Zum Konsum im modernen Kapitalismus

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Meinhard Creydt
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Zum Konsum im modernen Kapitalismus
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Die gesellschaftlichen Formen der Gegenstände

Zum Konsum im modernen Kapitalismus

von Meinhard Creydt

(erschien in: Die Aktion – Zeitschrift für Politik, Literatur, Kunst. Heft 219, 2011)

„Unser Lebensraum ist von Verarmung bedroht, und diese Verkümmerung wirkt zurück auf unabsehbare Menschenmassen, lässt ihr Interesse an dieser verödenden Umgebung erkalten“ (Adolf Portmann, zit. n. Warwas 1977, 12).

Die Höhe von Konsumausgaben ist oft Thema. Die (über den Horizont der ‚Stiftung Warentest’ hinausgehend verstandene) Qualität des Konsums und der Gegenstandswelt seltener. Was aus ihnen für die menschlichen Sinne und Fähigkeiten sowie die Existenz in der Welt folgt,1das gilt auch den (in der Linken dominanten) Verteilungs- und Versorgungssozialisten2als nebensächlich. Wenn nicht bereits theoretisch, dann faktisch. Eine Vergegenwärtigung der gesellschaftlichen Maßgaben und Formen des Konsums und der Gegenstände ermöglicht eine andere Perspektive. Sie erlaubt es allererst, überhaupt darzustellen, wovon jene absehen, die sich auf die Quantität des Konsums konzentrieren.

Eine erste Vorgabe für den Konsum resultiert aus den Imperativen, die ihn zu einer möglichst billigen Veranstaltung machen. Die Konsumausgaben bilden Lohn- und Gehalts k o s t e n. Nicht nur für die weniger Zahlungsfähigen, aber für sie besonders, bedeutet Wohnungsbau ‚Massentierhaltung’ in ausdruckslosen, allenfalls bunt geschminkten Schuppen. Sie bauen  „depressive Elemente in permanenter Weise in den Alltag“ ein (Mitscherlich 1965, 50) und schaffen „menschenverdrängende Anblicke“ (Handke, zit. n. Schimank 1983, 55). Viele Ortsviertel machen den in ihnen Wohnenden bzw. den sie Durchquerenden klar, dass die Behausungen vor allem billig sein sollen und es um alles geht, nur nicht darum, die Individuen als wertvolle und von der Gesellschaft wertgeschätzte Menschen im emphatischen Sinne zu beheimaten. Auch höherer finanzieller Aufwand bildet dafür allerdings keine Gewähr. Gewiss kann Qualität nicht einen eklatanten Mangel an Quantität ausgleichen. Ein vom „Haben“ als vollständig unabhängig stilisiertes „Sein“ s u g g e r i e r t dies bloß.  Für die Herausbildung und Betätigung menschlicher Sinne und Fähigkeiten  ist jedoch die qualitativ-soziale Verfassung der Gegenstandswelt wesentlich. Sie bildet keinen bloß anderen Zustand von Geld. Mit Geld kann man sich von den problematischen gesellschaftlichen Formen des Konsums und der Gegenstandswelt nicht freikaufen. Diese Aussage bleibt hier eine trockene Versicherung. Im Fortgang des Artikels reift sie zum wohlbegründeten Urteil.

Eine zweite gesellschaftliche Vorgabe betrifft die Gegenstandswelt, insofern sie negativ tangiert ist von anderen, auf der gesellschaftlichen Prioritätenhierarchie höher angesiedelten Imperativen. Es geht um den Durchsatz von Regionen mit möglichst hoher Warenzirkulation, also darum, möglichst viel Zufuhr logistisch zu gewährleisten und möglichst viel Einkauf zu ermöglichen. Und es sollen möglichst viele Pkws existieren. Nur so hat eine der größten deutschen Wirtschaftsbranchen (Autoindustrie, Kfz-Gewerbe) Erfolg. Die Dominanz des Autoverkehrs sorgt dafür, die Stadt zu durchschneiden mit dicht befahrenen Straßen. Häuser werden in ihrem Wohnwert entwertet durch die Nachbarschaft zu Verkehrs’adern’, an deren Rändern man nur mit geschlossenen Lärmschutzfenstern existieren kann. Wohnen wäre etwas anderes. Zu den „Nicht-Orten“ (Augé) und zum Niemandsland gehören nicht nur die Parkplätze und die Schnellrestaurants. Die Wüste wächst.

