Was erwartet uns nach dem Tag X?
Wie sich Regierungen und IWF auf den kommenden Crash vorbereiten
Die Zahl der Superlative auf dem Finanzsektor nimmt fast täglich zu. Ob es um die Stände an Aktien-, Anleihen- oder Immobilienmärkte geht, die Höhe der globalen Staatsverschuldung, die Menge künstlich geschaffenen Geldes oder das inzwischen unter Null gedrückte Niveau von Niedrigzinsen – die Finanzwelt eilt von einem Extrem zum nächsten.
Die Frage, ob der nächste Crash bei derartiger Überhitzung noch aufzuhalten ist, beantwortet die Geschichte: Die Welt hat bereits zweimal (1998 und 2008) am Rande des Finanzkollapses gestanden. Beide Mal haben Politiker versprochen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und die Finanzindustrie in ihre Schranken zu weisen. Beide Male haben sie nicht nur ihr Wort gebrochen, sondern anschließend sogar mitgeholfen, die Entwicklung weiter voranzutreiben und die Welt auf direktem Weg in den nächsten Zusammenbruch zu schicken.
► Der Siegeszug des Neoliberalismus
Auch wenn niemand voraussagen kann, wann es zu diesem Crash kommt, steht doch eines fest: Die Politik wird ihn nicht aufhalten. Im Grunde ist das auch verständlich, denn spätestens seit der Jahrtausendwende wird der Lauf der Dinge nicht mehr von Politik und Realwirtschaft, sondern von den Interessen der Finanzindustrie bestimmt.
Hintergrund ist der Siegeszug des Neoliberalismus [4], der in den Siebziger Jahren Einzug in die globale Politik gehalten und sie in den Neunziger Jahren vollständig unter seine Kontrolle gebracht hat. Die Liberalisierung der Kapitalmärkte, die Deregulierung des Finanzsystems und die Privatisierung ehemals staatlicher Wirtschaftsbereiche haben dafür gesorgt, dass sich der Finanzsektor, früher ein wichtiger Teil der Realwirtschaft, von ihr abkoppeln konnte und mittlerweile ein unkontrolliertes Eigenleben führt, das allgemein unter dem Namen „die Finanzmärkte“ bekannt ist.
Diese Finanzmärkte, inzwischen sieben bis zehn Mal so groß wie die Realwirtschaft, werden von einer winzigen Gruppe von ca. 2.500 Milliardären beherrscht. Sie bleiben als Investoren von Hedgefonds [5], Banken, Versicherungen und transnationalen Konzernen bis auf wenige Ausnahmen im Verborgenen, während hochbezahlte Manager dafür sorgen, dass ihr Vermögen unablässig wächst.
► Die Aufgaben der Politik
Politikern fallen in diesem Szenario drei Aufgaben zu.
- Die erste ist die des Vermittlers, der der Bevölkerung die Maßnahmen, die der Finanzelite nützen und den Menschen schaden, als notwendig und unumgänglich zu verkaufen hat: zum Beispiel arbeitslosen Jugendlichen und am Existenzminimum lebenden Rentnern klarzumachen, dass es nur zu ihrem Vorteil ist, wenn sie die Gürtel zugunsten der Staatsfinanzen enger schnallen, während milliardenschwere Spekulanten ihre Gewinne in Offshore-Steuerparadiese schaffen.
- Die zweite Aufgabe der Politik besteht darin, alle rechtlichen und gesellschaftlichen Hindernisse, die den Interessen der Finanzelite entgegenstehen, aus dem Weg zu räumen. Meilensteine dieser Entwicklung waren u.a. die Abschaffung des Trennbankensystems (das hochriskante Geschäfte mit Einlegergeldern zu deren Schutz verbot), die Rettung bankrotter Banken mit öffentlichen Geldern und die kriminellen Bankern und Spekulanten gewährte Straffreiheit.
- Die dritte – und seit einiger Zeit vordringlichste - Aufgabe der Politik ist es, ein Instrumentarium zu schaffen, mit dem die Kosten der nächsten Krise soweit wie irgend möglich auf die arbeitende Bevölkerung abgewälzt werden können. Zu diesem Zweck sind nach 2008 Austeritätsprogramme geschaffen worden, mit denen Renten und Mindestlöhne gesenkt, der Arbeitsmarkt „flexibilisiert“, Steuern erhöht und staatliche Bedienstete zu Hunderttausenden entlassen worden sind. Mit welcher Härte hierbei vorgegangen wurde, zeigt das Beispiel Griechenlands, wo nach sechs Austeritätsrunden jeder zweite Jugendliche ohne Arbeit ist und eine Million Rentner seit über einem Jahr von weniger als 500 Euro im Monat leben müssen.
