Es geht nicht um Schuld, sondern um Verantwortung

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Nicht das "Dritte Reich" ist noch lebendig, sondern "der Schoß, aus dem das kroch"

von Wolfgang Blaschka, München


Woher nur kommt die Sehnsucht nach der Nation? Sie scheint nicht ausrottbar, als wären wir ohne sie entwurzelt, als stünden wir als Nichtse im geschichtlichen Zeitstrom, wenn wir uns ihrer nicht andauernd vergewisserten. Dabei blieb gerade in Deutschland die Nation reine Fiktion. Die Bayern begreifen sich (nach offizieller Lesart) ebenso als solche. In München gibt es ein Nationalmuseum, ein Nationaltheater und jede Menge Brimborium um die Eigenarten, Sitten, Trachten und Gebräuche des Bajuwarentums, das seinerseits aus Ungarns Tiefebene entstammt und sich mit Kelten, Sueben und Römern auf dem Boden des früheren "Raetien" verbunden und niedergelassen hat. Mit dem Deutschtum ist es stammesgeschichtlich auch nicht weit homogener her. Im Föderalismus der Bundesrepublik tummeln sich auch reichlich Dänen und Sorben, Türken und frankophile Saarländer, allerlei Ethnien und Völkchen, die mit "Deutschland" nicht viel mehr als ihren Wohnort meinen. Von den Rumäniendeutschen gar nicht zu reden, die sich besonders deutsch als "Siebenbürger Sachsen / Benater Schwaben" fühlen, jedoch weder in Schwaben noch in der BRD ansässig sind und auch gar nicht sein wollen. Was soll also das Gerede von der Nation?

Zu Zeiten der Zersplitterung in hunderte Grafschaften, Herzog- und Fürstentümer, in kirchliche und reichsstädtische Territorien war die Sehnsucht nach nationaler Eintracht das Programm des aufstrebenden Bürgertums. Nicht nur aus ökonomischem Kalkül, aber auch. Die allgegenwärtigen Zollschranken beengten den Handel, die dutzend verschiedenen Zeitzonen den Verkehr, die unterschiedlichen Gesetze und Vorschriften die Rechtssicherheit. Die Forderung nach der Nation (in Deutschland deutlich später als anderswo in Europa) war untrennbar verknüpft mit dem Begehren nach Demokratie, nach Liberalismus, auch nach Emanzipation der Juden, Entmachtung des Klerus, Abschaffung des Absolutismus, kurz: Streben nach Aufklärung und Wissenschaft statt mittelalterlichem Glauben und Aberglauben, nach politischer Teilhabe der Bürger.
 

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