Pferdefleisch-Skandal: Handel ist Täter, nicht Opfer

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Pferdefleisch-Skandal: Handel ist Täter, nicht Opfer
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Pferdefleisch-Skandal: Handel ist Täter, nicht Opfer


Angesichts des Skandals um falsch deklariertes Pferdefleisch fordert foodwatch: Es darf sich nicht länger lohnen, zu lügen und zu betrügen. Handelskonzerne haben die Pflicht, sicherzustellen, dass ihre Produkte sicher sind und dass drinsteckt, was draufsteht. Wer das nicht ausreichend überprüft, aber wie Real Milliarden-Umsätze macht, dem muss bei Verstößen eine Strafe in Millionen-Höhe drohen. Erst dann hat ein Konzern ein ausreichend großes Eigeninteresse daran sicherzustellen, dass seine Ware korrekt ist.
 
Inzwischen ist bekannt, dass auch in Deutschland mehrere Handelsketten Lasagne verkauft haben, die Pferdefleisch enthielt. Wenn Handelskonzerne Eigenmarken anbieten, agieren sie quasi als Hersteller – und müssen wie Markenhersteller auch für die Qualität ihrer Produkte gerade stehen. Allerdings sind die Vorschriften für Eigenkontrollen bisher äußerst vage. Unternehmen können kaum strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.


Handel kaum zu belangen

Tatsächlich weiß der Handel genau, dass er strafrechtlich praktisch nicht für den Verkauf nicht verkehrsfähiger Eigenmarken-Ware belangt werden kann. Denn nach heutiger Rechtslage ist der Nachweis, dass die Konzerne wissentlich gehandelt haben, mangels eindeutiger Qualitätssicherungs-Vorgaben so gut wie unmöglich. Die Mitarbeiter der Handelriesen werden sich fast immer darauf berufen können, nichts gewusst zu haben, weil es keine konkreten Pflichtvorgaben gibt, zu untersuchen, ob die Ware ihrer Deklaration entspricht.

Das spezielle Lebensmittelstrafrecht bedroht die falsche, aber medizinisch folgenlose Deklaration der Zutaten mit einem Bußgeld bis zu 50.000 € für Privatpersonen (§ 10 Abs. 3 LmKV, §§ 60 Abs. 2 Nr. 26a, Abs. 5 Nr. 2 LFGB), wenn die Tat vorsätzlich oder fahrlässig begangen, und das Lebensmittel in Verkehr gebracht wird. Diese Strafnormen richten sich also an die gesamte Produktions- und Vertriebskette bis hin zum Einzelhändler. Vorsatz erfordert (wie beim Betrug) das positive Wissen vom Deklarationsfehler; Fahrlässigkeit nur, dass man sich dieser Erkenntnis pflichtwidrig verschlossen hat.


foodwatch fordert spezielle Untersuchungspflichten für Handelskonzerne

Entscheidend ist daher aus Sicht von foodwatch: Handelskonzerne und Markenhersteller müssen speziell zur Untersuchung ihrer Produkte verpflichtet werden, um sicherzustellen, dass die Ware korrekt ist. Bei Verstößen müssen sie zur Verantwortung gezogen werden – und zwar nicht nur zivil- sondern auch strafrechtlich. Denn wenn den Unternehmen nicht nur geringe Bußgelder drohen, die sie aus der Portokasse zahlen können, sondern empfindliche Geldstrafen, die sich am Umsatz orientieren, dann liegt es auch in ihrem eigenen Interesse, nur korrekte Produkte in Umlauf zu bringen.

Eine spezielle Untersuchungspflicht der Handelskonzerne für ihre Eigenmarken-Produkte ist verfassungsrechtlich möglich, weil sie die Untersuchungskosten an die ihnen verpflichteten Hersteller weitergeben können. Außerdem werden diese Händler vom zivilen Produkthaftungsrecht ohnehin schon wie Hersteller behandelt.


Strafen müssen betriebswirtschaftlich weh tun

Eine solche gesetzlich geregelte spezielle Untersuchungspflicht würde folgende Situation erzeugen: Wenn die zuständigen Mitarbeiter eines Handelkonzerns die Ware untersuchen, einen Deklarationsverstoß feststellen und sie trotzdem weiter verkaufen, handeln sie vorsätzlich und können als Betrüger bestraft werden. Wenn sie nicht untersuchen und falsch deklarierte Ware deshalb verkaufen, begehen sie zwar im Regelfall keinen Betrug (es sei denn, sie wussten aus anderer Quelle vom Deklarationsverstoß), aber jedenfalls eine fahrlässige Ordnungswidrigkeit.

Das angedrohte Bußgeld muss so hoch sein, dass ein ertappter Verstoß für den Handelskonzern betriebswirtschaftlich schwerwiegende Folgen hat. Ähnlich wie im Kartellrecht sollten hohe Millionenbeträge als Strafzahlung fällig werden, damit die Lebensmittelhändler aus schierem Eigeninteresse alles tun, um sicherzustellen, dass in ihren Regalen (besonders bei Eigenmarken) nur gesetzeskonforme Artikel zum Verkauf angeboten werden.


