Lebenssinn und Humanismus

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Rudolf Kuhr
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Lebenssinn und Humanismus
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Lebenssinn und Humanismus


Versuch zu einer allgemeingültigen Orientierung


Die Sinnfrage ist wohl seit Menschengedenken die grundlegende Frage. Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Wie sollen wir leben? Zusammengefaßt lautet diese Frage:


Was ist der Sinn des Lebens?


Wer so fragt, der ist bereits krank, sagen manche. Nun fragen aber bereits Kinder so etwas und man wird diese Kinder nicht als krank bezeichnen können, höchstens als wißbegierig. Wer möchte sich aber in dieser Frage auf die Stufe eines Kindes gestellt wissen? Wohl deshalb wird diese gern verdrängt und tabuisiert, obwohl die Weisheit ja gerade im Anerkennen des Wissens um das Nichtwissen besteht.
 

 

Manche sagen auch, der Sinn des Lebens sei es, zu leben. Eine zunächst verblüffend einfach und weise erscheinende Antwort. Wenn man jedoch ebenso einfach die Frage nach dem Sinn des Essens, des Arbeitens oder des Reisens beantworten würde, dann wird deutlich, wie unsinnig eine solche zu sehr vereinfachte Aussage ist. Der Sinn des Essens kann es wohl kaum nur sein, zu essen, der Sinn des Arbeitens kaum nur der, zu arbeiten. Und reisen, nur um zu reisen ohne Ziel, das macht zumindest wenig Sinn. Woher kommt gerade bei dieser so grundlegend wichtigen Frage nach dem Sinn des Lebens diese Großzügigkeit des freiwilligen Verzichts auf eine präzise Antwort? Will man sich sein Nichtwissen nicht eingestehen?

Manche sagen auch, den Sinn des Lebens muß jeder für sich selbst herausfinden. Eine ebenso einfache wie nichtssagende Antwort für den Suchenden. Spielt hier eine gewisse Unmündigkeit, das pubertäre Bedürfnis eine Rolle, absolut frei zu sein und sich nicht in irgendwelche Strukturen einordnen zu können?

Gleicht es nicht einer Fahrt ins Blaue, wenn man die Antwort auf die Frage nach dem Sinn nicht sucht? Man vertraut hierbei auf den Organisator der Fahrt und läßt sich überraschen. Für die Freizeitgestaltung mag das ja ganz gut sein. Dieses Prinzip aber auf das ganze eigene Leben anzuwenden, wäre das erwachsen und mündig gehandelt? Schließlich besitzen wir im Gegensatz zum Tier keinen arterhaltenden Instinkt, der uns leitet. Umweltzerstörung und Kriege zeigen dies deutlich. So ergibt sich: Die Frage nach dem Sinn ist die grundlegende Frage denkender Menschen.

Schon die alten Griechen fragten:

 

Was können wir wissen?

Was dürfen wir glauben?

Was können wir hoffen?

Wie sollen wir leben?

 

Ein alter Volksspruch um 1500 lautet:

 

Ich kam, weiß nicht woher,

ich bin und weiß nicht wer,

ich leb, weiß nicht wie lang,

ich sterb und weiß nicht wann,

ich fahr, weiß nicht wohin

mich wundert`s, daß ich so fröhlich bin.

 

Und Kant sagte um 1800:

 

Was kann ich wissen?

Was soll ich tun?

Was darf ich hoffen?

Was ist der Mensch?

 

Wenn wir das Wort Sinn durch Zweck, Bedeutung oder Aufgabe ergänzen, fällt es vielleicht etwas leichter, diese philosophische oder religiöse Frage ganz zu verstehen. Die Frage kann auch noch einmal aufgeteilt werden in die Fragen:

 

Welchen Sinn (Zweck, Bedeutung) hat das Leben  für wen ?

und:

Welches Leben ist gemeint?