► Vom Bail-out zum Bail-in
Ein zweites Instrument ist der unter dem Vorwand, die Banken seien „too big to fail [6]“ (englisch: „Zu groß, um zu scheitern“) geschaffene Bail-Out [7] - die Rettung privater Banken mit öffentlichen Geldern. Da Bail-outs aber riesige Löcher in die Staatshaushalte gerissen haben und angesichts des zu erwartenden Finanzbedarfs im Fall des kommenden Crashs nicht ausreichen werden, haben Politiker die vergangenen zwei Jahre genutzt, um ein 2012 vom Internationale Währungsfonds (IWF; englisch International Monetary Fund, IMF) vorgeschlagenes neues Instrument gesetzlich zu verankern: den Bail-in [8]. Dieses bereits auf Zypern erfolgreich erprobte Mittel bedeutet nichts anderes, als dass im Fall des Crashs die Bankkonten von Einlegern und Sparern ab einer (vorerst auf 100.000 Euro) festgelegten Höhe eingefroren werden, um diese anschließend zur Deckung der Verluste der jeweiligen Bank einzusetzen. War der Bail-out bereits eine umfassende Vermögensumschichtung von der arbeitenden und steuerzahlenden Bevölkerung zu den steuerbegünstigten Ultrareichen, so handelt es sich beim Bail-in um nichts anderes als den juristisch abgesicherten Zugriff des Staates auf die Konten seiner Bürger.
Sollte selbst diese Lösung nicht ausreichen (weil möglicherweise zu viele Anleger ihr Geld rechtzeitig von der Bank abheben), hat der IWF bereits gedanklich vorgesorgt: In seiner Publikation „Taxing Times“ („Zeit für Steuern“) vom Oktober 2013 schlägt die mächtigste Finanzorganisation der Welt eine „einmalige Vermögensabgabe – eine einmalige Steuer auf Privatvermögen“ vor – ein Generalangriff vor allem auf die Mittelschicht, die ihre Vermögen nicht wie die Ultrareichen in Stiftungen oder Steuerparadiesen dem Zugriff des Staates entziehen kann.
Damit nicht genug. Um den Betroffenen jede Möglichkeit zu nehmen, sich vor dieser Enteignung zu schützen, arbeiten Politik und Mainstream-Medien derzeit mit Hochdruck daran, die Bevölkerung auf eine weitere – überaus wichtige - Maßnahme einzustimmen: Die Abschaffung des Bargeldes. Unter dem Vorwand, „Transparenz“ zu schaffen, Finanztransaktionen zu erleichtern und Geldwäsche zu verhindern, wird den Menschen eingeredet, dass es in ihrem Sinne wäre, auf die Zahlung mit Bargeld zu verzichten. Wahre Absicht ist einzig und allein, dem Staat auf diese Weise Zugriff auf das gesamte Vermögen der steuerzahlenden arbeitenden Bevölkerung zu verschaffen, damit er diese im Falle eines Crashs in angemessener Höhe enteignen kann.
► Sonderziehungsrechte des IWF als künstliche Weltwährung
Sollte auch das nicht ausreichen, steht den Zentralbanken auch in Zukunft ein bereits in der jüngeren Vergangenheit exzessiv angewandtes weiteres Mittel zur Verfügung: das Drucken von Geld. Seit der Krise von 2008 sind bereits Billionen von US-Dollar, Yen und Euro aus dem Nichts geschaffen und der Finanzelite zu Nahe-Null-Zinsen zur Aufhellung von Bilanzen und zur Spekulation an den Finanzmärkten zur Verfügung gestellt worden. Da sich die daraus resultierende Inflation im Wesentlichen an den Anleihen-, Aktien- und immobilienmärkten und nur zu einem geringen Teil in der Realwirtschaft niedergeschlagen hat, ist die schleichende Enteignung (und um nichts anderes handelt es sich beim Drucken von Geld) den meisten Menschen bisher entgangen.
Das wird aber nicht auf Dauer so bleiben, aber auch für diesen Fall werden bereits Vorkehrungen getroffen: Mit der für den Oktober geplanten Aufnahme des chinesischen Yuan [9] in den Korb seiner Sonderziehungsrechten (SZR) bereitet der IWF sich darauf vor, im Extremfall mit seiner eigenen Währung ins internationale Geschehen einzugreifen. Es wäre nicht das erste Mal: Von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbemerkt, hat der IWF nach zwei Eingriffen in den Siebzigern im Jahr 2009 mit umgerechnet etwa $ 300 Mrd. maßgeblich zur Stabilisierung des globalen Finanzsystems beigetragen.
