Paul Goodman: Liebe und Freundschaft

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Wilhelm Klingholz
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Verbunden: 07.09.2013 - 12:33
Paul Goodman: Liebe und Freundschaft
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Paul Goodman: Liebe und Freundschaft


aus: Paul Goodman, “Anarchistisches Manifest”


„Der Mensch ist abhängig von seiner Mutter Erde. Wir sind immer vom Universum abhängig, aber nicht von Fürsten abhängig.

Es ist falsch zu sagen, soziale Beziehungen seien primär “zwischenmenschlich”. Die stärksten Bande in natürlichen Gruppen stehen im Zusammenhang mit Leidenschaften und Impulsen, die der Organisation der Individuen vorausgehen: Liebe und Freundschaft. Wie groß ist doch der Unterschied zwischen der juristischen Gleichheit, die die Sozialpsychologen den “zwischenmenschlichen Beziehungen” unterstellen, von der kreativen Solidarität und Rivalität in revolutionärer Brüderlichkeit! Freunde leben, um sich als Individuen hervorzutun, aber untereinander feuerempfangend erreichen sie zusammen, was keiner von ihnen alleine hätte tun können. Es ist nicht unsere soziale Natur, alleine zu arbeiten. Daraus folgt nicht, daß man mit ‘der’ Gesellschaft konform gehen muß. Es genügt, einen Bund von 200 Gleichgesinnten zu finden und zu schaffen, um zu wissen, daß man selbst gesund ist, auch wenn der Rest der Stadt verrückt ist.

Ein freier Mensch zeigt seine Natur viel vehementer als wir, die wir zur Uniformität dressiert worden sind. Vom Kinde bis zum Weisen drücken seine Stimme, seine Gesten und sein Minenspiel eine große Erfahrungsvielfalt aus. Wenn er einen heuchlerischen Redner hört, der Worte gebraucht, die Ekel hervorrufen, kotzt er in die Menge.

Wir können uns einen Menschen vorstellen, dessen Ich viel länger braucht, sich herauszubilden, als unseres;  dessen Ich sich immer weiterentwickelt aus den Zusammenhängen der inneren und äußeren Erfahrungen heraus und mit Kräften arbeitet, die weit über das hinausgehen, auf die wir uns eingespielt haben. Solch ein umfassendes Ich gehörte Christus oder Buddha; wir können vertrauensvoll voraussagen, daß er “Wunder” bewirken wird. Für ihn sind es Tatsachen.“


“Solch ein umfassendes Ich gehörte Christus oder Buddha.” Gleich mal vorsichtshalber vorweg: Es gibt da so eine Aussage, die etwa so lautet: Wir sollten alle stets solchen außergewöhnlichen Menschen wie Christus oder Buddha nachfolgen, auch wenn wir wissen, dass wir sie nie werden erreichen können. Zumindest von Buddha haben wir den klaren Hinweis, dass sich jeder selbst ein Licht sein soll, das ihn erleuchtet. Nichts da von Nachfolge. Christus und Buddha sind auch niemandem nachgefolgt. Und der Druide Miraculix natürlich auch nicht.

 

 

Paul Goodman gehörte zu einer Generation von Gestalttherapeuten, für die Gestalttherapie, Anarchie und Zen ganz innig miteinander verbunden waren. Wir leben ja weitgehend in einem Umfeld, in dem politischen Aktivisten Zenleute Religioten sind, spirituellen Leuten Menschen, die sich für Politik interessieren, geistig unterbelichtet erscheinen und in dem ein Gespräch zwischen den unterschiedlichen Grundhaltungen kaum noch möglich zu sein scheint. Paul Goodman gehört zu denen, die das alles wieder zusammenbringen wollen. Gestalttherapie schien ihm dabei ein außerordentlich hilfreiches Mittel zu sein. “Huch?! – Therapie? – Ich? – Ich bin doch nicht plemplem!” Ja, damit konnte er weder bei den politischen noch bei den spirituellen Menschen besonders viele Freunde gewinnen.

Ja, und dann kommt er auch noch mit Liebe und Freundschaft daher. Also der Typ ist doch wirklich nicht mehr zu retten. Das ist doch total naiv! In der Welt zählt nur das Fressen, wenn man nicht selbst gefressen werden will. Du musst einfach schneller sein als die anderen. Beiß zu! Paul Goodman hatte offensichtlich keine Lust, das Dschungelspiel mitzuspielen.

Seine Idee war: “Freunde leben, um sich als Individuen hervorzutun, aber untereinander feuerempfangend erreichen sie zusammen, was keiner von ihnen alleine hätte tun können.” Das ist ein hübscher Gedanke, finde ich. Eine Gemeinschaft von Freunden, in der jeder voll seine Individualität einbringt und in der Auseinandersetzung mit den anderen zu Ergebnissen gelangt, die mehr als die Summe der Einzelbeiträge darstellen.  

Dann sagt er noch etwas zur Authentizität und seiner Abscheu, seinem Ekel geradezu vor Heuchelei. Heraklit fällt mir wieder ein mit seinem Satz: “Weisheit ist nichts als dies: Wahr reden, wahr handeln, der Natur der Dinge folgen.” Das ist der Weg von Christus und Buddha und von jedem wackeren Anarchisten.

Wilhelm K.

 



Quelle:  mein Blog satyamnitya > Artikel

Bildbeschreibung und -quelle: Paul Goodman (1911 – 1972), US-Soziologe, Poet, Schriftsteller, Anarchist / Foto: Wiikipedia Artikel (engl.) - zum Foto