 

Erst eine größtmögliche Differenzierung dieser umfassenden Frage wird uns einer praktikablen Antwort näherbringen. Fragen wir zunächst danach, welches Leben gemeint ist und dann nach dem Sinn für wen, und verbinden wir alsdann jede mit Ziffern bezeichnete Frage mit jeder Frage, die mit Buchstaben gekennzeichnet ist:

 

Was ist der Sinn ...

 

1. des Lebens an sich ... 

2. des pflanzlichen Lebens ...

3. des tierischen Lebens ...

4. des menschlichen Lebens ...

5. meines persönlichen Lebens ...

a. für das Weltganze, den Kosmos?

b. für unseren Planeten Erde?

c. für die Pflanzen?

d. für die Tiere?

e. für die Menschen?

f. für mich persönlich?

 

Kombinieren wir z.B. die Frage 1 mit der Frage a und fragen: Was ist der Sinn des Lebens an sich für das Weltganze, möglicherweise außerirdisches mit eingeschlossen? dann müssen wir wohl passen. Wer wollte sich anmaßen, dies zu wissen? Diese Frage müssen wir ehrlicherweise offen lassen, wenn wir uns nicht der Gefahr einer Selbsttäuschung aussetzen wollen.

Ebenso ist es mit den Kombinationen der Fragen 1 bis 4 mit a. Wenn wir aber beispielsweise die subjektive Frage 5 mit der Frage a kombinieren und fragen: Was ist der Sinn meines persönlichen Lebens für das Weltganze, den Kosmos? dann ist schon eher eine Antwort möglich, nämlich die, daß mein persönliches Leben für das Weltganze sehr wahrscheinlich wenig, ehrlicherweise gar keinen Sinn hat.

Das erscheint zunächst vielleicht sehr enttäuschend, den suchenden Menschen wird es jedoch veranlassen, einen konkreteren Sinn im Hier und Jetzt zu suchen und zu finden, und damit die Fragen, auf die keine befriedigenden Antworten möglich sind, in größerer Gelassenheit als weniger wichtig offen zu lassen.

Wird z.B. die Frage 2 mit der Frage b kombiniert: Was ist der Sinn des pflanzlichen Lebens für unseren Planeten Erde? oder mit der Frage d: ...für die Tiere? und Frage e: ...für die Menschen? dann ist eine Antwort weniger schwer. Zumindest für Tiere und Menschen ergibt die Existenz von Pflanzen einen Sinn, einen Zweck oder eine Bedeutung, nämlich der Produktion von Sauerstoff.


 

Was ist nun der Sinn des Lebens? - Nach dieser differenzierten Betrachtung können wir erkennen, daß diese allgemeine Frage nach dem Sinn des Lebens fast immer vom Begriff her zwar als das ganze Leben umfassend gestellt wird, daß im Grunde aber doch nur meist das eigene persönliche Leben gemeint ist.

Ein absoluter Sinn des Lebens ist demnach für uns Menschen nicht erkennbar. Ebenso wie ein Sinn der Existenz des gesamten Universums für uns Menschen nicht erkennbar ist und letztlich sehr wahrscheinlich wohl auch immer unerkennbar bleiben wird. Vielleicht ist es auch ganz sinnvoll, daß wir den rein theoretischen absoluten, letzten Sinn des Ganzen nicht erkennen können, damit wir uns wieder umso mehr dem praktischen Leben im Hier und Jetzt zuwenden und dieses so sinnvoll wie möglich gestalten.

Der Sinn für den Menschen kann daher nur sein, seine Persönlichkeit zu bestmöglicher Entfaltung und Reife zu bringen, so wie einer Blume dies zu eigen ist, die sich ihrer Art gemäß, den Boden- und Klimabedingungen entsprechend, mehr oder weniger optimal entfaltet. Für den mündigen Menschen ergibt sich darüberhinaus noch die Aufgabe, Mit-Verantwortung für seine Mitwelt zu übernehmen und damit die Möglichkeit, in vielfältiger Weise aktiv tätig zu werden.

