Lebensmitteltafeln – ein Blick in die Hinterwelt der Warenwelt

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Lebensmitteltafeln – ein Blick in die Hinterwelt der Warenwelt
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Lebensmitteltafeln – ein Blick in die Hinterwelt der Warenwelt

"Das Geschäft mit den »Tafeln« boomt. Ursprünglich eine Einrichtung für Wohnsitzlose, präsentiert es sich nicht nur als zunehmend unverzichtbare armutspolitische Kompensation für sozialstaatliche Defizite, sondern mittlerweile auch als günstiger, imageförderlicher und auch noch ›ökologischer‹ Ausweg aus den Verwertungsproblemen des Lebensmitteleinzelhandels. Sogar einen »Nachhaltigkeitspreis« gab es für den Bundestafelverband bereits, verliehen vom Lebensmittelhandel. Doch wollten sich die Tafel-Betreiber nicht eigentlich selbst überflüssig machen? Und liefert die Etablierung und Professionalisierung der Tafeln nicht gerade die Legitimation dafür, den Sozialstaat ab- und mittelalterlich-feudale Almosen- und Fürsorgemaßnahmen wieder aufzubauen?

Grund genug zum Nachdenken, auch in den Kirchen. Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) in der Diözese Trier hatte daher am 31. August zu der Veranstaltung »Kritik und Überwindung der Tafelgesellschaft« eingeladen, auf der Stefan Selke, Sozialwissenschaftler und Tafelforscher, Ludwig Geissbauer, Landesvertreter der Tafelbewegung Rheinland-Pfalz und Saarland, sowie Anton Kobel und der damalige Diözesanvorsitzende Günther Salz  
[1]  ihre Thesen vorstellten.

Passend zur
Vorweihnachtszeit dokumentieren wir im Folgenden den Einleitungsbeitrag von Günther Salz, in dem er das nachhaltige Geschäft mit dem Abfall einer gründlichen Betrachtung und Kritik unterzieht und mit dem er nicht nur seine KollegInnen in den Kirchen, sondern auch viele andere edle SpenderInnen provozieren dürfte, und auf den Beitrag von Anton Kobel, der sich mit dem Nutzen der modernen Armenspeisungen für den Lebensmittelhandel beschäftigt…”



Abgespeist – Überflüssig Gemachte und Gemachtes an einer Tafel

von Günther Salz

In dem Maße, wie Armut und Ungleichheit zugenommen haben, ist auch die Tafelbewegung als »Brücke zwischen Überfluss und Mangel« gewachsen. Aus der ersten Tafel für Obdachlose in Berlin 1993 ist eine halbprofessionelle Tafelbewegung für arme Jederfrauen und -männer geworden mit mehr als 2 000 Ausgabestellen und 1,5 Millionen NutzerInnen. Eine der größten öffentlich-privaten Partnerschaften nach dem 2. Weltkrieg, die so ganz in den verschlankten, neoliberalen Sozialstaat passt. Ein Ansatz, der den wegen ihrer Ausbeutungs- und Ausspitzelungs-Methoden in die Kritik geratenen Lebensmittel-Discountern wie gerufen kam. Metro-Chef Caparros z.B. freute sich öffentlich, dass er nun den armen Menschen als »Lebens-Mittler« (!) helfen und ihnen eine Perspektive geben könne.

Aber auch viele katholische und evangelische Pfarrer und manche Caritas- und Diakonie-Vertreter sind ganz in ihrem Element, wenn sie Tafeln einweihen oder von christlicher Nächstenliebe, ja bisweilen gar von einer Vorform des Reiches Gottes fabulieren können.

Da es nach der Lebensmittel-Branche auch der Politik aufgefallen ist, dass immer mehr Lebensmittel entsorgt oder einfach weggeworfen werden, kam ein neues Motiv, das der »Nachhaltigkeit« ins Spiel. So wurde der Bundesverband der Tafeln 2011 mit dem Nachhaltigkeitspreis »Eco-Care« der Lebensmittel-Wirtschaft ausgezeichnet. Schließlich sorge er dafür, dass große Mengen von Esswaren vor der Vernichtung bewahrt und rationell an die Tafeln verteilt würden. Auf diese Weise macht sich der Bundesverband, der nach eigenen Angaben gegen Armut kämpft, sowohl armuts- als auch ökopolitisch unverzichtbar. Kann man angesichts dieser Entwicklungen noch annehmen, dass sich die Tafeln und der Bundesverband »überflüssig« machen wollen? Und geht es hier um »Nachhaltigkeit«, wo doch die Überproduktion von Lebensmitteln die Geschäftsgrundlage der Tafeln ist?

Bei dieser Fragestellung sind wir schon mitten in der kapitalistischen Ökonomie, die den Bezugsrahmen von Armut und Überfluss ebenso wie für die Tafelbewegung darstellt. Dieser muss geklärt werden, wenn wir einigermaßen zureichend über unser Thema sprechen wollen. Werfen wir also einen Blick auf die Unterwelt der Warenwelt.

Tafeln, Überproduktion und Armut sind Erscheinungen der Warenproduktion, einer verrückten Reichtumsform, in der Güter nicht eigentlich zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse produziert werden, sondern zum Zweck der Geldvermehrung beziehungsweise zur Kapitalakkumulation. Lebensmittel werden im Kapitalismus aus Profitgründen hergestellt und vertrieben und nicht, weil Menschen essen und trinken wollen. Mittels permanenter Überproduktion von Lebensmitteln werden Ansprüche auf die vorhandene Massenkaufkraft geltend gemacht. In der Konkurrenz spekulieren die Unternehmen darauf, mit aggressiver Werbung, Preiskampf und Marktverdrängung trotz allgemeiner Überproduktion immer noch einen größeren Mehrwert für sich einfahren zu können. In der Logik dieser Strategien liegt es auch, die Fristen für das Mindesthaltbarkeitsdatum zu verkürzen, um den Warenumschlag und damit die Profite zu erhöhen. Der hierdurch zusätzlich anfallende Müll und seine Entsorgungskosten werden »eingepreist« und auf alle Waren umgelegt. Am Ende hat man schließlich die Tafeln.

In diesem System ist es auch rational, nicht nur überflüssige Waren zu produzieren, sondern auch überflüssige Arbeitskraft. Denn in der Konkurrenz setzt sich in der Regel der Billigste durch. Der Billigste ist der mit der höchsten Arbeitsproduktivität, welcher mit möglichst viel Maschineneinsatz und möglichst wenig Menschenkraft produziert und dabei möglichst geringe Löhne zahlt – oder der, dem es gelingt, Menschen noch billiger als Maschinen einzusetzen. So verschafft man sich Wettbewerbsvorteile. Gesellschaftlich entsteht so aber Arbeitslosigkeit, prekäre Arbeit und Armut, die noch durch staatliche Deregulierung der Arbeitsverhältnisse befördert wird.

Auf diese Weise kommen überproduzierte, auf dem Markt auch nicht mehr durch absolute Niedrigpreise absetzbare Warenberge, die ihren Tauschwert verloren haben, mit überflüssig und arm gemachten Menschen, die ihre Würde verloren haben, an den Tafeln zusammen. Diese Erscheinung für einen sozialpolitischen Fortschritt auszugeben, wie es Ministerin von der Leyen tat, ist für mich schlichtweg pervers. Hierzu ein Zitat der ehemaligen Schirmherrin der Tafeln: »Ich bin davon überzeugt, dass unser Land menschlicher, ideenreicher und sogar effektiver (!) wird, wenn sich Zivilgesellschaft und auch die Unternehmen engagieren«.

Ich sehe das ganz anders. Die Tafeln sind für mich nicht bloß ein Ergebnis sozialstaatlichen Sittenverfalls, sondern ein Zeichen des Unheils, ein Menetekel. Als gesellschaftliche Erscheinung sind sie Ausdruck der Selbst- und Weltzerstörungspotenziale des Kapitals, weil genau die zwanghaft gesteigerte Arbeitsproduktivität mit ihrem erhöhten Ausstoß an Produkten die Grundlagen des Lebens, die menschliche Arbeit und die Natur, immer deutlicher zerstört. Ein Viertel des weltweiten Wasservorkommens wird für den Anbau von Nahrungsmitteln verbraucht, die später auf dem Müll landen!
 


