Protestbewegung gegen Hartz IV und Sozialabbau

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Albert Krölls
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Protestbewegung gegen Hartz IV und Sozialabbau
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Hartz IV - Soziale Gerechtigkeit - Menschenwürde

Polemik gegen den Sozialstaat und seine kritischen Liebhaber

Prof. Dr. Albert Krölls


Überarbeitete Fassung des Vortrags vom 26.01.2012 an der Universität Hamburg, basierend auf Kapitel 5 meines Buches: A. Krölls, Das Grundgesetz - ein Grund zum Feiern? Eine Streitschrift gegen den Verfassungspatriotismus, Hamburg (VSA-Verlag) 2009.

 

zur Einleitung und Teil I - klick

 


 

Teil II Die Protestbewegung gegen Hartz IV und Sozialabbau:

 

Mit den Idealen der sozialstaatlichen Marktwirtschaft gegen die politisch geplante soziale Verarmung



1. Argumente gegen die soziale Gerechtigkeit

Der Protest ist dadurch gekennzeichnet, dass er nichts wissen will von den politischen und ökonomischen Gründen und Zwecken, die für die für sozialpolitisch mit Hartz IV in Szene gesetzte systematische Verarmung weiter Teile der Arbeitslosen verantwortlich zeichnen. Und insbesondere nicht wissen will von der Existenz des fundamentalen Interessengegensatzes, der da herrscht einerseits zwischen den Interessen der Arbeitslosen und andererseits denjenigen der Wirtschaft, die sie außer Lohn und Brot setzt sowie dem Sozialstaat, der ihre Armut wirtschaftsdienlich politisch verwaltet und an allen Ecken und Enden an ihrem Lebensunterhalt spart.

Die Hartz IV-Gegner ziehen es stattdessen vor, die schönfärberisch-legitimatorischen Titel, welche die Realität des Sozialstaates in den politischen Sonntagsreden und Lobliedern der Sozialkundelehrbücher begleiten, als Berufungsinstanz gegen die Arbeitsmarktreformen ins Feld zu führen. Diesen parteiübergreifenden sozialstaatlichen Wertehimmel von sozialer Gerechtigkeit und Menschenwürde halten sie für die eigentliche, noch nicht oder nicht ausreichend verwirklichte Realität des Sozialstaates. Je mehr die Wirklichkeit des Sozialstaates seine Ideale Lügen straft, desto hartnäckiger hielten die Verfechter der Sozialstaatsillusion an der angeblich von der Verfassung verheißenen Möglichkeit eines echten Sozialstaates fest. Eines Sozialstaates, der sich die Herstellung wahrhafter sozialer Gerechtigkeit, die Bekämpfung sozialer Armut, der Gewährleistung einer „echten“ sozialen Sicherheit etc. auf seine Fahnen geschrieben hat. Und die aktuellen Fortschritte des Sozialstaates halten sie dementsprechend für einen verhängnisvollen „Irrweg“ der Politik, die ihr eigentliches Anliegen als Anwalt sozialer Gerechtigkeit auf dem Altar der Spar- und Standortpolitik bzw. neuerdings der Rettung des Bankensystems oder des EURO aufgeopfert habe.

Die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit ist jedoch eine grundlegend falsche Weise des Umganges von Lohnabhängigen mit ihrem (durch die staatliche Sparpolitik) geschädigten Interesse. Zwar hat sie ihren Ausgangspunkt in der Unzufriedenheit mit der eigenen sozialen Lage. Sie verzichtet jedoch darauf, den erlittenen Schädigungen auf den Grund zu gehen und zu untersuchen, welcher Natur die entgegenstehenden Interessen sind, auf denen die massive Einschränkung der eigenen Lebensinteressen beruht und daraus die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen. Vielmehr stuft sie die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen als Verletzung der in der Gesellschaft herrschenden Spielregeln ein. Gemäß dieser Sichtweise ist sie nicht den Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Marktwirtschaft zum Opfer gefallen, sondern verdankt umgekehrt ihre negative soziale Lage einem sich eigentlich nicht gehörenden Verstoß gegen die Spielregeln der sozialen Marktwirtschaft und des Sozialstaates. Auf diese Weise beinhaltet die im Namen der sozialen Gerechtigkeit erhobene Kritik am Sozialabbau eine einzige bekräftigende Loyalitätserklärung gegenüber den in der sozialen Realität geltenden Prinzipien der sozialstaatlichen Marktwirtschaft, freilich nicht in ihrer tatsächlichen sondern in einer idealisierten Fassung dieser Prinzipien. Durch diese Einstufung der Schädigung ihrer Interessen als Abweichungstatbestand von den eigentlich gültigen Prinzipien einer sozialen Marktwirtschaft wird die Notwendigkeit der von dieser Ordnung verursachten Schädigungen geleugnet. Ebenso geleugnet wie die Maßgeblichkeit der Interessen von Staat und Kapital, welche dem Sozialabbau zu Grunde liegen. Der Sozialkahlschlag wird als Amtspflichtverletzung der Politik angeklagt, die Interessen der arbeitenden Klasse nicht angemessen berücksichtigt zu haben, obwohl dies doch eine ihrer höchsten Anliegen sei bzw. zu sein habe.

Wie kommen die Hartz-IV-Gegner auf diese Sorte von Einspruch, die höchsten Verfassungswerte der Nation wie die soziale Gerechtigkeit oder die Menschenwürde gegen ihre sozialstaatliche Verarmung zu mobilisieren? Grundlage dieses Protestes ist die real existierende Ohnmacht der Betroffenen, die in ihrer Lebensführung existenziell vom Sozialstaat und dessen in Gesetzesform gegossenen Entscheidungen abhängig sind. Ihr Protest knüpft an dem unbestreitbaren Umstand an, dass hierzulande Interessen nur unter der Voraussetzung zählen, sie nur dann als anerkannte gelten, wenn sie vom Staat als Hüter des Gemeinwohls ins Recht gesetzt werden. Was umgekehrt heißt, dass sich jedes Interesse, um überhaupt bei der Herrschaft Gehör zu finden, so vorzutragen hat, dass seine Berücksichtung vom Standpunkt des großen Ganzen geboten ist. Weil das hierzulande so eingerichtet ist, glauben die Protestler ein Mittel zur Verteidigung ihrer sozialen Interessen in der Hand zu haben, wenn sie die Beeinträchtigung ihrer materiellen Interessen als Verstoß gegen die staatliche Rechtsordnung vorstellig machen können. Und sie meinen glatt über einen besonderen Trumpf zu verfügen, wenn sie dem politischen Gemeinwesen eine Verletzung der allerhöchsten Prinzipien vorwerfen können, welche die hiesige Verfassungsordnung in ihrem Kanon hat.

Sie täuschen sich darin freilich ganz gewaltig. Wenn sie ausgerechnet bei der Instanz, welche von ihrem kapitalistischen Gemeinwohl-Standpunkt sowohl den Inhalt des Rechtes als auch die Gerechtigkeit verbindlich definiert, im Namen ebendieses Wertes die Verschonung von sozialpolitischen Grausamkeiten einfordern, schießen sie ein kapitales Eigentor.

