Abhängige Arbeit als Hamsterrad ohne Pause

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Abhängige Arbeit als Hamsterrad ohne Pause
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Abhängige Arbeit als Hamsterrad ohne Pause
 
 
Die Technologien befinden sich auf der Überholspur und Technokraten versprechen uns, daß die Zeit nicht mehr fern sei, in der der Homunculus erschaffen wird und die künstliche Intelligenz den Sieg über die natürliche erringt und/oder das ewige Leben auf Erden bevorsteht.  Der durch Gentechnik von Krankheiten befreite Mensch steht schon in allernächster Zeit auf dem Fahrplan – für alle natürlich gewachsenen Körperteile und Organe kann bereits ein Ersatzteil zur Verfügung gestellt werden. Der Fortschritt hat uns die computergesteuerte Produktion und den PC beschert, es werden in fast allen Lebensbereichen Roboter eingesetzt, deren Funktionen ständig verbessert werden, so daß menschliche Arbeit überflüssig wird. Angefangen vom Rasenmähroboter über selbststeuernde Transportsysteme bis zum Pflegeroboter, alles ist schon im Angebot – und es ist kein Ende der Entwicklung in Sicht.
 
 
Die Rationalisierung der Arbeit und Produktion schreitet in Riesenschritten voran. Die Produktivität hat in den letzten Jahrzehnten trotz massivem Arbeitskräfteabbau eine phantastische Steigerung des Outputs erreicht. Die Gewinne und Kapitalvermögen der Wohlhabenden sind ins Unermeßliche gestiegen. Und gerade jetzt, wo alle Bedingungen erfüllt sind, daß alle Menschen sich aus den vorhandenen Ressourcen bedienen könnten, so daß ihnen ein sorgenfreies Altern ab ca. 60 Jahren gewährt werden kann, wird ihnen dieses Recht wieder streitig gemacht und die soziale solidarische Altersversorgung untergraben. Dies geschieht nur, weil die Raffgier der Kapitaleigner keine Grenzen kennt und sie mit den Regierungen als Komplizen eine gerechtere Verteilung der Einkommen und Vermögen verhindern. Eine objektive sachliche Grundlage gibt es für dieses Verhalten nämlich nicht – eine ethisch-moralische erst recht nicht. 
 
Über 100 Jahre haben Arbeitnehmer für  menschlichere Arbeitsbedingungen, Mitbestimmung und angemessenen Anteil am Mehrgewinn ihrer Arbeitsproduktivität in Form von angemessenen Löhnen gekämpft, so daß ein Lebensunterhalt bei bescheidenem Wohlstand realisiert werden konnte. Ausgerechnet in heutiger Zeit, in der heutigen Überflußgesellschaft sollen alle diese Errungenschaften über Bord geworfen werden? Wir können alle den schleichenden Prozeß beobachten, in dem ständig Arbeitnehmerrechte geschliffen werden und Dumpinglöhne an der Tagesordnung sind. Das sichere öffentliche-solidarische Renten-System, das sich bewährt hat, wird unterminiert und zerstört. Die Arbeitnehmer werden gezwungen, in unsichere Kapitalrenten zu investieren, ob sie finanziell dazu in der Lage sind oder nicht. Diese von der Politik inszenierte riesige Umverteilungsaktion von unten nach oben kommt gierigen Versicherungskonzernen zugute, die damit ihre und die Taschen der Aktionäre füllen können.
 
Die neoliberale Leistungsideologie engt zunehmend unsere Lebensqualität ein, die der Arbeitnehmer, die immer mehr unter Druck und Streß geraten sowie die der Älteren, Kranken und körperlich oder geistig nicht mehr Leistungsfähigen. Dies alles läuft unter dem fröhlichen euphemistischen Motto „adding life to years“ ab. Ich weiß nicht, ob es alle mitbekommen haben, aber die EU hatte das Jahr 2012 zum "European Year for Active Ageing" erklärt. Damit sollte uns suggeriert werden, daß die Aufforderung zu verlängertem Arbeitsleben, das in der Regel in abhängiger Position abläuft, und bürgerschaftlichem Engagement für die älteren Menschen gleichbedeutend sei mit einer persönlichen Aufwertung. Damit ist gemeint, daß Faulenzertum, auch von älteren Menschen, nicht mehr geduldet werden kann und gesellschaftlich geächtet werden sollte. Wie sagte schon der Sozialdemokrat von Schrot und Korn, Franz Müntefering: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“Nur die leistungsbereiten Mitglieder der Gesellschaft, die auch noch im Alter schuften und kostenlose gemeinwohlorientierte Aktivitäten entfalten, sind auch nützlich. Der Rest ist sozusagen Produktionsabfall der Leistungsgesellschaft. 
 