Lebensmittelproduktion und Anteil weggeworfener Lebensmittel. Bild:  FAO Bericht

Die Tafeln sind deshalb auch Ausläufer des kapitalistischen Wachstumszwangs und Teil der ökologischen Krise statt ein Instrument der Nachhaltigkeit. Das, was wir für normal ansehen, der Markt und die Warenproduktion, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als destruktives und widersprüchliches System, das auf eine fundamentale Krise zutreibt. In diesem System werden die abhängig Beschäftigten zu gesteigerter Leistung und noch mehr Konsum angetrieben und arme Leute mit Warenmüll abgespeist und sozial begraben.

All diese Systemursachen und -erscheinungen werden gewöhnlich sowohl in der öffentlichen Debatte, in der Fachdiskussion und ganz besonders in der Praxis der Tafeln ausgeblendet. Man begnügt sich mit pragmatischen Maßnahmen und gibt den Armen, was vom Tische der Reichen fällt. So wird Gerechtigkeit durch bloße Barmherzigkeit und der Sozialstaat durch private Wohltätigkeit ersetzt; so werden hilfsbereite Menschen von Politik und Lebensmittel-Konzernen für fremde Zwecke instrumentalisiert; so werden arme Leute aus dem normalen Leben in eine Almosenökonomie abgedrängt und hierdurch strukturell entwürdigt; so werden Geldleistungen durch Sachleistungen ersetzt; so wird Armen das notwendige Existenzminimum mit heimlichem Blick auf die Tafeln verweigert und dadurch auch die Forderung nach anständigen Mindestlöhnen unterhöhlt; so werden die Profiteure des Tafelsystems – insbesondere Lebensmittel-Handel und Politik – als Wohltäter verkleidet und arme Menschen dazu genötigt, den kapitalistischen Warenmüll zu konsumieren – wobei dies dann auch noch zur Nachhaltigkeitsstrategie verklärt wird.

Aus meiner früheren Tätigkeit als Geschäftsführer der Liga der Wohlfahrtsverbände in Rheinland-Pfalz weiß ich, dass auch viele Tafelträger und Tafelhelfer manchmal unzufrieden sind mit dem, was sie tun. Sie sagen sich: Eigentlich dürfte es in einer so reichen Gesellschaft wie der unsrigen keine Armut und keine Tafeln geben. Bei einer Liga-Tagung vor drei Jahren bekundeten mehr als die Hälfte der TafelvertreterInnen, dass sie sich perspektivisch überflüssig machen wollten. Aber wie kann das gehen – zumal der Systemzusammenhang ja mit bedacht werden muss?

Zumindest müsste man drei Ebenen berücksichtigen:

1. Sozialpädagogisch-pragmatische Ebene

Gibt es Ansätze, die die strukturell vorgegebene Stigmatisierung und Entwürdigung der Tafel»kunden« reduzieren und ihre Gleichberechtigung und Selbstorganisationsfähigkeit fördern? Könnten die Betroffenen die Sache selbst in die Hand nehmen? (Zum Beispiel mit Hilfe eines »second hand-Handels für Lebensmittel« oder mit »Volxküchen«, in denen sonst Weggeworfenes verbraucht und gemeinsam gegessen wird.) Könnte man dem Lebensmittel-Handel mehr Selbstverantwortung zuweisen, indem er abgelaufene Ware generell billiger verkauft oder verschenkt? Und vor allem: Wie kann die Politisierung der Tafelträger und ihrer Helfer, aber auch der Tafelnutzer gelingen?

2. Verteilungspolitische Ebene

Wie kann die notwendige Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze, der Grundsicherungsbeträge für Ältere, die Angleichung der Leistungen für AsylbewerberInnen und Flüchtlinge und die Einführung auskömmlicher gesetzlicher Mindestlöhne durchgesetzt werden? Und wie eine gerechte Steuerpolitik?

3. System-Ebene

Wie ich versucht habe darzustellen, ist es schwer, in verkehrten Verhältnissen das Richtige zu tun. Selbst mit einer »Normalisierung« in Form erhöhter Regelsätze und Löhne wären das Systemproblem der konkurrenz- und profitgesteuerten Überproduktion mit seiner Selbstzerstörungstendenz und die ausbeuterische, abhängige Lohnarbeit nicht beseitigt. Deshalb müssen wir auch eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung, einen Formwechsel von Produktion und Verteilung ins Auge fassen. Wir in der KAB haben dafür den Begriff der »Tätigkeitsgesellschaft« entwickelt, Karl Marx sprach von einem »Verein freier Menschen«. Wir KABler haben aber auch die biblische Zusage aus dem 5. Buch Mose, wonach es in einer gerechten und freien Gesellschaft keine Armut geben muss. Diese Zusage nehmen wir ernst.

Günther Salz



Quellen, Infos und Kontakt:

[1]  Günther Salz war bis vor kurzem Diözesanvorsitzender im KAB-Diözesanverband Trier und hat von 2008 bis 2012 das Projekt »Lebensmittel-Tafeln« im Rahmen der sog. »Sozialfuchs-Kampagne« geleitet, mit der »unwürdige gesellschaftliche Zustände« aufgedeckt und öffentlich gemacht, aber auch »Positives« aufgespürt und eigene Aktivitäten entwickelt werden sollten.

Weitere Informationen unter: www.tafelforum.de und www.kab-trier.de

Artikel von Günther Salz, erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2012/12 (zum Artikel) und www.labournet.de/express

 

Herausgeber:  Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der politischen Bildung e.V. (AFP e.V.)


Redaktionsanschrift:

express / AFP e.V.

Niddastraβe 64, VH, 4. OG,

60329 Frankfurt a.M.,

Tel. ++49 (0)69 – 67 99 84

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Email: express-afp@online.de  

www.express-afp.info

 

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Marie-Luise Volk
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Verbunden: 28.10.2010 - 13:29
Müll und Mensch - Kritik der Almosen- und Warenökonomie


Günther Salz: "Müll und Mensch - Kritik der Almosen- und Warenökonomie"

Das (Rand-)Phänomen Tafeln" wirft ein bezeichnendes Licht auf die "Mitte" von Wirtschaft und Gesellschaft. Der Beitrag "Müll und Mensch" möchte daher die strukturellen Zusammenhänge von Armut und Überfluss, von Almosen- und Warenökonomie ausleuchten und begründen, weshalb nicht nur die Tafeln, sondern auch die sie verursachende Ökonomie und Politik abzuschaffen ist



Zum Thema passend veröffentlichte Redakteur Ulf Steffenfauseweh einen Artikel in der Rhein-Zeitung, Ausgabe Neuwied vom 17.10. 2013 mit dem Titel: Günther Salz fordert Ende der Tafel – hier ein kurzer Auszug:

[….]Allen voran Hauptreferent Günther Salz von der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) fand harte Worte. Der KAB-Diözesanvorsitzende aus Engers machte deutlich, dass er die Tafelbewegung als eine Art Feigenblättchen des immer schärfer werdenden Kapitalismus ansieht. Daher, so führte er aus, würden die Tafeln auch massiv aus der Wirtschaft unterstützt, unter anderem von der Unternehmensberatung Mc Kinsey.

Lebensmittelhändler wie Lidl, deren Angestellte aufgrund der Löhne potenzielle Tafelkunden seien, sparten durch die Abgabe lediglich Lager- und Entsorgungskosten. „Für manche ist die Tafel vielleicht die letzte Rettung, weil sie die elenden Hartz-IV-Sätze oder Hungerlöhne damit aufbessern können. Aber sie erhalten nur Restmüll und sollen dafür dankbar sein. Die Armen werden zu den Müllschluckern der Nation gemacht", kritisierte er.

Spender und Sponsoren seien „alles andere als barmherzige Wohltäter, sondern Profiteure der Armut", führte er aus: „Nach außen sozial, nach innen kapital." Die Tafeln, deren freiwilligen Helfern er vorwarf, „in herzlicher Gutgläubigkeit zu Handlangern einer asozialen Politik zu werden", stabilisierten die Armut. Deshalb sollten die Einrichtungen abgeschafft werden, sagte er und forderte nach einem theoretischen Exkurs mit Anleihen bei Marx einen Systemwechsel.[….]
(Quelle: Rhein-Zeitung.de)

Darauf habe ich den folgenden Leserbrief eingesendet:

Sehr geehrter Herr Steffenfauseweh,
 
mit großem Interesse habe ich Ihren Bericht "Günther Salz fordert Ende der Tafel" gelesen.
 