Der Ruf nach Gerechtigkeit ist nämlich kein machtvoller oppositioneller Einspruch gegen ihre Schädigung sondern umgekehrt ein Akt der Selbstentmächtigung der Betroffenen. Denn er liefert die Belange der Lohnabhängigen der Verfügungsmacht der Politik aus. Der Appell des lohnabhängigen Untertanen an die gute, dem Wert der sozialen Gerechtigkeit verpflichtete, politische Herrschaft bedeutet, dass die eigene Rolle als abhängige Variable der souveränen Entscheidungen der demokratischen Obrigkeit über ihre Lebensbedingungen als selbstverständlich anerkannt wird. Die Politik wird von unten unwidersprechlich zu jeder Beschränkung der Lebensinteressen der  Herrschaftsunterworfenen berechtigt unter einer Bedingung. Und die lautet: wenn sie dabei nur Gerechtigkeit walten lässt.

Die Erfüllung dieser Bedingung ist für die politische Herrschaft eine relativ leichte Übung. Diese pflegt ja ohnehin ihre sozialpolitischen Maßnahmen als Akte der sozialen Gerechtigkeit zu deklarieren. Was die Inhaber der Regierungsmacht unter Gerechtigkeit verstehen, ist dabei selbstredend ein wenig verschieden von den Vorstellungen der nach Gerechtigkeit dürstenden lohnabhängigen Untertanen oder der Mitglieder der Protestbewegung gegen den sozialen Kahlschlag. Entscheidend dabei ist, dass die regierungsamtliche Lesart sozialer Gerechtigkeit allemal die von ihr geschaffene soziale Realität auf ihrer Seite hat.

Ziemlich weltfremd wenn nicht gar naiv ist deswegen die Idee einer ausgleichenden Gerechtigkeit dergestalt, dass die Reichen viel und die Armen wenig belastet werden sollten, weil die einen über Geld im Überfluss verfügen und die anderen unter andauernder Geldknappheit leiden. Diese Idee verkennt, dass Gerechtigkeit sehr eng auf die Verfassung der Welt bezogen ist, in der sie walten soll, und das ist nun einmal der Kapitalismus. Dort gilt, dass die Verteilung der Lasten sich nicht an der sozialen Lage eines Individuums orientiert sondern vielmehr seiner Bedeutung für den gültigen Zweck der Gesellschaft gerecht werden muss. Und der heißt nun einmal Wirtschaftswachstum. Die Vorstellung einer Symmetrie der gerechten Lastenverteilung im kapitalistischen Wirtschaftssystem im Allgemeinen und bei einem staatlichen Sparprogramm im Besonderen ist deshalb schlichtweg sachwidrig. Die vom Staat vertretene kapitalistische Sachgerechtigkeit fordert nämlich mit gleichem Recht 1) von den Unternehmern, dass sie ihren Reichtum mehren, 2) von den Arbeitnehmern, dass sie eine vermehrte  Arbeitsleistung für weniger Lohn erbringen und 3) von den ausgemusterten Arbeitskräften, dass sie sich unter verschärften Zumutbarkeitsbedingungen zu verminderten Lohnersatzleistungen als Reservearmee für ihren erneuten Einsatz verfügbar halten. Demgemäß hält ein „sozial ausgewogenes Sparpaket“ für die einen die Last der Verantwortung für die Gewinnmaximierung und dementsprechend verbesserte Bedingungen für die Vermehrung ihres Eigentums bereit, für die anderen aus eben demselben Grund verschlechterte Bedingungenfür ein Leben in sozialstaatlich betreuter Armut. So und nicht anders buchstabiert sich Gerechtigkeit im sozialstaatlichen Kapitalismus. Und von daher ist Hartz IV eine äußerst gerechte Sache.

Überhaupt kann sich der Sozialstaat bei der Verordnung seiner sozialpolitischen Grausamkeiten immerzu auf das Prinzip der Gerechtigkeit berufen. Die soziale Gerechtigkeit fungiert geradezu als ideologische Produktivkraft des Sozialstaatsabbaus. Die Absenkung des Rentenniveaus liefert ein wunderschönes Argument dafür, aus Gründen der Gerechtigkeit eine Nullrunde auch bei den Löhnen einzulegen. Das Lohnabstandsgebot fordert es umkehrt, die Sozialhilfeleistungen an das erfolgreich durchgesetzte niedrige Lohnniveau anzupassen.

Wenn die Renten gekürzt werden, dann ist es geradezu ein Gebot der Gerechtigkeit, diese Regelung auf die Beamtenversorgung zu übertragen. Wenn die Krankenkasse das Brillengestell nicht mehr zahlt, wird der Ersatz eines Hörgeräts als schreiende Ungerechtigkeit entdeckt.

Und so weiter und so fort. So werden die verschiedenen Mitglieder der arbeitenden Klasse gegeneinander ausgespielt mit der immer gleichen Botschaft, dass der eine aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit zur Kasse gebeten werden müsse, weil der andere bereits zur Kasse gebeten worden sei. Diese Logik der Gerechtigkeit in Gestalt der Forderung nach sozialer Lastengleichheit erfreut sich – wie Westerwelles Kampagne zur Verschärfung des Lohnabstandsgebotes gezeigt hat - leider auch bei den Objekten der Sparmaßnahmen großer Beliebtheit.

Die Geschädigten und ihre Interessenvertreter legen eben nicht vom Standpunkt ihres materiellen Interesses Einspruch gegen die ihnen auferlegten Opfer ein und bringen stattdessen den Einwand einer „sozialen Schieflage“ vor. Dieser Einwand der mangelnden sozialen Ausgewogenheit des Sparprogramms beinhaltet aber das prinzipielle Einverständnis mit der aufgeherrschten Belastung eben unter der Bedingung, dass auch anderen Mitgliedern der Gesellschaft entsprechende Verzichtsleistungen zugemutet werden.

Welche herrschaftsnützlichen Dienste die soziale Gerechtigkeit als Medium der Pflege des Vertrauensverhältnisses zwischen oben und unten leistet, veranschaulicht auch die nachträgliche Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für ältere Arbeitslose, die auf Initiative des damaligen SPD-Vorsitzenden Kurt Beck 2007 beschlossen worden war. Aus den maßgeblichen Motiven für diese Korrektur an der Arbeitsmarkt-Gesetzgebung hatte Beck kein Geheimnis gemacht. Um der ungeliebten Konkurrenz der Linkspartei das Wasser abzugraben, hatte die SPD ein parteipolitisches Zeichen für die Wiederentdeckung des unter Schröder abgelegten Grundwertes der sozialen Gerechtigkeit setzen wollen. Als vertrauensbildende Maßnahme sollte die ein paar Monate dauernde Verlängerung der Galgenfrist für ältere Arbeitslose bis zu ihrem endgültigen Absturz auf das Lebenshaltungsniveau von Hartz-IV fungieren. Diese Randkorrektur sollte es den Betroffenen nicht nur erleichtern, bei der nächsten Wahl wieder die SPD zu wählen sondern auch die Zumutungen, die mit der Arbeitsmarktreform auferlegt werden, besser zu ertragen:

„Wir müssen schauen, wo der Druck zu groß ist und wo er als ungerecht empfunden wird…Ein Bogen, der aufs Äußerste gespannt ist, kann ein bisschen nachgeben, ohne die Spannung zu verlieren.“ (zit. n. Die Zeit Nr. 42/2007)