Eine dritte Vorgabe für den Konsum besteht in der den Umsatz steigernden Verschleißbeschleunigung. Die Menschen werden daran gewöhnt, dass sie als Käufer von Interesse sind. Als Nutzer der Gegenstände sind sie mit einem Kundendienst konfrontiert, der die Kunden ostentativ als lästig behandelt. Wenigstens dann, wenn sie auf eine Reparatur des gekauften Dinges aus sind und nicht auf schnellen Teiletausch oder Totalersatz des nur in e i n e m Bestandteil defekten Gegenstandes. Die Dinge werden nicht auf Vermeidung von Sollbruchstellen hin konstruiert. Letztere sollen vielmehr den Neukauf gerade ingangsetzen (‚geplanter Verschleiß’). Der sog. Kundendienst ist dann so organisiert, dass er mit Umständlichkeit und hohen Kosten die Kunden dazu motiviert, auf die Reparatur zugunsten eines Neukaufs zu verzichten.3

Die Bereitstellung peripher differenter und marginal innovativer Angebote sorgt für eine künstliche Veraltung technisch funktionsfähiger Produkte. Die Moden verkürzen ästhetisch die soziale Lebenszeit von Produkten. Auch so entstehen Nachfragemotive und die Marktsättigung lässt sich vertagen. In der kapitalistischen „ästhetischen Ökonomie“ (Böhme) geht es um einen idealiter unendlichen Prozess, der kein Ankommen kennen darf, also nicht befriedigbare Bedürfnisse präferiert. Um ein Begehren geht es vielmehr, das durch alle Befriedigungsangebote nicht gestillt, sondern gesteigert wird.

Die Vorherrschaft des Partikularen in der Dingwelt bildet die vierte Formbestimmung des Konsums und der Gegenstandswelt. Die Devise lautet hier: Je mehr besondere Bedürfnisse jeweils eigene Waren erfordern, desto besser.4 Es gibt keinen übergeordneten Inhalt, der die verschiedenen Konsumgüter und die Bedürfnisse maßgebend durchgreift. „Der Stil war Aneignung: Gebrauch von Objekten, die nicht diesem oder jenem klassifizierten, als solches isolierten Bedürfnis angeeignet waren, sondern der Gesamtheit des gesellschaftlichen Lebens. Dass es Konsum ohne eine solche Aneignung geben kann, durch vorgeschriebene Wechselbeziehung, und zwar Punkt für Punkt, zwischen Bedürfnis und Gütern, das ist das Postulat der sog. Konsumgesellschaft …“ (Lefebvre 1972, 127).5 In der modernen kapitalistischen Welt missrät das Alltagsleben zum Sammelbecken und zur Halde. Hier treffen die vielfältigen negativen ‚Neben’-Effekte der auf partikulare Zwecke hin produzierten und konsumierten Objekte zusammen.

Am Beispiel der Stadtbauwelt lässt sich das nicht auf einzelne Objekte reduzierbare, sondern auf ein weiter ausgreifendes Zusammenspiel bezogene Ge- oder Misslingen verdeutlichen. Der Verkauf isolierter Angebote sieht ab vom Zusammenhang, in dem sie zueinander stehen. An der Stadtbauwelt macht sich diese Indifferenz zwischen den verschiedenen privat (ver)kaufbaren Waren als Zusammenhangslosigkeit der Häuser geltend.
Straßen bilden aber mehr als eine bloße Aneinanderreihung von Häusern. Straßen leben davon, dass in ihnen nicht nur ein Nebeneinander existiert, sondern sich auch ein Gegenüber entfaltet. Städte sind in Deutschland das erste Mal durch den Weltkrieg zerstört worden, das zweite Mal durch die Vorherrschaft von Verkehrswegen und durch mietmaximierende Raumbewirtschaftung. Appartementhäuser werden „beziehungslos und brutal in die Gesamtharmonie eines Straßenbildes geklotzt. … Das Stadtbild wird immer undeutlicher. – Diese Stadt (Bremen – Verf.) hatte vor 35 Jahren noch ein homogen gewachsenes Aussehen. Aber, wer heute mit offenen Augen durch Bremen geht, muss zugeben, dass der Zustand der Störung zur Norm wird, dass sich das städtebauliche Chaos wie ein Geschwür ausbreitet. Es ist ein Stil-Mischmasch ohne inhaltliche Gesetze, ohne Anpassung, ohne Korrespondenz, ein Alptraum, den wir von Bildern aus USA kennen: Formen, die sich gegenseitig totschlagen, schreiende Reklametafeln in einer öden Umwelt, die Häuser stehen nebeneinander, maßlos, kontaktlos und vereinsamt“ (Ebd., 12). Warwas’ Buch schockiert auch insofern, als es fotografisch vergegenwärtigt, welche hässlichen neuen Bauten an die Stelle von welchen (zum großen Teil erst in den 50er und 60er Jahren abgerissenen) alten Bauten rückten und welche negativen Unterschiede damit verbunden sind.

Die architektonische Vorherrschaft des Partikularen gründet in der im 19. Jahrhundert zunehmend durch private Bauherren geprägten Nachfrage nach der Einzigartigkeit und Überbetonung der individuellen Besonderheit der Bauwerke. Das Resultat ist eine Architektur, deren „Häuser sich verärgert weigern, auch nur die geringste Rücksicht auf ihre Nachbarn zu nehmen, und stattdessen wie eifersüchtige und aufgebrachte Liebhaber chaotisch um unsere Aufmerksamkeit buhlen“ (Botton 2008, 178f.). Die zugrunde liegende Vorliebe für „Neues und Ausgefallenes“ beinhaltet den Wetteifer, „Kunden durch so verspielte und üppig ausgestaltete Objekte zu gewinnen, wie sie insbesondere ein Straßenzug in Plymouth zum Ausdruck bringt, bei dem auf wenigen hundert Metern eine römisch-korinthische Wohnhausreihe, ein dorisches Rathaus, eine orientalische Kapelle, vereinzelte Privathäuser im ionischen Stil und eine Bücherei in ägyptischer Bauart zu finden sind“ (Ebd., 42) – und dies bereits in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Diesem Karneval der Architektur galt die Parole „Genug der Originalgenies“ (Adolf Loos).