Als Gesundheitsberaterin (GGB) gäbe es noch unendlich viele andere Details zu den Produkten des Tafelangebots zu erwähnen. Doch das soll jetzt im Moment nicht mein Ansatz sein.
 

Mir geht es um die Forderung nach einem Systemwechsel nach Marx'schem Exkurs. So schreibt Helmut Creutz in seinem Buch "Das Geldsyndrom", dass Marx in seinem 3. Band seines Hauptwerks "Das Kapital", den Vorrang der Geldkapitalbedienung mehrfach herausgestellt hat. Diese wichtige Erkenntnis blieb bisher leider unbeachtet. Auch Engels war offensichtlich bekannt, dass es eine Überlegenheit des Geldes gibt und dass durch Schatzbildung Zinsen zu erpressen sind.

Weil diese Erkenntnisse bei der Umsetzung des Kommunismus in die Praxis nicht stattgefunden haben, kommt es auch in marxistischen Kreisen immer wieder zu falschen Forderungen. Diese falschen Forderungen werden mit ideologischen Scheuklappen - auch von seiten der Gewerkschaften und Politik - gehegt und gepflegt. Es kommt jetzt darauf an, nicht mehr Marx nur zu interpretieren, sondern die Veränderungen, die sich aus seinen Erkenntnissen und den Erkenntnissen von Helmut Creutz u.a. ergeben, einzufordern.
 
Um die berühmt-berüchtigte Schere nicht weiter aufgehen zu lassen, muss endlich die Zinseszinsproblematik als oberster Punkt auf die Tagesordnung. "Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind" gab uns bereits Albert Einstein mit auf den Weg.
 
Der Zinseszins führt zu exponentiellem Geldwachstum. Von diesem Geldwachstum profitieren nur noch ganz wenige. Das Ansteigen des Geldvermögens geht zu Lasten breiter Bevölkerungsschichten. Durch das Ansteigen der Geldvermögen, steigen die Schulden derjenigen, die diesen Reichtum finanzieren müssen. Es ist nicht mein Ansatz, die Reichen zu verteufeln. Sondern verteufelt werden muss das Geldsystem, das diese Kapitalanhäufung ermöglicht und zur Verelendung breiter Bevölkerungsschichten führt.

Wenn dies endlich einmal klar gestellt sein wird, dann kann eine andere Herangehensweise an die Ursachen von Hartz IV, Lohndumping, Ein-Euro-Jobs usw. erfolgen.

P.S. Wenn Sie sich 7 Min. Zeit nehmen, Dirk Müller bringt es im Videobeitrag über unser Geldsystem mit einfachen Worten auf den Punkt - weiter
 
Mit freundlichen Grüßen

Marie-Luise Volk

 

 

 

 

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WiKa
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Verbunden: 16.10.2010 - 23:42
Tafeln weiter im Aufwind - Rekordjagd

Tafeln weiter im Aufwind - Rekordjagd

 

Diesen Beitrag bitte nicht falsch verstehen. Er bringt dem Grunde nach nur die tiefste Verachtung gegenüber dem „Abspeisungs-System” zum Ausdruck. Für genügend Sozial-Heuchler scheint es allen Ernstes ein Grund zum Feiern zu sein, dementsprechend entstand diese Betrachtung dazu im Herbst 2012, als es um die rapide wachsende Anzahl der Tafeln in Deutschland ging, besser gesagt, um die Amerikanisierung unseres Landes, weg vom Sozialstaat, hin zur Wohl- und Mildtätigkeitsgesellschaft, in der sich das Gewissen schneller beruhigen lässt, wenn man den Ärmsten Menschen im Lande noch die Funktion des Müllschluckers angedeihen lassen kann. So erfüllen dann auch die durchs Rost gefallenen noch eine wunderbare Funktion und alle Geber dürfen sich dann feiern.



BRDigung: Allerorten schnellen die Kurven jetzt nach oben. Die Verantwortlichen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne kommen aus dem Staunen nicht mehr raus und sind in Feierlaune. Offensichtlich geht ihre konsortiale Politik für diese Republik wunschgemäß auf, sodass man sich mit dem Jubeln nicht zurückhalten muss. Grund genug mal wieder ausgiebig und fürstlich zu Tafeln. Und siehe da, genau diese Branche belegt auch sogleich einen anständigen Spitzenplatz bei den erwähnten Statistiken und dem unverkennbaren Aufwärtstrend. Wie man an dieser Stelle bei der Tafel nachlesen kann, kommt man von 0 im Jahre 1993 auf sage und schreibe 891 Niederlassungen im Jahr 2011 (siehe Grafik) und 906 in 2012 (Quelle Wikipedia). Eine derartig dramatische Expansion kann kaum eine anderes Unternehmen in Deutschland vorweisen. Glückwunsch!.

Wie aus dem Kanzleramt verlautete, hat sich die Vorsteherin unserer Bananenrepublik entzückt über diese aufstrebende Entwicklung geäußert. Dem Vernehmen nach verdiene diese Leistung größten Respekt. Es ist schon fast eine unmenschliche Leistung, was die Bürger in Deutschland da vollbracht haben. Dies auch noch neben der absolut erforderlichen Solidarität mit den anderen Staaten und den vielen Banken in Europa. Sie forderte gleichwohl das Volk abermals strengstens auf in seinen Bemühungen um die Rettung der Banken deshalb nicht nachzulassen, denn hier erst zeige sich die wahre Solidarität der Deutschen und das echte Bestreben der Bürger einen wirklichen Wohlfahrtsstaat aufrechterhalten zu wollen. Sie dankte an dieser Stelle nochmals öffentlich dem Volk für seinen offenbarten Willen zur Rettung der Geldindustrie, womit immerhin schon das Ruder an einer zentralen Stelle herumgeworfen wurde. So konnten neben der Ausweitung der Tafeln auch die Manager Gehälter, wie auch die Boni der Banker wieder großartig zulegen, was zur Fortführung dieses Systems unerlässlich sei.

Weitere Trendsetter mit starken Kurven nach oben

Wenngleich die Tafel, wie vor erwähnt, das Reißer-Beispiel in der Republik darstellt, sollen andere Bereiche mit ähnlich starken Aufwärtsbewegungen natürlich auch erwähnt werden. Etwas verhalten zeigt sich im Moment die Arbeitslosenquote, sie will hierzulande noch nicht so richtig durch die Decke schlagen. Dafür sind die europäischen Signale in diesem Bereich aber unverkennbar. Dort geht es bereits steil bergauf und davon wird irgendwann auch die deutsche Kurve nach oben gezogen werden. Dieser Automatismus ist bekannt, also Geduld.

Eine beachtliche Steilkurve legt natürlich auch die Staatsverschuldung hin. Sie kommt gar nicht mehr zum Verharren, nein sie holt eine Rekordmarke nach der anderen. Die 2 vor den Billionen ist inzwischen obligat. An einen Einbruch der Staatsverschuldung braucht man auch langfristig nicht zu denken. Im Gegenteil, im Verein mit den Banken und der Finanzindustrie ist gewährleistet, dass diese Kurve auf Generationen hinaus nie wieder auch nur ansatzweise an eine Talsohle stoßen könnte.

Was jetzt allerdings Lohnsteigerungen nicht schaffen, dass vermögen die Verbraucherpreise allemal wettzumachen. Klar, auch hier ein deutlicher Daumen nach oben für durch die Decke schießende Preise. Natürlich angeführt vom Energiesektor. Aber auch bei den Lebensmitteln sieht die Kurve nicht schlecht aus. Dies wiederum bedeutet gleich doppelte Freude in Berlin, denn damit einhergehend ist schon sichergestellt, dass auch für die Kurve der Steuereinnahmen nicht unterm Weg bleiben wird.

Signifikante Aufschwünge außerhalb der Wertung

Ok, auch diese Charts wollen wir nicht unerwähnt lassen, wenngleich sich in Berlin der Jubel darüber aus teils verständlichen Gründen in engen Grenzen hält. Er kommt eigentlich gar nicht vor. Der Hauptgrund dafür ist der, dass die nachfolgenden Spitzenwerte kein Bargeld bringen, deshalb mögen die Politiker da nicht jubeln. Aber nun zu den Schlusslichtern.