 

Suchst du das Höchste, das Größte? Die Pflanze kann es dich lehren.

Was sie willenlos ist, sei du es wollend; - das ist`s.

Friedrich von Schiller

 

Orientierung für eine sinnvolle Lebensgestaltung ergibt sich aus der selektiv gewichteten Antwort auf die vorangestellte, differenzierte Frage nach dem Sinn des Lebens. Erst aus dieser differenzierten Art der Behandlung dieser grundlegenden Frage ergibt sich die Möglichkeit zu einer vernünftigen Handlungsweise. Erst das Erkennen und Anerkennen des Nichtwissens, eine agnostische Haltung bewahrt vor spekulativen Extremismen und führt zurück zum Wesentlichen, führt zu sinnvollem Tun und ermöglicht ein Offensein für neue Erkenntnisse.

Die differenzierte Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Sinn des Lebens führt folgerichtig zum Humanismus, dem Ideal vom verantwortlichen Menschentum. Humanismus, nicht nur als schulische Bildungsrichtung, nicht nur als Geschichtsepoche, sondern jetzt als Wertesystem, als Ideal, Leitbild, als Ideologie, Weltanschauung oder auch Religion, Konfession oder Glaube, - ganz wie es dem Einzelnen gefällt. - Auf jeden Fall Humanismus als eine allem anderen übergeordnete Orientierung.

Humanismus ist nicht nur ein Ziel, sondern zugleich auch ein Weg, denn das Ideal vom Menschentum umfaßt den ganzen real existierenden Menschen in seiner Entwicklung vom Kind bis zum Greis und enthält real betrachtet neben den edlen auch seine weniger edlen Seiten. Humanismus konsequent als Orientierung angewandt, führt schon vom Namen her zur Arbeit am Menschen. Und ganz konsequent angewandt veranlaßt er noch vor einer Arbeit an und mit anderen Menschen vor allem zur Arbeit an der eigenen Person.

  • Gibt es ein höheres Ideal zur Orientierung des Menschen als den Humanismus?
  • Gibt es ein anderes Ideal, das den Weg vom ersten Schritt an und das letztliche Ziel gleichzeitig in sich vereinigt?
  • Gibt es ein anderes Ideal als den Humanismus, der im Gegensatz zu vielen anderen Ideologien keinen Menschen ausgrenzt, sondern alle Menschen dieser einen Welt vereint?

Glaubens-Lehren wie beispielsweise Buddhismus, Christentum, Hinduismus, Islam, grenzen sich allein schon von ihrem Namen her untereinander und von allen übrigen Menschen ab. Ähnlich verhält es sich mit Identifikationen, wie zum Beispiel Deutschtum und anderen Nationalismen. Auch der Liberalismus allein hat als übergeordnete Orientierung keine integrierende Wirkung, sondern nur eine die Freiheit an sich verteidigende, die auf die Frage: "Freiheit wofür?" jedoch noch keine Antwort gibt.

Alle ab-grenzenden beziehungsweise be-grenzten Orientierungen sind vermutlich Versuche, Identität, Sicherheit und Grund-Orientierung zu finden. Es sind Bemühungen, die eher einer pubertären Phase entsprechen, in der der Mensch gleichzeitig nach Freiheit und nach Bindung sucht. Ein höherer Entwicklungsstand dagegen ermöglicht es, alle diese begrenzten partikularen Interessen in der übergeordneten Orientierung des Humanismus wiederzufinden und auch in dieser Bindung Freiheit gleichzeitig zu erleben und somit sinnvoll zu leben.