Eine fünfte gesellschaftliche Formbestimmung der Gegenstandswelt betrifft ihre besitzindividualistische Engführung. Der Warenkonsum gewöhnt die Konsumenten daran, dass sie nicht kollektiv auf die Gestalt der Gegenstandswelt (z. B. Stadtbauwelt) Einfluss nehmen, sondern individuell ihre jeweilige Zahlungskraft in das dafür Erwerbbare umsetzen. „Das Privatinteresse hat uns so dumm und einseitig gemacht, dass der Gegenstand erst der unsrige ist, wenn wir ihn haben, er also als Kapital für uns existiert oder von uns unmittelbar besessen, gegessen, getrunken, an unserem Leib getragen, von uns bewohnt etc., kurz gebraucht wird.“ (MEW-Erg.bd. 1, 540). Die Gegenstandswelt fällt dementsprechend aus. „Das Privateigentum entfremdet nicht nur die Individualität der Menschen, sondern auch die der Dinge“ (MEW 3, 212).

Eigenheim und Auto als zugespitzte Beispiele der Verwandlung von Existenzbedingungen in besitzindividualistisch zu konsumierende Waren formieren die Stadtbauwelt auf abträgliche Weise6 und bestärken eine Privatform des Lebens. Auch der Kontrast des Autos zum Zustand des öffentlichen Personen’nah’verkehrs macht es attraktiv. Tom Wolfe formuliert das gereizte und misantrope Unbehagen in einem überfüllten U-Bahnwagen, wenn er ihn als „Fleischbüchse auf Rädern“, als „Rattenmühle“ und als „ekligen menschlichen Brei“ beschreibt (Wolfe 1985, 30). Das Auto verdankt seine positive Besetzung auch der durch es möglichen, vergleichsweise höheren individuellen Kontrolle in einer unkontrollierbaren Umwelt. Die Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel befinden sich gegenwärtig oft in einer ähnlichen Lage wie Versuchstiere, an denen man das Konzept der ‚gelernten Hilflosigkeit’ ausprobiert. Der private Besitz des Autos erlaubt demgegenüber eine ständige Verfügbarkeit des Autos, das quasi auf seinen Benutzer wartet und ihm im Gedränge und Gewühl wenigstens eine kleine Welt für sich ermöglicht. Zutritt zum Auto haben nur sein Besitzer und von ihm erwünschte Personen. Es wird mit dem Auto möglich, die „abgeschlossene Privatexistenz“ nicht erst nach den Durststrecken des ÖP“N“V zu erreichen, sondern „vor der Tür des Arbeitsplatzes im eigenen Auto sozusagen zu sich selbst kommen zu können und damit schon zu Hause, und d.h. unabhängig zu sein“ (Kob 1966, 187). Im Auto können die Individuen den harten Wechsel zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit abmildern. „Die Abteile der Eisenbahn und die Kabinen der Schiffe wechseln die Menschen wie die Menschen das Geld, die vier Wände des Autos aber bleiben unser eigen, sie warten nicht nur auf uns, sie bewahren auch all die Notdürftigkeiten und liebenswürdigen Dinge, die uns in der Fremde unentbehrlich scheinen“ (Hornickel 1968, 53). Zentral für die Attraktivität des Autos ist die ihm gesellschaftlich zukommende Eigenschaft als „Unabhängigkeitsmaschine“ (Schönhammer 1991, 157). Im Unterschied zum öffentlichen ‚Nah’verkehr erlaubt es das Auto, den Kontakt mit – wie auch immer – „unangenehmen“ Mitbürgern zu vermeiden.  

Auch andere Objekte fungieren als Unabhängigkeitsmaschinen. Walkman und iPod sind Objekte, die den Besitzindividualismus kultivieren. Vorausgesetzt, beklagt und akzeptiert zugleich ist eine akustisch enervierende Welt. Ihr gegenüber möchte das Individuum sich in seiner „eigenen“ Klangwelt einspinnen. Zugleich legen Walkman und iPod die Versuchung nahe, ob des individuellen Abtauchens in die Klangwelt zu ignorieren, dass die „autistisch“ genossene Musik für die – ineins mit der strapazierenden Umwelt ausgeblendeten – Mitmenschen zu einer zusätzlichen nervenbelastenden Geräuschquelle gerät.

