#Rojava soll leben - Angriff auf die kurdische Befreiungsbewegung

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Redaktion Schattenblick im Gespräch mit Michael Knapp


Michael Knapp ist Historiker und in der Kampagne Tatort Kurdistan aktiv. Anläßlich der akuten Notlage, der die mehrheitlich kurdische Enklave Rojava im Norden Syriens durch die Angriffe des Islamischen Staates (IS) ausgesetzt ist, beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zu den Hintergründen der brisanten Situation.


Schattenblick (SB): Michael, wie ist es zu deinem schon seit 16 Jahren währenden Engagement in der Kurdenfrage gekommen?

 

Michael Knapp (MK): Es begann mit der einfachen Überlegung: Wenn Deutschland Waffen in die Türkei exportiert, die dann in einem blutigen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung eingesetzt werden, ist es unsere Verantwortung, etwas dagegen zu tun. Mit der Zeit ist mir klargeworden, welches fortschrittliche Projekt die kurdische Freiheitsbewegung in der Region verfolgt. Neben radikaldemokratischen Ansätzen gehört vor allem die Frauenbefreiung dazu. Was dort entwickelt wird, könnte durchaus ein Beispiel für gelebte Demokratie sein, die man weder in Europa noch weltweit in vergleichbarer Form findet. Die linken Bewegungen in Europa könnten davon durchaus lernen.

Innerhalb der Kampagne Tatort Kurdistan hatten wir uns schon vorher sehr intensiv mit dem basisdemokratischen System in Nordkurdistan auseinandergesetzt und über das, was dort auf türkischem Staatsgebiet realisiert wurde, verschiedene Artikel verfaßt. Wir waren auch mit einer Forschungsdelegation in der Region und konnten uns von den Strukturen, die dort aufgebaut werden, mit eigenen Augen überzeugen. Leider werden diese aufgrund der hohen Repression des türkischen Staates immer wieder zerschlagen.

An Rojava hat uns vor allem interessiert, daß dort praktisch unter Kriegsbedingungen ein befreites Gebiet geschaffen wurde, in dem ein System der demokratischen Autonomie umgesetzt wird. Dieses Projekt einer Radikaldemokratie wird von allen Seiten angegriffen. Dieser Tage schauen wir mit Sorge auf den Kanton Kobanê, gegen den sowohl die Türkei als auch ISIS Krieg führen.


Schattenblick (SB): Gibt es deiner Kenntnis nach noch andere Formen demokratischer Selbstorganisation in dieser Region?


Michael Knapp (MK): Die Entwicklungen in Rojava sind beispiellos im Mittleren Osten. Möglicherweise ließen sich Ansätze der Zapatistas in Chiapas damit vergleichen, aber in Rojava haben wir es wirklich mit der gesellschaftlichen Institutionalisierung einer radikalen Demokratie zu tun. Dieses Rätesystem basiert auf dem Grundgedanken einer Kommune bzw. auf einem Zusammenschluß von etwa 20 Haushalten. Auf dieser Ebene werden alle Entscheidungen, die für diese zentrale Einheit relevant und möglich sind, getroffen. Die einzelnen Räte stellen, natürlich imperativ mandatiert, die nächste Stufe im Rätesystem. Jeder dieser Räte ist zu 40 Prozent geschlechterquotiert. Bevor diese Geschlechterquote nicht erreicht ist, sind die Räte nicht entscheidungsfähig. Darüber hinaus gibt es autonome Frauenstrukturen, die in der Region die revolutionäre Bewegung anführen und dadurch die Gesellschaft ganz grundsätzlich verändern.
 

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