Denn daran hat Beck keinen Zweifel gelassen, dass seine Partei an der Agenda 2010 unerbittlich festhalten und auch in Zukunft im Interesse des Staatshaushaltes und der Versorgung der Arbeitgeber mit willigem und billigem Nachschub aus der Reservearmee der Arbeitslosen den Erpressungshebel der Bezugsbedingungen der  Arbeitslosenunterstützung einsetzen will. Umgekehrt hat sich mit dieser kleinen Konzession an das Gerechtigkeitsempfinden der (arbeitslosen) Bürger, die mit Leichtigkeit aus den Erträgen der Bundesagentur für Arbeit aus dem erfolgreichen Verarmungsprogramm der letzten Jahre finanziert werden kann, jeder weitere Einwand gegenüber der durch die Reformgesetzgebung geregelten Arbeitslosenkarriere in Richtung Existenzminimum endgültig erledigt. Die von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmer können nach der Schließung der von der SPD entdeckten Gerechtigkeitslücke nun wieder sicher sein, dass sie mit ihren Sorgen und Nöten bei der Partei bestens aufgehoben sind, welche sie in diese existenziellen Nöte gestürzt hat. So ist aufs Beste für die Aufrechterhaltung der staatsbürgerlich-patriotischen Gesinnung der Betroffenen gesorgt, in der kapitalistischen Klassengesellschaft unter der Regie einer Staatsgewalt ihre proletarische Heimat zu haben, die dem Grundwert der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet ist. Jedenfalls dann, wenn die Adressaten dieser Gerechtigkeitsoffensive, statt einmal die Interessengegensätze, in die sie gestellt sind, zur Richtschnur ihre Handelns zu machen, weiterhin alle staatlich verursachten Sorgen und Nöte ihrer Arbeitnehmerexistenz in die höheren Sphären der Gerechtigkeit übersetzen. Um dann im Namen der Verletzung einer illusorischen Gemeinschaftspflicht ihre Unzufriedenheit gegen die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen anzumelden. Warum das ein Weg des notwendigen Misserfolges ist, wurde vorhin ausgeführt.



2. Die Menschenwürde: noch ein untauglicher Einspruchstitel gegen soziale Not

Es liegt ganz in der Logik dieser Sorte Gesellschaftskritik, dass die Anrufung der Göttin der sozialen Gerechtigkeit gegenüber der vermeintlichen Fürsorgepflichtverletzung an den Arbeitslosen von der Anklage des Sozialstaates im Namen der Menschenwürde begleitet wird.

Welchen sozialstaatlichen Härten Menschen von Seiten der Staatsgewalt auch immer ausgesetzt sein mögen – vom mittelbaren Arbeitszwang für Arbeitslose bis hin zur Höhe der Regelsätze der Grundsicherung für Arbeitsuchende – jedes Mal sieht diese Kritik einen Verstoß der Staatsgewalt gegen ihr oberstes Prinzip am Werk: nämlich die Gewährleistung der für unantastbar erklärten Würde des Menschen. Diese Kritik will sich nicht damit begnügen, ein Urteil über die gesellschaftliche Armut und die für ihre politische Verwaltung verantwortlichen Mächte und deren maßgebliche Zwecke zu fällen. Sondern der eigentliche Skandal soll darin liegen, dass die Staatsgewalt sich beim Umgang mit ihren „sozial schwachen“ Bürgern gegen ihre eigenen Prinzipien vergangen haben soll. So dass im Endeffekt der eigentliche Geschädigte der kritisierten Maßnahmen also die hehren Grundsätze der staatlichen Rechtsordnung und damit der Staat selber ist, also der Urheber der sozialstaatlichen Schädigungen.

Ganz getreu dieser Logik wird auch die staatliche Neudefinition des den Arbeitslosen zugebilligten Existenzminimums durch den Hartz-IV-Regelsatz als Menschenwürdeverletzung qualifiziert. Die massive staatliche Schädigung der materiellen Interessen der Arbeitslosen wird so übersetzt in die immaterielle Selbstschädigung des Staates an seinem höchsten Rechtsgut.

Eine nähere Erkundung des Gehaltes der staatlichen Menschenwürdegarantie insbesondere eine Nachfrage bei den autorisierten Hütern der Verfassung hat vor dieser Anklageerhebung mit ziemlicher Sicherheit nicht stattgefunden. Denn dann hätte der Protestbewegung auffallen müssen, dass die maßgeblichen Grundgesetz-Kommentatoren geradezu davor zurückscheuen, einen eindeutigen Fall der (sozialstaatlichen) Verletzung der Menschenwürde zu benennen. Die Beispiele, die dort unter dem Stichwort der nichtüberschreitbaren „Tabugrenze“ als unzulässige Grenzverletzung aufgeführt werden, wie „Sklaverei oder Leibeigenschaft“, „Verkommenlassen in hilfloser Lage“ oder der „Entzug des Existenzminimums“, sind jedenfalls keine staatlichen oder staatlich lizenzierten Praktiken, die hierzulande üblich sind oder deren Einführung von Seiten der Staatsgewalt ernsthaft in Erwägung gezogen wird.

Um das Negativprädikat einer Verletzung der Menschenwürde zu erhalten, ist anscheinend schon eine besonders massive Verletzung der Interessen der Untertanen von Nöten, die einfach nicht von dieser Welt ist, in der Freiheit, Gleichheit und Sozialstaatlichkeit regieren. Für das Ensemble der Zumutungen, welche die Staatsgewalt den Menschen in der Gesellschaft des Grundgesetzes auferlegt, gilt vielmehr umgekehrt gemäß einem anerkannten verfassungsrechtlichen Prinzip die grundsätzliche „Vermutung der Würdeangemessenheit zugunsten demokratisch legitimierter Gesetzgebung.“ Deshalb erscheint es auch weitaus aufschlussreicher, welchen Erscheinungsformen von schädigenden sozialen Verhältnissen jenseits von Sklaverei und Leibeigenschaft damit das Gütesiegel der Menschenwürdigkeit erteilt wird. So wurde der Zwangskasernierung der Asylbewerber ebenso so die Vereinbarkeit mit der Menschenwürde bescheinigt wie der allgemeinen Wehrpflicht und der lebenslangen Freiheitsstrafe. Im Unterschied zu Formen der Zwangsarbeit wie Sklaverei und Leibeigenschaft verletzt der allgemeine soziale Zwang zur Lohnarbeit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls eindeutig nicht die Würde des Menschen. Die Menschenwürde scheint den einschlägigen Definitionen der Grundgesetz-Kommentatoren zufolge auch mit Formen bitterster Armut und Ausbeutung grundsätzlich vereinbar zu sein, sofern nicht das Existenzminimum gleich vollständig entzogen wird.

Mit ihrer Bestimmung der Menschenwürde als eines Schutzgutes, dessen Schutzwirkung im umgekehrt proportionalem Verhältnis zu seinem verfassungsrechtlichen Rang steht, liegen die tonangebenden Grundgesetz-Interpreten auch durchaus richtig. Denn steht eines im Ausgangspunkt fest: Bei der Menschenwürde, die der Staat unter seinen Schutz stellt, muss es sich um eine allen Menschen gleichermaßen zukommende Eigenschaft handeln, welcher die Träger dieser Eigenschaft im Prinzip gar nicht verlustig gehen können, weil sie ja „unantastbar“ ist.

