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7. Januar 2014 - 17:18
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WiKa
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Verbunden: 16.10.2010 - 23:42
Bolivien: Evo Morales als Vorreiter für Kinderarbeit

Evo Morales als Vorreiter für Kinderarbeit


Heiße Eisen: Wie jetzt? Sie finden Kinderarbeit nicht gut? Selbstverständlich folgt jetzt reflexartig und wohlstandsbedingt die Reaktion: „das geht doch gar nicht“! Nur auf die Resultate der vielfältigen Kinderarbeit aus aller Herren Länder möchten wir natürlich alle nicht verzichten.

Ob es die billigen Jeans sind, die netten kleinen Spielzeuge für unsere eigene Brut oder der tausendfache andere Nippes den wir aus Asien, Afrika und Südamerika unentwegt importieren. Selbstverständlich schützen wir unsere Kinder vor derlei Erscheinungen und feiern es als Modernisierung unserer doch so "zivilisierten" Gesellschaft. Das war es dann auch schon. Danach kommt wieder die Doppelmoral.

Jetzt macht der bolivianische Staatschef Evo Morales [4] von sich reden, indem er gegen ein generelles Verbot von Kinderarbeit [5] votiert und diese auch nicht grundsätzlich für verwerflich hält. Wie zu erwarten, ist derzeit das weltweite Protestgeschrei groß. Zu seiner eigenen Entwicklungsgeschichte muss man anfügen, dass er selbst einst als Kinderarbeiter tätig war (oder sein musste). Er weiß also durchaus wovon er redet. Viel interessanter für diese Debatte sind die sozialen Aspekte, die sich ergeben, wenn man versucht, ein wenig tiefer in seine Argumentationsgründe einzusteigen. Gleiches gilt für die in Südamerika diskutierte Altersgrenze für die Kinderarbeit von 14 Jahren, die er ebenso infrage stellt. Und gleich vorweg setzt er die Prioritäten an einer anderen Stelle, indem er sagt, dass die arbeitenden Kinder angemessen zu behandeln sind. Was immer wir uns jetzt darunter vorstellen mögen. Er verbindet es mit dem Gedanken, dass Kinder grundsätzlich „nicht ausgenutzt“ werden sollen.

Weiter betont er in der Debatte, dass der Staat die angemessene Behandlung und den Schutz der Kinder sicherzustellen habe. Dies impliziert auch Regelungen für Not leidende Familien, die gezwungen sind, ihre Kinder zur Arbeit zu schicken, weil alles weitere mit Blick auf eine soziale Sicherung der Familien dort nicht gegeben ist. Bolivien [6] zählt übrigens zu den ärmsten Ländern Südamerikas, dessen erster indigene Präsident Evo Morales ist. Spätestens an dieser Stelle dürfte dem Leser klar werden, dass in solchen Ländern die Uhr generell anders tickt, als hier bei uns im wohlhabenden Europa. Wir müssen daher unseren Blick dementsprechend den dortigen Realitäten anpassen.

In Bolivien ist derzeit das Parlament mit einer Neuregelung der entsprechenden Gesetze befasst, um diese mit den Bestimmungen der ILO … [Internationale Arbeitsorganisation] [7] in Einklang zu bringen. Auch diese Organisationen verfolgt nicht das Ziel der generellen Abschaffung von Kinderarbeit, wohl aber eine Altersgrenze von 14 Jahren dafür vorzusehen. In Bolivien sollen nach offiziellen Angaben rund 850.000 Kinder zur Arbeit statt zur Schule gehen. Nach Schätzungen der ILO  geht es 168 Millionen Kindern weltweit ähnlich.

Jetzt hat Präsident Morales die Diskussion um ein weiteres Argument bereichert, indem er sagte, dass frühes Arbeiten das soziale Gewissen fördere. Diese Aussage ist natürlich absoluter Reizstoff für viele „Laissez-faire-Eltern“ hierzulande, die sich jetzt genötigt sehen könnten, für ihre „hart geschonten Kinder“ und zur Rechtfertigung ihrer eigenen Erziehungsmethoden auf die Barrikaden zu klettern.

Die Frage bleibt im Raume stehen, ob wir nicht doch einen völlig falschen oder gar verklärten Blick auf die sozialen Umstände in anderen Ländern haben. Dagegen erscheint Morales mit seinen Vorstellungen geradezu als Realist, mit einem Realismus den man bei vielen unserer Politiker gar nicht erst zu suchen braucht. 

Ein Beispiel: Was passiert mit einem Kind welches elternlos wird, also Vollwaise ist? Hierzulande würde es sorgsam weggefangen und in ein Heim verfrachtet werden, sofern man keine Verwandtschaft ausfindig machen kann. In vielen anderen Ländern müsste es sich schlicht selbst um sein Überleben kümmern, ganz unabhängig vom Alter. Dafür gibt es nur wenig Möglichkeiten. Entweder arbeiten oder stehlen. Was wäre uns „reguliert“ nun lieber, sofern das entsprechende Kind dort nicht schon von Kinderhändlern von der Straße weggefangen wurde?

Aber auch hier könnte der Blick in unsere eigene Vergangenheit zu diesem Thema bedeutend weiterhelfen. Es gibt noch genügend (über)lebende Beispiele, auch hier bei uns in Deutschland, die wissen wie es im Kindesalter auf dem Bauernhof war, wie selbstverständlich, (mit)arbeiten … tagtäglich, ohne Ansehen von Wochenende, Fest- und Feiertagen. Und wieder andere werden sich daran erinnern, als Kind und Jugendliche diverse andere Arbeiten gegen (Taschen)Geld ausgeführt zu haben. Vielleicht müssen wir nur mal die Betroffenen fragen, welchen Schaden sie davongetragen haben. Die Auskünfte werden durchwachsen ausfallen. Dort wo niemand zur Arbeit geprügelt wurde, dürften die Erinnerungen daran häufig positiv ausfallen.

