Wie nah am Abgrund steht das globale #Finanzsystem?

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Von Ernst Wolff / Autor des Buches „Weltmacht IWF- Chronik eines Raubzugs“


„The Big One“ ist der Begriff für das ganz große Erdbeben, das seit über einhundert Jahren in Kalifornien erwartet wird. Als „The Big One“ könnte man auch den bevorstehenden und mittlerweile unausweichlichen Crash des Weltfinanzsystems bezeichnen.

Beide Ereignisse haben eines gemeinsam: Man weiß, dass sie eintreten werden, kann den Zeitpunkt des Eintritts aber nicht genau vorhersagen. Neben diesen Parallelen gibt es aber auch einen wesentlichen Unterschied: Während die Verschiebung tektonischer Platten nur von Erdbebenforschern verstanden wird, lässt sich das Finanzsystem zumindest in groben Zügen auch ohne Volkswirtschaftsstudium begreifen. Versuchen wir also, die derzeitige Situation geschichtlich einzuordnen und herauszufinden, an welchem Punkt der Entwicklung wir inzwischen angekommen sind.


Die Grundzüge unseres Finanzsystems

Unser gegenwärtiges Finanzsystem geht auf die Konferenz von Bretton Woods im Jahr 1944 zurück. Sie machte den an Gold gebundenen US-Dollar zur weltweiten Leitwährung und verschaffte den USA als stärkster Siegermacht Zugang zu allen Märkten der westlichen Welt. 1971 zwang die ausufernde Zunahme der Dollarmenge die US-Regierung, die Goldbindung des Dollars zu lösen. Eigentlich wäre seine Vorherrschaft damit beendet gewesen, doch die US-Regierung verhinderte das durch einen geschickten Schachzug: Mitte der Siebziger Jahre schloss sie ein Abkommen mit Saudi-Arabien, das die Abwicklung des gesamten globalen Ölhandels in US-Dollar festlegte. Der Deal machte die US-Währung als „Petro-Dollar“ zur international wichtigsten Reservewährung und garantierte damit die Fortsetzung ihrer weltweiten Dominanz.

Die riesigen Summen, die mit Öl – der meistgehandelten Ware der Welt - verdient wurden, landeten vor allem bei westlichen Banken und stärkten die Vormachtstellung der Wall Street und der City of London. Beide unterstützten zu Anfang der Achtziger Jahre die Wahl Ronald Reagans zum US-Präsidenten und Margaret Thatchers zur britischen Premierministerin. Reagan und Thatcher zeigten sich erkenntlich, indem sie ihre Amtszeiten zu einer Generaloffensive des Neoliberalismus nutzten– einer Politik, die sich in erster Linie an den Interessen des internationalen Finanzkapitals orientiert.

Landesweite Arbeitskämpfe wie der Fluglotsenstreik in den USA und der Bergarbeiterstreik in Großbritannien wurden niedergeschlagen, der Einfluss der Gewerkschaften zurückgedrängt. Mehrere Millionen Arbeitsplätze wurden abgebaut und  im Zuge der Globalisierung in Niedriglohnländer verlegt. Während der Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung zu stagnieren begann, wurden den Wohlhabenden und ihren Unternehmen Steuererleichterungen und Vergünstigungen aller Art gewährt.
 

 

Die fortschreitende Deregulierung des Bankenwesensführte dazu, dass die ersten Hedgefonds (Vermögensverwaltungen für Superreiche, die nicht den Einschränkungen des Bankwesens unterliegen) aus dem Bodenschossen und der Finanzsektor innerhalb der Gesamtwirtschaft eine immer größere Rolle einnahm. Der Handel mit Derivaten (von der Realwirtschaft abgekoppelte Finanzprodukte, meist Wetten auf steigende oder fallende Kurse) wurde 1994 um die von der JPMorgan-Bankerin Blythe Masters erfundenen Kreditausfallversicherungen ergänzt. Das Volumen dieser vom US-Großinvestor Warren Buffett als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“  bezeichneten Derivate explodierte förmlich und bestätigte nur vier Jahre seine Gefährlichkeit für das Weltfinanzsystem.

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