Giftgas ist nicht nur eine moralische Obszönität

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von Robert C. Koehler


Giftgas ist nicht nur eine „moralische Obszönität“ – eine, die die Vereinigten Staaten von Amerika noch Jahrzehnte lang aufstockten, nachdem ihr Einsatz in der Kriegsführung verboten worden war – sondern eine Metapher für menschliche Rücksichtslosigkeit und vergeudete Wissenschaft.

Ob wir wollen oder nicht, wir müssen dieser Tage daran denken, nachdem es immer noch einen verführerischen Vorwand für Krieg bildet. Und je mehr ich daran denke, desto mehr staune ich über den beharrlichen Irrsinn seiner Existenz. Die „rote Linie,“ die die so genannte zivilisierte Welt vor über einem Jahrhundert überschritten hat, bestand nicht im Einsatz von Giftgas, sondern in dessen Erschaffung, denn es ist tödlich, ob es verwendet wird oder nicht. Der Versuch, es loszuwerden – indem man es vergräbt, verbrennt, deponiert – hat Konsequenzen, die fast so tödlich sind, als wenn man es in der Schlacht verschiesst.

Der enorme giftige Sauhaufen, der um den Erdball reicht, bedarf ernsthafter und nachhaltiger Aufmerksamkeit, etwas, wozu die heutigen Regierungen scheinbar nicht in der Lage sind. Die Tatsache, dass dieser Sauhaufen, den wir selbst geschaffen haben, überhaupt existiert, sollte uns nicht zu Raketen und Selbstgerechtigkeit inspirieren, sondern zu den tiefstgehenden Fragen, die wir stellen können. Und die erste Frage ist: Wie in Gottes Namen können wir alle miteinander aus diesem Schlamassel herauskommen?

Das Genfer Protokoll 1925 verbot als Reaktion auf die Schrecken des Ersten Weltkriegs den Einsatz von erstickenden und giftigen Gasen im Krieg, aber nicht – es ist nicht zu glauben – deren Entwicklung oder Herstellung. Die zivilisierte Welt, auf die John Kerry sich bei seiner Verdammung von Bashar al-Assad bezog, brauchte weitere sieben Jahrzehnte, bis sie das zustande brachte. In der Zwischenzeit wurde jede Menge von Chemiewaffen produziert, entwickelt und aufgestockt, auch in den Vereinigten Staaten von Amerika, bis zum und auch noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg.

Besonders faszinierend finde ich, dass Otto Ambros, ein Nazi-Wissenschaftler und Miterfinder von Sarin, verurteilt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Nürnberg, 1951 in die Vereinigten Staaten von Amerika kam, nach dem er die Hälfte seiner Freiheitsstrafe verbüsst hatte, und dort anfing, die Armee der Vereinigten Staaten von Amerika bei deren eigenem Chemiewaffenprogramm in den 1950ern zu beraten. Konnte die Realität der Weltpolitik noch stärker zum Ausdruck kommen? Ungeachtet all der moralischen Vorwände für Krieg und Militarismus hat dieses Spiel keinerlei moralische Grenzen welcher Art auch immer.
 

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