Andere Ideologien wie Christentum, Buddhismus, oder Kommunismus, Marxismus-Leninismus bezeichnen religiös oder materialistisch orientierte Wege, und nicht das eigentliche Ziel. Sie wollen paradiesische Zustände im Diesseits oder im Jenseits und veranlassen immer wieder ihre Anhänger, den Weg zum Ziel zu machen, denn es ist meistens einfacher, die Umwelt zum Ziel von Veränderungen zu haben, als sich selbst. Durch das Nicht-benennen des eigentlichen Zieles, das im Menschen selbst liegt, verführen sie ihre Anhänger immer wieder dazu, ihrem Ideal, einem Weg zu dienen, anstatt sich dem Ziel durch Arbeit an sich selbst und an der Gemeinschaft zu nähern.

 

Wir selbst müssen die Veränderung sein, die wir in der Welt sehen wollen.

Mahatma Gandhi

 

Christen verehren Gott und Jesus Christus, Kommunisten kämpfen für den Kommunismus, dessen letztes Ziel der Humanismus sein sollte, und selbst kritische Philosophen verehren ihre Lehrer wie Heilige, anstatt nach deren Lehren zu leben. Es gibt z.B. Vereine, die den Namen des Philosophen tragen. Da hat man sich auf einen Philosophen festgelegt und beschäftigt sich mit seinen Schriften, ohne das Wesentliche, was dieser gesagt und gewollt hat, zu erkennen und danach zu handeln.

Nietzsche wollte beispielsweise den Übermenschen, das heißt, nicht den sich über andere erhebenden Menschen, sondern den aus sich selber heraus erschaffenden und bestehenden Menschen, der keinem verehrten Modell folgt und niemanden nachahmt, der eine kritische Distanz zu sich selbst hat und stets bestrebt ist, humanistische und ökologische Grundsätze bestmöglich umzusetzen. Mit der Bezeichnung Übermensch meinte er eher den mündigen, selbst- und mitverantwortlichen Menschen. Und er wollte, daß man ihn selber nicht verehrt. Er sagte beispielsweise: Hört mich an, denn ich bin, was ich bin; verwechselt mich vor allem nicht mit dem, was ich nicht bin. - Nun heiße ich euch, mich verlieren und euch finden. Erst wenn ihr mich alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren. Warum hört man nicht auf ihn? Ich nehme an, weil es an Mut fehlt, um den konsequenten Schritt in die Unabhängigkeit zu tun und sich selbst mit in die Pflicht zu nehmen.

 

Ist denn so groß das Geheimnis, was Gott und der Mensch und die Welt sei?

Nein! Doch niemand hört`s gerne; da bleibt es geheim.

Johann Wolfgang von Goethe

 

Warum eigentlich hört's niemand gerne? Ich vermute, weil es einerseits zu einfach erscheint, und weil es andererseits zu anstrengend ist, indem der Einzelne an sich selbst arbeiten und mehr Verantwortung übernehmen müßte. Humanismus heißt Menschentum und Menschentum erfordert Mündigkeit, und Mündigkeit bedeutet mehr als nur Volljährigkeit. Mündigkeit heißt, eine kritische Distanz nicht nur zu seiner Mitwelt, sondern vor allem zu sich selbst zu haben, für sich selbst voll- und für seine Mitwelt mitverantwortlich sein zu wollen und zu können.

Mündig sein bedeutet, ganzheitlich zu denken und zu handeln, die uns im Leben und in uns selbst begegnenden Gegensätze als Bestandteile eines belebten Ganzen zu sehen, die Polarität als Prinzip des Lebens und auch uns selbst als Teil des Ganzen zu empfinden. Ein treffendes Symbol für diese harmonische Ganzheit der Gegensätze ist das Yin-Yang-Zeichen. Das Ergebnis einer realistischen, ganzheitlichen Weltanschauung ist eine Ablösung von jenseits-orientierter Religion als einer Art geistiger Einstiegsdroge, ist ein Abschied von der Gottesvorstellung als kindlicher Übervater-Projektion. Aus einer solchen realistischen Weltanschauung ergibt sich eine tragfähige Identität und eine neue Bescheidenheit. Wir brauchen damit keine neuen Symbole technischen Könnens mehr, um unsere Bedeutung materiell darzustellen. Stattdessen können wir uns sinnvoller zugunsten von mehr Menschlichkeit an denjenigen Naturvölkern ausrichten, die keine Spuren der Zerstörung und der menschlichen Eitelkeit auf der Erde hinterlassen.

