Was ist Eigentum? Philosophische Eigentumstheorien von Platon bis Habermas
Herausgeber: Andreas Eckl und Bernd Ludwig
Verlag: C.H.BECK (Sep. 2005)
ISBN-13: 978-3-406-52826-2 , Paperback, 264 Seiten
Angesichts einer zunehmenden Polarisierung moderner Gesellschaften in Arm und Reich gewinnt das Thema Eigentum wieder an Aktualität und Brisanz. Für die erneut aufbrechende Diskussion ist diese kompetente Überblicksdarstellung der wichtigsten Eigentumstheorien von der Antike bis zur Gegenwart hilfreich und willkommen. Sie zeigt, daß die Frage des Eigentums in der Philosophie vornehmlich unter ethischen und moralischen Gesichtspunkten behandelt wird. So liefert sie wertvolle Denkanstöße und läßt vieles, was heute in puncto Eigentum als selbstverständlich gilt, in neuem Licht erscheinen.
Theorien und Positionen unter anderem von: Platon - Aristoteles - Cicero - Smith - Locke - Grotius - Pufendorf - Kant - Rousseau - Fichte - Hume - Rawls - Hegel – Marx
Inhaltsverzeichnis:
Vorwort ……………7
Reinhard Brandt
Einleitung ……………12
Andreas Eckl, Bernd Ludwig
Die Güter, das Gute und die Frage des rechten Maßes: Platon und das Eigentum ……………29
Thomas Sören Hoffmann
Aristoteles - eine teleologische Konzeption von Besitz und Eigentum ……………43
Jan Szaif
Strukturen des römischen Eigentums im Spiegel rhetorisch-philosophischer Texte Ciceros ……………59
Tiziana J. Chiusi
Das Recht auf Eigentum im Mittelalter ……………73
Matthias Kaufmann
"Regierungen entstehen wieder auf die althergebrachte Art, nämlich durch Erfindungen und Übereinkunft der Menschen." John Lockes Eigentumstheorie ……………88
Bernd Ludwig
"Ihr seid verloren, wenn ihr vergeßt, daß die Früchte allen gehören und die Erde niemandem": Rousseaus bedingte Legitimation des Privateigentums ……………103
Michaela Rehm
Die Eigentumsfrage bei David Hume und Adam Smith ……………118
Christel Fricke
Die vernunftrechtliche Eigentumsbegründung bei Kant ……………133
Peter Unruh
J.G. Fichte: Eigentum als Handlungsmöglichkeit ……………148
Hans Georg von Manz
Der Begriff des "Eigentums" in der Rechtsphilosophie Hegels ……………161
Andreas Eckl
Privateigentum, Ausbeutung, Entfremdung: Karl Marx ……………176
Reinhard Zintl
"Gott hat die Erde dem Menschengeschlecht geschenkt: warum habe ich nichts bekommen?" - Eigentumskritik und -konzepte im Anarchismus des 19. Jahrhunderts ……………191
Harald Borges
Eigentum in der Kritischen Theorie ……………205
Marcus Llanque
Faire Verteilung oder absoluter Schutz des Eigentums? Eine klassische Alternative in der neueren Diskussion: John Rawls und Robert Nozick ……………217
Andrea Esser
Die angelsächsische Diskussion: Eigentum zwischen "Ding" und "Bündel" ……………232
Markus Stepanians
Eigentum als Grundrecht im Grundgesetz ……………246
Norbert Körsgen
Zu den Autoren ……………262
Vorwort von Prof. Dr. Reinhard Brandt, Marburg: (meinen Dank für die Freigabe des nachf. Textes)
Hesiod (8. Jh. v. Chr.) beschrieb in seiner Dichtung Werke und Tage den Erbstreit mit seinem Bruder Perses und das "schiefgebogene Urteil" der Richter. Es gab in Böotien längst eine vom Gemeinwesen bestimmte und geschützte Eigentumsordnung, es gab schwer zu lösende Streitfälle und korrupte Richter. Das alles setzt der Dichter als bekannt voraus, seine Klage bezieht sich auf die Rechtsverletzung durch den eigenen Bruder und das wachsende Unrecht überhaupt. Die Konflikte um das Mein und Dein, speziell das Eigentum und auch die politische Herrschaft, die aus allen Kulturen gemeldet werden, führten bei den Griechen im 5. Jahrhundert zu einer generellen Reflexion über Eigentums- und Regierungsformen. Wenn der aus Ionien stammende Geschichtsschreiber Herodot (485-425 v. Chr.), der zeitweilig in Athen lebte, drei Perser über die drei grundsätzlichen Optionen von Monarchie, Aristokratie und Demokratie debattieren läßt, dann setzt er sich über die Legitimierung der jeweils überkommenen Herrschaftsform im Mythos und in der Geschichte der Geschlechter hinweg und erwägt in bloßer Reflexion die Vorteile und Nachteile der drei unterschiedlichen Regierungsweisen.
