Angela Merkel zieht blank
Der deutsche Protest gegen Spionage
Die Kanzlerin war echt empört wegen ihres Handy-Handicaps. Sie ließ umgehend Ronald Pofalla, ihren Kanzleramtschef und Geheimdienstkoordinator vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium verkünden, dass Geheimdienst-Operationen künftig auf "eine neue Basis" zu stellen seien. So im luftleeren Raum ginge das ja nicht weiter. Es wurden hochkarätige Abgesandte der deutschen "Dienste" nach Übersee geschickt, die ein Abkommen erwirken sollen, damit wenigstens klar sei, wer oder was in welchem Maße, mit welchen Methoden und unter welchen Umständen ausgeforscht werden dürfe, ohne davon in Kenntnis gesetzt werden zu müssen. Anders wär's ja wenig ergiebig, wenn am Morgen ein FAX eintrudelte, dass am Abend die Daten abgegriffen würden. Wenigstens Industriespionage sollte gar nicht mehr gehen.
Zu allen anderen Bereichen (Kanzler-Handy) wollten sich die Verhandlungspartner noch nicht wirklich festlegen. Verständige Freunde würden das doch sicher verstehen. "Die Beziehungen zwischen unseren Ländern sind stark, und sie werden auch in Zukunft stark bleiben", ließ sich John Kerry vernehmen. Fast wie ein Ritterschlag! Soll die Welt doch erzittern vor dieser starken Beziehung!
Berlin ist die Welthauptstadt der Geheimdienstler. Kaum irgendwoanders tummeln sich mehr finstere Gestalten als in Mitte. Sie treten einander geradezu auf die Füße, Hutkrempe an Hutkrempe. Manche laufen auch mit Wollmütze herum oder mit Bärenfellkappe. Wer jeweils den Hut aufhat, wird nach dem letzten aufgedeckten Nachrichtenstand ausgekartelt. Wenngleich die U-Bahnen an der Spree nur wenige Meter unter dem Straßenniveau verlaufen, ist dennoch der Untergrund komplett kontaminiert. Historisch wie auch aktuell politisch.
Ob "Führerbunker" oder "Fahrerbunker" ist fast schon egal, Hauptsache gruselig. Da wird gemunkelt und geraunt, geflüstert und getratscht, getarnt und gelauscht, verkabelt und gefunkt, was die Geräte hergeben, ganz wie es einer Metropole angemessen ist, die vormals als Hot Spot am frostigen Schnittpunkt zweier Welten fungierte. Wenn das mit der Welthauptstadt "Germania" schon nicht geklappt hat, mit der Kapitale "Klandestina" läuft es nun reibungsvoll. "Arm, aber sexy" war gestern. "Klamm, aber heimlich" passte besser. Das ganze innere Berlin strotzt vor Antennen- und Kabelverhau.
Nun hat der bundeseigene Schlapphut-Verband da gewiss auch einige Agenten laufen, die sich ernsthafte Sorgen um ihre Existenzberechtigung machen. Vielleicht streben sie da in ihrer Hauptstadt sogar nach einer gewissen Vormachtstellung. Sie sind ja ihren fremd-, freund- und feindstaatlichen Kollegen gegenüber im straflosen Vorteil: Sie dürften ja. Können aber nicht. Neulich haben sie bei der US-amerikanischen Botschaft ganz artig angefragt, ob sie mal die Räume inspizieren dürften. Kein schallendes Gelächter, nur eine kurze Antwort statt auf dem Dienstweg in aller Öffentlichkeit, vor Journalisten: "Nein". Der knappest mögliche Bescheid auf ein denkbar ungehöriges Ansinnen. Deutsche haben in der US-Spionagezentrale nichts zu suchen, auf exterritorialem Gebiet. Kein Job für den Verfassungsschutz: "Wir müssen leider draußen bleiben", wie Hunde vor der Metzgerei.
Blieben mehrere Möglichkeiten, dennoch etwas auszurichten gegen den permanenten Lauschangriff, der zweifellos von dort ausgeht. Beispielsweise das Botschaftspersonal infiltrieren. Aber da ist Innenminister Hans-Peter Friedrich zuvor: "Wir spähen keine Freunde aus. Dieser Satz gilt". Oder vielleicht einen "antiintelligenzialistischen Schutzwall" rund um die britische und US-amerikanische Horchzentrale legen: Gezielter Störfunk, der vor lauter tieffrequentem Brummen und Wummern gemischt mit hochfrequentem Gejaule und Gepfietsche den Horchheinis die Stöpsel durch Rückkopplung ihrer eigenen Atemgeräusche aus den Ohren ploppen ließe. Bis die doppelverglasten Fensterscheiben rausspringen. Auch das haben sie beim BND nicht im Programm. Im Gegenteil, sie liefern brav ihre selbst gezapften Daten bei den "Freunden" ab, um auch von denen ein Häppchen abzubekommen. Vielleicht wollen sie so erfahren, wie lange ihr überflüssiger Dienst noch existiert.
