Menschenzüchtung
Wir sind gesundheitsbewusst und schönheitsbesessen. Wir möchten den Ernährungsberatern folgen, wir wollen Sport treiben, auf jeden Fall machen wir beim Arzt den Gesundheitscheck. Stets sind wir in Sorge, wir könnten schon krank sein oder bald krank werden. Auf jeden Fall sehen wir nicht schön genug aus. Wir sind Gesundheits- und Schönheitshysteriker. Die Themen „Gesundheit“ und „Krankheit“ und „Körperschönheit“ haben von uns Besitz ergriffen wie eine Kolonialmacht von einem fremden Territorium. Diese Invasoren bestimmen unser Bewusstsein.
Wir hängen am Tropf der Gesundheits- und Schönheitsapostel: Geh ins Wellness-Studio, quäle dich auf dem Trimm-Pfad, zelebriere diese Tees, trinke jene Säfte, schlucke Pillen, Pulver, Power-Drinks. Das stählt, macht stark, macht widerstandsfähig, macht schön.
Der Körper ist uns zur Maschine geworden. Diese Körper-Maschine muss geschmiert, geölt, gewartet, sie muss aufpoliert, auf jung getrimmt werden. Wenn die Haut zu schlaff, das Fett zu fett werden, wird aufgespritzt und abgesaugt. In den Hochglanzmedien und im Internet finden sich die Prototypen, wie Mann und Frau heutzutage auszusehen haben. Der Gesundheits- und der Schönheitswahn sind in postmodernen Zeiten unhinterfragte Normen.
Die Form muss stimmen, dort etwas mehr Busen, hier weniger Po, da vollere Lippen und dort weniger Falten. Für den Mann: Muskeln, Muskeln, Muskeln. Der Waschbrettbauch unterliegt dabei konjunkturellen Zyklen, mal ist er mehr, mal weniger gefragt. Das alles wird mit nicht nachlassender Aufmerksamkeit verfolgt.
Man kreist um seinen Körper wie der geistlose Geist in geistlosen Zeiten um das goldene Kalb. Was die Natur so unvollkommen anlieferte, wird pausenlos justiert und auf Zeitgeistniveau getrimmt, bis der Einzelne zum Cover-Klon der medialen Vorbilder mutiert.
Wir lassen uns herstellen, damit wir uns ausstellen können. Dabei übersehen wir geflissentlich, dass wir vor lauter Gesundheits- und Schönheitskult längst als Person zu ewiger Subjektlosigkeit ausgeblasen wurden: der Mensch als Ware.
Es zählt die Form, die Verpackung. Das je einzelne hautverkapselte Ich muss glänzen wie alle glänzen. Was drinnen ist, bleibt undiskutiert. Die Schönheit eines durch Lebenserfahrung furchenreich gezeichneten Gesichtes tritt heute nur den Reflex los: Du musst dringend zum Schönheitschirurgen!
Das Erstaunliche: Man reaktiviert heute eine uralte Weisheit, nämlich die, dass Gesundheit und Schönheit von innen kämen. Doch dieses „Von-Innen-Kommen“ wird völlig neu interpretiert.
Früher hiess das einmal, dass der Mensch in einem geduldigen Prozess der Emporbildung jene geistige Reife erlangte, die Gelassenheit und Güte ermöglichte, die schliesslich auch dem Körper gut taten und zu je individueller Schönheit führten. Das ist dem postmodernen Homo Faber zu aufwendig, zu langwierig, zu anstrengend. Ist das Ziel nicht technisch komfortabler, schneller, leichter zu erreichen? Aber ja doch!
Der Mensch ist längst zur wissenschaftlichen Modelliermasse geworden: Chirurgen, Organzüchter, Babymacher, Psychopillenproduzenten, sie alle arbeiten daran, die unvollkommene „Schöpfung“ zu vervollkommnen. Empfängnis, Geburt, seelische und körperliche Gesundheit, geistige und körperliche Leistungsfähigkeit, ja auch den Tod legt man heute zunehmend in die Hände der Biowissenschaften. James Watson, us-amerikanischer Biochemiker und Nobelpreisträger: „Wenn wir bessere Menschen herstellen könnten durch Hinzufügen von Genen, warum sollten wir das nicht tun?“ Das ist die neue Form, Gesundheit und Schönheit ganz von innen herzustellen. Die Vision ist benannt. Es soll nicht dabei bleiben, in die menschliche Keimbahn einzugreifen, um durch genetische Korrekturen einige wenige schwere Erbkrankheiten auszuschalten, nein, es geht um ein biotechnisches Programm der Menschenzüchtung. Man will „bessere“ Menschen produzieren.
Nur mitleidig wird man bald auf die Stümpereien der nationalsozialistischen Eugenik zurückblicken. Hitlers Züchtungs- und Vernichtungswahn war nur eine Etappe auf dem Wege der selbstherrlichen Menschenherstellung.
Was aber heisst „besser“ konkret? Wer bestimmt darüber, was als „besser“ zu gelten habe?
Schon bewegt mich die Frage: Wer bewahrt uns vor der Produktion genmanipulierter vernunftarmer Zombies? Manche hoffen, eine wirkmächtige Ethik könne hier schützend eingreifen. Sie irren. Robert Edwards: „Die Ethik muss sich der Wissenschaft anpassen, nicht umgekehrt.“ Ich beginne zu verstehen. Hier tut sich ein neuer Markt auf. Der darf nicht in seiner Entfaltung behindert werden. Das kennen wir schon aus der Diskussion um die Wirtschaftsethik: Erst das Kapital, dann die Moral. Also: Menschenzüchtung für den Markt. Welch ein Fortschritt!