Da SZR nicht als Geld in Umlauf gebracht, sondern nur als Zahlungsmittel zwischen Staaten gehandelt werden, brächten sie im Krisenfall zwei große Vorteile für die beteiligten Regierungen mit sich:
- Ihr Einsatz würde von der Öffentlichkeit kaum registriert werden und die inflationären Folgen des Gelddruckens würden sich erst mit Verzögerung und dann gleichzeitig auf alle fünf im Währungskorb beteiligten Währungen auswirken.
- Das wiederum würde die schleichende Enteignung der Bürger nicht wie das Ergebnis der Politik einer Regierung, sondern – zur Freude der Finanzindustrie - wie ein alle und jeden betreffendes Naturereignis erscheinen lassen.
► Aufschub statt Problemlösung
Wie man sieht, gehen Regierungen und IWF den bevorstehenden Turbulenzen nicht unvorbereitet entgegen, sondern wappnen sich unter Hochdruck auf die kommenden Ereignisse. Dabei ist sämtlichen Maßnahmen – vom Bail-in über die Vermögensabgabe und die Abschaffung von Bargeld bis hin zur Schaffung einer künstlichen Weltwährung – eines gemeinsam: Sie lösen keines der Grundprobleme unserer Zeit, sondern dienen ausschließlich dazu, Zeit zu gewinnen und ein System am Leben zu erhalten, das die Interessen einer winzigen Elite bedient, den Lebensstandard der überwiegenden Mehrheit auf Dauer senkt und die Welt damit ungleicher, ungerechter und unsozialer macht.
Ernst Wolff, Berlin
: Bitte um Beachtung der nachfolgenden 8 Lesetipps und der 12 angehängten -Text-Dokumente weiter unten!!
► Lesetipps:
⇒ Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank. Wolffs Interview für Geopolitika - weiter [11]
⇒ Griechenland: die tickende Zeitbombe - weiter [12]
⇒ Kooperation statt Konfrontation: die Syriza-Regierung und die Troika - weiter [13]
⇒ Der IWF bereitet sich auf das Ende der US-Dollar-Ära vor - weiter [14]
⇒ EZB und nationale Notenbanken verpulvern 1 Billion Euro für die Finanzindustrie - weiter [15]
⇒ Wolfgang Berger: Wie sich der Finanzsektor die Welt unterwirft - weiter [16]
⇒ KenFM im Gespräch mit: Ernst Wolff - "Weltmacht IWF" - weiter [17]
⇒ Ein Bail-In bei der Hypo Alpe Adria? Alarmstufe rot fürs globale Finanzsystem! - weiter [18]
► Bild- und Grafikquellen:
1. Der Börsenbulle - Charging Bull, Bronzefigur von Arturo Di Modica am Nordende des Bowling-Green-Parks in New York City. Er ist das Wahrzeichen der Wall Street und steht symbolisch für den Optimismus der Börse. Unser Medienkollege Wilfried Kahrs von QPress.de [19] hat den Bullen in New York besucht und nachdem dieser bei einem erneuten Finanzcrash kollabierte. Soviel zum Optimismus der Börse! Bildbearbeitung: Wika
2. Proteste der Griechen nehmen zu - sie haben die Austeritätspolitik gründlich satt. Jede/r zweite Jugendliche ist arbeitslos und eine Million Rentner leben seit über einem Jahr von weniger als 500 Euro im Monat. Foto: Joanna. Quelle: Flickr [20]. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung 2.0 Generic (CC BY 2.0 [21])
3. Lehrbuch (Finanz-)Wirtschaft und die ungerechte Verteilung von oben nach unten. Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs / QPress.de [22]
4. Kabarettist VOLKER PISPERS: "Auf dem Grabstein des Kapitalismus wird später stehen: Zuviel war nicht genug." Originalfoto: Niko Bellgardt, Düren. Quelle: Flickr / Wikimedia Commons [23]. Diese Datei ist unter der Creative-Commons [24]-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 generisch“ [25] (US-amerikanisch) lizenziert. Grafikbearbeitung: Wilfried Kahrs / QPress.de
5. Cover: "WELTMACHT IWF - Chronik eines Raubzugs" von Ernst Wolff.