Die Psychoanalyse stellt sich in den Dienst des Neoliberalismus,
. . wenn sie Opfer sozialen Unrechts des „Narzissmus“ bezichtigt.
► von Klaus Schlagmann / RUBIKON
„Narzissmus“ ist ein Wort, das extrem negative Assoziationen wach ruft: Eitelkeit, Eigennutz, Selbstverliebtheit. Den Begriff gibt es in der Psychotherapie seit Ende des 19. Jahrhunderts. Er wurde seither oft missbräuchlich verwendet — unter anderem auch, um psychisches Leid aufgrund gesellschaftlicher Misstände zu pathologisieren.
In mancher Hinsicht gehört der Narzissmus-Begriff somit zum ideologischen Überbau des neoliberalen Zeitalters, die die „Eigenverantwortung“ hoch hält und die Schuld für die Taten der Mächtigen deren Opfern zuschiebt. Es wird Zeit, sich dieser Zusammenhänge bewusst zu werden. Der Autor versucht dies, indem er auf den ursprünglichen Kern der Sage von Narziss zurückgreift.
Der Neoliberalismus propagiert gerne Eigenverantwortung. Bei Menschen in Problemsituationen gerät dies ganz schnell zur Opferbeschuldigung. In der Psychotherapie hat Sigmund Freud diese Denkweise bereits vor über hundert Jahren fest installiert. Hierzu hat er Begriffe kreiert, die die Wirklichkeit radikal auf den Kopf stellen. Eines dieser Falschworte ist Narzissmus. Es beginnt ganz harmlos, als 1898/1899 Havelock Ellis und Paul Näcke für das konkrete Sich-selbst-Bespiegeln einen Begriff schaffen: „Narcismus“. In den Händen von Freud wird daraus ab 1914 ein Synonym für Selbstgefälligkeit, Größenwahn und Beziehungsunfähigkeit.