 

Neuer Glaube

 

Größer werden die Menschen nicht,

doch unter den Menschen

größer und größer wächst

die Welt des Gedankens.

Strengeres fordert jeglicher Tag

von den Lebenden.

Und so sehen es alle,

die zu sehen verstehen:

Aus dem Glauben des Kreuzes

bricht ein andrer hervor,

selbstloser und größer;

dessen Gebot wird sein:

Edel lebe und schön,

ohne Hoffnung künftigen Seins

und ohne Vergeltung,

nur um der Schönheit des Lebens willen.

 

Theodor Storm

(Dieses Gedicht fehlt in fast allen Ausgaben seiner Werke!)  

 

Unser Heil liegt weder im Jenseits, noch im materiellen Wohlstand, sondern in der konsequenten Anwendung von Philosophie, Psychologie und Soziologie. Abenteuer liegen nicht nur in der Ferne, sondern vor allem in uns selbst. Gemäß dem philosophischen Prinzip von These, Antithese und Synthese bildet sich aus Idealismus und Materialismus der Humanismus. Um es philosophisch-poetisch auszudrücken: Wenn Philosophie soviel heißt wie Liebe zur Weisheit, dann könnte man im Humanismus, als übergeordnete Orientierung verstanden, den Stein der Weisen sehen.

 

Sinn unseres Lebens ist die größtmögliche Entfaltung

und Vervollkommung der eigenen Persönlichkeit

in größtmöglicher Harmonie und Verbundenheit

zu unserer Mitwelt.

 

Wer den Humanismus als übergeordnete Orientierung anerkennen kann, dem wird eine sinnvolle Lebensgestaltung möglich, dem eröffnen sich integrierende Aufgaben, und er wird Wege finden, diese neue frohe Botschaft in wirksamer Weise selbst anzuwenden und nach außen zu tragen.

 

Gebrauchsanweisungen

 

Als mir auffiel

daß meine Eltern

mir zwar das Leben geschenkt hatten

dabei aber die Gebrauchsanweisungen

vergessen hatten

war ich echt sauer

 

ich geriet aber in Panik

als ich etwas später merkte

daß das Leben

das einzige Produkt ohne

Gebrauchsanweisungen ist!

 

Und seitdem drücke ich Knöpfe

drehe Knöpfe, ziehe Knöpfe

und versuche

Leben zu spielen

 

soizic p. - 9.4.81 / taz 26.06.81

 

Die Bedeutung der Sinnfrage an einem Beispiel aus dem realen Leben

 

