Perspektive Armut

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Perspektive Armut
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Perspektive Armut

von Hannes Hohn, Neue Internationale 173, Oktober 2012


Glaubt man den bürgerlichen Politikern, dann geht es uns gut. Selbst manche Linke meinen, dass die fehlenden Massenproteste gegen die Krise hierzulande sich daraus erklären, dass die Krise in Deutschland noch nicht angekommen wäre.

Daran ist zwar richtig, dass das deutsche Kapital bisher von der Krise in der Euro-Zone profitiert hat und deshalb bis jetzt nicht gezwungen war, solch massive Attacken auf die Massen zu führen wie in Griechenland oder Spanien. Doch erstens wird sich das wohl bald ändern, wenn man den Abwärtstrend der Weltwirtschaft bedenkt, und zweitens kann auch der Vergleich mit dem sozialen Desaster, das in Südeuropa angerichtet wird, nicht darüber hinweg täuschen, dass der Sozialabbau auch in Deutschland massiv voranschreitet - und das vor allem seit Einführung der Agenda-Gesetze unter Rot/Grün 2002.


Abwärtstrend

Seit nunmehr rund zehn Jahren werden immer größere Teile der Arbeiterklasse und Teile der Mittelschichten ins soziale Abseits gedrängt, während die oberen Schichten immer reicher werden. Die Armut hat viele Facetten: Hartz IV, Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit oder eine Form prekärer Beschäftigung. Inzwischen sind über 40% (!) aller Erwerbsfähigen davon betroffen. Dazu kommen Altersarmut oder die miserable Lage vieler Alleinerziehender. Frauen sind dabei besonders betroffen.

Auch an den Beschäftigten geht dieser Trend nicht vorbei. Bei gleichzeitig immer höherer Arbeitsverdichtung sinken die Reallöhne. Die Lohnstückkosten z.B. sind in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren nur um 5,3% gestiegen - in der Euro-Zone waren es 17,8%. Bei den gesamten Arbeitskosten ist das Bild für die letzten zehn Jahre ähnlich: Deutschland +1,7%, EU + 3,3%. Auch die Lohnquote (Anteil der Löhne am Volkseinkommen) sank in der BRD von 72,1% (2000) auf 67,2% (2011). Die Exportoffensive, der Kern des „Erfolgs“ des deutschen Kapitals, basiert so zum erheblichen Teil auf höherer Arbeitsbelastung und Dumpinglöhnen.

Selbst der Entwurf des aktuellen „Armutsberichts“ der Bundesregierung von 2012 bestätigt diese Entwicklung. Er zeigt, dass die soziale Ungleichheit immer größer wird. Das äußert sich z.B. am Privatvermögen. Während 1998 die oberen 10% der Bevölkerung 45% des gesellschaftlichen Gesamtvermögens besaßen und die untere Hälfte 4%, sah es nur zehn Jahre später schon deutlich anders aus: den Reichen gehörten 53%, der unteren Hälfte aber nur noch ein (!) Prozent des Vermögens. Das ist keine „Gerechtigkeitslücke“, sondern ein Abgrund!

Wenn schon der soziale Abwärtstrend der letzten Jahre bedenklich stimmt, so können wir uns ausmalen, wie dramatisch sich die Lage ändern würde, wenn die Krise auch auf Deutschland voll durchschlägt …

Dass die Krise in Deutschland noch nicht angekommen wäre, ist also eine grobe Fehleinschätzung. Die Sozialräuber fielen nur nicht wie in Griechenland plötzlich mit der Vordertür ins Haus, sondern kamen schon seit Jahren durch die Hintertür.


Die Rentendebatte

Wie schon früher als Familienministerin versucht sich Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wieder als Sozial-Anwältin zu profilieren. Diesmal hat sie entdeckt, dass vielen RentnerInnen die Altersarmut droht. Diese düstere Perspektive ist vielen RentnerInnen allerdings schon länger bewusst, wenn sie in den letzten Jahren auf ihre Rentenbescheide gesehen haben.