Dass es an dem die Menschen wesentlich und nichtregressiv Verbindenden fehlt, zeigt sich in der Gegenstandswelt am Schicksal der Stadt. Die „vorkapitalistische Bürgerstadt“ kann „selbst als das Modell eines neuen Hauses begriffen werden, weil sie die Eigenschaften, die sie dem Haus enthebt, als solche der Stadt verwirklicht.“ Insofern „zentriert und symbolisiert sie sich zugleich durch das Haus in ihrer Mitte, das selbst wieder symbolisierend als Modell für eine Stadt steht“ (Kühne 1985, 26). Die Verbundenheit der Einwohner der Bürgerstadt verdankt sich auch ihrem Gegensatz zum feudalen Land. Immerhin gibt es aber in der Bürgerstadt so etwas wie eine Verbundenheit und deren architektonische und städtebauliche Symbolisierung. „Indem die Stadt das Haus aufhebt, setzt sie es in Gestalt der Kirche zugleich neu, das Haus der Gemeinschaft“ (Ebd., 25f.). Unter Bedingungen der Moderne und Massengesellschaft ist nach funktionalen Äquivalenten zu fragen. Die „moderne Großstadt“ „entrückt“ mit ihrer Flächenausdehnung die Menschen „nicht nur von der Natur außerhalb der Stadt, sondern auch vom kulturellen Zentrum in ihr“ (Ebd., 27). „Die kapitalistische Stadt hat keine räumliche Prägnanz, sie verläuft, ihre Grenze ist nur verwaltungstechnisch scharf festgelegt“ (Ebd., 26). „In der Hausstadt ist die Unendlichkeit endlich, und in der Großstadt ist die Endlichkeit endlos, nicht im Weltsinn unendlich, sondern im Lebenssinn sich maßlos ausweitend geworden. Sie ist die Aufhebung des Widerspruchs von Unendlichkeit und Endlichkeit im Tristen…“ (Ebd., 30).

Eine sechste gesellschaftliche Formbestimmung betrifft den Überschuss an Bedeutung und imaginärem Gewicht, die der Konsum erhält. Wenn für das Erwerbs- und Geschäftsleben nicht Gesichtspunkte einer menschlich-gesellschaftlichen Vergegenständlichung und Gestaltung und des diesbezüglichen Mit- und Füreinanders maßgebend sind, so wachsen Freizeit, Konsum und den entsprechenden Objekten bestimmte Aufgaben zu. Dass am dafür nicht geeigneten Ort Kompensation und Kontrast erbracht werden soll, verzerrt den Konsum und die Freizeit selbst. Wachsen die im Konsum zu (über-)kompensierenden Versagungen und Zumutungen über ein Maß hinaus, das eine eigenständige Auseinandersetzung im Konsum mit der Welt ermöglicht, wird das Auszugleichende so mächtig, dass der Konsum im Ausgleich für bzw. gegen anderes aufzugehen droht. Die „Anspannung der arbeitenden Massen – eine wesentlich formale Anspannung (füllt – Verf.) den Tag aus, ohne ihn zu füllen. Das Versäumte soll nachgeholt werden; es kann nur in der gleichen Oberflächensphäre erfragt werden, in der man aus Zwang sich versäumt hat“ (Kracauer 1977, 313f.). „Die Menschen haben, ehe sie die Arbeit richtig kennen gelernt hatten, die Zerstreuung erfunden, als der falschen Arbeit Abspannung und Gegenteil. Hätten sie gewartet … so wäre die wirkliche Arbeit ihnen ein wenig erreichbarer geworden …“ (Rilke, zit. n. Bollnow 1956, 47). Wenn man von der Formulierung absieht, die unmittelbar die Menschen als Subjekte des von ihnen zu erleidenden Elends anspricht, trifft Rilke unser Thema: Den Zusammenhang zwischen der objektiven Not, der gesellschaftlich vorgebahnten subjektiven Not-wendung im Konsum und der mit ihr verbundenen Verschärfung der Not. Die Armut des eigenen In-der-Welt-Seins wird vor dem Hintergrund dieses vermeintlichen konsumtiven Reichtums nicht mehr gewiss. Die Vermehrung der Objekte geht nicht notwendigerweise einher mit einer Verbesserung der Lebens- und Kulturqualität. „Das Europa von heute befindet sich in einem Zustand des Hungers nach Symbolischem, und gleichzeitig wird es mit Kultur regelrecht gestopft. Diese Lage … bestätigt eine unter Historikern bekannte Regel: Verfallsperioden sind immer Zeiten des Überflusses. Die Werte wuchern, wenn der Wert der Werte fällt. Für den reifen Körper ist ein Wuchern der Zellen keine gute Nachricht. Die Abwertung des Sinns folgt der Inflation der Zeichen, die Abwertung der Darstellung dem Ausufern der Spektakel. Die Krise des Theaters, des Films, der Malerei, die gerade bis zum Überdruss diskutiert wird, bedeutet nie, dass es nicht genügend Stücke, Filme, Bilder gäbe, um die Nachfrage des Publikums zu befriedigen. Eher das Gegenteil ist der Fall“ (Debray 1981, 134).

