Weltbürgertum und Mündigkeit. Ein Beitrag zum neuen Weltbürger-Bewußtsein

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Rudolf Kuhr
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Weltbürgertum und Mündigkeit. Ein Beitrag zum neuen Weltbürger-Bewußtsein
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Weltbürgertum und Mündigkeit

Ein Beitrag zum neuen Weltbürger-Bewußtsein

Ziel des neuen Weltbürger-Bewußtseins ist es, in der gesamten Menschheit eine politische Einheit zu sehen, um ein friedliches Miteinander zu erreichen. Um diese Vorstellung verwirklichen zu können, müssen genügend einzelne Menschen ihre innere Stabilität, ihre Identität aus sich selbst heraus in individueller Verbundenheit zum Weltganzen gebildet haben und nicht durch Bekenntnisse zu religiösen oder ethnischen Gruppierungen, die sich von anderen Menschen abgrenzen. Das heißt, sie müssen in der Lage, also innerlich so stabil sein, ihre Verbundenheit zum universellen Menschentum über ihre Verbundenheit zu einem religiösen oder ethnischen Bekenntnis zu stellen, wenn sie ein Weltbürgertum nachhaltig praktizieren wollen.

Wie die Realität zeigt, entstehen in unserer Zeit immer wieder gewaltsame Konflikte, in denen religiöse oder ethnische Gründe eine übergeordnete Rolle spielen. Zu viele Menschen gründen ihre Identität noch in diesen abgrenzenden Bereichen, sie haben die Grenzen zum freien, zum eigen- und mitverantwortlichen universellen Menschentum noch nicht überschritten.

Ein Maßstab für die Fähigkeit zum Überschreiten der Grenzen könnte der erweiterte Begriff der Mündigkeit sein. Mündigkeit nicht nur in dem bisher hauptsächlich verwendeten rechtlichen Sinn von Volljährigkeit und Geschäftsfähigkeit, sondern erweitert im Sinn der Fähigkeit, sich selbst kritisch wahrnehmen und sich in eine bewußte Beziehung zum Weltganzen bringen zu können.

Kriterien der Mündigkeit


Mündigkeit bedeutet

  • mehr als nur Volljährigkeit. Mündigkeit heißt, eine kritische Distanz nicht nur zu seiner Mitwelt, sondern vor allem auch zu sich selbst zu haben, für sich selbst voll- und für seine Mitwelt mitverantwortlich sein zu können und zu wollen;
  • seine Identität in sich selbst und in der Verbundenheit zur Mitwelt zu haben und nicht durch Identifizierung mit Objekten außerhalb der eigenen Person zu suchen;
  • sich selbst zu hinterfragen und hinterfragen zu lassen;
  • Kritik nicht nur zu ertragen, sondern auch zu wünschen;
  • einen veränderbaren, nichtresignativen Agnostizismus zu vertreten;
  • Irrtümer, Fehler, Ängste, Unfähigkeiten, sich selbst und anderen eingestehen zu können;
  • sich seiner Fähigkeiten und Grenzen bewußt zu sein;
  • konstruktiv, vorbildlich, verbindlich zu sein;
  • die ichbezogenen und selbstlosen Anteile seines Strebens zu unterscheiden;
  • Risiken einzuschätzen und die Realität nicht zu verdrängen;
  • nicht mehr auf der Suche nach dem großen Glück zu sein, es von außen zu erwarten;
  • offen und kritisch gegenüber neuen Erkenntnissen zu sein;
  • zu versuchen, sich selbst zu erkennen, zu akzeptieren und den eigenen ständigen Wandlungsprozeß bewußt und aktiv mitzugestalten;
  • Gefahren von sich und anderen entschlossen abzuwehren;
  • Möglichkeiten zu konstruktivem Handeln zu suchen und zu nutzen;
  • aus Feinden Gegner, aus Gegnern Partner, aus Partnern Freunde werden zu lassen;
  • den Sinn des Lebens zu erkennen und das eigene Leben sinnvoll und menschenwürdig zu gestalten.

 

Sind Christ und Jude eher Christ und Jude, als Mensch?

