Ärzte dürfen Geschenke annehmen
Was sind ethische Grundsätze nach dem BGH-Urteil noch wert?
Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land befinden sich angesichts der laufenden Fußball - EM wieder in einer alkoholgeschwängerten und fähnchenschwenkenden "Wir - sind - Deutschland“ - Euphorie, nachdem "Wir sind Papst" ja schon wieder von Vielen berechtigterweise als Peinlichkeit empfunden wird. Ob es wohl Zufall ist, daß gerade in diesen Wochen wichtige politische und höchstrichterliche Entscheidungen zum Nachteil der Menschen in Deutschland und Europa gefällt werden?
Hat es uns angesichts der bisher positiven Spielbilanz unserer "Volkshelden" schon so arg den Blick vernebelt, daß wir alle (Fehl)Entscheidungen nahezu willen- und kritiklos hinnehmen? Wo bleibt der Protest? Wo der laute Aufschrei? Wo die massiven bundesweiten Gegenaktionen?
Worum es mir heute geht:
Auch wenn Patienten/Innen seit Jahrzehnten längst wußten, daß die meisten Ärzte trotz eigener geradezu lächerlich und grotesk wirkender Dementis von der Pharmaindustrie geschmiert werden, so ist es nun also amtlich: Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 22. Juni 2012 dürfen Ärzte von Pharmaunternehmen für die Verschreibung bestimmter Arzneimittel "Geschenke" annehmen.
Na also! Nun also doch und jetzt mit dem Wohlwollen der (geschmierten?) RichterInnen des BGH.
„Wer seine berufliche Stellung nutzt, um ungeniert persönliche Vorteile zu erzielen, der gilt nach dem gesunden Menschenverstand als korrupt. Schmieren und geschmiert werden ist dabei gleichermaßen verwerflich. Doch neben den gesunden Menschenverstand haben die Parlamentarier das Gesetz gestellt.
So kommt es, dass niedergelassene Ärzte überhaupt nicht korrupt sein können. Das haben sie jetzt auch schriftlich von einem der obersten deutschen Gerichte, dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Es ist egal, wie viel ein Pharmaunternehmen dem Arzt bezahlt, damit er ein bestimmtes Medikament verschreibt. Es ist egal, wie viel der Arzt von der Firma entgegennimmt. Das eine ist keine Bestechung, das andere keine Korruption im strafrechtlichen Sinne“ – so formuliert es die Frankfurter Rundschau in ihrer heutigen Online-Ausgabe. Und weiter:
„Der Große Strafsenat des BGH urteilte im Fall einer Pharmareferentin, die Ärzten Schecks in Höhe von insgesamt 18.000 Euro übergeben hatte. Für jedes verordnete Medikament des Arzneimittelherstellers erhielten die Ärzte fünf Prozent des Herstellerpreises. Intern wurde das 1997 installierte System der Schmiergeldzahlungen „Verordnungsmanagement“ genannt“.
Nach Ansicht der BGH-Richter seien „[…]niedergelassene Ärzte weder Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen, noch würden sie Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen. Nur bei Amtsträgern und Beauftragten der Kassen aber sei Bestechung und Bestechlichkeit strafbar. Es sei Sache des Gesetzgebers, befanden die Richter, darüber zu entscheiden, ob er Korruption im Gesundheitswesen für strafwürdig hält und deshalb neue Straftatbestände schaffen will[…]“ (Quelle FR - hier bitte weiterlesen [4])
Wie heißt es so schön: „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“. So lange sich eine nicht unerhebliche Anzahl Ärztinnen und Ärzte zu Schergen der Pharmaindustrie prostituieren lassen und für ihre Dienste am Menschen auch noch „beschenkt“ werden, unterlaufen sie m.M.n. die ärztliche Ethik. Der Eid des Hippokrates wird in seiner klassischen Form von Ärzten heutzutage nicht mehr geleistet und hat somit auch keine Rechtswirkung. Auch das Genfer Gelöbnis nach der Approbation wird in Deutschland nicht verpflichtend abgeleistet, obwohl beides (Eid + Gelöbnis) als ethische Richtlinien beziehungsweise Ehrenkodex insbesondere in medizinethischen Diskussionen argumentativ angeführt werden.
Doch wie ist der Begriff der „medizinischen Ethik“ nach diesem Urteil noch zu bewerten, angesichts der voraussichtlich immer weiter steigenden Zahl von Ärzten, die ihren Patienten bestimmte von der Pharmalobby explizit ausgewählten und strategisch beworbenen Medikamente aus purer Geldgier verschreiben können und „Geschenke und Reisen“ dieses auch noch versüßt? Welcher Weisskittel mit umgehängtem Stethoskop kann und wird da noch ernsthaft widerstehen können und wollen?
Natürlich möchte ich nicht jede Ärztin oder jeden Arzt in Sippenhaftung nehmen, aber es fällt mir immer schwerer, überhaupt noch Sympathien für diesen Berufsstand zu entwickeln. Vielleicht sollte man als Patient mal über folgende Alternative nachdenken:
„Zu den riesigen Nebenwirkungen fressen sie die Packungsbeilage und erschlagen Sie den Irrenarzt ihres Apothekers“
Hier die Mitteilung der Pressestelle des Bundesgerichtshofes Nr. 97/2012:
Keine Strafbarkeit von Kassenärzten
wegen Bestechlichkeit
Kassenärzte, die von einem Pharma-Unternehmen Vorteile als Gegenleistung für die Verordnung von Arzneimitteln dieses Unternehmens entgegennehmen, machen sich nicht wegen Bestechlichkeit nach § 332 StGB strafbar. Auch eine Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nach § 299 Abs. 1 StGB scheidet aus. Entsprechend sind auch Mitarbeiter von Pharmaunternehmen, die Ärzten solche Vorteile zuwenden, nicht wegen Bestechung (§ 334 StGB) oder Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 2 StGB) strafbar. Der niedergelassene, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassene Arzt handelt nämlich bei der Wahrnehmung der ihm gemäß § 73 Abs. 2 SGB V übertragenen Aufgaben, insbesondere bei der Verordnung von Arzneimitteln, weder als Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB noch als Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen im Sinne des § 299 StGB.
