In "Streifzüge - Magazinierte Transformationslust", einer Publikation des Vereins für gesellschaftliche Transformationskunde in Wien / A, ist der nachfolgende Artikel vom 14.03.2013 zum Thema „Mobilisierende Mobilie“ nachzulesen.
Der Autor Franz Schandl wurde 1960 in Eberweis/Niederösterreich geboren. Studium der Geschichte und Politikwissenschaft in Wien. Schandl lebt dort selbst als Historiker und Publizist und verdient seine Brötchen als Journalist wider Willen. Mitglied der Redaktion der Streifzüge. Diverse Veröffentlichungen, gem. mit Gerhard Schattauer, Verfasser der Studie "Die Grünen in Österreich. Entwicklung und Konsolidierung einer politischen Kraft", Wien 1996.
Mobilisierende Mobilie
Über die rasende Kommodifizierung der Gespräche
von Franz Schandl
Aus unserem Alltag sind sie nicht mehr wegzudenken. Gemeint sind die Mobilfunkgeräte, für die man sogar ein neudeutsches Wort, das englischer nicht klingen könnte, erfunden hat. Dass es überhaupt einmal eine Zeit gegeben hat, wo niemand als wandelnde Telefonzelle durch die Gegend gelaufen ist, ist unvorstellbar geworden. Derweil ist das noch gar nicht so lange her. Eine Angeschlossenheit an die Welt kann ohne kaum noch gedacht werden. Das Handy ist die uns mobilisierende Mobilie schlechthin. Und sein Platz ist am Ohr. Und wir sind am Drücker. Kein Abort, der nicht freigeschaltet werden kann.
Es gehört dazu und wir hören zu, ob wir wollen oder nicht. Natürlich gibt es noch Räumlichkeiten, wo das Handy ausgeschlossen wird und der Verweis nicht fehlt. Aber dieser Ausschluss tut sich zunehmend schwerer, ist immer weniger administrierbar und daher im Abnehmen begriffen. Ob sich handyfreie Refugien halten können, ist zumindest zweifelhaft. Die Kapitulation vor dem Handy erscheint unumgänglich und allumfassend. Eltern kapitulieren vor ihren Kindern, Angestellte vor ihren Vorgesetzten. Kaffehausbesucher, Straßenbahnbenutzer und Spaziergänger empfinden inzwischen als normal, was eine Störung ist. Die User sind überall.
An Handys gibt es vieles auszusetzen. Von der Beeinträchtigung des Alltags bis zur möglichen Gefährdung der Gesundheit durch elektromagnetische Strahlung. Darüber wird einiges geschrieben, im letzten August warnten etwa das österreichische Gesundheitsministerium und die Ärztekammer vor der allzu häufigen Verwendung der Mobiltelefone. An Handys gibt es auch einiges zu loben. Aber das wird (neben grobem Unsinn) sowieso flächendeckend in Spots, Flyers und Broschüren beworben. Nicht das Gerät ist das Problem, sondern das Gerät in seinem gesellschaftlichen Gefüge. Gegen den selektiven Gebrauch spricht nichts, wie gegen den allgemeinen Zwang alles spricht.
Eines aber kommt in allen Betrachtungen zu kurz. Das ist, was hier als Kommodifizierung der Gespräche bezeichnet werden soll. Der Prozentsatz an Dialogen und Monologen, der bezahlt werden muss, erhöht sich andauernd. Es wäre interessant zu erheben, wie viel Palaver inzwischen entgeltlich geworden ist. Wir zahlen jedenfalls für immer mehr Gespräche, die wir führen. Eine zwischengeschaltete Apparatur nimmt diese auf und kassiert nachher ab. Alles, was nur irgendwie möglich ist, muss zu einem Geschäft gemacht werden. Einzeltelefonate werden zwar billiger, aber Dauer und Anzahl der Gespräche nehmen zu und somit steigen die Rechnungen.
Es sind auch keine fixen Gebühren mehr, die entrichtet werden, sondern frei flottierende Preise. Sie machen einmal mehr die Gewohnheitsmenschen zu gehetzten Schnäppchenjägern, die das beste Angebot zu lukrieren haben. Wer bequem ist, zahlt drauf. Preise sind flexibel und ändern sich zusehends in rasantem Tempo. Anders als vorgestern sind wir angehalten, permanent zu kalkulieren, wollen wir nicht finanziell abgestraft werden. Diese Aufwendungen mögen sich rechnen, aber sie kosten eine Menge Zeit, die man zur ihrer Berechnung verwendet. Interessant wäre also auch zu wissen, wie viel (unbezahlte) Lebenszeit wir an diversen Kalkulationen versitzen. Da denken wir oft zwei Stunden nach um uns einen Stundenlohn zu ersparen. Bravissimo! So rechnet natürlich kein Betriebswirt, da ihm die Zeit, die der Kunde diesbezüglich vernutzt, nicht nur egal ist, sondern im Gegenteil: Betriebsinterne Kosten sind, wenn möglich, zu externalisieren. Der Kapitalismus ist, was die frei disponible Zeit der Menschen angeht, eine Zeitraubmaschine sondergleichen. Noch nie waren wir so beschäftigt, was meint: in Beschlag genommen wie jetzt.