Die Politik- und Politikerverdrossenheit erreicht ein Allzeithoch, die Kurve bäumt sich auf, als wolle sie sogar irgendwann die 100%-Absolutheitsmarke locker überwinden. Könnte man hier die Wortinflation der Verantwortlichen über die letzten Jahrzehnte realistisch mit einpreisen, wäre dies sogar problemlos möglich. So müssen wir uns schon an die unumstößliche Marke von 100% halten, der es jetzt erfrischend zielstrebig mit neuem Schwung entgegengeht.

Eine weitere tolle Leistung ist der dramatische Anstieg der Selbstmorde in Deutschland, auch hier wird ein Rekord nach dem anderen geholt. Die Regierung sieht sich hier in ihren Theorien zum „Sozialverträglichen Frühableben“ vollends bestätigt und jubelt darob etwas verhaltener. Dies mit dem Hintergrundwissen, dass besagte Kurve eine andere in absehbarer Zeit mit in die Tiefe reißen könnte. Man sorgt sich um die durchschnittliche Lebenserwartung, die massiv wieder abfallen könnte, sofern der Trend zum Suizid ungebrochen bleibt. Aber auch hier gilt es das Gute zu sehen. Letzteres könnte dann die „Rente mit 67“ - Pläne stabilisieren, sollte die Lebenserwartung erst einmal wieder unter 60 Jahre gefallen sein.

Alles in allem zeigen so viele Indikatoren nach oben, dass sich unsere Regierungsblockparteien aktuell keinerlei ernstliche Stagnationsgedanken machen müssen. Selbst die Diäten konnten bei diesem Trend mithalten. Um nun auch die Tafeln der Abgeordneten weiterhin fürstlich gedeckt zu halten, haben viele Hartz IV-Bezieher nochmals den Gürtel etwas enger geschnallt, aus verordneter Solidarität. Bei den ganzen Aufwärtstrends kommen die Mehrbezüge dieser Klientel nicht in die Top 100, brauchen also auch nicht analysiert werden.

Glückwunsch auch von hier aus an die Tafel, die mit ihrer vorbildlichen Leistung klare Indikatoren dafür liefert, wohin die Reise in diesem Staate geht. Auf, auf, aufwärts! Und sollten ihnen, liebe Leser, in Berlin oder andernorts einige dieser feiernden Diätierer aus dem Bundestag begegnen, so scheuen sie sich bitte nicht den Herrschaften auch mal persönlich zu diesen Glanzleistungen der letzten Jahrzehnte zu gratulieren. Gehen sie dabei aber bitte behutsam vor, so etwas sind die Abgeordneten seit Jahren nicht mehr gewöhnt.

Wilfried Kahrs


 

► Quelle:   dieser Beitrag erschien erstmals auf meinem Blog  qpress.de > Artikel

   die 4/2 Wahrheiten

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Die Lebensmitteltafeln - das Schlaraffenland für Arme


Die Lebensmitteltafeln – das Schlaraffenland für Arme


Die Lebensmitteltafeln haben sich im Bewußtsein des armen gebeutelten Mittelstandes zu einer Art Schlaraffenland für Arme entwickelt. Nach Ansicht der Volksmeinung, die unterhalb des Suppentellerrandes angesiedelt ist, kann es daher eigentlich überhaupt keine Armut mehr geben. Günther Salz ist da allerdings einer anderen Überzeugung, was er in seinem im Kritischen Netzwerk veröffentlichten Artikel mit dem Titel „Abgespeist – Überflüssig Gemachte und Gemachtes an einer Tafel“ beweist. Ich zitiere daraus:

[quote=Guenther Salz]Tafeln, Überproduktion und Armut sind Erscheinungen der Warenproduktion, einer verrückten Reichtumsform, in der Güter nicht eigentlich zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse produziert werden, sondern zum Zweck der Geldvermehrung beziehungsweise zur Kapitalakkumulation. Lebensmittel werden im Kapitalismus aus Profitgründen hergestellt und vertrieben und nicht, weil Menschen essen und trinken wollen.

[/quote]

Die Wirtschaft schlägt in verschiedenster Hinsicht Kapital aus den Arbeitslosen. Ein Aspekt ist die kostenlose Entsorgungsfunktion, die die Lebensmitteltafeln zugunsten des Lebensmitteleinzelhandels übernehmen. Gleichzeitig stellen sie für die Nahrungsmittelindustrie ein ideales Auffangbecken dar für die bewußt arrangierten Überproduktionen, deren Kosten eh in den Warenpreisen einkalkuliert sind. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den KN-Beitrag von Wilfried Kahrs „Das Geschäft mit den Armen im neuen Gewand“ sowie meinen dazu eingestellten Kommentar „Soziales Feigenblatt oder: die Vortäuschung einer solidarischen Gesellschaft“ aus dem ich einen Absatz wiedergebe:


„Die Tafeln für Sozialhilfe- und Hartz IV-Empfänger stellen das beste Beispiel dar für geheuchelte soziale Hilfe, denn die Spenderfirmen können sich im Glanze von Wohltätern sonnen, obwohl ihre Wohltaten im Grunde genommen nur das Einsparen von Entsorgungskosten sind. Die (noch) nicht betroffenen Zeitgenossen verschaffen sich so ein „gutes“ Gewissen  und können sich in ihrem Sessel beruhigt zurücklehnen. Die Welt ist für sie vollkommen in Ordnung, niemand braucht zu hungern, denn die soziale Hängematte ist ja so komfortabel gestaltet. Nur darin schlafen will von den Wohlstandsbürger niemand.“

 

In diesem Sinne stellen die Tafeln eine Einrichtung dar, die zwar vordergründig eine Hilfestellung leisten, die jedoch zur Folge hat, daß diese Institution sich selbst zementiert und verhindert, daß die anfangs als Übergangsmaßnahme proklamierte karitative Aktion sich selbst unentbehrlich macht. Sie bildet für die Politik und die Gesellschaft ein Feigenblatt, das eine Alibifunktion für die Demontage des Sozialstaates besitzt. Die saturierten Gutmenschen können es sich derweil zu Hause in ihrem Ruhekissen mit beruhigtem Gewissen zurücklehnen und gut schlafen. Im TV werden ihnen die sozialen Versprechungen der Politiker serviert und die  wohltätigen Spendengalas sowie die schönen Bilder von einer angeblich flächendeckenden Versorgung mit Lebensmitteltafeln präsentiert. Da hat man doch allen Grund, sich darüber zu freuen, in welch einem tollen Sozialstaat man lebt, der keine Wünsche offen läßt.


Auf diese Weise erhält man den Eindruck, daß viele Bürger sich die Tafeln als eine Art von Eingangsstufe der Underdogs, des Unterhauses des Kapitalismus, zum Paradies vorstellen. Sie, fleißigen die Leistungsträger fühlen sich sogar noch benachteiligt, weil die an den Tafeln zugelassenen Menschen eh Faulenzer sind, denen die gebratenen Tauben ohne Gegenleistung in den Mund geschoben werden. Deshalb tritt man eifrig in Stammtischmanier nach unten und solidarisiert sich lieber mit seinen eigenen Ausbeutern, die man noch bewundert (wie Merkel), nichtsahnend oder ignorierend, daß man selbst kurz vor dem Abgrund steht.


Es ergibt sich die perfide Situation, daß die Tafelorganisation als Argumentationshilfe für die Infragestellung von Sozialleistungen, für Verhinderung von Anpassungen an das gestiegene Preisniveau sowie für eine Beibehaltung von Dumpinglöhnen mißbraucht wird. Der Zynismus, der hinter der all den hehren Beschönigungen der Tafeleinrichtung steht, ist schon eklatant. Die Tafeln eigenen sich hervorragend als Verdrängungsfaktor für sämtliche begangenen sozialen Sünden, für Gleichgültigkeit und nicht wahrgenommene gesellschaftliche Verantwortung.