An vielen zur Befriedigung des täglichen Bedarfs produzierten Waren nimmt der Anteil der „ästhetischen Ökonomie“ (Böhme 2004) zu und der Aufwand jener auf sie verausgabten Fähigkeiten, Kompetenzen, Techniken und Ressourcen, die es vermögen, Atmosphären zu erzeugen. Ullrich zeigt am Beispiel des Duschgels, welcher Aufwand dafür getrieben wird, dass es nicht nur reinigen und gut riechen, sondern „Fiktionsräume“ eröffnen soll (Ullrich 2009, 16). Nicht nur Musik, Lektüre oder TV-Angebote werden je nach den gewünschten und assoziierten Atmosphären und Tagträumen ausgewählt. Auch Duschgels heißen nicht nur „Beruhigender Abend“ oder „Sport Massage“. Bei Verpackung und Gestaltung des Produkts verwenden die Hersteller einige Mühe darauf, dass das entsprechende Gel das annoncierte Empfinden verstärkt. Die Körperpflege steht nicht im Vordergrund. Ziel ist es, dem Verbraucher „ein ihm sympathisches Rollenangebot zu machen oder ihn zumindest ein wenig aus seinem Alltagserleben herauszuholen“ (Ebd.). Schon die blaue Farbe des Duschgels ‚Beruhigender Abend’ ist wohlbedacht gewählt. Mit keiner anderen Farbe werde so stark Entspannung, Erholung und Vertrauen assoziiert. Schlaf- und Beruhigungsmittel weisen oft eine blaue Verpackung auf. Auch den Produktkörper haben die Hersteller daraufhin geformt, dass er „das Empfinden von Beruhigung und Einkehr“ zusätzlich verstärkt. „Seine Symmetrie, keineswegs selbstverständlich bei Duschgels, wirkt stabil und harmonisch, die Wölbung der eher flachen Flasche macht einen geschmeidigen Eindruck“ (Ebd.). Wer am Duschgel zunächst riechen möchte, um vor der Kaufentscheidung den Duft zu erfahren, dem wird per „Sound-Design“ ein zusätzlicher Reiz zuteil. Das Behältnis des Duschgels weist eine Verschlusskappe auf und deren Öffnen ist mit einem Ton verbunden, der ein „erleichtertes Seufzen“ assoziieren lässt (Ebd., 17). Auch der Geruch von ‚Beruhigender Abend’ ist auf diese Atmosphäre hin wohl komponiert. Der dezente und nicht stark parfürmierte Duft – auf der Packung steht „Sandelholzduft“ – verheißt ein „Flair von Wärme“ (Ebd.). Auch bei der Konsistenz des Gels haben die Hersteller Aufwand getrieben: „Es fließt milchig weiß und cremig wie Sahne aus der Flasche. Das wird als Verwöhnung empfunden“ (Ebd.). So tut das Gel „Beruhigender Abend“ das Seine dafür, dass – wie auf der Packung aufgedruckt – „Stress und die Belastungen des Tages“ vom Benutzer abfallen und Entspannung sich einstellt. Im Rahmen seiner Möglichkeiten leistet das Duschgel ‚Beruhigender Abend’ durch seine wohlkomponierte und abgestimmte Mischung von Sinnesreizen ein Angebot, sich einen beruhigenden Abend vorzustellen und sich in ihn hineinzuträumen. Für den, der so etwas mag, und für den, der gerade jetzt diese Stimmung mag. Andere greifen eher prinzipiell oder je nach Tagesform und Stimmung zum Gel ‚Sport Massage’ von ‚Adidas’. Das grelle Rot des nach oben gerichteten Produktnamens auf der Packung soll Sport-Kompetenz verheißen. „Das Rot taucht in Form von Körnchen im Gel selbst wieder auf, das durch die durchsichtige Flasche hindurch grün schimmert (was zum versprochenen Menthol und Arnika passt). Soll das Granulat die Massageleistung vollbringen, so wird dieser Effekt noch überzeugender mit haptischen Reizen in Szene gesetzt. Wer nach der Flasche greift, um sie genauer zu prüfen, wird auf der Handinnenfläche nämlich von Noppen gekitzelt, die an den Seiten des Duschgels aufgebracht sind. … Wer es festhält, fühlt sich zudem an einen angespannten Muskel erinnert, bekommt also ein Gefühl von Vitalität und Leistungsstärke vermittelt“ (Ebd.). Auch hier ein zugehöriges „Sound-Design“. Zu ‚Sport Massage’ passt, dass sich die Verschlusskappe nicht anders als mit einem lauten und energischen Klacken öffnen lässt. Wohl ausgetüftelt auch die Ähnlichkeit der Duschgelflasche zu einer Flasche mit Motoröl. Das Produkt erweckt die Vorstellung, man werde „mit Energie aufgetankt und sportlich trainiert, um maximal fit zu sein. Die Entwickler so sorgfältig konzipierter Produktdesigns zielen auf einen Effekt, den Neurobiologen als ‚multisensory enhancement’ bezeichnen. Darin drückt sich die Erkenntnis aus, dass Reize durch Impulse verstärkt werden, die an andere Sinne adressiert sind. So gewinnt ein einzelnes Produkt enorm an Präsenz, wenn visuelle, akustische, haptische und olfaktorische Reize aufeinander abgestimmt werden. Als historisches Vorbild lässt sich auch an die katholische Kirche denken, die vom Glockengeläut über den Weihrauch bis hin zu den Farben der Messgewänder alle Sinne anzusprechen und einheitlich zu stimulieren gelernt hat (vgl. a. Lindstrom 2007)“ (Ebd., 17f.).

