Qualitätszertifiziert & lösungsorientiert?!

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Qualitätszertifiziert & lösungsorientiert?!
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In "Streifzüge - Magazinierte Transformationslust", einer Publikation des Vereins für gesellschaftliche Transformationskunde in Wien / A, ist der nachfolgende Artikel vom 27.07.2013 zum Thema „qualitätszertifiziert & lösungsorientiert“ nachzulesen.

Die Autorin Maria Wölflingseder, geb. 1958 in Salzburg, seit 1977 in Wien. Studium der Pädagogik und Psychologie. Arbeitsschwerpunkt: Kritische Analyse von Esoterik, Biologismus und Ökofeminismus; zahlreiche Publikationen. Bei den Streifzügen seit Anbeginn. Mitglied der Redaktion der Streifzüge, Mitherausgeberin von "Dead Men Working - Gebrauchsanweisungen zur Arbeits- und Sozialkritik in Zeiten kapitalistischen Amoklaufs", Münster 2004 (2. Auflage 2005).

 



qualitätszertifiziert & lösungsorientiert?!

von Maria Wölflingseder


Der große, alles dominierende Geldfetisch gebiert ständig neue kleine Fetische. Möchtegern-Zaubermittelchen, um all den Wahnsinnigkeiten des alltäglichen Lebens Tarnkappen aufzusetzen, um all die Idiotie mit adretten Mascherln zu verkleiden.

Zum Beispiel flammt in regelmäßigen – immer kürzer werdenden – Abständen ein Lebensmittelskandal auf. Oft müssen ungeheure Mengen an (Lebend-)Ware vernichtet werden. Und das, obwohl es in Österreich 91 Gütesiegel und Markenzeichen für Lebensmittel und die stets beteuerten „strengen Kontrollen“ durch die AGES, die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH, gibt. All die Aufgaben in den Bereichen „Ernährungssicherung, Lebensmittelsicherheit, Tiergesundheit, öffentliche Gesundheit, Medizinmarktaufsicht“ und viele andere sind auf www.ages.at detailreich beschrieben. Demnach müssten ökologisch-paradiesische Zeiten längst angebrochen sein. Diese breit angelegten Maßnahmen können jedoch all die G’schmackigkeiten nicht verhindern: von Analogkäse bis Klebefleisch, von Pestiziden, Herbiziden, Fungiziden in Obst und Gemüse bis zu Hormonen und Antibiotika im Fleisch, vom Rostschutzmittel im Paprikapulver bis zu Uran im Wasser und gepanschtem Alkohol.

Ein anderes Beispiel: Alle Elektrogeräte werden nach Stromverbrauch klassifiziert und mit „Green Labels“ zertifiziert. Immer detailreichere Energieeffizienz-Klassen werden kreiert: A, A+ A++ A+++. Umtauschaktionen werden initiiert: alte Kühlschränke, Waschmaschinen oder Autos sollen vernichtet und neue, sparsamere angeschafft werden. Was die Erzeugung der neuen an Umweltbelastungen mit sich bringt, wird jedoch nicht einkalkuliert. Aber nicht nur deshalb wird dem Ökomascherl immer weniger getraut. Auch die Haltbarkeit von Autos, Elektrogeräten und elektronischem Equipment wurde seit deren Erfindung kontinuierlich kürzer. Ganz zu schweigen davon, dass immer seltener Service und Reparaturen angeboten werden, und dass es kaum Ersatzteile zu kaufen gibt. „Das zahlt sich ja nicht aus.“ All diese systemlogischen Profit-Notwendigkeiten fallen langsam auch den inbrünstigsten Marktgläubigen unangenehm auf. So wurde etwa www.murks-nein-danke.de „gegen geplante Obsoleszenz“ initiiert.

Kein Produkt, kein Unternehmen, das sich heute nicht mit unzähligen „Labels“, also mit Prüf-, Güte- und Qualitätssiegeln schmückt. Nur „kundenfreundlich“ zu sein, reicht heute nicht mehr aus. Um im knallharten Konkurrenzkampf zu punkten, braucht es mehr: Verschiedenste – oft zweifelhafte – Nachhaltigkeitslabels, etwa bei Verpackungen, über CSR (Corporate Social Responsibility) bis hin zur ISO (International Organization for Standardization)-Zertifizierung. Das CSR-„Pickerl“ wird von Unternehmen aber allzu offensichtlich meist nur zur Image-Politur verwendet, zum „Greenwashing“. Auch ein „Ablasshandel“ wird von Kritikern konstatiert: Um entsprechende Gesetze zu verhindern, wird beteuert, ohnehin „ethisch korrekt“ zu wirtschaften. – Und wer sich die acht Grundsätze des „standardisierten Qualitätsmanagements“ der ISO zu Gemüte führt und sie mit den tatsächlich herrschenden Zuständen vergleicht, kann sich ein Bild vom wahren Ausmaß eines Tarnkappenbombardements der etwas anderen Art machen:

  • Kundenorientierung
  • Verantwortlichkeit der Führung
  • Einbeziehung der beteiligten Personen
  • Prozessorientierter Ansatz
  • Systemorientierter Managementansatz
  • Kontinuierliche Verbesserung
  • Sachbezogener Entscheidungsfindungsansatz
  • Lieferantenbeziehungen zum gegenseitigen Nutzen.