Die zwangsläufige Frage, die sich stellt, ist die, auf welche Weise denn die Tafelorganisation überflüssig gemacht werden kann. Wer glaubt, dazu brauchte man nur die Sozial- und Hartz IV-Regelsätze ein wenig nach oben zu korrigieren sowie einen Mindestlohn von lächerlichen 8,50 € einzuführen, der liegt völlig daneben. Jeder, der logisch und in Zusammenhängen denken kann, kennt die richtige Antwort. Nur radikale Bekämpfung der systembedingten Faktoren und Auslöser bringt die Lösung. Aber darauf können wir noch lange warten.



Praktische Betrachtungsweise des Tafelunwesens unter Berücksichtigung der Psyche der Betroffenen


Soweit die die theoretische Abhandlung über politische und gesellschaftliche Hintergründe und Auswirkungen. Wenn ich mir die meisten Kommentare zur Einrichtung der Lebensmitteltafeln anschaue - ob nun kritischer oder zustimmender Art -, dann ist festzustellen, daß sie nicht über die Theorie hinausgehen und die Sichtweise und Psyche der Betroffenen zu kurz kommt. Nur ein direkt Betroffener, oder jemand wie ich, der selbst einige Jahre Tafel“kunde“ war, kann authentisch über die Gefühlswelt der Tafelgänger berichten. Ich möchte einmal einige Faktoren hervorheben, von denen die Tafel“kunden“ beherrscht werden und die sie in eine Außenseiterrolle drängt:

 

  • Schamgefühl

Viele Anspruchsberechtigte lehnen es ab, sich aus Schamgefühl als Bedürftige in der Öffentlichkeit zu zeigen. Deshalb stellen sie gar keinen Antrag auf Zulassung. Die anderen verdrängen auf irgendeine Weise ihr Outen als Mensch zweiter Klasse, wozu der sie nach den Regeln der Marktwirtschaft und den Normen der Konsumgesellschaft unweigerlich abgestempelt werden. Man sieht es dem Publikum in den Tafeln meistens nicht nur an der Kleidung, an der Art ihrer Kommunikation, sondern auch ihrem Gesichtsausdruck an, daß sie nicht mehr „dazu gehören“. Damit meine ich die Teilhabe an der Gesellschaft und die Akzeptanz durch sie.

  • Pflicht zur Dankbarkeit

Den Beteiligten wird nicht nur indirekt sondern manchmal auch ganz offen vermittelt, daß sie für den ihnen geleisteten Service Dankbarkeit erweisen müssen. Der maßgebende Unterschied des Tafelangebotes zu den Regelleistungen ist der, daß man auf die Tafelleistungen keinen gesetzlichen Anspruch hat. Insofern gehört der offen ausgesprochene Dankesbeweis, am besten in einer demütigen Haltung, zur Pflichtübung. Das erwartet nicht nur teilweise das Tafelpersonal sondern auch der „normale“ Bürger, dem man von seinen großzügigen Tafelgeschenken erzählt.

  • Bettlerrolle

Eng verbunden mit der Dankbarkeitspflicht ist natürlich die Bettlerrolle, der man zugewiesen ist, weil man ja keinen Anspruch auf Leistung besitzt. Das untertänige Bitte-Bitte wird deshalb als Repertoire quasi gefordert. Das Selbstbewußtsein eines Menschen, der als Bettler angesehen wird, leidet zwangsläufig. Nach und nach zieht die meisten Betroffenen die ständige Abqualifizierung in ihrer Selbstachtung herunter, so daß sie sich schlußendlich wirklich selbst als Bettler einstufen, die keine Forderungen mehr stellen dürfen. Depressionen sind die Folge, die viele mit verstärktem Alkohol- oder Zigarettengenuß zu überspielen versuchen. Dadurch reduziert sich langsam ihre Fähigkeit und der Wille, wieder eine geregelte Arbeit anzustreben. Ein Teufelskreislauf, der durch den leergefegten Arbeitsmarkt noch verstärkt wird.

  • Konkurrenzsituation untereinander

Auch bei den Tafelkunden zählt nicht jeder Anwärter zu den bescheidenen Menschen. Manche raffen auch in fordernder Weise alles zusammen, was sie kriegen können. Der  Wille zum Konkurrenzkampf, der in den gehobeneren Klassen sogar als Charaktereigenschaft gefördert wird, färbt natürlich auch in der untersten Liga ab. So ist auch unter Taflern Mißgunst und Neid weit verbreitet – man gönnt dem Nachbarn es nicht, wenn er mal ein besonders gutes Stück abgestaubt hat oder in der Mengenabgabe etwas besser abschneidet.

  • Qualität der angebotenen Lebensmittel

Die Qualität der angebotenen frischen Lebensmittel war naturgemäß selten wirklich gut, manchmal irgendwie akzeptabel, aber auch oft minderwertig. Es bedarf eigentlich nicht der besonderen Erwähnung, daß die die Tafelnahrung in der Regel nicht frisch und vitaminhaltig ist und sie daher nicht unbedingt einen Beitrag zu gesunder Ernährung leistet. Man sollte nicht vergessen, daß es sich dabei ja um den Abfall handelt, den der Handel dem kaufkräftigen Kunden nicht mehr zumuten will!


Auch mir hat es anfangs Überwindung gekostet, mich zum Tafelgang zu animieren. Insgesamt erzeugt das Klima in der Tafel ein ungutes Gefühl, jedenfalls bei mir. Es ist einfach bedrückend, wenn man sich umschaut und die einzelnen Tafelgänger näher betrachtet und auf sich wirken läßt. Ich gebe zu, daß ich oft ein Problem hatte, das dort vorherrschende soziale Gefälle zu verarbeiten. Ich kann mich an die Passanten erinnern, die zufällig am Tafelgebäude vorbei gingen und die davor verweilenden Kunden musterten. Mein Gefühl war, daß die Leute aus der Anderswelt dies für eine Art von menschlichem Zoo hielten.


Zum Schluß noch ein Wort zur angeblich flächendeckenden Versorgung mit Tafeln. Die für mich zuständige Tafel war in Cochem/Mosel ansässig. Sie war und ist die einzige Tafeleinrichtung im gesamten Kreis Cochem-Zell. Die Kunden stammten aus den verschiedensten Dörfern von Mosel, Eifel und Hunsrück. Da Tafelkunden meistens über kein Auto verfügen und die Infrastruktur für öffentliche Verkehrsmittel in unserem Kreis schlecht ausgebaut ist, haben viele Anspruchsberechtige ein großes Anreiseproblem, das sowohl hinsichtlich des Zeitaufwandes als auch bezüglich der Fahrtkosten besteht. Fazit: Auch in diesem Punkt eine denkbar schlechte Note für die Tafelorganisation.

 

Bildquelle:  Lebensmittelausgabe bei einer Tafel, Foto: Sterling Communications from USA, Quelle: Wikipedia engl., Verbreitung mit CC-Lizenz



MfG Peter A. Weber

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Wolfgang Blaschka
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Verbunden: 09.11.2010 - 02:16
Soziales Einkaufen statt Tafel-Schelte!

 

"Soziales Einkaufen" statt Tafel-Schelte!

Selbstbewusster denken, souveräner handeln, gerechter fair-teilen

So löblich es ist, die Lebensmittel-Tafeln als systemstabilisierendes Trostpflästerchen zu entlarven und als Alibi für die Überproduktion des Kapitalismus zu geißeln, sollte nicht vergessen werden, dass es sich dabei um eine "Erfindung aus der Not heraus" handelt.

Die wenigsten Akteure dieser Bewegung dürften sich als "Ersatz für Sozialstaatlichkeit" oder als Ausputzer des Lebensmittel-Handels gesehen haben. Oft sind es engagierte Leute, teils auch selbst Betroffene, die die notwendige Initiative ergriffen haben, gerade jene Leute mit Lebensmitteln zu versorgen, die durch alle Raster fallen, die sich scheuen in die Mühlen der Ämter und Agenturen zu geraten, die lieber freiwillig unter Brücken leben, weil sie nicht in Heimen oder Pensionen eingezwängt werden wollen, die aus Selbstwertgründen eher Putzen gehen als "Geld vom Staat" anzunehmen. Die haben weder einen "Sozialpass" noch manche überhaupt einen Ausweis, und schon gar keinen ihrer Bedürftigkeit außer ihrem oft augenscheinlich verwahrlosten Äußeren, ihren abgearbeiteten Händen oder ihrer zerschlissenen Kleidung.