Behörden auch bei Betrugsfällen zur Verbraucherinformation verpflichten

Bisher sind die Behörden nicht verpflichtet, die Verbraucher über Täuschungsfälle bei Handel und Herstellern zu informieren. Wären sie verpflichtet, im Sinne des vorsorgenden Verbraucherschutzes auch ihre Kenntnisse über, z.B. aufgrund von Falschdeklaration, nicht verkehrsfähige Ware, umgehend und umfassend zu veröffentlichen, hätten die Verbraucher die Möglichkeit, diese Produkte gezielt zu meiden. Und die verantwortlichen Unternehmen würden sich beeilen, schnellstmöglich Klarheit zu schaffen. Alle Informationen aus dem europäischen Schnellwarnsystem müssen ebenso wie behördeneigene Untersuchungsergebnisse, selbstverständlich auch solche, die Entwarnung geben, sofort veröffentlicht werden. Das schafft Klarheit und hilft, die Interessen der Verbraucher jederzeit bestmöglich zu schützen.

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Lebensmittel als Profitobjekt


Was macht das Pferd in der Tiefkühltruhe?


Die Liste der Lebensmittelskandale ist lang und nimmt kein Ende. Die zuständige Bundesministerin Ilse Aigner hält zwar ständig Sonntagsreden und fordert mehr Überwachung, aber konkrete verschärte Überwachungsgesetze hat sie bisher noch nicht auf den Weg gebracht. Dabei hapert es ja bekanntlich nicht nur bei der Überwachung und Deklaration hinsichtlich der Herstellung von Nahrungs- und Lebensmitteln. Gerade bei den grundlegenden Kriterien für den Anbau von Pflanzen, die Anzucht von Nutzvieh, die Verarbeitung und die Ingredienzen liegt vieles im Argen. Dazu gehört auch der Komplex der Gentechnologie, der völlig ungelöst ist.

So kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Frau Aigner auch nur eine Marionette der Lebensmittelindustrie sowie der Landwirtschaftslobby ist. Verbraucherschutz wird von der Politik nur als eine leere Worthülse benutzt, die man in Wahlkampfzeiten strapaziert. Es fehlt ein offenes Bekenntnis der Politik, die industrielle Landwirtschaft in die Schranken zu weisen und ihr die Subventionen erheblich zu kürzen oder ganz zu streichen. Ich wünschte mir ein Verbot von Massentierhaltung und gesetzliche Regelungen für eine totale Umstellung auf biologische bzw. eine Kreislaufwirtschaft in der Landwirtschaft.

Angesichts der Sünden, die in der Herstellung von Nahrungsmitteln und Lebensmitteln ständig begangen werden und die auch noch gesetzlich abgesichtert sind, scheint mir allerdings der aktuelle Fall von Pferdefleisch in Fertigprodukten etwas untergeordneter Bedeutung zu sein. Selbstverständlich sind derartige Machenschaften, aus Profitgründen nicht deklarierte und zugelassenene Inhaltsstoffe zu verwenden, strafrechtlich zu verfolgen. Aber die Medienhype, die dieser neuerliche Vorfall ausgelöst hat, ist doch ziemlich übertrieben und nimmt offensichtlich die Funktion ein, wichtigere Themen unter den Teppich zu kehren.

Ich gehöre zwar nur zu den Männern, von denen man allgemein sagt, daß sie vom Kochen und Haushalt nichts verstehen. Aber wenn ich mir den Inhalt vieler Einkaufswagen von Müttern anschaue und mal einen Blick in die Kochpraxis ihrer Küchen werfe, dann sträuben sich mir die Nackenhaare. Durch Kochen mit frischen Lebensmitteln, deren Herkunft man überprüft hat oder sie sogar selbst angebaut hat, kann man sich sämtliche Probleme mit vorgefertigten Nahrungsmitteln - neudeutsch convenience food ersparen. Wer Fertigprodukte kauft, ist letztendlich selber schuld, wenn er sich ungesund ernährt! Also: Wie wär's mal mit Selberkochen?

Was wir also dringend brauchen, das ist eine Bewußtseinsschulung der Menschen hinsichtlich der Herkunft, Verwendung und Zubereitung von Lebensmitteln. Bewußte und informierte Verbraucher könnten Handel und Nahrungsmittelindustrie auf diese Weise zwingen, ihre Praktiken zu ändern. Die Crux liegt aber wie immer darin, daß man dafür Mehrheiten benötigt.

 

Peter A. Weber

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Marie-Luise Volk
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Verbunden: 28.10.2010 - 13:29
Boykott von Fertiggerichten

Lieber Peter,

ich teile Deine Meinung.

Unmündiges Verhalten der Konsumenten ist Teil des aufgetretenen Problems. Wie sich hinlänglich herumgesprochen haben sollte, leben wir im Raubtierkapitalismus mit allen Folgen. Es geht nur um Gewinne zu machen, was an Betrügereien, Gesundheitsschäden usw. passiert, ist völlig nebensächlich.