Wie sehr auch junge Menschen der Hilfestellung bedürfen, wurde mir schmerzlich erlebbar, als ich während der frühen sechziger Jahre Abiturientenklassen auf die Reifeprüfung vorzubereiten hatte. Unter anderem sprach ich mit ihnen über philosophische Fragen, insbesondere über die Frage nach dem Sinn menschlichen Lebens, also des Sinns des gemeinschaftlichen Lebens der Menschheit in Wechselbeziehung mit der individuellen Lebensgestaltung. Ein sich durch große Diskutierfreude und kluge Fragestellungen auszeichnender Schüler stellte in diesen Zusammenhängen, gewissermaßen für sich resümierend, fest, und das kann ich auch heute noch beinahe wörtlich genau wiedergeben: "Wissen Sie, die Masse der Menschen lebt glücklich dumm dahin. Wer aber ein wenig tiefer eindringt in die Frage nach dem Sinn des Lebens, für den gibt es eigentlich nur eine Alternative: entweder ein Leben in Genußsucht, ein exzessives Leben also oder Selbstmord." Meine betroffen-spontane Gegenfrage, wozu er sich angesichts dieser Erkenntnis entschieden habe, beantwortete er mit dem Bemerken, er sei noch am Nachdenken. Einer seiner engsten Freunde sekundierte ihm. Wir debattierten weiter, insbesondere darüber. Wenige Wochen später hatte er sich in der elterlichen Wohnung mit Gas vergiftet. Sein Grabstein trägt neben den persönlichen Daten die Inschrift: "Wer denkt stirbt." Viele Einzelheiten sind mir inzwischen in Vergessenheit geraten, das Ereignis selbst hat mich jedoch tief bewegt, es berührt mich auch heute noch. Seither messe ich dieser Fragestellung nach dem Lebenssinn große Bedeutung zu und bemühe mich stetig um klärendes Bedenken und Sprechen.

Quelle: Wolfgang Kaul: 'Freies Denken als Inhalt weltlicher Bestattungskultur' in KRISTALL 3/01

siehe auch Abschiedsbrief eines 18jährigen Amokschülers - weiter

 

Warum ich bin

 

Mich schuf kein Schöpfergott,

kein Weltengeist.

Ich bin ein Zufallsmensch,

ein evolutionärer.

Nur trägt sich dieses Wissen

weitaus schwerer,

als wenn mich jemand

ein Kind Gottes heißt.

 

Denn so muß ich

dem blinden Zufallsleben

erst seinen Sinn, den es

aus solcher Sicht nicht hat,

allein verantwortlich

an eines Gottes Statt

nach eigenem Ermessen

selber geben.
 

 

 

 

Das fordert mich!

Die große Daseinsfrage

wird täglich neu

und sehr real gestellt,

und ihre Antwort kommt

allein von dieser Welt

und nicht aus einem Jenseits

fern und vage.

 

Warum ich lebe?

Weil ein MENSCH ich bin,

geworfen in die

Zufallsspanne Zeit,

um einzig sie zu fülln

mit MENSCHLICHKEIT.

Das ist, so meine ich,

der Sinn, + -

warum ich bin.

 

Kriemhild Klie-Riedel 1913-2003



Rudolf Kuhr

 



► Quelle: Humanistische AKTION für verantwortliche Menschlichkeit > Webseite > Artikel

► Buchtitel: "Wachstum an Menschlichkeit. Humanismus als Grundlage" > zur Vorstellung meines Buches

Bildquellen:


1. Ölgemälde von Paul Gauguin (1848–1903). Nach einem Herzanfall am Ende des Jahres 1897 nahm Gauguin alle Kräfte zusammen und malte in seiner selbstgebauten Hütte in Tahiti innerhalb von vier Wochen das 139 × 375 cm große Bild Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?, das testamentarischen Charakter hat. Anschließend unternahm er einen Selbstmordversuch mit Arsen, an dessen Folgen er wochenlang leiden sollte. Sein Gesundheitszustand blieb weiterhin schlecht; mehrmals war er in den nächsten Jahren gezwungen, sich im Krankenhaus behandeln zu lassen.

Das Bild ist dem Wunsch des Künstlers entsprechend von rechts nach links zu betrachten. Dargestellt sind entindividualisierte, ursprüngliche Menschen in drei verschiedenen Phasen des Lebenszyklus: von der Geburt in Gestalt eines schlafenden Säuglings bis hin zum von einer Greisin kontemplierten Tod. Die Mehrzahl der abgebildeten Personen ist in flächig aufgetragenem, leuchtendem Orange gehalten, das mit dem bläulich-grünen Hintergrund kontrastiert.