Manche haben aber auch nur traurige Augen oder depressive Gesichtszüge. Für die waren und sind Tafeln die letzte Möglichkeit vor'm Müllcontainer-Durchsuchen. Manche leben vom Flaschensammeln und bessern sich mit der "Trittin-Rente" ihre kärglichen Renten mit Mini-Einkommen auf. Sie arbeiten sich zu Hungerlöhnen in Gelegenheits-Jobs oder als Tagelöhner arm. Und selbst am "Arbeiter-Strich" droht noch eine Razzia.

Es scheint mir zu wohlfeil (und schon gar mit dem Argument der zu wahrenden Menschenwürde), die auf bessere Tage zu vertrösten oder auf mehr Hartz IV oder gar auf einen Mindestlohn, den sie ohnehin niemals bekommen, weil sie aufgrund ihrer persönlichen Lage (Krankheit, Alter, mangelnde Qualifikation etc.) gar keinen (sozialversicherungspflichtigen) Job haben oder haben können. Selbst die, die angeblich nur "nicht wollen", hätten auch beim besten Willen keine Chance auf dem regulären Arbeitsmarkt. Die Wirtschaft versteht sich in der Regel nicht als therapeutische Einrichtung oder Auffangstation für schwierige Lebenslagen. Die Zeiten, als Alkoholiker, (Kriegs-)"Versehrte" oder generell "Leistungsschwache" einfach so mitgezogen wurden, sind längst vorbei und dem gnadenlosen Effizienzgedanken in der Personalpolitik gewichen, sie wurden aussortiert und kalt ausgesteuert, als "Überflüssige" entlassen, frühverrentet, einfach nicht mehr gebraucht für den Kapitalverwertungsprozess.

Gerade sie standen (ähnlich wie das Klientel der freiwilligen Straßenärzte für Menschen ohne Versicherungsschutz) im Fokus der Bemühungen der ehrenamtlichen Tafel-Betreiber, und das sind nicht nur vom Helfersyndrom-Geplagte und zur eigenen Gewissensberuhigung tätig gewordene "Großbürgers-Gattinnen", die irgendwie "Gutes tun" wollten, weil ihnen sonst langweilig wäre, sondern aktive Menschen, die anpacken und nicht auf die (genau in die Gegenrichtung tätige) Politik warten wollten, bis die sich eines Besseren besönne. Bis dahin nämlich wären die Nutzer ihrer Kampagne längst verhungert oder zwangsweise zu Dieben und Mundräubern verkommen. Das nur als Vorbehalts-Bemerkung gegen eine zu pauschale Verteufelung der Tafeln.

Natürlich ist der prinzipielle Einwand gegen die Privatisierung öffentlicher Wohlfahrtspflege völlig berechtigt, und muss es das Ziel vor allem sein, krasse Armut generell zu überwinden. Aber das kann dauern. Selbst bei deutlichem Anstieg des durchschnittlichen Einkommensniveaus (und damit Anhebung der Armutsgrenze inklusive des Hartz-IV-Satzes) bliebe die Tatsache, dass es immer noch genügend (weil immer weitere) Menschen gibt, die am unteren Rand der gesellschaftlichen Teilhabe knappsen und kaum ihren minimal notwendigen Lebensunterhalt verdienen können. Denn die Pauperisierung schreitet voran wie umgekehrt die unverschämte Vermehrung des Reichtums ganz oben. Die Schere klafft immer weiter auseinander. Sie drückt unweigerlich mehr Menschen in prekäre Situationen, die über kurz oder lang in dauerhaft "schwierige Lebenslagen" münden, in Verzagtheit, Angst, Depression, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung an Dauerarbeitslosigkeit in unüberwindlicher Armut.

Sind sie erst mal ganz unten angekommen, ohne Rücklagen, ohne soziales Umfeld, dann gibt es kaum noch ein Entrinnen. Das wird sich auf absehbare Zeit leider so fortsetzen, selbst bei günstigerer Arbeitsmarktlage. Solange sind Selbsthilfe-Initiativen wie Tauschbörsen und Tafeln vermutlich nicht zu entbehren. Als hilfreicher Notnagel, nicht als etablierte Normalität eines "schlanken Staates", der sich aus seiner sozialen Verantwortung davon stiehlt, um sich den Bedürfnissen der Reichen und Superreichen als willfährig zu erweisen. Und auch nicht als billiger Ersatz oder reformerische Bremse für Gesellschaftsveränderungen bis hin zu sozialen Umwälzungen.

Die Tafeln sind weder schuld am Elend noch beheben sie es. Dennoch sollte der Diskurs nicht in Richtung Abschaffung gehen, im Gegenteil: Jeder normale Supermarkt sollte zur Tafel werden, wenigstens für ein bis zwei Stunden am Tag, am besten in den Niedrigfrequenz-Zeiten, wenn ohnehin Flaute ist. Bedürftige, also arme Menschen mit weniger als 40 Prozent des Durchschnitts-Einkommens müssten zum halben Preis einkaufen können. Lebensmittelvernichtung müsste doppelt so hoch besteuert werden wie verkaufte Ware. Das ließe sich mit elektronischer Buchführung leicht nachweisen. Dann ginge das ganz flott mit "Happy Hours", "Schnäppchen-Stunden", "Sozialverkauf" oder "Reste-Regal", verteilt über den Tag, verstärkt vor Ladenschluss. Was dennoch nicht weggeht, wird am nächsten Tag verschenkt, ohne (im Einkauf des Einzelhändlers) versteuert werden zu müssen.

Der Müllberg würde deutlich geringer, die Auslastung der Läden und die Belastung des Personals besser verteilt. Dagegen ließe sich einwenden: Der organisatorische Aufwand! Der wäre in Zeiten der Chipkarten nicht allzu hoch. Ein zweiter Einwand: Wie ließe sich kontrollieren, wer berechtigt ist zum Rabatt-Einkauf? Würde es nicht auf eine Stigmatisierung hinauslaufen, wenn man an der Kasse seine Sozialkarte vorweisen müsste? Dem lässt sich entgegenhalten: Schämt sich jemand, seine drei Teile mit der EC-Karte zu bezahlen, weil er kein Geld "dabei" hat? Weiß man denn, wieviel er oder sie im Minus steht bei der Bank? Es könnte also auch ohne zeitliche Begrenzung ganztags funktionieren, was deutlich besser wäre, vor allem für Berufstätige.

Wenn jede/r Neunte der Bevölkerung (in München sind es beispielsweise 11,8 %, in Nürnberg sogar 19,6 %, bayernweit 11,3 %, und das in einem der "reichsten" Bundesländer) seine Billig-Berechtigungskarte vorweist, ist das immerhin eine qualifizierte, jedenfalls privilegierte Minderheit, die von den "Normalverdienern" wohl eher insgeheim beneidet als mitleidig belächelt würde. Allerdings beantragen müsste man sie. Auch das ließe sich unter Vorlage des Einkommens-Nachweises oder eines Sozial-Passes unkompliziert bewerkstelligen. Niemand mit einem Chef-Gehalt würde einen auf "Rabatt-Schmarotzer" mimen, selbst wenn es ihn noch so reizen würde, günstiger einzukaufen. Man würde es ihm schon an der Rolex-Uhr ansehen, so wie man's auch Halbwüchsigen ansieht, die Alkohol oder Zigaretten kaufen wollen. Vielleicht gäbe es dann lustige Szenen vor den Läden: Ein Millionär fragt den Bierflaschen-Punk: "Da hast du'n Fuffi, leih mir mal deine Karte". – "Aber hallo, komm'se mal mit, ich bin vom Sicherheitsdienst. Kleiner Einkaufsbetrüger, wie?! Macht glatt'n Hunni, bar auf die Kralle!". Ein lukratives Nebengeschäft.

Es muss heute niemandem mehr peinlich sein, als arm zu gelten. Schwierig ist es bei denen, die leicht "drüber" liegen oder die aus Scham, Stolz oder schlichter Unwissenheit über ihre gesetzlichen Ansprüche nach geltender Rechtslage darauf verzichten, als Berechtigte gelten zu wollen für das Projekt Sozial-Einkauf.