Die Produktion i.w.S. ist in modernen kapitalistischen Gesellschaften nicht „Mittel für eine stets sich erweiternde Gestaltung des Lebensprozesses“ (MEW 25, 260). Daraus resultiert die Existenz des Individuums als „ungegenständliches Wesen“ (MEW Erg.bd.1, 579) und eine „objektlose Subjektivität“ oder „bloß subjektive Existenz“ (Marx 1974, 367). Es entstehen verselbständigte Sinne und Fähigkeiten (vgl. Creydt 2000, 328-67). Ein großer Teil des Warenangebots liefert Gebrauchswerte, an denen sich solche Sinne und Fähigkeiten entfalten können. Dies ist die siebte Formbestimmung des Konsums und der Gegenstandswelt.

Ein für die moderne Welt so zentrales Objekt wie das Auto ermöglicht den Genuss an der Geschwindigkeit, das Erproben und Bewältigen von Fahrtechnik, das mit dem Fahren verbundene praktische Umgangsknowhow usw. Diese Sinne, Fähigkeiten und Leidenschaften übersteigen die unmittelbare Nützlichkeit des Autos als Fortbewegungsmittel und betreffen seine Attraktivität als Objekt, an dem sich Sinne und Fähigkeiten entfalten lassen. Beim Auto geht es u. a. um die Freude am kraftvollen Motorengeräusch und um den Genuss am Gleiten. „Die Art, wie man die amerikanischen Schlitten anspringen lässt, wie sie dank Automatik und vorgeschriebener Richtung sanft abheben, sich ohne Anstrengung losmachen, den Raum geräuschlos verschlingen, ohne Erschütterung dahingleiten …, stotternd, doch weich bremsen, wie auf einem Luftkissen vorwärtsgleiten … . Die Intelligenz der amerikanischen Gesellschaft beruht gänzlich auf einer Anthropologie der Automobilgewohnheiten – die viel aufschlussreicher als politische Ideen sind“ (Baudrillard 1987, 79). Das „Gleiten als Bewegung“ wird durch „das Kontinuierliche, Mühelose“ attraktiv. „Das Gleiten gibt uns Weite. Darum sind gleitende Bewegungen meist erfreulich. Sie steigern das Erlebnis des Könnens, geben ein Bewusstsein der vitalen Freiheit. Aber das Gleiten verlangt als kontinuierliche Bewegung eine Fortdauer, eine Bestätigung gleichsam des früheren Momentes durch den späteren. Das Gleiten kennt keinen Halt und keine Ruhe. Dieses Ohne-Halt-Sein des Gleitens ist das Beglückende und das Bedrohliche am Gleiten und an der Glätte, die wir im Empfinden noch nicht voneinander trennen können“ (Straus 1956, 386). Im Auto ist das Empfinden der Oberflächenbeschaffenheit gemindert. „Konstante Temperatur, Radio oder Unterhaltung entrücken aus der Umgebung. … Häufig kommt einem auf der Autobahn … das Gefühl des Treibens oder Schwebens an“ (Appleyard 1969, 177 zit. n. Schönhammer 1991, 4).

Manche Autokritiker setzen hoffnungsfroh darauf, der Stau entziehe der Freude am Autofahren die Grundlage. Über die Hälfte der Autofahrten sind allerdings freizeit- und urlaubsbezogen. Durch größere zeitliche Flexibilität lassen sich Staus hier anders vermeiden als im Berufsverkehr. Und auch schon die Berufspendlerfahrt weist Befriedigungen auf, die über die bloß funktionale Beförderungsfahrt hinausgehen.

Auch durch Walkman und iPod entstehen ebenso künstliche wie „autistische“ Sinne. Diese Geräte verdrängen die Alltagsgeräusche und den Krach der Umwelt aus der Aufmerksamkeit. „Es gibt keine lokalisierbaren Schallquellen, keine großen Lautsprecher, niemand, der mit Instrumenten Musik macht. … Der Kontakt zur Umwelt wird nun vermehrt über das Auge hergestellt. Die Bedeutung des Sehens nimmt für den Walkman-Hörer subjektiv zu. … Das Leben wird für den Walkman-Hörer zu einem Kinoerlebnis: Der Realitätsbezug nimmt ab, er kommt sich vor wie der Zuschauer eines Films. … Und gerade dies ist es, was den Walkman so attraktiv macht, die rauschhafte Verfremdung des Alltags. Die Musik wird bewusstseinserfüllend wahrgenommen, der kognitive Anteil am Erleben, das bewusste Denken tritt in den Hintergrund. … Der Walkman erlaubt es seinem Benutzer, im Alltag Stimmung zu schaffen, sich selbst zu inszenieren“ (Möbius, Annen-Michel 1991, 35).

