Ein Hadern und Hauen: Der bayerische Modellautomatismus

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von Wolfgang Blaschka, München


Am höchsten Punkt Deutschlands, auf der Zugspitze, sieht man weit ins Land, bis nach München an Föhntagen. Drunten im Tal wuseln die blinkenden Blechkolonnen auf der Autobahn, die weiland für die Winterspiele 1936 als Olympiastraße gebaut wurde - wie aufgereihte Modellautos. Das hat schon etwas reizvolles, die Welt so klein und den Himmel so nahe zu sehen, sich selbst den Schäfchenwolken deutlich näher als dem Stau in der Ebene. Dachte sich auch die Familie Haderthauer. Man wollte oben sein und nicht unten. Von ganz unten an der Donau ist der soziale Aufstieg nach ganz oben durchaus möglich. Auch Horst Seehofer stammt aus Ingolstadt. Zur Arbeit musste man also "hinauf", sie nach München, er rauf nach Franken.

Dort im Maßregelvollzug des Bezirkskrankenhauses Ansbach mit üblich übler Sicherungsverwahrung wie im Knast wurden die schönsten Modellautos gebaut, die man sich nur denken kann. Dr. Hubert Haderthauer, der Ehemann der heutigen Staatskanzleichefin Christine Haderthauer (CSU), hatte das Talent bei einem Langzeit-Gefangenen entdeckt in seiner Eigenschaft als Landgerichtsarzt, der diesen zu betreuen hatte. Nun, betreuen wäre zuwenig, er hat ihn vielmehr betraut: Mit einer schönen Aufgabe, die dessen Fähigkeiten und Fertigkeiten genau entsprach.

Der Dreifachmörder Roland S. hatte ein besonders feines Händchen, das dummerweise auch Penisse abgeschnitten hatte, weswegen er in Sicherheitsverwahrung mit der höchsten Risikostufe sitzt. Man richtete einen eigenen Werkraum ein für gestrauchelte Feinmotoriker: Tüfteln und Basteln als Therapie-Chance. Das war zugegeben allemal gesellschaftsfähiger als Morden und Totschlagen, Urkunden oder Kunstwerke Fälschen und andere grobe Gesetzesverstöße, und brachte auch noch etwas ein: Den Patienten 264 Euro im Monat, dem Landgerichtsarzt ein Vielfaches, im Einzelfall bis zu 135.000 Dollar für ein Auto. Das Geschäft mit psychisch kranken Straftätern war für Christine Haderthauer lediglich "ein von Idealismus getragenes Engagement finanzieller Art".

Aus 5400 Einzelteilen, allein 96 Speichen pro Rad, inklusive des Ersatzrades also 480 Speichen, wurde beispielsweise ein 1930-er Mercedes-Benz SSK, von dem es real nur 40 Exemplare gab, in weltweit höchster Qualität und Perfektion gebaut, verkauft für 32.500 US-Dollar. Sogar mit Ledersitzen und funktionierender Kupplung. Die kleine Welt der Oldtimer im großen Maßstab, eins zu acht. Meisterwerke des Mehrfachmörders. 138 solcher Modellautos habe er seit 1989 gebaut, sagt er.
 

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