► Quelle: zum Originalbeitrag als VORLAUF zu Streifzüge 57: Bewegen - weiter
Die soziale Kommodifizierung
Die Kommodifizierung ist sicher nicht nur ein neuzeitliches Thema und läßt sich beliebig auf die meisten Handlungen des Menschen ausdehnen, die mit einem monetären Fluß verbunden sind oder sie erst dadurch ermöglichen. Ob jemand zahlender Zuschauer in einer Gladiatorenarena ist oder dumpf mit hohlem Blick gebeugt, das Fratzenbuch im Handy anstarrt, ist für die Betrachtung der Kommodifizierung gleichgültig. Beide tun es vermeintlich freiwillig und das glauben sie auch noch. Nichtwissend, daß sie schon frühkindlich durch Erziehung, Religion, Schule und Medien, sowie den dadurch erzeugten Gruppenzwang als dumpfe Konsumsklaven konditioniert wurden.
Bei einem Hund löst das Vorsetzen von Futter einen unkonditionierten Speichelfluß aus. Iwan Pawlow machte einen Versuch und gab dem Hund eine Zeitlang nur noch Futter beim Auslösen eines neutralen Reizes durch eine Kirchenglocke. Danach gab es beim Glockenschlag kein Futter. Dieser Glockenschlag genügte um den Speichelfluß auszulösen, obwohl kein Futter in Sicht war. Dieses Experiment läßt sich direkt auf den Menschen übertragen. Für die Werbeindustrie ist dies die wichtigste Erkenntnis für ihren Erfolg. Es können Begehrlichkeiten durch produktneutrale Reize erzeugt werden. Somit kann dem Konsument gar nicht bewußt werden, daß er zum Kauf eines bestimmten Produktes getrieben wird. Er glaubt immer noch an seine freie Entscheidung.
Franz Schandl schreibt: „Der Kapitalismus ist, was die frei disponible Zeit der Menschen angeht, eine Zeitraubmaschine sondergleichen.“ Diese Zeitraubmaschine kann nur diejenigen erreichen, die entsprechend konditioniert sind. Die Aufgeklärten bleiben jedoch auch nicht verschont. Dafür sorgt mittlerweile eine andere Krake, die Lebenszeitraubmaschine. Sie wird inzwischen mit der sozialen Kommodifizierung zum Laufen gebracht.
Solange sich die Kommodifizierung auf die Transformation von materiellen Gütern in Geld beschränkt, möge man sie vielleicht noch zum Zweck der Aufrechterhaltung unserer bekloppten Wirtschaftsordnung akzeptieren.
Inzwischen geht die Angelegenheit jedoch in eine besonders perfide Richtung. Und hier wird es richtig ekelhaft. Der Mensch wird direkt zur Ware, die gewinnbringend vermarktet wird. Ausgeschlossen werden jene, die hier nicht mehr mithalten können. Verarmte Kranke werden in unserer Überflußgesellschaft, wenn überhaupt, nur noch mangelhaft behandelt und müssen ohne Zähne rumlaufen. Hartz4 berechnet den Wert unschuldig in diese Situation gekommene Menschen mit einem Satz, der gerade noch das Sterben verhindert. Die hält man deshalb am Leben, weil man sogar mit dem größten Elend dieser Gebeutelten noch Milliardengeschäfte machen kann. Discounter, Wiedereingliederungsunternehmer, Jobcenter, Ausbeuter von Aufstockern, Sozialgerichte und Anwälte leben glänzend davon.
Der menschliche Körper wird in seine Bestandteile zerlegt und gewinnbringend vermarktet Der Film "Fleisch" von Rainer Erler hat uns bereits 1979 gezeigt, wohin die Reise geht. Da wundert die Forderung nicht mehr, Arme sollen ihre Niere verkaufen, um der Sozialkasse nicht auf der Tasche liegen zu müssen.
Der Gewaltmarkt darf hier nicht fehlen, obwohl er keine neue Erfindung ist. Der Mensch wird wertlos und zum Abschuß freigegeben oder muß sich als Sklave unterwerfen, wenn er Land und Bodenschätze besitzt, die andere gewinnbringend vermarkten wollen. Das Gesetz des Stärkeren bestimmt seinen Wert. Wobei der Stärkere seine Stärke nur durch Verleihen von Macht durch die Schwächeren erhält. Es ist also der Schwache, der es in der Hand hat, deren Spielchen zu beenden. Noch sind es wenige, die denen die Gefolgschaft verweigern und es werden von Tag zu Tag immer mehr. Durch massive Gehirnwäsche und Propaganda mittels der Medien versucht die Elite noch ihre alte Machtstruktur aufrecht zu erhalten. Noch.
Die Hölle ist überwindbar. (Hermann Hesse)