Gotthold Ephraim Lessing

 

Kriterien der Unmündigkeit


Unmündigkeit ist
 

  • das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen (Immanuel Kant);
  • unkritischer Glaube an Übersinnliches, Okkultismus, Anbetung von Göttern und Fetischen;
  • Personenkult; Identifikation mit Film-, Sportstars, erfolgreichen Personen, mit Gruppierungen, abgrenzenden Ideologien;
  • Unterwerfung gegenüber Doktrinen, Organisationen, Personen;
  • politisches Desinteresse, Ablehnung von Demokratie, Mit- und Selbstverantwortung;
  • Neid, Mißgunst, Haß, Feindbild, Rassismus;
  • Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Gewalt gegen Schwächere;
  • Kritiksucht, Destruktivität, allgemeine Antihaltung, Nihilismus;
  • Festhalten an überholten Traditionen;
  • Mitleid, mitzuleiden anstatt Mitgefühl zu empfinden;
  • Abhängigkeit von materiellen und geistigen Drogen;
  • Angst vor Psychologie, vor dem Unbewußten und Verdrängten.

Mündigkeit in einem erweiterten, umfassenden Sinn verstanden wäre ein wichtiger Maßstab zur Verwirklichung des Menschen, gemäß seiner von der Natur her gegebenen Anlagen, zu einem stabilisierenden Faktor der Evolution. Die übergeordnete Orientierung könnte das Ideal von einem universellen Humanismus, vom verantwortlichen Menschentum sein, das alle Menschen unserer einen Welt vereint und zu sozial und ökologisch handelnden Gemeinschaftswesen führt, die zu einem friedlichen Miteinander mit ihren Mitmenschen und mit der Natur fähig und willens sind. Eine friedliche Welt braucht ein Weltbürgertum, und dieses Weltbürgertum braucht friedensfähige, das heißt mündige Menschen.

Rudolf Kuhr


 

Quelle: Humanistische AKTION für verantwortliche Menschlichkeit > Webseite > Artikel  

"Wachstum an Menschlichkeit. Humanismus als Grundlage" > zur Vorstellung meines Buches 

Bildquelle:

1. Menschenkette. Menschen sollten wieder für und miteinander stehen, und sich dabei nicht von Regierungen gängeln und von Massenmedien manipulieren lassen. Sippenhaft bedeutet zugleich auch Ausgrenzung und gibt dem Hass neue Nahrung. Lernwilligkeit und ein Aufeinanderzugehen erleichtert die Versöhnung ungemein. Ziel des neuen Weltbürger-Bewußtseins ist es, in der gesamten Menschheit eine politische Einheit zu sehen, um ein friedliches Miteinander zu erreichen. Grafik: Juergen Jotzo, Quelle: Pixelio.de
 

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Chris Wolker
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Verbunden: 23.04.2012 - 18:03
Ist Mündigkeit nach dieser Darlegung möglich?


Ist Mündigkeit nach dieser Darlegung möglich?


Sehr geehrter Herr Kuhr,

ganz herzlichen Dank dafür, dass Sie es immer wieder schaffen, mich zum tiefgründigen Nachdenken zu bewegen.


Als ich eben Ihre Auflistung der notwendigen Eigenschaften las, die Mündigkeit ausmachen, wurde mir sehr schnell klar, dass ich nach dieser Darstellung nicht mündig bin. Ich dachte danach noch sehr lange über meinen großen Freundes und Bekanntenkreis nach und mit fiel niemand ein, der nach diesen Kriterien mündig wäre.

Da ich Schlussfolgerungen gern hinfrage, stellte ich mir die Frage, warum wohl keiner der mir bekannten Menschen nach diesen Kriterien mündig ist und ich es auch nicht bin. Bis ich auf eine Antwort kam, dauerte es nicht lange. Diese Kriterien für Mündigkeit stellen in ihrer Gesamtheit das dar, was nach dieser Darstellung den perfekten Menschen - nach DIESEN MAßSTÄBEN - beschreibt. Es wurden dabei menschliche Züge genommen, aufgelistet und als Bezugspunkte für Mündigkeit und folgen Unmündigkeit verwendet.