Peter Kern
Der Mutant "homo oeconomicus"
[quote=Peter Kern]
Man kreist um seinen Körper wie der geistlose Geist in geistlosen Zeiten um das goldene Kalb. Was die Natur so unvollkommen anlieferte, wird pausenlos justiert und auf Zeitgeistniveau getrimmt, bis der Einzelne zum Cover-Klon der medialen Vorbilder mutiert.
Wir lassen uns herstellen, damit wir uns ausstellen können. Dabei übersehen wir geflissentlich, dass wir vor lauter Gesundheits- und Schönheitskult längst als Person zu ewiger Subjektlosigkeit ausgeblasen wurden: der Mensch als Ware.
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Neue Eugenikbewegung
Jeremy Rifkin bringt in seinem Buch „Das biotechnische Zeitalter“ die neue Form der Eugenik auf den Punkt. Er schreibt:
„Die neue Eugenikbewegung hat nur wenig Ähnlichkeit mit jenem Terrorregime, das im Holocaust gipfelte. Statt ein schrilles eugenisches Geschrei von der Reinerhaltung einer Rasse anzustimmen, äußerte sich die neue, kommerzielle Eugenik in pragmatischen Begriffen wie Erhöhung der ökonomischen Effizienz, Optimierung von Leistungsstandards und Verbesserung der Lebensqualität. Die alte Eugenik war eng verknüpft mit einer politischen Ideologie, durch Angst und Furcht motiviert.
Die neue Eugenik kommt nicht als finstere Verschwörung auf uns nieder, sondern vielmehr als sozialer und ökonomischer Segen. Trotzdem – man kann es drehen und wenden, wie man will – führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass uns die jüngsten kommerziellen Bestrebungen, die genetischen Grundlagen der Lebenspläne unseres Planeten neu zu gestalten, an die Schwelle eines neuen eugenischen Zeitalters bringen.“
Als Kritikerin der Agro-Gentechnik bin ich mit ihm völlig einer Meinung, wenn er konstatiert:
„Die neuen Methoden der Gentechnologie sind per definitionem ein eugenisches Instrumentarium. Wann immer man sich rekombinanter DNA, der Zellfusion und anderer verwandter Techniken bedient, um die genetische Grundausstattung von Mikroorganismen, Pflanzen, Tieren oder Menschen zu verändern, steckt in diesem Prozeß eine eugenische Überlegung.
Molekularbiologen auf der ganzen Welt fällen tagtäglich in ihren Laboratorien Entscheidungen darüber, welche Gene zu verändern, einzuführen oder aus dem Erbgut verschiedener Arten zu tilgen sind. Solche Entscheidungen sind eugenischer Natur.
Jedes Mal, wenn eine solche genetische Veränderung vorgenommen wird, treffen Wissenschaftler, Unternehmen oder Regierungen stillschweigend oder auch ausdrücklich eine Entscheidung darüber, welches die guten Gene sind, die inseriert und erhalten werden müssen, und welches die schlechten Gene sind, die verändert oder ausgemerzt werden sollen. Genau darin aber besteht Eugenik.“
Am 20. Juli 2009 fand ein Symposium der Bayerischen Staatsregierung zum Thema „Grüne Gentechnologie – Chancen und Risiken der Forschung“ in München statt. Nachmittags waren u.a. die Ethiker wie z.B. Prof. Dr. Reiner Anselm, Lehrstuhl für Ethik an der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen, Hildegund Holzheid, Mitglied des Deutschen Ethikrates und Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Lehrstuhl für Politische Theorie und Philosophie, LMU München mit dem Thema Gentechnik und Ethik befasst. Das war ein „Herumgeeiere“: Die Forschungsfreiheit wäre ein höheres Gut als das Recht auf Gesundheit! Der Mensch, als ein Geschöpf Gottes, dürfe sich durchaus schöpferisch betätigen – er dürfe schon deswegen Freisetzungsversuche machen, weil man ja sonst die Auswirkungen der Genmanipulation nicht feststellen könne.
Mir standen die Haare zu Berge! Die Ethiker haben sich bei dieser Veranstaltung der Wirtschaft und der Wissenschaft angepasst.
Geistig-psychologische Eugenik
In meinem Kommentar "Der Mensch als evolutionäre Fehlentwicklung" bin ich nicht auf den physischen Aspekt der Eugenik eingegangen, den Marie-Luise zu recht aufgegriffen hat. Die Geschichte der Eugenik bezieht sich traditionell auf die Bereiche der Medizin, Biologie und Genetik, wobei in diesem Namen ungeheuerliche Verbrechen begangen wurden. Wenn all das, was sich Menschen in ihrem Machbarkeitswahn in Bezug auf die Umsetzung Gentechnik versprechen, wahr wird, dann Gnade uns Gott.
Aber noch viel heimtückischer, hinterhältiger und fast unbemerkt vollzieht sich der Prozeß der "geistig-psychologischen Eugenik", wie ich es benenne. Dabei handelt es sich um alle die Prozesse und Manipulationen, die von Politik, Wirtschaft und anderen Nutznießern oder Machtgierigen angewandt werden, um die Menschheit gefügig und Interessen dienstbar zu machen, die die der Entwicklung des Lebens und des Menschen Schaden zufügen. Die Mittel, die dabei eingesetzt werden, reichen von Propaganda, Werbung, Lügen, Desinformation, Massensuggestion, Bestechung, Ablenkungsmanöver à la "Brot und Spiele" bis zu Kindererziehung und Bildungspolitik.
Das Produkt, das dabei herauskommen soll, ist der geistig-emotional deformierte Mensch, der derartig fremdbestimmt ist, daß er daran glaubt, sein ferngesteuertes Handeln entstamme seinem eigen Willen.
Peter A. Weber