Bei der Ermittlung dieser allen Menschen unabhängig von ihren natürlichen oder gesellschaftlichen Unterschieden anhaftenden Qualität scheidet die Zugehörigkeit zur Gattung des Menschengeschlechts bereits im Ansatz aus. Erstens ist die Würde ja qua Definition nicht der Mensch selber sondern eine Eigenschaft des Menschen und zweitens würde ein staatliches Schutzversprechen hinsichtlich der biologischen Natur des Menschen jedes Sinnes entbehren. Der homo sapiens ist eine Naturtatsache, an deren Existenz auch die mächtigste Staatsgewalt nichts zu ändern vermag. Auch das menschliche Leben kommt als Schutzgut der Menschenwürde nicht in Betracht. Zum einen sind die Menschen bekanntermaßen sterblich, gehen also auf natürliche Weise eines Tages dieser Eigenschaft verlustig. Ihre Würde lebt aber bekanntlich auch nach ihrem Tode noch fort.

Zum anderen ist der staatliche Schutzherr der Menschenwürde, wie insbesondere die Veranstaltung des Krieges zeigt, der eifrigste Konsument von Menschenleben auch der eigenen Bürger, wenn die Inanspruchnahme ihres Lebens für das Überleben des politischen Gemeinwesens angezeigt erscheint.

Wenn also als Inhalt des Schutzgutes der Menschenwürde sämtliche dem Menschen qua Menschsein innewohnenden Attribute ausscheiden, kommt als maßgebliche Eigenschaft nur eine solche in Betracht, die den Menschen von außen als deren Qualitätsmerkmal zugeschrieben oder zuerkannt ist. Welche Qualität im Verhältnis zu einem Dritten haben also alle Menschen gleichermaßen unabhängig von Herkunft, Geschlecht, sozialer Stellung und allen sonstigen Eigenschaften, welche ihre Individualität ausmachen? Die Frage so gestellt, beinhaltet bereits ihre Beantwortung: Alle Menschen sind gleichermaßen als Bürger der staatlichen Herrschaft unterworfen, sind Träger von Rechten und Pflichten gegenüber der Staatsgewalt. Menschenwürde übersetzt sich also gemäß der einschlägigen Definition auch des Bundesverfassungsgerichts in die staatlich verliehene Qualität Person oder Rechtssubjekt zu sein. Der Staat ehrt und würdigt also mit dem Schutz der Menschenwürde sein eigenes Geschöpf: die seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden freiheitlichen Rechtssubjekte. Anders gesagt: Der Staat drückt mit der Menschenwürde das an den Herrschaftsunterworfenen hergestellte Herrschaftsverhältnis über sie als deren gesellschaftliche Natureigenschaft aus. Die Bestimmung des Menschen als Menschen besteht gemäß dieser praktisch wahr gemachten staatlichen Definition in seiner gleichberechtigten Mitgliedschaft in einem politischen Gemeinwesen, das ihm die Erlaubnis erteilt, in aller Freiheit gemäß dessen Vorschriften seinen Interessen nachgehen zu dürfen, gemäß den jeweiligen ökonomischen Mitteln, die man so besitzt. Mit der Menschenwürde ausgestattet ist jeder Mensch, wie dürftig auch immer seine Lebensumstände aussehen mögen, als freie selbstbestimmte Person definiert, die kraft dieses Status zum politischen Gemeinwesen gehört. So ist der Mensch auch als Pauper oder Arbeitsloser glücklich integriert in den Kreis der anerkannten Mitglieder des staatlichen Zusammenhanges. Er darf sich seiner menschenwürdigen Gleichheit erfreuen, die ihm ebenso gebührt wie den Herren über die Arbeitsplätze, die ihn arbeitslos gemacht haben und den Mitgliedern der politischen Klasse, die ihm das Aushalten im Wartestand der Arbeitslosigkeit als Dauernotprogramm verordnet haben.

Die Menschenwürde ist also, worum bereits der Philosoph Kant wusste, nicht zu verwechseln mit einem  irgendwie gearteten Schutz der Lebensbedürfnisse der Hilfebedürftigen. Ihr Schutzgegenstand ist ungeachtet aller noch so negativen Lebensbedingungen der Subjekte ihre staatsbürgerliche Einbeziehung in den gesellschaftlichen Zwangszusammenhang der Freien und Gleichen, dessen gewaltsame Klammer: den Staat sie als unabdingbare positive Existenzbedingung ihrer Lebensgestaltung anerkennen sollen. Den sie würdigen sollen als den Garanten der Chancen, welche die soziale Marktwirtschaft den als Rechtspersonen anerkannten Konkurrenzsubjekten bietet.

Das Existenzminimum: die materielle Basis der Staatsbürgerexistenz

Der materiellen Bedürftigkeit nimmt sich die Menschenwürde dementsprechend auch nur insoweit an, um den Untertanen deren Existenz als Rechtssubjekte zu ermöglichen. Ein vom Staat zugesprochenes Recht auf Gewährleistung des Existenzminimums hat deshalb seinen Orientierungspunkt auch nicht in der Bedürftigkeit des Menschen als solcher. Mit dem Bundesverfassungsgericht gesprochen schützt die Menschenwürde nicht vor materieller Not.

Erst recht nicht beinhaltet die Menschenwürdegarantie eine Selbstverpflichtung der Staatsgewalt zur Beseitigung von Not und Armut. Sondern das soziokulturelle Existenzminimum bezieht sich auf die Gewährleistung der staatsbürgerlichen Existenz des Menschen auf der Grundlage von existenziellen sozialen Notlagen, die quasi als gesellschaftlicher Normalzustand vorausgesetzt werden.

Die Gewährung des Existenzminimums soll den bedürftigen Menschen in die Lage versetzen, trotz seiner materiellen Not als Glied der staatlichen Gemeinschaft sein freiheitliches Dasein zu fristen und sich damit der ihm erwiesenen Ehre des Status eines Rechtssubjektes würdig zu erweisen. Das staatlich gewährte soziale Existenzminimum bildet gleichsam die materielle Basis der staatsbürgerlichen Existenz, die staatlich garantierte Grundlage dafür, dass das Leben der „Minderbemittelten“ in den staatlich vorgesehenen Bahnen eines Rechtssubjektes verläuft, welches die Freiheit und damit die Instanz, die ihm dieses Recht verleiht, als die positive Bedingung seines Lebens begreift.