Das hat der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs entschieden. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Ausgangsverfahren war eine Pharmareferentin, die Kassenärzten Schecks über einen Gesamtbetrag von etwa 18.000 € übergeben hatte, wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Der Übergabe des Schecks hatte ein als "Verordnungsmanagement" bezeichnetes Prämiensystem des Pharmaunternehmens zugrunde gelegen. Dieses sah vor, dass Ärzte als Prämie für die Verordnung von Arzneimitteln des betreffenden Unternehmens 5 % des Herstellerabgabepreises erhalten sollten.
Die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen beruht im Wesentlichen auf folgenden Erwägungen:
Die gesetzlichen Krankenkassen sind zwar Stellen öffentlicher Verwaltung im Sinne der Amtsträgerdefinition in § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB. Auch erfüllt das System der gesetzlichen Krankenversicherung als Ganzes eine aus dem Sozialstaatsgrundsatz folgende, in hohem Maße der Allgemeinheit dienende Aufgabe. Die Kassenärzte sind aber nicht dazu bestellt, Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. Der freiberuflich tätige Kassenarzt ist weder Angestellter noch Funktionsträger einer öffentlichen Behörde. Er wird auf Grund der individuellen, freien Auswahl des gesetzlich Versicherten tätig. Sein Verhältnis zu dem Versicherten, der ihn regelmäßig individuell auswählt, wird – ungeachtet der mit der Zulassung verbundenen Verpflichtung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung – wesentlich von persönlichem Vertrauen und einer Gestaltungsfreiheit gekennzeichnet, die der Bestimmung durch die gesetzlichen Krankenkassen weitgehend entzogen ist. Innerhalb des Behandlungsverhältnisses konkretisiert die Verordnung eines Arzneimittels zwar den gesetzlichen Leistungsanspruch des Versicherten auf Sachleistungen; sie ist aber untrennbarer Bestandteil der ärztlichen Behandlung und vollzieht sich innerhalb des personal geprägten Vertrauensverhältnisses zwischen dem Versicherten und seinem Arzt, der die Verordnung nach seiner aus § 1 BÄO folgenden Verpflichtung auszurichten hat. Die Einbindung des Vertragsarztes in das System öffentlich gelenkter Daseinsfürsorge verleiht der vertragsärztlichen Tätigkeit danach nicht den Charakter hoheitlich gesteuerter Verwaltungsausübung. Dies entspricht auch der zivilrechtlichen Betrachtungsweise.
Dem Kassenarzt fehlt es bei der Verordnung eines Arzneimittels auch an der Beauftragteneigenschaft im Sinne von § 299 Abs. 1 StGB. Gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB V wirken die Leistungserbringer, also auch die Kassenärzte, mit den gesetzlichen Krankenkassen zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung zusammen, begegnen sich nach der darin zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertung also auf einer Ebene der Gleichordnung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen den Kassenärzten und den Krankenkassen gesetzlich ausgeschlossen. Dem Begriff des Beauftragten ist aber schon vom Wortsinn her die Übernahme einer Aufgabe im Interesse des Auftraggebers immanent, der sich den Beauftragten frei auswählt und ihn bei der Ausübung seiner Tätigkeit anleitet. Es kommt hinzu, dass die Krankenkasse den vom Versicherten frei gewählten Arzt akzeptieren muss. Dieser wird vom Versicherten als "sein" Arzt wahrgenommen, den er beauftragt hat und dem er sein Vertrauen schenkt. Eine sachgerechte Bewertung der ärztlichen Verordnung vor dem Hintergrund des sozialrechtlichen Regelungsgefüges führt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Kassenarzt kein Beauftragter der Krankenkassen ist. Dass die Verordnung von Medikamenten (und Hilfsmitteln) dabei auch Relevanz für die Krankenkasse hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Der Große Senat für Strafsachen hatte nur zu entscheiden, ob korruptives Verhalten von Kassenärzten und Mitarbeitern von Pharmaunternehmen nach dem geltenden Strafrecht strafbar ist. Das war zu verneinen. Darüber zu befinden, ob die Korruption im Gesundheitswesen strafwürdig ist und durch Schaffung entsprechender Straftatbestände eine effektive strafrechtliche Ahndung ermöglicht werden soll, ist Aufgabe des Gesetzgebers.
Beschluss vom 29. März 2012 – GSSt 2/11
5 StR 115/11 – Beschluss vom 20. Juli 2011
Karlsruhe, den 22. Juni 2012
§ 11 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB lautet:
(1) Im Sinne des Gesetzes ist
1. …
2. Amtsträger:
wer nach deutschem Recht
– b) …
c) sonst dazu bestellt ist, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform wahrzunehmen,
§ 299 Abs. 1 StGB lautet:
(1) Wer als Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes im geschäftlichen Verkehr einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, dass er einen anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501
Hier die Originalmeldung: - klick [5]
Hier noch ein paar Pressestimmen zum Thema:
Süddeutsche.de - hier bitte weiterlesen [6]
taz.de – hier bitte weiterlesen [7]
Helmut Schnug