar und an der ostindischen Küste. Die Kunst der Bewässerung beherrschten babylonische und ägyptische Ingenieure bereits, als die Abendländer noch gar kein Wort für »Ingenieur« besaßen.

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