Aus dieser Bestimmung des soziokulturellen Existenzminimums als materieller Basis der staatsbürgerlichen Subjektsqualität leitet sich gleichzeitig ab, dass die Menschenwürdegarantie keinen Anspruch auf eine bedürfnisgerechte Versorgung (der Arbeitslosen) durch den Staat begründet. Die staatliche Selbstverpflichtung auf die Gewährung des Existenzminimums bezieht sich nicht einfach auf ein wie knapp auch immer bemessenes Minimum an Lebensgütern, damit der Mensch als Mensch existieren kann. Sondern sie ist bezogen auf das sog. soziokulturelle Existenzminimum, d. h. die Teilnahmemöglichkeit des Einzelnen an der Gesellschaft, kurz: auf dessen Rolle als Staatsbürger. Der Staat bestimmt dementsprechend von diesem seinem Standpunkt, in welcher Höhe es der materiellen Unterstützung zur Aufrechterhaltung des staatsbürgerlichen Willens bedarf, in einer Gesellschaft weiterhin seine Heimat zu sehen, die für ihn nur die Rolle des „sozial Schwachen“ vorgesehen hat. Nicht das Maß der materiellen Bedürftigkeit bestimmt den Umfang der staatlichen Hilfeleistungen. Sondern der Sozialstaat weist den Bedürftigen das bescheidende Lebenshaltungsniveau zu, mit dem diese auszukommen haben, um als ordentliche Staatsbürger existieren zu können. Will heißen, um sich auf die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz zu begeben, ihre Kinder zu rechtschaffenen Staatsbürgern zu erziehen, den demokratischen Parteien trotz aller Unzufriedenheit mit ihrer sozialen Lage ihre Stimme zu geben und insbesondere nicht auf die schiefe Bahn zu geraten, obdachlos, kriminell oder drogensüchtig zu werden. Ungeachtet aller legitimatorischen Berufung der für die Festlegung der sog. Regelsätze zuständigen Instanzen auf die Einkommens- und Verbrauchsstatistik, die den Schein erweckt, als nehme der staatliche Akt der Definition des Existenzminimums in irgendeiner Weise Maß an der materiellen Bedürftigkeit der Notleidenden, hat die Leistungshöhe mit den Lebensnotwendigkeiten der Hilfebedürftigen wenig bis gar nichts zu tun. Die gesetzlich fixierte Ausrichtung des lebensnotwendigen Bedarfes an den unteren Einkommensgruppen und das Lohnabstandsgebot legen vielmehr Zeugnis davon ab, von welchen staatlichen Bedürfnissen die Festlegung der Höhe des Existenzminimums für Arbeitslose tatsächlich bestimmt ist. Die Leistungssätze sind ja erklärtermaßen so niedrig angesetzt, dass sie für die Betroffenen Anreiz bieten sollen, sich zur Entlastung der Staatskassen einen Teil ihres Lebensunterhaltes im Billiglohnsektor selber zu verdienen.

Und dafür soll man dem Sozialstaat auch noch dankbar sein, dass der seine Armen nicht gleich verhungern lässt, keinen seiner Untertanen einfach abschreibt, sondern jedem selbst noch den Angehörigen des Prekariats die wunderbare unveräußerliche Chance bietet, sich der staatlichen Gnade als anerkannter Staatsbürger würdig zu erweisen und sein Glück als freies Konkurrenzsubjekt in der kapitalistischen Klassengesellschaft suchen zu dürfen?

 


 

Den kompletten Vortrag (Teil I + II) hier nochmal als pdf-download

 

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Soziale Gerechtigkeit, Menschenwürde u. Existenzminimum

1. Argumente gegen die soziale Gerechtigkeit

Meiner Meinung nach ist es schlüssig nachzuvollziehen, weshalb die Hartz IV-Kritiker nach wie vor auf ihre berechtigten moralisch-ethischen Grundforderungen verweisen und den Abweichungstatbestand von den mittlerweile in euphemischer Weise eingeführten Sozialstaatsbegriffen leugnen. Nach diesem Muster bin ich selbst noch bis vor kurzem vorgegangen, weil auch ich der Illusion der Gutmenschentums der Politiker unterlegen war.

Weil das hierzulande so eingerichtet ist

[quote=Albert Kroells][..] glauben die Protestler ein Mittel zur Verteidigung ihrer sozialen Interessen in der Hand zu haben, wenn sie die Beeinträchtigung ihrer materiellen Interessen als Verstoß gegen die staatliche Rechtsordnung vorstellig machen können. Und sie meinen glatt über einen beson­deren Trumpf zu verfügen, wenn sie dem politischen Gemeinwesen eine Verletzung der al­lerhöchsten Prinzipien vorwerfen können, welche die hiesige Verfassungsordnung in ihrem Kanon hat.

Sie täuschen sich darin freilich ganz gewaltig. Wenn sie ausgerechnet bei der Instanz, wel­che von ihrem kapitalistischen Gemeinwohl-­Standpunkt sowohl den Inhalt des Rechtes als auch die Gerechtigkeit verbindlich definiert, im Namen eben dieses Wertes die Verschonung von sozialpolitischen Grausamkeiten einfordern, schießen sie ein kapitales Eigentor.

Der Ruf nach Gerechtigkeit ist nämlich kein machtvoller oppositioneller Einspruch gegen ihre Schädigung sondern umgekehrt ein Akt der Selbstentmächtigung der Betroffenen. Denn er liefert die Belange der Lohnabhängigen der Verfügungsmacht der Politik aus [..][/quote]

Diese Worte von Prof. Dr. Krölls muß man sich zunächst einmal auf der Zunge zergehen lassen und warten, bis sich die Nachwirkung einstellt. Sie zeigen, wie weit wir in diesem Staate schon gekommen sind, wenn

  • diejenigen, die wir gewählt haben,
  • die auf das GG einen Eid geleistet haben,
  • denen wir vertrauen und
  • diejenigen, an die wir uns mit unseren Sorgen als Anwalt zur Verteidigung unserer legitimen Rechte wenden

uns nur mit zynischen Bemerkungen abfertigen und uns unserer Ohnmacht überlassen.

[quote=Albert Kroells]Die Politik wird von unten unwidersprechlich zu jeder Beschrän­kung der Lebensinteressen der Herrschaftsunterworfenen berechtigt unter einer Bedingung. Und die lautet: wenn sie dabei nur Gerechtigkeit walten lässt.[/quote]

Genau genommen ist es wirklich der Gipfel der Naivität anzunehmen, der Staat würde noch als Sachverwalter der Bevölkerung dienen. Die Gleichsetzung eines (demokratischen) Staates mit Gewährung von Gerechtigkeit ist sicher ein legitimes Anliegen. Nur es erfüllt seinen Zweck nicht mehr, wenn der Staat und die hinter ihm stehenden Kapitalinteressen den Begriff „Gerechtigkeit“ zu einem Euphemismus haben verkommen lassen.

[quote=Albert Kroells]Die Erfüllung dieser Bedingung ist für die politische Herrschaft eine relativ leichte Übung. Diese pflegt ja ohnehin ihre sozialpolitischen Maßnahmen als Akte der sozialen Gerechtig­keit zu deklarieren. Was die Inhaber der Regierungsmacht unter Gerechtigkeit verstehen, ist dabei selbstredend ein wenig verschieden von den Vorstellungen der nach Gerechtigkeit dürstenden lohnabhängigen Untertanen oder der Mitglieder der Protestbewegung gegen den sozialen Kahlschlag[/quote]

Wie bereits gesagt – die Umdeutung der deutschen Sprache und ihrer Inhalte ist bereits sehr weit fortgeschritten!