Erinnern wir uns: Als Norbert Blüm noch Sozialminister unter Kohl war, verkündete er, die „Rente ist sicher“. Unter Rot/Grün wurde dann festgestellt, dass die Rente nur noch ausreicht, wenn die Leute eine private Zusatzrente abschließen: die Riester-Rente war geboren. So wurden nicht nur der „klamme“ Staat und die Kapitalisten entlastet - es flossen auch Milliarden in die Kassen der  Versicherungskonzerne. Nun wird festgestellt, dass die Zusatzrente zur Rente auch nicht mehr reicht und noch eine Zusatzrente her müsse. Wenn das so weitergeht, haben RentnerInnen bald zwanzig Rentenversicherungen und keinen Überblick mehr, wie viel Rente sie eigentlich bekommen müssten …

Das Hauptargument, warum die Rente ohne weitere Zusatzzahlungen und private Versicherungen nicht mehr finanzierbar wäre, ist der berühmte „demografische Wandel“. Dieser Begriff hätte zum „Wort des Jahres“ gewählt werden können, so oft wird er in Politik und Medien benutzt. Doch der inflationäre Gebrauch ändert nichts daran, dass die These, die zunehmende Alterung der Gesellschaft führe zwangsläufig zu einer „Rentenlücke“, kompletter Unsinn, ja reine Demagogie ist. Wie die Demografie-Debatte wird die Rentenfrage auch oft als Generationen-Frage behandelt - was nur davon ablenken soll, dass sie - wie alle anderen Fragen - eine Klassenfrage ist.

Sicher ist es richtig, dass die Bevölkerung immer älter wird - ein Trend, den es allerdings bereits seit über hundert Jahren in Deutschland gibt. Daraus folgt auch - allerdings nur zum Teil -, dass immer mehr RentnerInnen von den Erwerbstätigen „unterhalten“ werden müssen.

Grundfalsch ist allerdings die Behauptung, dass die relativ weniger werdenden Erwerbspersonen die relativ mehr werdenden RentnerInnen nicht mehr finanzieren könnten. Warum? Weil das Verhältnis Löhne-Renten nicht (nur) von der Personenzahl abhängt, sondern v.a. vom Verhältnis der produzierten Werte zum Wert der Renten. Da aber die Arbeitsproduktivität stetig steigt - und zwar schneller als die Alterung der Gesellschaft -, ist es normalerweise kein Problem, auch mehr RentnerInnen zu versorgen.

In der Rentendebatte werden aber wichtige Fakten meist verschwiegen:

  • der Anteil der Kinder (die ja auch Sozialtransfers erhalten) an der Bevölkerung ist gesunken - es müsste dort also Geld für Alte „übrig“ sein;
  • durch Arbeitslosigkeit und negative Reallohnentwicklung (aber auch dadurch, dass bestimmte Erwerbsgruppen nicht in die Rentenkasse einzahlen) werden die Einzahlungen in die Rentenkassen permanent minimiert;
  • das traditionelle „paritätische Beitrags-Rentenmodell“, bei dem Lohnabhängige und Unternehmer in die Rentenkasse einzahlen, wurde immer mehr ausgehebelt, weil der „Arbeitgeberanteil“ der Kapitalisten abgesenkt wurde.

Neben anderen Faktoren wie der Frühberentung, die oft sachlich unnötig ist und lediglich versteckte Arbeitslosigkeit darstellt, wird allein an diesen Fakten klar, dass nicht die Demografie, sondern der Kapitalismus und die den Profitinteressen des Kapitals dienende Politik die Ursache dafür sind, dass  die Rente immer unsicherer, die Armut im Alter aber immer wahrscheinlicher wird.


Altersarmut

Die Hauptgründe, warum die staatliche Rente immer niedriger wird, sind 1. das Sinken des Lohnniveaus, u.a. durch den rapide wachsenden Niedriglohnsektor und 2. die Einführung von diversen „Kürzungsfaktoren“ in die Rentenanpassungsformel durch die letzten drei Bundesregierungen, wodurch das Rentenniveau bis 2030 um etwa ein Viertel sinken wird. Diese Beitrags-Absenkung verhilft den Kapitalisten ganz direkt zu höheren Profiten, weil sie deren Lohnkosten senkt.

Die These von der „drohenden Altersarmut“ suggeriert, dass es sich dabei um ein Problem der Zukunft handelt, dabei ist Altersarmut schon heute für viel RentnerInnen Realität. Seit 2005 ist die Armutsquote bei Personen über 65 rasant gestiegen, 2011 lag sie bei 13,3%. Schon heute müssen etwa 120.000 Menschen über 75 Jahre zusätzlich zu ihrer Rente einen Mini-Job ausüben, um leben zu können.Die schon heute absehbare Absenkung des Rentenniveaus von 50 auf 43% würde bedeuten, dass bis 2030 mindestens ein Drittel der Beschäftigten im Alter weniger als die Grundsicherung von 688,- Euro als Rente erhalten.