Wenn solche getrennten Auflistungen für eine Beurteilung erstellt werden, dann darf dabei nicht vergessen werden, was beurteilt wird. Es ist das menschliche Wesen, das es als Gleichheit nicht gibt, sondern nur in der jeweiligen Individualität. Menschen sind zudem Wesen, die einen Dualismus besitzen. Kein Mensch ist nur friedlich oder nur gewalttätig. Kein Mensch lügt nur oder sagt nur die Wahrheit aus eigener Sicht- und Verständnisweise. Kein Mensch ist nur gerecht oder ungerecht - je nach relativer Betrachtungsweise. Ich könnte diese Aufzählung noch sehr lange fortführen, doch für das, worauf ich hinaus will, sollte sie genügen.

Weil dieser Dualismus ein menschlicher Wesenszug ist, wäre es widernatürlich, wenn ein Mensch nach Ihrer gemachten Auflistung für Mündigkeit tatsächlich mündig wäre. Es stellt sich für mich die Frage, ob ein Mensch überhaupt tatsächlich so werden kann, dass er all den Kriterien für Mündigkeit entspricht, ohne sich gegen sein eigenes Wesen zu stellen?

Viele Charakterzüge sind ganz offensichtlich vererbbar. Das bedeutet, dass sie ein fester Bestandteil des jeweiligen Organismus sind.

  • Kann ein Mensch tatsächlich genetisch bedingte Veranlagungen verändern?
  • Macht er sich nicht bereits beim puren Versuch selbst etwas vor?
  • Werden die genetisch bedingten Verhaltensmuster - trotz größter Anstrengungen diese zu unterdrücken - nicht wieder in den Vordergrund treten?

Ich denke, dass es den idealen Menschen -wohlgemerkt nach dieser Auflistung - als Massenerscheinung nur dann geben könnte, wenn der Mensch mit der Genetik so weit fortgeschritten ist, dass alle Veranlagungen so weit festgelegt werden können, dass solch ein Mensch entstehen kann. Ab dieser Denkweise stellen sich sehr viele wesentliche ethische Fragen.

  • Dürfen/sollen wir so weit eingreifen?
  • Wohin wird das langfristig tatsächlich führen?
  • Welche möglichen Konsequenzen könnten damit verbunden sein?
  • Was ist, wenn in anderen Laboren plötzlich Menschen gezüchtet werden, die überaus aggressiv sind und gegenteilige anlagen haben?
  • Usw., usf.

Eine Variante wäre, dass es bereits einige dieser mündigen Menschen gibt und diese sich letztendlich aus evolutionärer Sicht durchsetzen werden. Aber: Wie gesagt, ich kenne keinen einzigen.

Das, was nach meiner Meinung erreichbar ist, ist eine durch Erziehung und Schulung vorgegebene Richtung, die sich auf diese Kriterien der Mündigkeit beziehen. Einige werden je nach genetischer Veranlagung mit mehreren Kriterien klarkommen, andere mit weniger.

Die Entwicklung unserer Gesellschaftsformen über die Jahrtausende zeigt uns, dass es diese mündigen Menschen in den uns bekannten Zeitepochen ebenfalls noch nie als überwiegende Masse gab. Dies ist daran ersichtlich, dass es bereits sehr früh klare Regel, Bestrafungs- und Belohnungssysteme gab. Ein Volk mit nahezu lauter mündigen Menschen bräuchte keine solch umfassende Regelwerke usw., wie wir sie beispielsweise von den Sumerern, Assyrern, Arkadier, Babyloniern und anderen Kulturen aus dem mesopotamischen Raum und anderen Bereichen kennen.

Ich sehe nicht das geringste Anzeichen dafür, dass die Menschheit heute überwiegend dazu fähig wäre, den aufgelisteten Punkten der Mündigkeit gerecht zu werden. Ganz im Gegenteil, in der heutigen Zeit herrschen all die Übel, die es schon vor Jahrtausenden gab. Lediglich die Atomwaffen und die individuelle Angst der Machthaber und deren Umfeld bei einem Atomkrieg selbst zu sterben oder in einer unwirtlichen Welt zurück zu bleiben, hat die Menschheit sehr kurzfristig vor immensen Weltkriegen bewahrt. Ich betone; bis jetzt. Mehr brauche ich dazu nicht zu sagen, wenn wir die heutige Weltsituation und die Konflikte betrachten.