Unangenehme Bekanntschaft mit einer Mogelei, mittels derer sich Unternehmen im Ranking nach oben schummeln, machte eine Tiroler Alleinerzieherin. Eine große, österreichweit tätige Firma brüstete sich mit einem Betriebskindergarten. Dieser schließt allerdings mangels Bedarf an Nachmittagsbetreuung zu Mittag. Als die Frau ihren kundtat, wurden sie und das Kind nach allen Regeln der Kunst gemobbt.

Offenbar ist immerzu Vorsicht geboten, sobald etwas besonders hervorgehoben und angepriesen wird. Der Schein, der Blöff, die Attrappe haben sich etabliert. Das potemkinsche Dorf hat sich weltweit in immer mehr gesellschaftlichen Sphären durchgesetzt. In der Politik sowieso. Besonders beliebt ist auch die Political correctness. Wie praktisch: „richtig“ zu sprechen ersetzt die grundlegende Veränderung der Verhältnisse. Besonders skurril das Ansinnen, alle historischen Kinderbücher akribisch nachzukorrigieren. Insbesondere die Wörter Neger und Zigeuner.

Mit ausnehmend viel Aufwand und hohen Kosten vermitteln, kontrollieren, überwachen und prüfen staatliche Einrichtungen wie Mediationen, Bioethikkommissionen oder die Volksanwaltschaft – zum Schein! Denn letztlich gehen die sogenannten „Wirtschafts- oder Staatsinteressen“ vor. Von allen Beschwerden an die Volksanwaltschaft werden gerade einmal fünf Prozent positiv erledigt. Und Bioethikkommissionen und Mediationen dienen in erster Linie der geordneten Durchsetzung von Kapitalinteressen. Nicht viel anders verhält es sich mit den staatlich geförderten und gelenkten Umwelt- und Konsumentenschutz-Einrichtungen.

Das hippe Softskill-Adjektiv „lösungsorientiert“ ist also nichts als ein Rohrkrepierer – sowohl in genannten Vermittlungseinrichtungen als auch in Unternehmen. Letztere haben die Lösungsorientiertheit in Callcenter outgesourct. Dort dürfen sich desorientierte Youngsters mit den Lösungsversuchen herumschlagen.

Aber die Hauptsache ist, man kann mit all den Tarnkappen, Mascherln und Kulissen Profit machen. Vergegenwärtigen Sie sich doch nur den gigantischen Aufwand, mit dem einerseits getarnt und getrickst wird und andererseits – oft nur zum Schein – versucht wird, das Tarnen und Tricksen hintan zu halten. Quasi eine „Doppelmühle“. So kann bei jedem Zug beim Gegner ein Stein abgeräumt werden.

Aber das Leben ist kein Brettspiel. Warum setzen wir dem globalen absurden Theater kein Ende? Stellen Sie sich all die verschleuderte menschliche Energie und all die vergeudete Zeit vor! Höchste Zeit die Scheuklappen, die mit den Tarnkappen und Mascherln stets frei Haus mitgeliefert werden, abzunehmen. Hinter der Maskerade lauert nichts weniger als die Apokalypse.
 



► Quelle:  zum Originalbeitrag in Streifzüge 58/2013, Kolumne Dead Men Workingweiter

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Peter Weber
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Umprogrammierung des Menschen zum "homo consumens"

 

Umprogrammierung des Menschen zum "homo consumens"

 

Maria Wölflingseder hat die alles umgreifende Masche, die uns vom wesentlichen des Lebens abhalten soll, durchschaut und bloßgestellt:

[quote=Maria Woelflingseder]Der große, alles dominierende Geldfetisch gebiert ständig neue kleine Fetische. Möchtegern-Zaubermittelchen, um all den Wahnsinnigkeiten des alltäglichen Lebens Tarnkappen aufzusetzen, um all die Idiotie mit adretten Mascherln zu verkleiden.