Unter Berücksichtigung der weltweit vorhandenen Produktionsmöglichkeiten, die in vielen Bereichen durch Überkapazität gekennzeichnet sind, muß man sich die Gretchenfrage stellen, ob diese Situation mit der Forderung nach Verlängerung der Lebensarbeitszeit vereinbar ist. Alleine in China stehen Kapazitäten zur Verfügung, mit denen man mehr als die Hälfte der Welt versorgen könnte – global ist das Potenzial größer, als es die Menschheit verkraften kann. Nur an der richtigen Verteilung hapert es dabei. Dieser Wachstumsprozeß schreitet aber weiter voran, besonders in den bevölkerungsreichsten Ländern, weil sich die neoliberale Epidemie zu ein Pandemie ausbreitet. In Zukunft wird es Heerscharen von Arbeitslosen als Abfallprodukt der Technozivilisation geben, falls die Arbeitszeiten nicht drastisch zurückgefahren werden!
 
Unter dem Deckmantel einer moralischen Pflichtübung und Ehrenhaftigkeit wird verschwiegen, daß ehrenamtliche Tätigkeiten zunehmend ausgenutzt werden, um reguläre Arbeitsplätze einzusparen. Das hohe Lied der Ehrenamtlichkeit wird um so lauter gesungen, wie die Kommunen aufgrund der katastrophalen Sparpolitik, insbesondere der Bundesregierung, am Krückstock gehen und ihren hoheitlichen Aufgaben nicht mehr nachkommen können. Selbst die Arbeitslosen sollen für Kindererziehung oder andere soziale Dienste eingespannt werden, weil man nicht bereit ist, dafür Vollzeitkräfte einzustellen. 
 
Mit bewußt unwahren Behauptungen wird Stimmung gegen Rentner gemacht und die Lüge verbreitet, daß die Alten auf Kosten der Jungen leben. Dabei handelt es sich um nichts anderes als eine billige und durchsichtige Hetzpropaganda, die aber gerne am Biertisch aufgegriffen wird. Unser Renten-Umlagesystem ist so eingerichtet, daß nur eine Reserve von einigen Wochen vorhanden ist und man sich quasi von der Hand in den Mund bedient. Die heute Werktätigen kommen für die Rente der heutigen Ruheständler auf. Die These, daß diese die Rente der nachfolgenden Generationen auffressen, kann nicht absurder sein. Wer auf diesen Unsinn hereinfällt, der outet sich als Mitglied einer rücksichtslosen Ellenbogengesellschaft, besitzt keinerlei soziale Kompetenz und ist obendrein noch dumm.
 
Es wird kräftig an einem neuen Rollenmodell für die Alten gebastelt. Arbeiten bis zum Umfallen ist dabei die Devise. Wer es zukünftig von den Alten wagt, nicht auf diesen Zug aufzusteigen und auf seinem Rentnerstuhl mit Einkommensgarantie beharrt, der wird schräg angesehen und als Schmarotzer tituliert. Als Vorbild dienen den Apologeten des ewig jungen und leistungsfähigen Seniors in der Ausprägung von Unternehmern, Freiberuflern, Wissenschaftlern und Künstlern, die bis zum Abwinken kreativ und zum Arbeiten motiviert bleiben. Nur wird übersehen, daß die meisten eben keine Unternehmer sind, nicht über die erforderliche Kreativität verfügen, aus welchen Gründen auch immer die Motivation nicht aufbringen können oder schlicht und einfach krank bzw. altersschwach sind. Das neoliberale Rollenbild differenziert nicht und schert alle über einen Kamm, ohne Rücksicht auf Voraussetzungen, Fähigkeiten und Bereitschaft. Das Prinzip der Freiwilligkeit wird nicht beachtet: Diejenigen, die fit genug sind, ihrer Lust nach Betätigung zu frönen, soll man nicht hindern - die anderen müssen ohne Nachteile sowie üble Nachrede in den Ruhestand entlassen werden.
 