Doch auch das ließe sich mit Aufklärungskampagnen und damit einhergehendem gesellschaftlichen Umdenken perspektivisch in den Griff bekommen. Entscheidend wäre der politische Wille, und genau der fehlt. Soll doch die Armut als Ausgrenzung zementiert werden, als Drohung vor dem (für viele vorprogrammierten) sozialen Abstieg, auf dass rechte Rattenfänger sich bedienen können an der Furcht der Menschen, anstatt lieber "pekuniäre Knappheit" als Ausweis für Sozialverträglichkeit zu sehen und mittelbar zu "belohnen". Denn ein armer Mensch richtet weniger volkswirtschaftlichen Schaden an als ein hoch angesehener Manager, der mit einem Federstrich 5000 Menschen entlässt.

Jeder könnte "Florida-Rolf" sein, wenn er's wollte, und käme doch niemals im Leben dazu, einen derart gigantischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden anzurichten wie ein einzelner Banker, der mit einer einzigen Fehlspekulation Aber-Milliarden in den Sand setzt. Die selbst ernannten Wirtschaftskompetenzler, die dem Neoliberalismus das Wort reden, sind die Asozialen.

Das Kapital ist asozial. Nicht die armen Leute. Die wird es statistisch gesehen (nach heutiger Definition) immer geben, so reich könnte eine noch so kommunistische Überflussgesellschaft gar nicht sein, selbst wenn ihre Gehwege mit Goldplatten belegt wären. Unter Milliardären ist der einfache Millionär ein armes Würstl. Deutlich unter 40 Prozent ihres Zins-"Einkommens". Es ist alles relativ. In Bangladesh kann ein Schuhputzer mit 1,25 Euro Tagesverdienst weniger ausgebeutet sein als ein hoch bezahlter BMW-Arbeiter im teuren München, prozentual gesehen am Mehrwert, den er erarbeitet und der ihm vorenthalten und von der Familie Quandt eingesackt wird. Das soll nichts beschönigen oder verkleistern, sondern nur aufzeigen: Relative Armut wird kaum je ganz auszuschalten sein, es kommt darauf an, wie wir damit umgehen. Achten wir die Armen, dann erleiden sie zumindest keinen Mangel an Menschenwürde. Verachten wir sie, sind sie nicht nur finanziell arm dran. Je nachdem können sie sich selber so oder so sehen, als Ausgegrenzte oder Teilhaber an der Gesellschaft, an Kultur und Politik, Bildung und Wissenschaft, ja sogar als diejenigen, die die Gesellschaft am meisten voran bringen in Richtung Entschleunigung, Besonnenheit und Muße.

Das hilflose Gerödel im Hamsterrad macht krank, die sinnlose Geldvermehrung irre und die Überproduktion bringt nur Schaden. Selbst für die, die daran verdienen oder davon zu profitieren glauben, könnte weniger mehr sein. Für Managerseminare mit Schweige-und Fasten-Tagen im Kloster wird horrendes Geld bezahlt. Die meisten Langzeitarbeitslosen haben das jeden Tag und kostenlos. Die Frage bleibt: Wer ist eigentlich die "ärmere Sau"? Ein Paradigmen-Wechsel ist längst fällig. Dann reden wir auch nicht mehr von "menschenverachtend", wenn jemand bewusst Pferdefleisch isst, weil's vielleicht billiger ist, aber wohl manchem Gaumen auch gut schmeckt. Es ist, nebenbei gesagt, das bestkontrollierte Fleisch überhaupt. Wir haben es zu WG-Zeiten regelmäßig in der Freibank am Viktualienmarkt gekauft, da hieß es früh aufstehen: Bereits gegen 7.30 Uhr war alles ratzfatz ausverkauft. Und die Kunden waren nicht nur "arme Schlucker" wie wir Studenten damals. Man sah auffallend dicke Autos parken ringsum.

Überhaupt müssten Vorkehrungen getroffen werden, um Zweckentfremdung dieser Art von Subvention zu verhindern. Reiche Leute könnten sich ein paar Habenichtse als Stroheinkäufer halten oder die kärglich entlohnte Haushälterin zum Markt entsenden, für ein paar Euro Aufgeld nebenbei. Das sollte vermieden werden durch Beschränkung auf etwa den halben Grundsicherungs-Satz für Nahrungsmittel. Den gäbe kaum jemand freiwillig her, und für Großeinkäufe wäre er zu schnell verbraucht, als dass es sich lohnte. Man muss ja in Zeiten der "Kapital-Verbrechen" an alles denken. Zuzutrauen ist den reichen Pinkeln vieles, sonst wären sie schließlich nicht so reich. Welches große Vermögen kam schon "ehrlich" zustande? – Also lieber geregelt als gar nicht.

Ähnlich war es übrigens in Berlin vor dem Mauerbau. Einer der Hauptgründe dafür war (neben der Absicht die Abwanderung von qualifizierten Arbeitskräften in den Westen einzudämmen) der üppige Ost-Einkauf der Westberliner. Sie hamsterten die staatlich subventionierten Waren aus den Kaufhallen für einen Bruchteil des Westpreises, zumal sie vorher schwarz "umrubelten". Das verstärkte die ohnehin in der Nachkriegszeit bestehenden Versorgungsengpässe in der DDR ins Extreme. Eine gewisse Kontrolle der Zugangsberechtigung müsste also auch heute ohne Schlagbaum und Stacheldraht garantiert sein, sonst liefe das "soziale Einkaufen" ins Uferlose und verkäme zum hemmungslosen "Einkaufen". Geplündert sollte jedenfalls nicht werden, sonst hätte das Konzept keinerlei Chance auf Realisierung. Als Win-Win-Geschäft mit der Lebensmittel-Industrie wäre es immerhin denkbar.

Sie müsste nicht einmal einen allgemeinen Preisverfall befürchten. Wenn sie heute die Tafeln lobt, könnte sie auch selbst mit deutlich weniger Aufwand zum "Tafel-Betreiber" werden und diese allmählich verüberflüssigen. Dazu müsste man nur ein Gesetz machen, das dies nicht nur begünstigt, sondern gesetzlich vorschreibt und verbindlich regelt. Nichts anderes als Mindestlohn wäre der Mindest-Konsum, nur ohne miese, ausbeuterische Arbeit dazwischen, also deutlich sozialverträglicher. Und für die Konzerne nicht einmal ein Verlustgeschäft vermutlich. Denn zwischen ganz abschreiben und an die Schweine verfüttern oder unterpflügen und einem halben Preis erzielen, läge doch immer noch eine nicht unerhebliche Spanne. Die kann eine Tafel nicht erlösen. Sie macht nur die Wege länger und grenzt ihre "Kunden" aus vom normalen Konsumbetrieb. Genau das soll sie nicht. Solange es kein bedingungsloses Grundeinkommen gibt, wäre das zumindest eine indirekte Einkommens-Aufbesserung. Sie würde einen deutlich größeren Bevölkerungsanteil begünstigen als den Kreis der heutigen Hartz-IV-Empfänger, und das ganz selbstverständlich ohne entwürdigende Prozeduren oder gar Sanktionen. Lohnsteuerkarte bzw. Einkommenserklärung genügte. Bei Transferleistungs-Berechtigten entstünde sowieso kein bürokratischer Mehraufwand, die hatten sich schon vorher nackig gemacht.

Ob es nun der halbe Preis sein darf oder nur ein Drittel, darüber können wir uns ebensogut streiten wie über die Frage, ob 8,50 Euro oder 10 oder 12,50 Euro beim Mindestlohn ausreichen, um menschliche Arbeitskraft zu reproduzieren. Es wird immer eine Frage des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses (parallel der Zusammensetzung des Bundestages) bleiben, welche exakten Konditionen diskutiert und durchgesetzt werden können. Mir ging es hier erst mal um das Prinzip der Idee. Ihr dürft sie gern aufgreifen und euch zu eigen machen.

Weil "alles sofort und zwar umsonst" werden wir nicht kriegen ohne Auseinandersetzung, auch untereinander. "Soziales Einkaufen" muss nicht auf ewig illegal, strafbewehrt und riskant bleiben. Auch besetzte Häuser wurden schon legalisiert. Und gerade den wirklich Armen steht der Sinn am wenigsten nach Kriminalisierung. Sie könnten auch die Strafen gar nicht bezahlen und wanderten sofort in den Knast. Sie wollen oft genug nur ihre Ruhe, leider auch vor der Politik.