Quelle: Wikimedia Commons. Dieses Werk ist gemeinfrei, weil seine urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Nach offizieller Ansicht der Wikimedia Foundation sind originalgetreue Reproduktionen zweidimensionaler gemeinfreier Werke gemeinfrei und Behauptungen des Gegenteils ein Angriff auf das Konzept der Gemeinfreiheit.

2.  Gedenkstein zur Mahnung: "Bedenke, wir leben nur auf Zeit. Sorge, das nach uns von allem etwas bleibt." Foto: Helene Souza. Quelle: Pixelio.de

 

 

 

Bild des Benutzers Chris Wolker
Chris Wolker
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Verbunden: 23.04.2012 - 18:03
Was ist der Sinn des Lebens?


Danke für diese sehr gute und vielschichtige Darlegung.

Damit ein Etwas einen Sinn bekommt, muss mindestens ein anderes Etwas vorhanden sein, das diesem Etwas einem Sinn/Zweck zugesteht.

Ich persönlich bin Pantheist und betrachte die Gesetzmäßigkeiten der ewigen Unendlichkeit als die Schöpfungskräfte von jedweder Erscheinungsform. Unter Schöpfung verstehe ich dabei jedwede Veränderung.

Wenn ich nun davon ausgehe, dass diese Gesetzmäßigkeiten kein eigenes Bewusstsein besitzen (es deutet nichts darauf hin, dass es doch so ist) und somit kein Nutzen in den Resultaten sehen, dann kann ich die Ausgangsfrage nur so beantworten, dass das Leben an für sich keinen Sinn hat, sondern das Resultat einer mir unbekannten Anzahl von Ursache-Wirkungsketten ist.

Dieses Resultat – also das Leben – besitzt jedoch ab einem gewissen Entwicklungsstadium die Fähigkeit, Fragen zu stellen und anderen Erscheinungsformen einen Sinn/Zweck zu "verleihen". Die jeweilige Interpretation von dem jeweiligen Sinn/Zweck kann dabei je nach fragestellender und beurteilender Erscheinungsform ganz verschieden sein. Manche dieser Erscheinungsformen mögen einer Waffe den Zweck eines Verteidigungsgegenstandes zusprechen, andere hingegen den Zweck zum Töten. Dies zeigt bereits, dass Sinn/Zweck eine durchaus relative Betrachtungsweise mit einer, mehrerer oder keiner Sinn/Zweck-Zusprechung sein kann. Je nach Individuum/Gruppe/Daseinsform können die Resultate völlig verschiedene sein.

Fakt ist ganz offensichtlich, dass die Grundvoraussetzung für einen Sinn/Zweck eine Erscheinungsform ist, die sich ein Urteil darüber bilden kann, ob sie sich selbst oder einer anderen Erscheinungsform einen Sinn/Zweck beimisst, beziehungsweise darin erkennt. Genaugenommen sind somit alle Erscheinungsformen so lange zwecklos, bis ihnen eine Erscheinungsform mindestens einen Sinn/Zweck zuspricht, die dazu fähig ist.

Hier schließt sich der Kreis. Wenn es keinen bewussten und urteilenden Schöpfer gibt, dann gibt es auf die grundlegende Frage: „Was ist der Sinn des Lebens?“ nur die logische Konsequenz als Antwort, dass das Leben keinen Sinn hat. Da das Leben jedoch die Fähigkeit zum Urteilen erhalten hat, kann es je nach Daseinsform den verschiedensten Erscheinungsformen und sich selbst einen Sinn/Zweck zusprechen.

Wenn jedoch alles determiniert ist und unser sogenannter „Freier Wille“ nur eine Illusion der ablaufender Ursache-Wirkungsketten ist, dann gäbe es keinen Sinn/Zweck, sondern lediglich durch vorhandene Gesetzmäßigkeiten ablaufende Prozesse.

 

Die Physik lehrt uns: Je länger der Hebel, desto geringer der Kraftaufwand.

Jene, die Hebel mit verschiedener Länge herantragen, werden dies anders beurteilen.

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