[quote=Albert Kroells]Diese Idee verkennt, dass Gerechtigkeit sehr eng auf die Verfassung der Welt bezogen ist, in der sie walten soll, und das ist nun einmal der Kapitalismus. Dort gilt, dass die Verteilung der Lasten sich nicht an der sozialen Lage eines Individuums orientiert sondern vielmehr seiner Bedeutung für den gültigen Zweck der Gesellschaft gerecht werden muss. Und der heißt nun einmal Wirtschaftswachstum[/quote] 

Der Mensch ist nun einmal den gesellschaftlichen Normen ausgeliefert, zu deren Entstehen er beigetragen hat. Und wenn diese Normen und Werte nicht mehr den Zwecken des Wohlbefindens und der Ausschöpfung der kreativen Potenziale der Menschen entsprechen, sondern den Götzen der Ökonomie, des Konsums und des Profits geopfert werden, dann hat der Mensch Pech gehabt. Er hat dann nur noch die Wahl der unkritischen Anpassung und seiner Entfremdung oder als Außenseiter gegen den Strom zu schwimmen. Das kann sehr anstrengend werden ….

[quote=Albert Kroells]Die vom Staat ver­tretene kapitalistische Sachgerechtigkeit fordert nämlich mit gleichem Recht

  • von den Un­ternehmern, dass sie ihren Reichtum mehren,
  • von den Arbeitnehmern, dass sie eine ver­mehrte Arbeitsleistung für weniger Lohn erbringen und
  • von den ausgemusterten Arbeits­kräften, dass sie sich unter verschärften

Zumutbarkeitsbedingungen zu verminderten Lohn­ersatzleistungen als Reservearmee für ihren erneuten Einsatz verfügbar halten. Demgemäß hält ein „sozial ausgewogenes Sparpaket“ für die einen die Last der Verantwortung für die Gewinnmaximierung und dementsprechend verbesserte Bedingungen für die Vermehrung ihres Eigentums bereit, für die anderen aus eben demselben Grund verschlechterte Bedin­gungen für ein Leben in sozialstaatlich betreuter Armut. So und nicht anders buchstabiert sich Gerechtigkeit im sozialstaatlichen Kapitalismus. Und von daher ist Hartz IV eine äußerst gerechte Sache[/quote]

Jetzt wissen wir präzise, wie heutzutage „Gerechtigkeit“ interpretiert wird. Andererseits haben wir mit diesen Einblicken aber auch gute Argumente in der Hand, wenn man uns die neue Ethik einimpfen möchte. Wenn die Neoliberalen vom angeblichen Trend zum Sozialismus faseln, dann haben sie paradoxerweise eigentlich schon wieder recht: denn im Kleid des neues Verständnisses fördert  “Sozialismus“ in diesem Sinne ja das Wohl des Kapitals. Wir werden doch wohl gemerkt haben, auf welche Art und Weise unsere Krisen entstanden sind: jawohl, durch die Privatisierung der Kosten und die Sozialisierung der Gewinne! Ergo befinden wir uns in einem sozialistischen Kapitalistenparadies.

[quote=Albert Kroells]Überhaupt kann sich der Sozialstaat bei der Verordnung seiner sozialpolitischen Grausam­keiten immerzu auf das Prinzip der Gerechtigkeit berufen. Die soziale Gerechtigkeit fungiert geradezu als ideologische Produktivkraft des Sozialstaatsabbaus. Die Absenkung des Ren­tenniveaus liefert ein wunderschönes Argument dafür, aus Gründen der Gerechtigkeit eine Nullrunde auch bei den Löhnen einzulegen. Das Lohnabstandsgebot fordert es umkehrt, die Sozialhilfeleistungen an das erfolgreich durchgesetzte niedrige Lohnniveau anzupassen. Wenn die Renten gekürzt werden, dann ist es geradezu ein Gebot der Gerechtigkeit, diese Regelung auf die Beamtenversorgung zu übertragen. Wenn die Krankenkasse das Brillen­gestell nicht mehr zahlt, wird der Ersatz eines Hörgeräts als schreiende Ungerechtigkeit ent­deckt. Und so weiter und so fort.

So werden die verschiedenen Mitglieder der arbeitenden Klasse gegeneinander ausgespielt mit der immer gleichen Botschaft, dass der eine aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit zur Kasse gebeten werden müsse, weil der andere be­reits zur Kasse gebeten worden sei[/quote]

Wir müssen uns selbst die Mitschuld daran eingestehen, daß wir diesen Teufelskreis zugelassen haben, und viele Menschen unterstützen ihn immer noch unüberlegt und gegen ihre eigenen Interessen gerichtet. Ist das nun Dummheit oder Unwissen oder beides?

[quote=Albert Kroells]Die Geschädigten und ihre Interessenvertreter legen eben nicht vom Standpunkt ihres mate­riellen Interesses Einspruch gegen die ihnen auferlegten Opfer ein und bringen stattdessen den Einwand einer „sozialen Schieflage“ vor. Dieser Einwand der mangelnden sozialen Aus­gewogenheit des Sparprogramms beinhaltet aber das prinzipielle Einverständnis mit der auf­geherrschten Belastung eben unter der Bedingung, dass auch anderen Mitgliedern der Ge­sellschaft entsprechende Verzichtsleistungen zugemutet werden[/quote]

Diese verquere Logik, die von einem Großteil der Bürger unwidersprochen hingenommen wird, zeugt von der Unfähigkeit der unkritischen Masse, ihr Schicksal selbst zu ihren Gunsten in die Hand zu nehmen.

 


2. Die Menschenwürde: noch ein untauglicher Einspruchstitel gegen soziale Not

[quote=Albert Kroells]Es liegt ganz in der Logik dieser Sorte Gesellschaftskritik, dass die Anrufung der Göttin der sozialen Gerechtigkeit gegenüber der vermeintlichen Fürsorgepflichtverletzung an den Ar­beitslosen von der Anklage des Sozialstaates im Namen der Menschenwürde begleitet wird [..][/quote]

Von den Kritikern wird stets von einem Verstoß der Staatsgewalt gegen ihr oberstes Prinzip angemahnt, nämlich

[quote=Albert Kroells]die Gewährleistung der für unantastbar erklärten Würde des Menschen. Diese Kritik will sich nicht damit begnügen, ein Urteil über die gesellschaftliche Armut und die für ihre politische Verwaltung verantwortli­chen Mächte und deren maßgebliche Zwecke zu fällen. Sondern der eigentliche Skandal soll darin liegen, dass die Staatsgewalt sich beim Umgang mit ihren „sozial schwachen“ Bür­gern gegen ihre eigenen Prinzipien vergangen haben soll[/quote]

Wer will es jemandem verdenken, der diesen Gedankenfehler begeht? Der Christenmensch ist ja schließlich auf Nächstenliebe und Barmherzigkeit getrimmt! Es fällt da immer noch sehr schwer, sich in anderen Kategorien zu vergegenwärtigen.

[quote=Albert Kroells][..] Eine nähere Erkundung des Gehaltes der staatlichen Menschenwürdegarantie insbesondere eine Nachfrage bei den autorisierten Hütern der Verfassung hat vor dieser Anklageerhebung mit ziemlicher Sicherheit nicht stattgefunden. Denn dann hätte der Protestbewegung auffal­len müssen, dass die maßgeblichen Grundgesetz­-Kommentatoren geradezu davor zurück­scheuen, einen eindeutigen Fall der (sozialstaatlichen) Verletzung der Menschenwürde zu benennen“[/quote]

An diesen Umständen kann man untrüglich festmachen, daß auch die Justiz bereits den Pfad der traditionellen Interpretation der Rechtstaatlichkeit verlassen hat. Überhaupt können immer mehr Fälle der Rechtsprechung einer vorauseilenden Anbiederung an ökonomische Gegebenheiten ausgemacht werden, die auf eine Aufweichung der Gewaltentrennung hindeuten.