Es gab schon einmal eine Zeit, in der Menschen das - aus ihrer Sicht - Gute wollten. Frieden, Liebe, Menschlichkeit, ökologisches Bewusstsein usw. waren in der Hippiezeit bereits nahezu global sehr verbreitet. Ich gehörte mit dazu. Wir waren gegen Kernkraftwerke, allgemeine Umweltverschmutzung, Waljagd, Tötungen von Robbenbabys, Rodung der Urwälder usw. usf. Trotz vieler Demos, kilometerlangen Menschenketten, Lichterketten und der Verbreitung unserer Ziele und Informationen über die Übel und Übeltäter änderte sich nahezu nichts. Die innere Umorientierung brachte somit keinen Erfolg. Viele der sogenannten Hippies erlagen auch sehr schnell ihrer inneren Natur und kehrten deshalb zu innewohnenden Verhaltensmustern zurück. Drogen spielten in dieser Zeit auch eine sehr große Rolle,

Diese innere Dualität der Menschen ist vorhanden und wird nach meiner Ansicht niemals in nur eine Richtung schwingen. Ich meinerseits kann mich damit abfinden, dass weder ich, noch andere mir bekannte menschliche Wesen mündig in dem dargestellten Sinne sind.

Mündigkeit kann nach meiner Ansicht innerhalb einer Menschengruppe von der Zweisamkeit bis hin zur globalen Sicht nur bedeuten, dass es Regeln gibt, die das Miteinander klar definieren. Diese Regeln müssen den Mündigen bekannt sein und Ihnen müssen die Konsequenzen bei Regelverstößen klar sein. Große Menschengruppen sind so lange relativ einfach zu leiten, bis sie anfangen zu hinterfragen und dann merken, dass an den Leitlinien etwas nicht stimmt, unfair ist, gelogen ist, zum Eigennutz vorgegeben wurde usw., usf.

Zwei klassische Beispiele sind für mich die Kirche mit dem Schüren von Ängsten und Hoffnungen und das alte Rom zu den Zeiten von Brot und Spielen. Die wesentlichen Aspekte sind noch in allen mir bekannten heutigen System mehr oder weniger vorhanden. Diese Praktiken haben es somit sehr lange geschafft, teilweise immense Menschengruppen organisiert zu leiten. Natürlich gab und gibt es Kriege, Notstände und bevorzugte und benachteiligte Gruppen, wobei letztere immer die größeren Gruppen waren und noch immer sind. Dennoch hat es die Menschheit inzwischen auf ca. 8 Mrd. Exemplare gebracht, einige Entwicklungen gemacht und das Wissen immens angehäuft. Natürlich ging durch Kriege auch Wissen verloren, doch so umfangreich wie heute war es nach unseren Informationen noch nie vorhanden und zudem für nahezu jeden abrufbar.

Das derzeitige „System“ der Mündigkeitsdefinition (für sich selbst verantwortlich sein und für Handlungen selbst die Konsequenzen tragen ...) hat somit sehr lange überlebt und einige Dinge hervorgebracht, die relativ betrachtet als gut oder schlecht betitelt werden können.

Die Geschichte zeigt mir daher, dass die Menschen als Gruppe durch übergeordnete Systeme funktionieren können, wenn diese „Systeme“ dafür geeignet sind. Dass es bessere „Systeme“ als die derzeitigen für diesen Zweck gibt, steht für mich außer Frage, doch darum geht es hier nicht. Die Katholische Kirche und die Evangelisten verloren z. B. in den letzten Jahrzehnten sehr viele Anhänger. Das Prinzip von Brot und Spiele funktioniert für die große Masse noch immer – oder besser gesagt: Es funktioniert für die tatsächlichen Machthabenden noch immer.

Abschließend bin ich bezüglich der Mündigkeit der Ansicht, dass die Änderung der Masse zu perfektionierten Einzelindividuen wegen den bereits dargestellten Gegebenheiten und der menschlichen Natur in all ihrer Vielfalt ohne genetischen Eingriff oder genetische Evolution in diese Richtung nicht möglich ist.

Eine tatsächliche Verbesserung wäre nach meiner Ansicht die ethische Weiterentwicklung der Menschheit im jeweils individuell möglichem Rahmen - in Verbindung mit einem neuen System, das dem weit überwiegenden Anteil der Menschen, sowie Flora und Fauna gerecht wird.

 

Die Physik lehrt uns: Je länger der Hebel, desto geringer der Kraftaufwand.

Jene, die Hebel mit verschiedener Länge herantragen, werden dies anders beurteilen.

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