Das Konzept der CDU-Arbeitsministerin wird von allen Parteien - inklusive der CDU - abgelehnt, freilich aus unterschiedlichen Gründen. Während FDP und Union Zusatzausgaben befürchten, kritisieren SPD, Linkspartei und DGB zurecht, dass von der Leyens „Zuschussrente“ am Gesamtproblem nichts ändert und v.a. den Ärmsten gar nicht zugute kommt. Von der Leyen will zwar kleine Renten auf bis zu 850 Euro aufstocken, jedoch sind die Bedingungen dafür so ausgelegt, dass nur eine kleine Gruppe davon überhaupt profitieren könnte. So müssen mindestens 30 Beitrags- und 40 Versicherungsjahre nachgewiesen werden, was viele gar nicht schaffen. Zudem muss „langjährig“ in eine private Zusatzrente eingezahlt worden sein, was gerade für Geringverdiener oft nicht möglich ist.

Das Grundproblem der „Zuschussrente“, aber auch aller anderen Renten-Konzepte ist, dass die eigentlichen Ursachen des Rentenverfalls ausgeblendet bleiben: die Kostenentlastung der Unternehmer, das grassierende Lohndumping, die Milliardenausgaben des Staates für marode Banken und Rettungsschirme aller Art.

In den Talkshows wird so lange über die Rente geredet, bis das Publikum zwischen all den Eckwerten, Prozentzahlen, Trends und Modellen völlig den Überblick verliert - aber genau das ist ja auch der Haupteffekt und eigentliche Zweck dieser Art von „neutraler“ Information.


Was tun?

In den kommenden Monaten und auch im nächsten Bundestagswahlkampf wird die Rentenfrage eine wichtige Rolle spielen. So hat DIE LINKE schon angekündigt, die Angleichung der Ostrenten an das Westniveau zum Thema zu machen. Umso wichtiger ist es, dass die Linke und die Arbeiterbewegung eigene Vorschläge machen, wie ein Rentenniveau erkämpft werden kann, das ein einigermaßen gutes Auskommen im Alter sichert.

Die wichtigste Frage ist natürlich nicht die, welches „Renten-Modell“ das beste wäre, sondern was konkret getan wird, um Verbesserungen zu erreichen oder zumindest Verschlechterungen zu verhindern. So hat der DGB die Einführung der Rente mit 67 zwar kritisiert - doch wirkliche Mobilisierungen der durchaus kampfbereiten betrieblichen Basis über begrenzte, symbolische Proteste hinaus hat der Apparat nicht zustande gebracht - und auch nicht gewollt. Kritik und Alternativvorschläge nützen also im Endeffekt wenig, wenn nicht gekämpft wird.


Forderungen

Unsere Vorschläge setzen gerade an diesem Punkt an. Wir fordern DGB, SPD, Linkspartei und die Sozialverbände - sowohl deren Führungen als auch deren Basis - dazu auf, gemeinsam gegen die Verschlechterung der Renten zu mobilisieren: bis hin zum politischen Massenstreik.

Zentrale Ziele müssten u.a. sein:

  • Weg mit der Rente mit 67! Rente mit 60!
  • Für eine gesetzliche Mindestrente von 1.600 Euro/Monat für alle!
  • Für einen Mindestlohn von 11,- netto pro Stunde!
  • Rücknahme aller „Kürzungsfaktoren“!

Entgegen allen Unkenrufen ist das traditionelle „lohnbezogene“ Rentenmodell durchaus sinnvoll und tragfähig - vorausgesetzt, die Reallöhne sinken nicht ständig. Insofern spielen die Einführung eines allgemeinen Mindestlohnes und die Abschaffung von Hartz IV und der Billiglöhnerei auch für die Renten eine zentrale Rolle.

Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und als Antwort auf die zunehmende Intensivierung der Arbeit braucht es eine Senkung des Renteneintrittsalters - keine Erhöhung - eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung und ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeit unter Kontrolle der Lohnabhängigen.

Allerdings bedarf das Rentensystem selbst auch einer gründlichen Renovierung. So müssten alle Erwerbstätigen in die Rentenkasse einzahlen. Die Unternehmervertreter müssen aus den Aufsichtsräten der Rentenversicherungen rausfliegen! Rentenkassen und die Rentenbeiträge müssen in vollem Umfang von gewählten VertreterInnen der Beschäftigten und der Gewerkschaften bestimmt, kontrolliert und verwaltet werden. Die Riesterrente muss abgeschafft und durch ein einheitliches staatliches Rentensystem für alle Lohnabhängigen unter deren Kontrolle ersetzt werden!