[quote=Albert Kroells]Um das Negativprädikat einer Verletzung der Menschenwürde zu erhalten, ist anscheinend schon eine besonders massive Verletzung der Interessen der Untertanen von Nöten, die einfach nicht von dieser Welt ist, in der Freiheit, Gleichheit und Sozialstaatlichkeit regieren

Deshalb erscheint es auch weitaus auf­schlussreicher, welchen Erscheinungsformen von schädigenden sozialen Verhältnissen jen­seits von Sklaverei und Leibeigenschaft damit das Gütesiegel der Menschenwürdigkeit erteilt wird. So wurde der Zwangskasernierung der Asylbewerber ebenso so die Vereinbarkeit mit der Menschenwürde bescheinigt wie der allgemeinen Wehrpflicht und der lebenslangen Freiheitsstrafe.

Im Unterschied zu Formen der Zwangsarbeit wie Sklaverei und Leibeigen­schaft verletzt der allgemeine soziale Zwang zur Lohnarbeit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls eindeutig nicht die Würde des Menschen. Die Men­schenwürde scheint den einschlägigen Definitionen der Grundgesetz­-Kommentatoren zufol­ge auch mit Formen bitterster Armut und Ausbeutung grundsätzlich vereinbar zu sein, sofern nicht das Existenzminimum gleich vollständig entzogen wird[/quote]

Wenn wir beobachten, wie sich Politik und Justiz zunehmend von der gesellschaftlichen Realität des „normalen“ Lebensumfeldes entfernen, dann kann einen diese abgehobene und sogar menschenfeindliche Einstellung und Handlungsweise gar nicht mehr verwundern. Exekutive und Judikative lassen sich als ein Werkzeug des Kapitals ausnutzen und mißbrauchen, sofern sie sich auf dieses böse Spiel einlassen.

[quote=Albert Kroells]Denn steht eines im Ausgangspunkt fest: Bei der Menschenwürde, die der Staat unter seinen Schutz stellt, muss es sich um eine allen Menschen gleichermaßen zukommende Eigenschaft handeln, welcher die Träger dieser Eigenschaft im Prinzip gar nicht verlustig gehen können, weil sie ja „unan­tastbar“ ist. Bei der Ermittlung dieser allen Menschen unabhängig von ihren natürlichen oder gesellschaftlichen Unterschieden anhaftenden Qualität scheidet die Zugehörigkeit zur Gat­tung des Menschengeschlechts bereits im Ansatz aus.

Erstens ist die Würde ja qua Definiti­on nicht der Mensch selber sondern eine Eigenschaft des Menschen und zweitens würde ein staatliches Schutzversprechen hinsichtlich der biologischen Natur des Menschen jedes Sin­nes entbehren. Der homo sapiens ist eine Naturtatsache, an deren Existenz auch die mäch­tigste Staatsgewalt nichts zu ändern vermag. Auch das menschliche Leben kommt als Schutzgut der Menschenwürde nicht in Betracht. Zum einen sind die Menschen bekannter­maßen sterblich, gehen also auf natürliche Weise eines Tages dieser Eigenschaft verlustig. Ihre Würde lebt aber bekanntlich auch nach ihrem Tode noch fort.[/quote]

Dies ist eine zugegebenermaßen spitzfindige Definition. Aber so haben es Bürokraten und Technokraten leicht, ihre im humanistischen Sinne verwerflichen Entscheidungen zu legitimieren und ihnen sogar noch einen ethisch-moralischen Touch zu verleihen. Sämtliche alten Theologen und Philosophen, die in der Vergangenheit die Würde des Menschen theoretisch zu untermauern versuchten und  all die Revolutionäre, die ihr Leben für eben diese gelassen haben, würden sich im Grabe herumdrehen, wenn sie dieses Geschachere noch erleben müßten.

[quote=Albert Kroells]Zum anderen ist der staat­liche Schutzherr der Menschenwürde, wie insbesondere die Veranstaltung des Krieges zeigt, der eifrigste Konsument von Menschenleben auch der eigenen Bürger, wenn die Inan­spruchnahme ihres Lebens für das Überleben des politischen Gemeinwesens angezeigt er­scheint[/quote]

Die Wortverdreherei kann tatsächlich dazu führen, daß Kriege oder Genozide auch noch als notwendig im Sinne der Erhaltung der Menschenwürde ausgelegt werden.

[quote=Albert Kroells]Welche Qualität im Verhältnis zu einem Dritten haben also alle Menschen gleichermaßen unabhängig von Herkunft, Geschlecht, sozialer Stellung und allen sonstigen Eigenschaften, welche ihre Individualität ausmachen? Die Fra­ge so gestellt, beinhaltet bereits ihre Beantwortung:  [..] Menschenwürde übersetzt sich also gemäß der einschlägigen Definition auch des Bundesverfassungsgerichts in die staatlich verliehene Qualität Person oder Rechtssubjekt zu sein.

Der Staat ehrt und würdigt also mit dem Schutz der Menschen­würde sein eigenes Geschöpf: die seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden freiheitlichen Rechtssubjekte. Anders gesagt: Der Staat drückt mit der Menschenwürde das an den Herr­schaftsunterworfenen hergestellte Herrschaftsverhältnis über sie als deren gesellschaftliche Natureigenschaft aus.

Die Bestimmung des Menschen als Menschen besteht gemäß dieser praktisch wahr gemachten staatlichen Definition in seiner gleichberechtigten Mitgliedschaft in einem politischen Gemeinwesen, das ihm die Erlaubnis erteilt, in aller Freiheit gemäß des­sen Vorschriften seinen Interessen nachgehen zu dürfen, gemäß den jeweiligen ökonomi­schen Mitteln, die man so besitzt. Mit der Menschenwürde ausgestattet ist jeder Mensch, wie dürftig auch immer seine Lebensumstände aussehen mögen, als freie selbstbestimmte Per­son definiert, die Kraft dieses Status zum politischen Gemeinwesen gehört. So ist der Mensch auch als Pauper oder Arbeitsloser glücklich integriert in den Kreis der anerkannten Mitglieder des staatlichen Zusammenhanges. Er darf sich seiner menschenwürdigen Gleich­heit erfreuen, die ihm ebenso gebührt wie den Herren über die Arbeitsplätze, die ihn arbeits­los gemacht haben und den Mitgliedern der politischen Klasse, die ihm das Aushalten im Wartestand der Arbeitslosigkeit als Dauernotprogramm verordnet haben[/quote]

Das bedeutet heute also wahre Gleichheit, Menschenwürde und sozialstaatliche Verhältnisse, wenn die faktische Ungleichheit der Lebensumstände einfach ignoriert wird. Oder mit anderen Worten – wir haben dankbar zu sein, daß wir überhaupt in dieser Gesellschaft geduldet werden und müssen als Gegenleistung dafür mit allen Zumutungen einverstanden sein, die man uns auferlegt. Jetzt warte ich nur noch darauf, daß einer kommt und uns als Kompensation und Belohnung für die irdischen Mühsale ein Paradies im Jenseits anbietet. Das habe ich doch schon mal irgendwo gehört …….?