Ähnlich frei wurde über das Eigentum debattiert; welche Eigentumsverteilung soll in neuen Kolonien vorgenommen werden, wie steht es mit der entsprechenden Urbanistik, soll man vielleicht auf die privaten äußeren Güter überhaupt verzichten? In dem großen Reflexions-Labor Athen wurde alles Extravagante besonders geschätzt, der Kommunismus in den Ekklesiazusen, der Weibervolksversammlung, des Aristophanes und das "omnia mea mecum porto" der Kyniker: Alles, was dem Menschen gehört, sollte er bei sich tragen können, so will es die Natur.
Platon nahm die Impulse auf und entwickelte daraus sein Monumentalwerk über die Gerechtigkeit, die Politeia; in ihr verband er drei Stände in zwei Lebensformen, die eine war die Eigentumsgesellschaft des Nährstandes, die zweite der Kommunismus in der wohlbestimmten (und nicht kynisch vagabundierenden) Lebensgemeinschaft von Wächtern (später: den Aristokraten) und Philosophen (später: den Geistlichen). Diese Stufung entsprach der Wertehierarchie von äußeren Gütern - der besonderen Sphäre des Eigentums -, dem eigenen Körper und der Seele, die bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts präsent und wirksam bleiben sollte. Im Hellenismus entwickelten die Stoiker eine Theorie der Erstbesetzung im ursprünglichen Gemeinbesitz: Jedem soll das gehören, was er zuerst in Besitz nimmt (prima occupatio). Sie inspirierten die Kodifikation des römischen Rechts im Corpus Juris Civilis und folgten in ethischen Dingen gern den eigentumsfeindlichen Kynikern, die über die Kirchenväter, die barfüßigen Franziskaner, die Rhetorik Rousseaus und das schlechte Gewissen der Grünen in unsere Gegenwart hineinwirken.
Sowohl die juridischen Systeme der bürgerlichen Gesellschaft wie auch die philosophischen Theorien stehen unter einem gemeinsamen Zwang; sie müssen auf eine systematische zweckgerichtete Einheit dringen. Die Einzelteile dürfen einander nicht nur nicht widersprechen, sondern müssen einander als komplementäre Stücke fordern, und jedes einzelne Stück muß zu jedem anderen und dem Ganzen und seinem Zweck passen. Verfolgt man die in diesem Band präsentierten Eigentumstheorien, sieht man sogleich, daß jeder der vorgestellten Autoren seinen eigenen Vorgaben folgt und sie systemisch einheitlich durchzuführen versucht.
John Locke operiert in seiner Theorie des ursprünglichen Erwerbs äußerer Güter mit derselben Appropriationsfigur wie in seiner Konzeption der persönlichen Identität; und Fichte radikalisiert den staatlichen Durchgriff auf die Individuen, indem er gegen Kant das Erwerben und Haben von Eigentum abhängig macht von den Zwecken, die das Individuum verfolgt. Damit ist der politische Liberalismus, den Kant artikuliert, auch beim Eigentum wieder aufgehoben. In der Grundbestimmung des Begriffs des Eigentums gibt es jedoch einen ungefähren Konsens:
Ein äußeres Etwas ist mein Eigentum gegenüber anderen Menschen, wenn ich sie mit ihrer ideellen Zustimmung vom Gebrauch dieses Etwas ausschließen kann, wenn ich es, vielleicht mit bestimmten Auflagen, nach eigener Willkür gebrauchen oder verbrauchen kann, und wenn ich es veräußern und/oder wenigstens vererben kann.