Der BND schützt weder die Bundesrepublik noch der Verfassungsschutz das Grundgesetz. Eher tun sie alles, was ihrem offiziell vorgegebenen Auftrag widerspricht. Sie sind wie ein Feindstaat im Staate, aus der Sicht der Otto-Normal-Mailer ein Staat im Feindstaat. Denn Deutschland ist ja im Geheimdiensteln nicht unschuldig, sondern datengieriger Mittäter gegen die eigene Bevölkerung. Das gerät angesichts des lecken Kanzlerinnen-Handys zusehends außer Beachtung. Die Verhandlungen über Einschränkungen zumindest der Wirtschaftsspionage sprechen Bände darüber, worum es geht. Um Bürgerrechte nicht.
Die Beobachtung hat längst Dimensionen angenommen, nach denen sich frühere Geheimdienste die Finger geleckt hätten. Wie der US-Außenminister entschuldigend erklärt, geht das fast automatisch: "Der Präsident und ich haben von einigen Dingen erfahren, die in vielerlei Hinsicht per Autopilot geschehen sind, weil die Technologie und Fähigkeiten dazu da sind". Oh, sorry, das ging ganz von alleine los, würde der vielleicht nach einem versehentlichen Atom-Erstschlag beschwichtigen, unsere Freund-Feind-Erkennung hat sich da wohl vertan. Algorithmen, die immer den Worst Case zugrunde legen, könnten ihn auch erst herbeiführen. Immerhin wissen wir nun um den Daten-GAU und können unsere Aktenmappen über dem Kopf halten.
Bei wichtigen Nachrichten sollte man lieber Brieftauben einsetzen oder verlässliche menschliche Überbringer. Weithin erkennbar am roten Schal, machte Hans-Christian Ströbele den Postillon für Edward Snowden aus dem russischen Exil. Um sicher zu gehen, dass ihm der Inhalt der Botschaft nicht unter der Hand wegspioniert würde, hielt er den Brief offen in die Kameras der Pressemeute und las ihn sogar in die Mikrophone. Offene Geheimnisse sind bester Schutz gegen Spionage.
Achten Sie also künftig auf Menschen mit roten Schals wie Ströbele, Gysi oder Wowereit. Sie könnten im Transparenz-Botendienst wichtige Briefe austragen, welche die Weltläufe nachhaltig beeinflussen. Beobachten Sie genau das Umfeld! Sollten trübe Gestalten folgen mit diversen Kopfbedeckungen, Gummi-, Loden- oder Ledermänteln, Trenchcoats oder ganz unauffällig im Parka, sind Sie entweder in ein Filmset geraten (dann bitte lächeln ohne in die Kamera zu winken!) oder in den Berliner Geheimdienstsumpf (dann besser vorsichtig um die nächste Ecke entwischen!). Zum Glück bietet das Berliner U-Bahn-Netz neben vielen toten Stollen zahlreiche Umsteige-Möglichkeiten. Vergessen Sie aber nicht ihren Fahrausweis zu entwerten, denn auch die BVG-Kontrolleure kommen inzwischen in hinreichend tarnendem Räuberzivil daher.
Der Bundesregierung geht die "Freundschaft" zum Großen Bruder über alles, da soll es keine unfreundlichen Verstimmungen geben. "Freundschaft" ist vielleicht auch ein Lockruf in Richtung Sozialdemokratie, denn die kennt das Wort als Grußformel sozialistischer Jugendorganisationen. Mehr als ein Offenbarungseid ist es nicht. Die Kanzlerin steht ohne Kleider da. Sie hat nichts in der Hand. Merkel ist blank. Und die SPD will immer noch mit ihr koalieren. Pfui Schande!
Wolfgang Blaschka, München
► Bildquellen:
1. Finstere Gestalt mit Schlapphut. Foto: Henrik G. Vogel. Quelle: Pixelio.de [4]. >> Foto [5]. Verwendung: Redaktionelle Nutzung. Bildbearbeitung (Bildausschnitt geändert, den Schal eingefärbt.): Wilfried Kahrs (WiKa).
2. Brieftauben, Originalfoto: Thomas Max Müller. Quelle: Pixelio.de [4]