Freie Berufswahl oder marktkonforme Berufsberatung für Jugendliche

von Laurenz Nurk, Dortmund

Wer bis 1997 als junger Mensch einen Termin bei der Berufsberatung hatte, konnte davon ausgehen, dass er dort eine vernünftige, seinen Eigenschaften, Neigungen, Interessen und persönlichen Situation entsprechende Beratung erhielt. Die Belange einzelner Wirtschaftszweige und ihrer Berufe waren zweitrangig. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen haben sich dann aber deutlich verändert. Als 1998 das Sozialgesetzbuch III (SGB III) in Kraft trat, sollte die Berufsberatung die Erteilung von Auskunft und Rat zur Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes und der Berufe umfassen.

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Seit dem Inkrafttreten des Job-AQTIV-Gesetzes [das Kürzel AQTIV steht dabei für das Leitmotiv "Aktivieren, Qualifizieren, Trainieren, Investieren, Vermitteln"] zu Beginn des Jahres 2002 musste mit den jungen Ratsuchenden sogar eine schriftliche Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen werden, in der das Eingliederungsziel und konkrete Eigenbemühungen mit Nachweisen festgehalten werden. Wenn dann eine Einigung über die Ziele nicht möglich ist, sind „erforderliche Eigenbemühungen durch Verwaltungsakt“ festzusetzen. Das ist schockierend für die jungen Menschen, die eigentlich nur etwas Unterstützung bei der Berufswahl erwarten und nicht der Wucht einer Behörde ausgesetzt sein möchten.

Die Berufsberatung für Jugendliche hat sich von einer an den individuellen Bedürfnissen ausgerichteten Vermittlungshilfe zu einem marktorientierten Steuerungsinstrument entwickelt. Der Staat übt über die Berufsberatung einen erheblichen Anpassungsdruck auf die jungen Menschen aus. Dem neuen Konzept liegt ein Menschenbild zugrunde, das Jugendliche maßlos überschätzt. Sie werden als jemand verstanden, der nach rein rationalen Kriterien seinen individuellen Vorteil aus einer Vielzahl diverser Möglichkeiten wählen kann, Entscheidungen treffen muss, die für mehrere Perioden seines Lebens gelten werden und den staatlichen Interessen dienen muss, ob er selbst für sich sorgen oder von staatlichen Transferleistungen abhängig sein wird. Die Wünsche, Hoffnungen, Träume, aber auch Ängste und Zukunftsbangen des 16. bis 21.-jährigen Menschen werden gar nicht mehr berücksichtigt und seine konkrete Lebenssituation wird völlig ausgeblendet.

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