Das Eigentumsrecht ist also nicht der binäre physische Besitzbezug einer Person oder eines Tieres zu einer Sache; sondern der Besitz wird zum Eigentum durch eine allgemeine sanktionsbewehrte Handlungsregel zwischen Personen über die Sache, stamme diese Regel nun von Gott, der Natur oder den Menschen untereinander. Aber schon in dieser formalen Bestimmung liegen tausend Probleme; wer kann z. B. dieses "Ich" sein? In der Antike kein Sklave, der jedoch seinerseits privates oder öffentliches Eigentum ist. Sodann ist umstritten, ob ein Mensch Eigentum im strikten Sinn besitzen kann, das nicht von einem bestimmten Staat gesetzlich bestimmt und geschützt ist. Bei Kant sind Frauen keine Eigentümer im genauen Wortsinn. Und das Was, die Sache: Was ist mögliches Eigentum? Die Sklaverei ist als rechtmäßige Form des Eigentums abgeschafft, aber gehört mein Körper mir selbst im Modus des Eigentums? Und: Darf eine schwangere Frau sich umbringen, da sie Eigentümerin ihres Körpers ist, oder wird sie rechtlich zur Mörderin? Ist der Staat, der das Eigentum allgemeingesetzlich bestimmt und sichert und dadurch im eigentlichen Sinn erst ermöglicht, eben dadurch unvermeidlich der Obereigentümer mit der Möglichkeit nicht nur der Besteuerung, sondern auch der Rückforderung?
Die im vorliegenden Band vereinigten Interpretationen und Überblicke führen luzide in den jeweiligen Gedankenkomplex ein und bilden Forschungsbeiträge innerhalb des Prozesses der wissenschaftlichen Geschichts- und Gegenwartsklärung. Sie können zugleich als Fundus dienen, sich in den vielfältigen systematischen Spielformen des Eigentumsbegriffs kundig zu machen, um so der permanenten Rechtsreflexion besonders auf neuen technologischen Gebieten optimal gewachsen zu sein. Ich nenne nur zwei Problemzonen. Das Eigentum an geistigen Produkten ist seit der juridischen Fassung des Plagiats und des willkürlichen Buchnachdrucks im 18. Jahrhundert ein kompliziertes Gebiet, das durch die heutigen elektronischen Erzeugungs- und Verbreitungsformen geistiger Produkte kaum noch zu bewältigen ist: Wem gehört das geistige Erzeugnis im Zeitalter seiner medialen Entstehung und Reproduzierbarkeit? Ein anderes, damit zusammenhängendes Gebiet ist das Problem des Eigentums an biologischen Objekten und ihrer Reproduktion; wenn deren Entdeckung das Ergebnis einer aufwendigen Forschung war, dann ist es verständlich, wenn die Entdecker-Firma sich Eigentumsrechte an ihrem Fund sichern will, andererseits können zwar einzelne Pflanzen und menschliche Organe ein Eigentum bilden, nicht aber die ganze Art.
Das neuzeitliche europäische Eigentumsrecht verstand sich meistens nicht nur als effiziente Verwaltungsform, die sich von den Sozialsystemen der Termiten und Biber nur durch die Medien der Vermittlung und den Grad der Komplexität unterscheidet, sondern versuchte sich in die Freiheitsphilosophie zu integrieren; das Eigentum ist demnach mit menschlicher Freiheit nicht nur vereinbar, sondern ist unabdingbarer Bestandteil dieser Freiheit. Es ist entsprechend nicht nur sozialverpflichtet, sondern unterliegt der Idee einer gerechten Freiheitsordnung der bürgerlichen Gesellschaft. Die Kompatibilität von Freiheit, Gerechtigkeit und bürgerlicher Eigentumsordnung wurde andererseits im 19. Jahrhundert auf hohem theoretischem Niveau bestritten. Diese Träume der Theorie sind ausgeträumt, und die Welt wird nicht mehr nach ihren Vorgaben verändert; heute besteht die Gefahr, daß das Eigentum sich faktisch in ein zerfasertes Bündel von unübersichtlichen Ansprüchen und Auflagen auflöst und der spannungsgeladene Zusammenhang von Freiheit, Gerechtigkeit und der Limitation des Eigentums aus dem Blick gerät.
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