[/quote]

Man möchte mit den Worten der Bibel sprechen: „Wer Augen hat zu sehen, der sehe – wer Ohren hat zu hören, der höre.“ Wer nur mit ein bißchen Bewußtsein seinen Alltag bestreitet und die Abläufe hinterfragt, der wird mit Sicherheit vom Glauben abfallen, falls er noch einen besitzt. Der Schein ist zum System geworden – das Vortäuschen von nicht vorhandenen Realitäten hat sich bereits zu einer totalitären Strategie ausgewachsen, die unser Leben verschlingt. Die idealen Instrumente zur Verdrängung  der Wahrnehmung und Ausblendung der wirklichen Welt sind Iphones,  Smartphones, Tablet-PCs und Computerspiele. Dieses Eintauchen in eine künstliche virtuelle Welt begünstigt das Ignorieren des realen Lebens und verhindert  die Auseinandersetzung mit den aktuellen Fragestellungen. Es handelt sich also um einen Fluchtmechanismus, der der Sedierung des Menschen Vorschub leistet und der die Absichten und Plänen bezüglich einer Verhaltenssteuerung der Bürger in vollkommener Weise unterstützt.

Um uns zu immer mehr Konsum zu verführen, werden alle verfügbaren Künste der Psychologie, der Werbeverlockungen, der Lügen und falschen Versprechungen, der Demagogie, der Manipulation und Gehirnwäsche sowie des sozialen Drucks aufgefahren. Diese Volksumerziehung  zum angepaßten und hörigen Bürger beschränkt sich nicht nur auf den Konsum, sie umfaßt natürlich den Informationsgehalt der Medien, die politische Propaganda, die Arbeitswelt und die Freizeit. Der Einfluß der Gesellschaft, die durch das Wirtschaftssystem geprägt ist, beginnt schon in der Erziehungsphase des Kleinkindes in der Familie durch die Eltern, die wiederum das Produkt der Gesellschaft sind. Die Fortsetzung folgt im gesamten Bildungs- und Ausbildungsbereich, in dem die Kinder und Jugendlichen planvoll und gezielt auf ihre Aufgabe als späterer nützlicher Arbeitnehmer zum Vorteil des Kapitals sowie die für das System überlebenswichtige Konsumentenrolle vorbereitet werden.

Der kritiklose „homo consumens“ ist der gesetzte Endzweck. Um diese Priorität aufrecht zu erhalten, wird der Mensch mit Entertainment aller Art berieselt. Für die Erzeugung von immer mehr Konsum sind dabei alle Mittel recht. Die Produkte und Dienstleistungen werden in ihren Eigenschaften oder Inhaltsstoffen geschönt, so daß der Konsument sie als Feigenblatt schluckt und dabei noch glaubt, er sei ein Weltverbesserer und ein Retter der Umwelt, wenn er davon so viel als möglich zusammenrafft und verbraucht. Es wirkt wie eine Massenhypnose – und die Botschaften werden durch tausendfache Wiederholung immer des gleichen Nonsens im Unterbewußtsein des Menschen verankert. Schließlich ist er der Überzeugung, daß sein Tun willentlich und selbstbestimmt ist. Hier handelt es sich um eine perfekte Umprogrammierung der menschlichen Natur.

Es zählt nicht mehr, was inhaltlich einen Sinn ergibt oder von realer Bedeutung für das Leben des Menschen ist, sondern nur noch die Oberfläche , das Styling, das Image, die Verpackung  und die schönen Worte. Der Glaube an die öffentlichkeitswirksam verkündeten Trivialitäten der bezahlten Demagogen hat bei vielen bereits einen Religionsersatz angenommen. Die Sprache wird mißbraucht und muß für phrasenhafte und entseelte Parolen herhalten. Ehrlichkeit, Vertrauenswürdigkeit, Ehrhaftigkeit, Offenheit, Verläßlichkeit, Verantwortung  und Mut zum kompromißlosen Handeln sind heutzutage nicht mehr opportun.

Der Sinn des Lebens scheint für die Eliten nur noch darin zu bestehen, die Realität zu leugnen, echte Gefühle zu unterdrücken, die Tatsachen zu verdrehen und die Sprache nicht mehr dazu zu verwenden, für was sie gedacht ist – nämlich um verbindliche Kommunikation auszutauschen. Ein Großteil der Menschen nimmt ihnen dieses krankhafte Verhalten ab und kopiert es ins eigene Leben. Ein Tipp: Einmal im Fluß des Zwangsgeschehens der Gewohnheiten stehen bleiben und sich umschauen oder es sogar wagen, sich gegen den Strom zu bewegen. Dann öffnen sich die Augen und sie sehen die Welt aus einer ganz anderen Perspektive.

Die Degeneration ist anscheinend weiter fortgeschritten als angenommen! Die ernüchternde Erkenntnis von Frau Wölflingseder, daß hinter der ganzen Maskerade nichts weniger als die Apokalypse lauert, kommt der Wirklichkeit ziemlich nahe.

 

MfG Peter A. Weber

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