Nicht nur den südamerikanischen Ländern, sondern auch vielen asiatischen oder afrikanischen Ländern, die hart an der Armutsgrenze oder darunter wirtschaften und keine sozialen Sicherungssysteme kennen, werden in einer ähnlichen Weise das Thema Kinderarbeit handhaben müssen. An der Stelle muss man Evo Morales zustimmen, nämlich dass sich der Staat darauf beschränken muss, sicherzustellen, dass Kinder bei der Arbeit angemessen und anständig behandelt werden und eben nicht der Gedanke der Ausbeutung, der Ausnutzung oder gar Gewalt das Geschehen vor Ort diktiert.

Ein weiterer Aspekt der hinzukommt. und der auch uns hier in Europa alsbald wieder einholen dürfte. ist das absehbare Zusammenbrechen der hiesigen sozialen Sicherungssysteme (schon mal nach Griechenland sehen) [8], das anhaltende Lohndumping, bei dem Facharbeiter heute teilweise schon Hartz-IV Zuschüsse beantragen müssen, um die Familie durchzubringen.

Vielleicht sollten wir den Mund nicht ganz so weit aufreißen wenn es um Südamerika oder andere Länder geht, sondern uns vordringlich darum kümmern, dass wir es uns auch weiterhin leisten können, unsere Kinder nicht arbeiten schicken zu müssen. Ginge es nach den Profitinteressen mancher Konzerne, so wäre es ihnen völlig egal ob die ganze Familie fürs Überleben schuften muss oder nur ein Teil von ihnen. Profitabler ist es wenn alle dafür schuften müssen, weil dann die einzelne Arbeitskraft stets billiger zu haben sein wird … auch für Revolutionen bleibt weniger Zeit.

Hoch lebe der Profit!

Wilfried Kahrs


► Quelle:  dieser Beitrag erschien erstmals auf meinem Blog  qpress.de [9] > Artikel [10]

[9]    die 4/2 Wahrheiten

► Bildquellen:

1. Mädchen mit einem Alpaka. Das Alpaka (Vicugna pacos), auch Pako, ist eine aus den südamerikanischen Anden stammende, domestizierte Kamelform [11], die vorwiegend ihrer Wolle wegen gezüchtet wird. Foto: Donkeet. Quelle: Wikipedia Commons [12]. Diese Datei ist unter den Creative Commons [13]-Lizenzen Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert [14], 2.5 generisch [15], 2.0 generisch [16] und 1.0 generisch [17] lizenziert.

2. Juan Evo Morales Ayma ist seit dem 22. Januar 2006 Präsident Boliviens [18]. Er ist Führer der sozialistischen [19] bolivianischen Partei Movimiento al Socialismo [20] (MAS) und der Bewegung für die Rechte der Coca-Bauern [21]. Evo Morales gewann mit 54 Prozent der Stimmen die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 18. Dezember 2005. Er wurde damit als erster Indígena [22] Staatsoberhaupt von Bolivien und errang den deutlichsten Wahlsieg seit Ende der letzten Militärregierung 1982. Bei der Präsidentenwahl vom Dezember 2009 übertraf er mit einer Zustimmung von 64 Prozent der Bürger das Ergebnis von 2005.

Evo Morales verkündete am 14. Januar 2009 den Abbruch der diplomatischen Beziehungen seines Landes zu Israel wegen des israelischen Krieges gegen die Zivilbevölkerung von Gaza [23]. Er sagte, er werde eine Klage gegen Israel vor dem internationalen Strafgerichtshof [24] unterstützen und forderte, dass dem israelischen Präsidenten Shimon Peres [25] der Friedensnobelpreis aberkannt werden solle. Außerdem kritisierte er den „Unsicherheitsrat“ der Vereinten Nationen [26] für seine zurückhaltende Reaktion auf die Krise.

Foto: Marcello Casal Jr./ABr - Quelle: Wikipedia Commons [27]. Diese Datei ist unter der Creative Commons [13]-Lizenz Namensnennung 3.0 Brasilien [28] lizenziert.

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[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Bolivien
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Internationale_Arbeitsorganisation
[8] http://qpress.de/2013/06/13/aufschwung-griechenland-100-000-kinder-haben-arbeit/
[9] http://www.qpress.de
[10] http://qpress.de/2013/12/25/evo-morales-als-vorreiter-fuer-kinderarbeit/
[11] http://de.wikipedia.org/wiki/Kamele
[12] http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gwalpaca.jpg
[13] http://en.wikipedia.org/wiki/de:Creative_Commons
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[15] http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/deed.de
[16] http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.de
[17] http://creativecommons.org/licenses/by-sa/1.0/deed.de
[18] http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Pr%C3%A4sidenten_Boliviens
[19] http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialismus
[20] http://de.wikipedia.org/wiki/Movimiento_al_Socialismo_%28Bolivien%29
[21] http://de.wikipedia.org/wiki/Cocalero
[22] http://de.wikipedia.org/wiki/Indigene_V%C3%B6lker
[23] http://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Gegossenes_Blei
[24] http://de.wikipedia.org/wiki/Internationaler_Strafgerichtshof
[25] http://de.wikipedia.org/wiki/Shimon_Peres
[26] http://de.wikipedia.org/wiki/Sicherheitsrat_der_Vereinten_Nationen
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