

► von Dmitry Orlov
Vor eineinhalb Jahren schrieb ich einen Aufsatz über die Sichtweise, die sich die Vereinigten Staaten von Amerika in Hinblick auf Russland ausgesucht haben, mit dem Titel: "Das Bild des Feindes". Ich lebte damals in Russland, und nachdem ich die amerikanische antirussische Rhetorik und die russische Gegenreaktion beobachte hatte, machte ich einige Beobachtungen, die zur damaligen Zeit wichtig schienen. Es stellt sich heraus, dass ich einen wichtigen Trend erkennen konnte, aber wenn man von der raschen Entwicklung seit damals ausgeht, dann sind diese Beobachtungen leider schon ziemlich veraltet, und sollen daher hier auf den neuesten Stand gebracht werden.
Damals ging es noch nicht um so bedeutende Dinge. Es gab viel Lärm um einen Herrn namens Magnitsky, einen zwielichtigen Anwalt, der verhaftet worden war und in der Untersuchungshaft starb. Er vertrat einige größere westliche Halunken, die natürlich nie gefasst wurden. Die Amerikaner beliebten das als Menschenrechtsverletzung zu behandeln und reagierten mit dem sogenannten „Magnitsky Act“ (Magnitsky-Gesetz), das bestimmte russische Individuen, die als Menschenrechtsverletzer bezeichnet wurden, mit Sanktionen belegte. Russische Gesetzgeber antworteten mit dem „Dima Yakovlev Law“, benannt nach einem russischen Waisenkind, das von Amerikanern adoptiert worden war, die seinen Tod verursachten, indem sie es neun Stunden lang in einem versperrten Auto allein ließen. Dieses Gesetz verbot, dass amerikanische Waisenkinderkiller-Unholde je wieder russische Waisen adoptieren durften. Das alles entwickelte sich zu einem dummen kleinen Melodrama.
Was für einen Unterschied eineinhalb Jahre ausgemacht haben! Die Ukraine, die sich damals noch im gleichen stetigen Prozess des Zusammenbruchs befand, der bis in die Anfänge ihrer Unabhängigkeit vor zwei Jahrzehnten zurückreicht, ist jetzt
- ein wahrlich gescheiterter Staat,
- mit ihrer Wirtschaft im freien Fall,
- einer Region, die sich verabschiedet hat und weiteren zwei, die sich in offener Rebellion befinden,
- mit einem großen Teil des Landes, das durch von Oligarchen finanzierte Todesschwadrone terrorisiert wird,
- und mit einigen von den Amerikanern erkorenen Marionetten, die nominell die Macht haben, aber in ihren Stiefeln davor zittern, was als nächstes kommen wird.
Syrien und Irak, in denen es damals geköchelt hat, stehen jetzt im vollen Krieg, mit großen Teilen von beiden unter Kontrolle des Islamischen Kalifats, welches mit Hilfe der Vereinigten Staaten von Amerika gebildet und mit in den USA hergestellten Waffen im Wege des Iraks ausgerüstet worden war. Das Nach-Gaddafi-Libyen scheint an der Einrichtung eines eigenen Islamischen Kalifats zu arbeiten. Vor diesem Hintergrund eines profunden Scheiterns ihrer Außenpolitik sahen die Vereinigten Staaten sich veranlasst, Russland zu beschuldigen, Soldaten an der „Türschwelle der NATO“ zu haben, als hätte das nichts mit der Tatsache zu tun, dass die NATO nach Osten bis an die Grenzen Russlands expandiert ist. Es überrascht nicht, dass die Beziehungen zwischen den USA und Russland jetzt an einem Punkt angelangt sind, wo die Russen es angebracht fanden, eine scharfe Warnung abzugeben: weitere Erpressungsversuche des Westens könnten zu atomarer Konfrontation führen.