Die Anregung, diesen Essay über den aufgebauten gesellschaftlichen Druck, die Verweildauer im Hamsterrad zu verlängern, zu schreiben, habe ich dem Artikel mit dem Titel „Arbeiten ohne Ende – Der Abschied vom Ruhestand“ von Prof. Stephan Lessenich aus Le Monde Diplomatique zu verdanken. Hier einige Passagen als Zitat:
 
„Und noch etwas steckt hinter dem Abschied vom Ruhestand. Es geht dabei nicht nur um eine ökonomische, sondern auch um eine soziale Logik, die als Dialektik der Demokratisierung sozialer Rechte bezeichnet werden könnte: Kaum wurde das hohe Gut einer gesicherten und entpflichteten Altersexistenz für breite Mehrheiten erreichbar, war es mit deren politischer Legitimität auch schon wieder vorbei. Kaum schien es möglich, dass fast jedem Rentner ein sorgenfreies Leben vergönnt ist, da konnte man sich den Ruhestand gesamtgesellschaftlich "nicht mehr leisten", wurde der "wohlverdiente Ruhestand" als Merkmal materieller wie moralischer Sorglosigkeit denunziert.
 
Soziale Rechte sind im Grunde positionale Güter: Kommen sie tendenziell allen zugute, werden sie für die zuvor Privilegierten wertlos. Die suchen dann nach neuen Ressourcen und Instrumenten sozialer Distinktion - oder sie bemühen sich, den Kreis der Anspruchsberechtigten zu begrenzen. Aus Sicht dieser Privilegierten war die Garantie einer arbeitsfreien Versorgung breiter Bevölkerungsschichten schon immer ein sozialpolitischer Sündenfall.“
 
Mit seinem Schlußsatz hält Stephan Lessenich dagegen:
 
„Aus emanzipatorischer Perspektive dagegen erscheint der Ruhestand, zumal unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen, als geradezu subversive Idee. Für diese Idee gälte es unbedingt einzutreten - gegen den Terror der Arbeitsökonomie und den Sozialfuror der privilegierten Milieus.“
 
Ich kann mich dem Postulat des Autors nur anschließen. Der Mensch an sich, und der alte in erster Linie, hat ein Anrecht darauf, sich dem Hamsterrad zu entziehen. Der von Lessenich zutreffend bezeichnete Terror der  Arbeitsökonomie, der ein Symptom der marktradikalen Pathologie darstellt, macht die Menschen seelisch und körperlich krank und nimmt ihnen die Lebensqualität. Streßsymptome, Depressionen und psychische Krankheiten grassieren und greifen in psychosomatischer Hinsicht auch auf organische Bereiche über. Wenn wir so weiter machen, dann züchten wir uns mit Hilfe der modernen Medizin- und Biologietechnik zwar einen Menschenzoo mit immer höherem Durchschnittsalter, aber Glück und Zufriedenheit säen wir auf diese Weise nicht aus. Unsere Zukunftsperspektive wird es sein, ein Land voller Billiglöhner und Arbeitslosen zu werden, jung wie alt, die gezwungen sind, bis zur physischen und psychischen Erschöpfung ihr Existenzminimum zu sichern. Nein danke, so würde ich mir meinen letzten Lebensabschnitt nicht vorstellen: dann zöge ich es vor, rechtzeitig abzutreten!
 
 
Peter A. Weber  
 
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Martin Bartonitz
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Verbunden: 19.06.2013 - 18:50
Roboter stehlen uns zum Glück die Arbeit ...


Sehr schönes Thema!!

Ich hatte Ende letzten Jahres die Gelegenheit, dem Vortrag eines jungen Mannes zu lauschen, der sich mit den Trends und Auswirkungen der Automatisierungen auseinander gesetzt hat und darüber ein Buch geschrieben hat. Er sieht uns auch hier in die steile Phase einer Exponentialkurve gehen, sprich es werden mehr Arbeitsplätze vernichtet werden als neue hinzukommen.

Wir sollten uns daher freuen, könnten wir doch nun die verbleibende Arbeit auf alle umlegen und müssten dann nicht mehr so viel arbeiten. Es gäbe dann endlich Zeit, sich um die Lieben zu kümmern.

Hier ist meine Nachlese zu dem Vortrag von Federico Pistono - weiter

Zum Thema Altersruhe ein Hinweis. Es gibt in den Anden ein Tal der Hundertjährigen, wo die Menschen bis ins hohe Alter mitarbeiten. Das scheint frisch zu halten, zumindest wenn es Arbeit ist, die nicht schindet - hier der Video-Buchtrailer "Im Tal der Hundertjährigen".

 

Herzliche Grüße
Martin Bartonitz

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