Die Qualität solcher Sinne ist vom Mangel an menschlichem Bezug auf andere Menschen, vom Mangel an Gestaltung einer gemeinsamen Welt und durch die Vorherrschaft selbstbezogener Empfindungen gekennzeichnet. Die Sinne und Fähigkeiten verlieren sich an technische Feindifferenzierungen und Details, an die Klangqualität der Stereoanlage, an die neuesten Finessen des Computers. Allesamt geraten diese Sinne aus dem Zentrum menschlich-sozialer Vergegenständlichung heraus und in Anziehungskräfte peripherer Kennerschaften und Fertigkeiten.

Eine achte gesellschaftliche Formbestimmung der konsumtiven Gegenstandswelt betrifft die Spaltung zwischen der ungeliebten Masse und den exklusiven Liebhaberstücken. Die Dürftigkeit, Schäbigkeit und Lieblosigkeit vieler Bereiche der Gegenstandswelt verleitet die Individuen zu einer komplementären Gegenbewegung. Im Preziositäten-Tick wächst manchen Gegenständen eine Aufmerksamkeit und Bedeutung zu, die sie nicht haben. „Richtig bereitet und getragen, klingen und klirren, funkeln und flimmern diese Dinge, als wollten sie ihr Erscheinen selbst ankündigen. Die Tassen und Untertassen, die Silberlöffel und die Zuckerschale, das dampfende heiße Wasser und das Milchkännchen, die Teekanne und der Teller mit köstlich belegten Schnittchen – alle scheinen wie aus einem Munde zu sagen: ‚Schiebt eure Sorgen nun zur Seite, die Welt ist wieder im Lot!’ Alles andere wird nebensächlich, wenn der Tee eingeschenkt wird und die köstlichen Gurken- und Kresseschnittchen verzehrt werden, ganz zu schweigen von der Verheißung von Gebäck und der anschließenden Überraschung aus Erdbeeren mit Sahne: Vergangenes ist dann vergessen, die Zukunft existiert nicht mehr, und es herrscht nur noch Frieden“ (Horwood 2001, 21).

Ob Geschirr, ob Weine, ob Möbel oder Autos – mehr oder weniger erlesene Objekte werden zu Sammelobjekten und Fetischen. Die liebhaberische Fixierung hat drei Kontexte. Mit dem Konsum teilt sie die Kritik an der Einschränkung der Sinne und Fähigkeiten in ihrer Unterordnung unter die Produktions- und Zirkulationsnotwendigkeiten des abstrakten Reichtums. Mit dem abstrakten Reichtum teilt sie die Abstraktion von der menschlich-sozialen Vergegenwärtigung des Stellenwerts des jeweiligen Objekts. Am Konsum bemängelt sie die Zersplitterung und Beliebigkeit. Die liebhaberische Konzentration auf bestimmte Objekte bildet eine negativ vermittelte und dieser Vermittlung nicht selbst gewisse Gegenwart. Zugespitzt formuliert: „Weinkenner sind Abstinenzler, die sich an Flaschenetiketten berauschen“ (Erckenbrecht).

Die Plebejer proben den Aufwand. Im Unterschied zur Fiktion des homo oeconomicus kommt es zu einer Sakralisierung von Dingen. Darunter verstehen Belk u. a. (1990) einen Umgang mit Dingen, der sich der ökonomischen Rationalität entzieht, vielmehr einen rituell-zeremoniellen Umgang pflegt, die Dinge in Erzählungen einspinnt, die ihnen außergewöhnliche Attribute zuschreiben oder sie anders von profanen Sachen abgrenzen. Dinge sollen nun im zersplitterten und diskontinuierlichen Leben der Individuen Kontinuität sichern, Zugehörigkeit und Einzigartigkeit symbolisieren und psychische Kohärenz vermitteln (Haubl 2000).

Meine Skizze erhebt keinen Vollständigkeitsanspruch. Es fehlt u. a. das selbstkonzeptstützende oder überhaupt erst bestimmte bevorzugte Selbstzustände ermöglichende oder herstellende Arrangement zwischen Individuen und Dingen. Ebenso spare ich die Not des vereinzelten Einzelnen aus, sich im postmodernen Orientierungswirrwarr zurechtzufinden. Marken bilden hier Orientierungskerne und Kristallisationszentren von Szenen und bieten auch Angebote zur Selbstcharakterisierung.

Eine neunte und letzte gesellschaftliche Formbestimmung der Gegenstandswelt und des Konsums betrifft ihren reflexiven Charakter. Die Unempfindlichkeit für die ‚Schönheit’ der Gegenstandswelt konstituiert sich aus deren Abstraktion von den Gesichtspunkten, die für eine gedeihliche Entfaltung menschlicher Sinne und Fähigkeiten entscheidend sind. Die vorfindliche ästhetische Unempfindlichkeit und Schmerzlosigkeit sowie die Aussage, die Gestaltung des Äußeren sei nicht so wichtig, beinhalten ein „Bekenntnis zu einer inneren Distanz, die weniger einer Unempfindlichkeit für das Schöne als dem Verlangen geschuldet ist, sich gegen jene Traurigkeit zu wappnen, die uns überkäme, wenn wir ständig und überall spürten, wie sehr es am Schönen mangelt“ (Botton 2008, 15).