Es liegt auf der Hand, dass diese Forderungen natürlich mit wichtigen „Spielregeln“ des bürgerlichen Systems brechen, wo die Zuständigkeit über wichtige soziale Strukturen immer dem Kapital bzw. dessen Staat und seinen „Spezialisten“ obliegen. Genau damit muss die Arbeiterklasse aber brechen, wenn sie in der Lage sein will, ihr Leben, z.B. im Alter sozial zu sichern. Und sie muss mit denen brechen, die mitbeteiligt sind am staatlich forcierten Rentenraub - mit reformistischen Funktionären wie Sommer, Hartz oder Riester, die nicht nur den Widerstand gegen den Rentenklau sabotieren, sondern sogar selbst noch Vorschläge dazu machen. Und natürlich muss das Thema Rente auch in die aktuelle UmFAIRteilen-Bewegung eingebracht werden!

Quelle:  Gruppe Arbeitermacht - deutsche Sektion der Liga für die 5. Internationale


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Rene Wolf
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Verbunden: 19.05.2012 - 09:03
Macht Arbeit frei?

 

Worum geht es eigentlich in dem Beitrag? "Armut" steht in der Überschrift, es folgt die immer stärkere Fokussierung auf die Rente. Der Autor sorgt sich, scheint es, vor allem um sich selbst. Er wird bald Rentner sein. Deshalb sollte man ihm genügend politische Erfahrung zubilligen. Auch die Erkenntnis, dass einseitige Forderungen nichts bringen. Wie etwa diese, im Aufruf zum europaweiten Generalstreik, veröffentlicht von der vom Autor vertretenen "Arbeitermacht":
 
"Wir brauchen: Unbefristete Beschäftigung mit vollem Tariflohn und voller Rente, öffentliche Beschäftigung für die Millionen von Arbeitslosen..."  (siehe hier)          
 
Da haben wir sie wieder, die Fetischisierung der Arbeit. Das Problem von Parteien- ja, auch der Linken- und unzähliger Organisationen, die nichts anderes kennen, als wechselnde Variationen des unrühmlich bekannten Satzes "Arbeit macht frei".

Nein, ich möchte nicht "unbefristet beschäftigt" werden. Egal, zu welchem Lohn.

Millionen von Arbeitslosen sollen "öffentlich beschäftigt" werden? Zwangsarbeit?
 
Warum sollte Arbeitslosigkeit bekämpft werden? Die Argumentation riecht nach Debatten aus dem Vor- Maschinen- Zeitalter. Heines Postulat "Es ist genug für alle da" hat sich erfüllt. Das erkennen immerhin schon Einige. Wie etwa die Arbeitsgruppe "Genug für alle" von "attac".
 
Der Begriff "Grundeinkommen" wird in dem Beitrag zur Armut überhaupt nicht erwähnt.  20% der Deutschen gelten offiziell als arm, siehe Armutsbericht. Dass Vollzeit- Arbeit für alle eine Illusion ist, dürfte bekannt sein. (Und auch gar nicht nötig. Lediglich 1,5 Stunden von 8 Stunden arbeitet man im Schnitt für sich selbst. Irgendwoher müssen ja die Milliarden kommen, die verzockt werden) Arbeitslos- na und? Erwerbslos, das will niemand sein. Es ist durchgerechnet: 1000 Euro für jeden sind machbar. Und darüber hinaus ein Armuts- abfederndes Grundeinkommen. Dafür wäre ein Generalstreik angebracht.
 

Immer produktivere Arbeitsverhältnisse lassen es zu, immer mehr Reichtum in kürzerer Zeit herzustellen. Was ein Segen sein könnte, bereitet Probleme:

Erwerbsarbeit bietet keine soziale Sicherheit mehr für Alle. Der Produktivitätszuwachs verbleibt in den Händen der Kapitalbesitzer, die wissen gar nicht, wo sie all das profitabel anlegen sollen. Dabei zerstören sie auf der Suche nach ständig neuen Investitionsmöglichkeiten auch noch die letzten sozialen Sicherheiten, öffentliche Güter und nahezu die gesamte Lebenswelt des Planeten. Beim Vorschlag des Bedingungslosen Grundeinkommens geht es um all das:


Die Krise des kapitalistischen Systems, die soziale Sicherheit, den ökologischen Umbau.

Die Frage ist einfach: Wie wollen wir leben?

Werner Rätz, attac AG Genug für Alle - attac-Sommerakademie in Mainz 2012. (Gesamtlaufzeit aller 6 Teile = 152 min)


Teil 1/6 - klick hier

Teil 2/6 - klick hier

Teil 3/6 - klick hier

Teil 4/6 - klick hier

Teil 5/6 - klick hier

Teil 6/6 - klick hier

 

Nu pogodi!