Wenn jetzt Frau Verbraucherschmutzministerin Ilse Aigner sich hinstellt und von Sauerei spricht, ist es nicht mehr als Schauspielerei. Sie weiß doch, dass die Nahrungsmittelindustrie in der Lage ist, aus bekackten Hühnerfedern Schokoriegel herzustellen – wer soll sie daran hindern? Sie weiß doch auch, dass immer wieder versucht wird, das Nahrungsabfallproblem möglichst gewinnbringend zu lösen.

Man könnte der Fleisch- und Nahrungsmittelindustrie gezielt in die Parade fahren, wenn man denn nicht um sein Pöstchen fürchten müsste. Frau Aigner wird einen Teufel tun, zum Boykott der Fertiggerichte aufzurufen, ihre Karriere wäre dann dahin. Es reicht auch nicht aus, die betrügerischen Firmen an den Pranger zu stellen.  Die wissen doch haargenau, wenn der Skandal seine Halbwertzeit erreicht hat, steht die Ampel wieder auf grün.

Mein Mitleid mit den betrogenen Konsumenten hält sich sehr in Grenzen. Wenn sie aus bisherigen Nahrungsmittelskandalen nichts gelernt haben, sind sie nicht zu bedauern. Wer meint, alles unkritisch in sich hineinstopfen zu können, muss damit rechnen,  als Abfalltonne benutzt zu werden.

 

 

 

 

 

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Helmut S. - ADMIN
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Verbunden: 21.09.2010 - 20:20
Aigners Aktionsplan

 

Aigners Aktionsplan = Scheinmaßnahmen



Pferdefleisch-Skandal: Aigners Aktionsplan besteht aus Scheinmaßnahmen – foodwatch fordert konkrete Untersuchungspflichten für Unternehmen und Strafen nach Umsatz – Handel muss für Eigenmarken haften.

Nach der europaweiten Verbrauchertäuschung mit Pferdefleisch täuscht Ilse Aigner die Verbraucher ihrerseits mit ihrem „Aktionsplan“. Die Maßnahmen, die die Ministerin als Beratungsgrundlage für die heutige Sondersitzung von Bund und Ländern vorgelegt hatte, stellen nach Einschätzung der Verbraucherorganisation foodwatch folgenlose Ankündigungspolitik dar.

„Frau Aigner schont die eigentlich Verantwortlichen und täuscht mit Scheinmaßnahmen darüber hinweg, dass sie die entscheidenden Schwachstellen nicht beseitigen will“, kritisierte Matthias Wolfschmidt, stellvertretender foodwatch-Geschäftsführer. „Der Handel muss für seine Eigenmarken geradestehen und bei Täuschung oder Gesundheitsgefährdung strafrechtlich als Täter belangt werden.“ foodwatch forderte konkrete Untersuchungspflichten zur Sicherstellung der Produktqualität, damit Hersteller und Handelsunternehmen bei Verstößen in Zukunft strafrechtlich belangt werden können. Zudem muss es empfindliche Strafen geben, die sich am Umsatz der Firmen orientieren.

Im aktuellen Fall ist nicht deklariertes Pferdefleisch in Eigenmarken von mehreren Handelsunternehmen wie Real oder Kaisers gefunden worden. foodwatch kritisierte die Haftungsverpflichtungen des Handels als völlig unzureichend. „Die Handelsketten verkaufen Produkte unter ihrem eigenen Namen, für deren Qualität und Rechtskonformität sie strafrechtlich aber faktisch nicht belangt werden können“, erklärte Matthias Wolfschmidt. „Deshalb brauchen wir gesetzlich festgelegte, konkrete Untersuchungspflichten für die Sicherstellung der Produktqualität.“ Dann könnten bei Verfehlungen wirkungsvolle Strafandrohungen, die betriebswirtschaftlich gravierende Auswirkungen haben, den Handel aus schierem Eigeninteresse dazu motivieren, alles zu tun, um den Verbrauchern ordentliche Ware zu liefern.

Zudem fehlt laut foodwatch eine klare gesetzliche Verpflichtung der Behörden, ihre Informationen über Täuschung in der Lebensmittelwirtschaft umgehend zu veröffentlichen. Nur durch entsprechende Transparenzverpflichtungen der Behörden könnten die Verbraucher sofort nach Bekanntwerden eines lebensmittelrechtlichen Betrugs- oder Täuschungsdelikts davor bewahrt werden, falsch deklarierte Ware unwissentlich zu kaufen oder verzehren.

„Frau Aigner braucht für die beiden entscheidenden Maßnahmen nicht nach Brüssel zu gehen. Strafrecht und Transparenzgesetzgebung sind in der Europäischen Union ausschließlich Sache der Mitgliedstaaten“, so Matthias Wolfschmidt. „Die Bundesregierung muss schnellstmöglich spezielle Untersuchungsverpflichtungen im Lebensmittelstrafrecht festschreiben und Verstöße entsprechend strafbewehren. Und sie muss dafür sorgen, dass die Behörden in Zukunft nicht die Betrüger decken, sondern den Schaden für die Betrogenen durch klare Informationsvorschriften bestmöglich reduzieren.“

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