Architektur ist eine zentrale Teilmenge jener Fähigkeiten, Kompetenzen, Techniken und Ressourcen, die es vermögen, Atmosphären zu erzeugen (Böhme 2004), welche die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Handelns und einer jeweils positiv bewerteten Haltung zur Welt vergrößern. Bei sakraler Architektur ist dies evident. Wem es um die Dechiffrierung des ästhetischen Scheins geht, der tut gut daran, die Aufmerksamkeit zu verlagern – „vom ausschließlich Visuellen zu jenen Wertvorstellungen, die sich in Gebäuden verkörpern“ (Botton 2008, 73). Diese Verlagerung ermöglicht, „dass wir Gespräche über das Äußere architektonischer Werke wie Debatten über Menschen, Ideen und politische Programme führen können“ (Ebd.). Worringer hat 1907 die Vorliebe für bestimmte ästhetische Gestaltungen aus dem erklärt, wovon die ästhetisch Empfindenden implizit annehmen, es fehle ihnen, und aus dem, wovon sie ebenso implizit annehmen, es bringe sie ihren Tugenden näher. Aufgabe der Architektur ist es dann, wie indirekt auch immer, „uns vor Augen zu halten, wer wir im Idealfall wären“ (Botton 2008, 12f.).

Für eine nachkapitalistische Gesellschaft stellt sich die Frage, welche Mängel sie überwindet und welchen Leitbildern sie folgt und wie sich dies in der Gegenstandsgestalt bzw. architektonisch artikuliert. Eine Teilantwort darauf bildet die Vergegenwärtigung der in modernen kapitalistischen Gesellschaften herrschenden Formbestimmungen der Gegenstandswelt und des Konsums. Sowohl das Ausmaß, in dem diese Formbestimmungen das Alltagsleben vorstrukturieren, als auch die Intensität, mit der die Lebensweise und -qualität von ihnen konstituiert wird, gilt es sich zu vergegenwärtigen.7 Nicht nur die kapitalistische Produktionstechnologie (vgl. Creydt 2000, 166-199), auch viele Gegenstände des Konsums sind alles andere als harmlose oder neutrale Gebrauchswerte, sondern verkörpern die moderne kapitalistische Gesellschaft. Das Auto als verallgemeinertes, den Individuen jeweils zum Privatbesitz überantwortetes Verkehrsmittel bildet dafür das Paradebeispiel. Am Auto lässt sich die Konstitution des Gegenstands oder die Verschränkung von mit dem Gegenstand (Auto) verknüpften sozialen Verhältnissen und individuell ermöglichten Sinnen und Ideologien am leichtesten zeigen (vgl. Gorz 1977, Lütkehaus 2002, 71ff.).8

Die meisten Linken konzentrieren sich auf die Unterstützung von Lohn- und Gehaltsforderungen und Abwehrkämpfen gegen die Verschlechterung sozialer Standards. Die Qualität der gesellschaftlich vorfindlichen Gegenstände und des weit verstandenen Konsums gerät auch hier zu einem nachrangigen Thema. Die mit den skizzierten gesellschaftlichen Formen der Gegenstandswelt und des Konsums gesetzten Grenzen fallen nicht mit den Schranken der konsumtiven Nachfrage zusammen. Die Vergegenwärtigung der herrschenden gesellschaftlichen Formen der Gegenstände hilft, die Grenzen der „äußerlichen Nützlichkeitsbeziehung“ (MEW- Erg.bd. 1, 542) zu erfassen. Sie sieht vom gegenständlichen Wesen menschlicher – individueller und gesellschaftlicher – Praxis ab. Nicht anthropologisch, sondern aus der Vergegenwärtigung der Relevanz, die die gesellschaftlichen Formen des Mensch-Gegenstand-Verhältnisses haben, wird deutlich: Es ist „nicht das Setzen Subjekt; es ist die Subjektivität gegenständlicher Wesenkräfte, deren Aktion daher auch eine gegenständliche sein muss. Das gegenständliche Wesen … schafft, setzt nur Gegenstände, weil es durch Gegenstände gesetzt ist“ (MEW-Erg.bd. 1, 577, s. a. 579).9

Gegenstände sind nicht nur bedürfnisbefriedigend, sondern auch sinnes- und damit auch bedürfnisbildend. Den problematischen gesellschaftlichen Formen der Gegenstände und des Konsums lässt sich nur sehr begrenzt individuell durch höheren Geldaufwand entkommen. Vieles lässt sich nicht kaufen. Auch nicht mit viel Geld. 10
 



Den Originalartikel findet Ihr auf meiner Webseite zusammen mit den Erläuterungen der Fußnoten und einer umfangreichen Literaturliste.

An dieser Stelle darf ich noch auf mein Buch „Theorie gesellschaftlicher Müdigkeit“ hinweisen.