René L. Wolf

 

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Peter Weber
Offline
Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Armut, Arbeit und Rente

Bekämpfung der Armut durch Lohn- und Rentenaufbesserung

[quote=Hannes Hohn]

Es liegt auf der Hand, dass diese Forderungen natürlich mit wichtigen „Spielregeln“ des bürgerlichen Systems brechen, wo die Zuständigkeit über wichtige soziale Strukturen immer dem Kapital bzw. dessen Staat und seinen „Spezialisten“ obliegen. Genau damit muss die Arbeiterklasse aber brechen, wenn sie in der Lage sein will, ihr Leben, z.B. im Alter sozial zu sichern. Und sie muss mit denen brechen, die mitbeteiligt sind am staatlich forcierten Rentenraub - mit reformistischen Funktionären wie Sommer, Hartz oder Riester, die nicht nur den Widerstand gegen den Rentenklau sabotieren, sondern sogar selbst noch Vorschläge dazu machen. Und natürlich muss das Thema Rente auch in die aktuelle UmFAIRteilen-Bewegung eingebracht werden!

[/quote]

Die Forderungen von Hannes Hohn sind sehr löblich und verdienen es auch, unterstützt zu werden. Nur sind sie leider in dieser Reduzierung auf arbeits- und rentenpolitische Instrumente ziemlich untauglich. Selbst wenn sie durchgesetzt werden könnten, streifen sie das eigentliche Problem nur am Rande und lösen die Systemfrage nicht im geringsten. Zumindest hätte ich erwartet, daß ein Aufschrei nach der Einführung eines Grundeinkommens zu hören gewesen wäre, das seinen Namen auch verdient sowie das Verlangen nach einer radikalen Umgestaltung des Eigentumsrechts und der Abschaffung des existierenden Zinses-Zins-Übels. Für einen Aktivisten der revolutionären Arbeitermacht kommt Hannes Hohn doch sehr moderat daher - er sollte sich zu mehr trauen!

Auffällig ist es tatsächlich, daß das vorhandene und traditionelle Arbeitsverständnis nicht grundsätzlich infrage gestellt wird, wie es René richtig bemerkt. Wenn man heute jemanden nach der Zukunft befragt, dann wird diese meistens als Synonym der Rente gesehen. Abgesehen  mal von der unumgänglichen Werteverlagerung zu humanistischen Inhalten hilft uns nur eine totale Neuinterpretation der Arbeit. Die Forderung nach mehr und besser bezahlten Arbeitsplätzen geht völlig in die Leere und wird uns keinen einzigen Blumentopf gewinnen lassen.  Wir müssen es durchsetzen, daß 

  • Arbeit unabhängig von Bezahlung betrachtet wird
  • Arbeit kein Selbstzweck mehr íst und auch nicht mehr reine Notwendigkeit zur Existenzsicherung darstellt
  • Arbeit einen Sinn erhält und hinterfragt werden muß, ob Arbeit Mensch und Natur dient oder nicht
  • Arbeit zu einem Mittel der Selbstschöpfung im Sinne der persönlichen Weiterentwicklung wird.

Ich gebe zu, daß wir von der Erfüllung dieser Wünsche utopisch weit entfernt sind. Aber um alles in der Welt: Wie sollten wir überhaupt jemals diesem Ziel näher kommen, wenn wir es nicht hier und jetzt vehement und ohne Abstriche fordern? Kompromisse können wir später noch machen, aber nur, falls nötig! Ich glaube, der Grund dafür, daß wir kaum noch Fortschritte in Richtung einer humanistischeren Welt erzielen,ist der, daß die Menschen Angst davor haben, Radikalforderungen zu stellen. Sie fürchten, von den sog. Realisten ausgelacht zu werden und als Spinner und Träumer bezeichnet zu werden. In Wirklichkeit gibt es keinen einzigen triftigen Grund, nicht sofort und auf der Stelle mit dem ersten Schritt in die ersehnte Richtung zu beginnen. Und wenn viele diesen Schritt tun, dann wird Utopie zur Realität! Und nur auf diese Weise ....

Wer hat denn eigentlich den Irrglauben in die Welt gesetzt, daß die Praktizierung von Demokratie ausschließlich unter Zuhilfenahme von Kompromissen möglich sei? Genau so wie es Mehrheitsentscheidungen für faule Kompromisse gibt, müßte doch noch viel eher für ein Votum von radikalen, dem Gemeinwohl nützlichen Entscheidungen, eine Mehrheit zu finden sein.

 

Peter A. Weber

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