[quote=Albert Kroells][..] Die Menschenwür­de ist also, worum bereits der Philosoph Kant wusste, nicht zu verwechseln mit einem ir­gendwie gearteten Schutz der Lebensbedürfnisse der Hilfebedürftigen. Ihr Schutzgegens­tand ist ungeachtet aller noch so negativen Lebensbedingungen der Subjekte ihre staatsbür­gerliche Einbeziehung in den gesellschaftlichen Zwangszusammenhang der Freien und Gleichen, dessen gewaltsame Klammer: den Staat, den sie als unabdingbare positive Existenz­bedingung ihrer Lebensgestaltung anerkennen sollen. Den sie würdigen sollen als den Garanten der Chancen, welche die soziale Marktwirtschaft den als Rechtspersonen anerkannten Konkurrenzsubjekten bietet[/quote]

Da bleibt mir doch die Spucke weg, und ich kann nur noch „Amen“ sagen. Aber um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen – der Autor meint das natürlich nur ironisch und anklägerisch gegenüber den herrschenden Zwängen.


Das Existenzminimum: die materielle Basis der Staatsbürgerexistenz

[quote=Albert Kroells]Der materiellen Bedürftigkeit nimmt sich die Menschenwürde dementsprechend auch nur insoweit an, um den Untertanen deren Existenz als Rechtssubjekte zu ermöglichen. Ein vom Staat zugesprochenes Recht auf Gewährleistung des Existenzminimums hat deshalb seinen Orientierungspunkt auch nicht in der Bedürftigkeit des Menschen als solcher. Mit dem Bun­desverfassungsgericht gesprochen schützt die Menschenwürde nicht vor materieller Not.

Erst recht nicht beinhaltet die Menschenwürdegarantie eine Selbstverpflichtung der Staats­gewalt zur Beseitigung von Not und Armut. Sondern das soziokulturelle Existenzminimum bezieht sich auf die Gewährleistung der staatsbürgerlichen Existenz des Menschen auf der Grundlage von existenziellen sozialen Notlagen, die quasi als gesellschaftlicher Normalzu­stand vorausgesetzt werden. Die Gewährung des Existenzminimums soll den bedürftigen Menschen in die Lage versetzen, trotz seiner materiellen Not als Glied der staatlichen Ge­meinschaft sein freiheitliches Dasein zu fristen und sich damit der ihm erwiesenen Ehre des Status eines Rechtssubjektes würdig zu erweisen.

Das staatlich gewährte soziale Existenz­minimum bildet gleichsam die materielle Basis der staatsbürgerlichen Existenz, die staatlich garantierte Grundlage dafür, dass das Leben der „Minderbemittelten“ in den staatlich vorge­sehenen Bahnen eines Rechtssubjektes verläuft, welches die Freiheit und damit die Instanz, die ihm dieses Recht verleiht, als die positive Bedingung seines Lebens begreift.

Aus dieser Bestimmung des soziokulturellen Existenzminimums als materieller Basis der staatsbürgerlichen Subjektsqualität leitet sich gleichzeitig ab, dass die Menschen­würdegarantie keinen Anspruch auf eine bedürfnisgerechte Versorgung (der Arbeitslosen) durch den Staat begründet [..][/quote]

Was folgern wir aus diesen Feststellungen, daß die Menschenwürde in keinerlei Beziehung mehr steht zu:

  • Bedürftigkeit des Menschen
  • menschlichen Notlagen
  • Selbstverpflichtung der Staatsgewalt zur Beseitigung von Armut und Not ?

Wohl, daß das Prinzip der vielgepriesenen Solidarität schon begraben wurde. Ein Staat, der es sich als Verdienst angerechnet, daß er den Unnützen, den Arbeitslosen, den Kranken, den Armen, den Alten, den Konsumunwilligen- oder –fähigen – also dem menschlichen Abfall – noch gerade so am Existenzminimum zu vegetieren erlaubt, der ist selbst ein Parasit.

[quote=Albert Kroells]Der Staat bestimmt dementsprechend von diesem seinem Standpunkt, in welcher Höhe es der materiellen Unterstützung zur Aufrechterhaltung des staatsbürgerlichen Willens bedarf, in einer Gesellschaft weiterhin seine Heimat zu sehen, die für ihn nur die Rolle des „sozial Schwachen“ vorgesehen hat. Nicht das Maß der materiellen Bedürftigkeit bestimmt den Umfang der staatlichen Hilfeleistungen. Sondern der Sozialstaat weist den Bedürftigen das bescheidende Lebenshaltungsniveau zu, mit dem diese auszukommen haben, um als ordentliche Staatsbürger existieren zu können.[/quote]

Wenn ich das recht verstehe, dann sollen wir froh sein, die Ehre verliehen zu erhalten haben, deutsche Staatsbürger zu sein – zu mehr haben wir keinen Anspruch. Mit diesem Stempel im Personalausweis können wir sodann glücklich vor uns her leben – und uns vielleicht noch an der Liebe laben.

[quote=Albert Kroells]Will heißen, um sich auf die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz zu begeben, ihre Kinder zu rechtschaffenen Staatsbürgern zu erziehen, den demokratischen Parteien trotz aller Unzufriedenheit mit ihrer sozialen Lage ihre Stimme zu geben und insbesondere nicht auf die schiefe Bahn zu geraten, obdachlos, kriminell oder drogensüchtig zu werden.

Ungeachtet aller legitimatorischen Berufung der für die Festlegung der sog. Regelsätze zuständigen Instanzen auf die Einkommens­ und Verbrauchsstatistik, die den Schein erweckt, als nehme der staatliche Akt der Definition des Existenzminimums in irgendeiner Weise Maß an der materiellen Bedürftigkeit der Notleidenden, hat die Leistungshöhe mit den Lebensnotwendigkeiten der Hilfebedürftigen wenig bis gar nichts zu tun.

Die gesetzlich fixier­te Ausrichtung des lebensnotwendigen Bedarfes an den unteren Einkommensgruppen und das Lohnabstandsgebot legen vielmehr Zeugnis davon ab, von welchen staatlichen Bedürfnissen die Festlegung der Höhe des Existenzminimums für Arbeitslose tatsächlich bestimmt ist. Die Leistungssätze sind ja erklärtermaßen so niedrig angesetzt, dass sie für die Betroffe­nen Anreiz bieten sollen, sich zur Entlastung der Staatskassen einen Teil ihres Lebensunter­haltes im Billiglohnsektor selber zu verdienen.

Und dafür soll man dem Sozialstaat auch noch dankbar sein, dass der seine Armen nicht gleich verhungern lässt, keinen seiner Untertanen einfach abschreibt, sondern jedem selbst noch den Angehörigen des Prekariats die wunderbare unveräußerliche Chance bietet, sich der staatlichen Gnade als anerkannter Staatsbürger würdig zu erweisen und sein Glück als freies Konkurrenzsubjekt in der kapitalistischen Klassengesellschaft suchen zu dürfen?[/quote]  

Wenn ich mich dieser Dankbarkeit verweigere, dann bin ich folglich ein hoffnungslos undankbarer Mensch, der sein Leben nur auf Kosten der Allgemeinheit sowie insbesondere zu Lasten der Einkommen und Vermögen der Multimilliardäre fristet. So sei es !!!

 

Peter. Weber

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