► von Egon W. Kreutzer, Elsendorf
Da heißt es immer, Geschichte wiederholt sich nicht.
Nun, das stimmt auch. Es gab zwar, wie heute wieder, Wohnungnot, Armut, Suppenküchen, so wie es auch riesige Villen, Reichtum und Nobelrestaurants gab, doch wenn es in Berlin in den 1920er Jahren wild und verrückt zuging, dann waren Verrücktheiten in den Bars, Kabaretts und Nachtclubs zu Hause.
Der Schriftsteller Klaus Mann, ältester Sohn von Thomas Mann, schrieb 1920 über das Berliner Nachtleben: „Junge-Junge, so was hat die Welt noch nicht gesehen. Früher hatten wir eine Armee; jetzt haben wir prima Perversitäten!“
Die Volkssängerin und Chansonistin Claire Waldoff, geboren als Clara Wortmann, fragte sich: „Wer schmeißt denn da mit Lehm?“ (Lied), „Warum liebt der Wladimir g’rade mir?“ (Lied), „Wat braucht der Berliner um glücklich zu sein“ (Lied) und forderte „Rrrrraus mit den Männern ausm Reichstag“ (Lied).
Ein quirliger Mix aus Berliner Luft, Koks, Zille-Verehrung, wirtschaftlicher Blüte, Arbeitslosigkeit und Geldentwertung, das war die Aura der damals drittgrößten Stadt der Welt mit fast vier Millionen Einwohnern. Die Verrücktheit dieser Zeit war eine fröhliche, gewollte, eher karnevalistische Verrücktheit, ein schnell drehendes Riesenrad der Höhen und Tiefen.