Selbstverständlich soll dieses Konzept kein Hemmschuh oder Konkurrenzveranstaltung zu den überdies nötigen Kämpfen um gesellschaftliche Umverteilung sein. Allgemeine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche ohne Einkommensminderung bleibt ein Muss, ebenso harte Tarifforderungen und Abwehr von weiterem Sozialabbau, Massenentlassungen und Betriebs-Schließungen. Gerade letztere sind oft nicht erfolgreich, selbst wenn Sozialpläne ausgehandelt werden. Umso wichtiger ist die Möglichkeit, die Lebenshaltungskosten zu senken für diejenigen, die immer am Ende das zu tragen haben, was gemeinhin das "unternehmerische Risiko" genannt wird.

Einem Laden, der seine Verfallsdatums-Ablaufware loswerden muss, könnte genau dieses ebenfalls minimiert werden. Und es wäre allen geholfen. Ohne jede Klassenversöhnung, versteht sich. Einfach, weil es sich lohnt für beide Seiten. Auch für die Gesellschaft insgesamt. Es kostet den Staat nicht einmal Geld. Vielmehr könnte er von den anfallenden Vernichtungs-Steuern sogar profitieren. Irgendwelche unverkäuflichen Reste müssen immer "entsorgt" werden.

So wie beispielsweise das überkommene, aber für die Zukunft unhaltbare Verbot politischer Streiks. Ohne die wird nichts gehen, wenn es so weitergeht. Es wird sich einfach eines Tages genommen werden müssen, dieses Recht, so oder so. Ähnlich wie der Wacholder-Schinken im Supermarkt, wenn aus dem Ermäßigten-Einkaufsrecht nichts wird. Dann aber den nicht abgelaufenen. Die Rechnung geht so: Bevor ein Mensch verhungert, holt er sich, was er lebensnotwendig braucht, solange er nur irgend kann. Bevor ein Konzern durch Total-Abschreibungen regelmäßig Verluste macht, minimiert er sie lieber. Relativ simple Rechnung.

Wolfgang Blaschka, München



Fotoquellen:

1. Foto: Bundesverband Deutsche Tafel e.V., – http://www.tafel.de/

2. Depression, Hoffnungslosigkeit Foto: Dr. Klaus-Uwe Gerhardt, Quelle: Pixelio.de

3. Gebrauchte Möbel im Möbellager. Quelle: DIAKONIE Pirna

4. Hamsterrad Foto: Th. Reinhardt, Quelle: Pixelio.de

5. Foto: Bundesverband Deutsche Tafel e.V. – http://www.tafel.de/

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Tafeln als notwendiges Übel


Tafeln als notwendiges Übel

Tafeln stellen leider in unserer Konsumgesellschaft mit ungerechter Verteilung des Überflusses ein notwendiges Übel dar, das aber nicht konzeptionell auf Institutionalisierung und Verewigung angelegt werden darf. Tafelschelte sollte sich daher auch nicht gegen die Leistung der Tafeln und ihrer Mitarbeiter richten. Die Tafeln wurden aus der Not geboren, und natürlich auch teilweise aus Berechnung, können aber zumindest punktuell erfolgreiche Hilfe leisten. Denn – wie Wolfgang Blaschka treffenderweise festgestellt hat: Die Tafeln sind weder schuld am Elend, noch beheben sie es.

Wir haben im Kritischen Netzwerk schon des öfteren über soziale Mißstände in Verbindung mit der Einrichtung der Tafelorganisation geschrieben. Es ergibt sich die perfide Situation, daß die Tafelorganisation als Argumentationshilfe für die Infragestellung von Sozialleistungen, für Verhinderung von Anpassungen an das gestiegene Preisniveau sowie für eine Beibehaltung von Dumpinglöhnen mißbraucht wird. Der Zynismus, der hinter der all den hehren Beschönigungen der Tafeleinrichtung steht, ist schon eklatant. Die Tafeln eigenen sich hervorragend als Verdrängungsfaktor für sämtliche begangenen sozialen Sünden, für Gleichgültigkeit und nicht wahrgenommene gesellschaftliche Verantwortung. (siehe Artikel „Soziales Feigenblatt“)

Der neueste Kommentar von Wolfgang Blaschka enthält jedoch eine zusätzliche konstruktive Komponente: zu einer Ausweitung auf qualitativ höherer Ebene: "Jeder normale Supermarkt sollte zur Tafel werden, wenigstens für ein bis zwei Stunden am Tag, am besten in den Niedrigfrequenz-Zeiten, wenn ohnehin Flaute ist."

Ich frage mich ernstlich, warum nicht ich oder andere schon darauf gekommen sind, denn bei der von Blaschka vorgeschlagenen Lösung handelt es sich um eine typische pragmatische Win-Win-Konstellation, von der alle Beteiligten profitieren. Kreative Umsetzungen sind gefragt – wie diese im Prinzip aussehen können, hat Blaschka bereits in seinem Beitrag ausgeführt. Entsprechende Organisationsstrukturen und Kriterien müssen geschaffen werden. Damit die wünschenswerten Wege sinnvoll, effektiv und gerecht sind und nicht mißbraucht werden, ist eine Unterstützung des Staates erforderlich, der nicht nur Empfehlungen ausspricht sondern gesetzliche und verordnerische Maßgaben vorgibt.

Die Konzeption des „sozialen Einkaufens“ ist im Sinne des gesunden Menschenverstandes, der sozialen Gerechtigkeit und der Ökonomie empfehlenswert und hilfreich. Außerdem wäre das Projekt in relativ kurzer Zeit realisierbar, wenn es mit entsprechender Tat- und Willenskraft der Verantwortlichen angegangen würde. Da bleibt die entscheidende Frage offen, warum das Vorhaben bisher von der Politik noch nicht einmal angerissen – geschweige denn gefordert – wurde?

  • Die Antwort kann logischerweise nur lauten: Es ist nicht gewollt.
  • Es schließt sich die Preisfrage an: Warum ist es nicht gewollt?
  • Die einzige sich aufdrängende Antwort ist: Armut ist erwünscht und soll nicht abgeschafft werden. Die Existenz von Armut bei einer Vielzahl von Menschen stellt ein Erpressungspotenzial der Politik und des Kapitals dar und kann vorzüglich zu Regulierungszwecken mißbracht werden, die der Aufrechterhaltung des Systems dienen.
  • Außerdem kann die Weigerung der politisch Verantwortlichen, ein derart pragmatisches und vernünftiges Modell einzuführen zusätzlich nur so erklärt werden, daß das ausufernde, alles verschlingende Wachstum und die dahinter stehende neoliberale Ideologie ungebremst durchgepeitscht werden sollen. Eine soziale Verwendung der Konsumüberschüsse kommt bei dieser schizophrenen Denkweise nicht infrage! Das alles spricht für ein politisches Klima der sozialen Kälte und einen rücksichtslosen und menschenverachtenden Charakter der Akteure.

Dazu schieb ich bereits weiter oben: „Die zwangsläufige Frage, die sich stellt, ist die, auf welche Weise denn die Tafelorganisation überflüssig gemacht werden kann. Wer glaubt, dazu brauchte man nur die Sozial- und Hartz IV-Regelsätze ein wenig nach oben zu korrigieren sowie einen Mindestlohn von lächerlichen 8,50 € einzuführen, der liegt völlig daneben. Jeder, der logisch und in Zusammenhängen denken kann, kennt die richtige Antwort. Nur radikale Bekämpfung der systembedingten Faktoren und Auslöser bringt die Lösung. Aber darauf können wir noch lange warten.“

Wolfgang Blaschka hat teilweise die Antwort darauf gegeben, aber diese kann nur als Übergangslösung angesehen werden, was er auch selbst erkannt hat. Die Endlösung ist nur in der Art eines radikalen Systemwandels erfolgen. Auf welche Weise dieser durchgeführt wird oder ob wir noch lange darauf warten müssen, ist eigentlich zweitrangig. Obwohl die Dringlichkeit für die Notleidenden und Betroffenen keinen Aufschub duldet.

MfG Peter A. Weber

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