Absturz von Germanwings-Flug 4U9525: Was steht hinter der Rufmord-Kampagne der Mainstream-Medien?

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Ernst Wolff
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Absturz von Germanwings-Flug 4U9525: Was steht hinter der Rufmord-Kampagne der Mainstream-Medien?
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Absturz von Germanwings-Flug 4U9525


Was steht hinter der Rufmord-Kampagne der Mainstream-Medien?


Am Dienstag, den 24. März, stürzte ein Airbus der Fluglinie Germanwings über den französischen Alpen ab. Nur 48 Stunden später gab die Staatsanwaltschaft Marseille eine Pressekonferenz zu dem Unglück. Vor den Augen der Welt verstieg sich der leitende Staatsanwalt Robin dabei zu der Behauptung, es sehe so aus, „als ob der Kopilot das Flugzeug vorsätzlich zum Absturz gebracht und so zerstört hat."

Es ist allgemein bekannt, dass es Monate oder Jahre dauert, bis nach einem Flugunfall gesicherte Erkenntnisse über die Absturzursache vorliegen. Dennoch wurde Robins voreilige und allen juristischen Prinzipien zuwiderlaufende Schuldzuweisung umgehend von den Mainstream-Medien aufgegriffen, um eine der größten Rufmord-Kampagnen in der Geschichte der Informationsindustrie zu entfachen.
 

 

Binnen Stunden wurden der vollständige Name des betroffenen Kopiloten genannt und private Fotos von ihm verbreitet. Seine Wohnorte wurden bekanntgegeben, sein Elternhaus von einer Heerschar von Sensationsjournalisten aus dem In- und Ausland belagert. Verwandte, Nachbarn, Schulkameraden und Freunde wurden mit Fragen bombardiert, die alle eines gemeinsam hatten: Sie gingen von der bereits erwiesenen Schuld des Betroffenen aus.

Sowohl die Aussagen von Staatsanwalt Robin als auch die anschließende Kampagne der Mainstream-Medien stehen in eklatantem Widerspruch zu den elementarsten Grundsätzen des Journalismus und unseres Rechtssystems. Eines der Fundamente der Rechtsstaatlichkeit ist die Unschuldsvermutung. In Artikel 11, Absatz 1 der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" (AEMR) der Vereinten Nationen von 1948 heißt es: „Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.“

Dass diese Unschuldsvermutung in der vergangenen Woche von den Mainstream-Medien (und auch einem Teil einer angeblich kritischen Presse) vollständig außer Kraft gesetzt wurde, wirft nicht nur ein bezeichnendes Licht auf den moralischen Zustand dieser Branche. Dass ein Verstorbener, der sich nicht mehr wehren kann, medial posthum moralisch vernichtet und seine Familie zur Generalverurteilung in den Fokus der Öffentlichkeit gezerrt wird, sollte aber auch zum Anlass genommen werden, folgende Fragen zu stellen:

Welche Interessen verbergen sich hinter dieser gezielten Rufmordkampagne? . . Wem nützt sie?

Schon ein flüchtiger Blick auf die Luftfahrtindustrie zeigt, dass sie sich seit längerem in erheblichen Schwierigkeiten befindet. Fusionen, Pleiten, Übernahmen und Neugründungen von Billig-Airlines und ein unerbittlicher internationaler Preiskampf haben die Entwicklung der vergangenen Jahre ebenso bestimmt wie flächendeckende Streiks, Lohnsenkungen und Entlassungen des Stammpersonals bei gleichzeitiger Einstellung von Leiharbeitern.

Dazu befindet sich die Führungsebene im internationalen Fluggeschäft wegen der dubiosen Begleitumstände mehrerer Luftfahrtkatastrophen der jüngeren Vergangenheit in immer größerer Erklärungsnot. Auch die Umstände des Absturzes der Germanwings-Maschine - die Weigerung mehrerer Crews, den Dienst nach dem Absturz der Unglücksmaschine anzutreten, der desolate Zustand des Voice-Recorders und die Tatsache, dass die Blackbox (siehe Foto) bisher nicht aufgefunden wurde - sind nicht gerade dazu angetan, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.

Um die Hintergründe dieser Entwicklung zu verstehen, ist es hilfreich, einen kurzen Blick auf die Geschichte der Lufthansa (der Muttergesellschaft der Germanwings) zu werfen: Das 1926 gegründete Unternehmen war vierzig Jahre lang ausschließlich in staatlichem Besitz. 1966 ging es an die Börse. Im Zuge der Privatisierungswelle Anfang der Neunziger Jahre reduzierte der deutsche Staat seinen Anteil an den Aktien von über 50 % auf 34 %, 1997 erfolgte die vollständige Privatisierung. Das heißt im Klartext: Seit 1997 liegt die Finanzierung der Lufthansa in den Händen privater und an ihrem Gewinn interessierter Investoren.

Da Mitte der Neunziger Jahre der durch die Deregulierung der Finanzwirtschaft ermöglichte und für Investoren hochlukrative Bereich der reinen Finanzprodukte (Derivate) förmlich explodiert ist, befindet sich die Realwirtschaft, zu der auch die Luftfahrtindustrie gehört, seitdem mit ihm in einem immer gnadenloseren Konkurrenzkampf um Renditen und Profite.

Um in diesem Kampf bestehen zu können, wurde das Billigfliegergeschäft in den Neunzigern erheblich ausgeweitet und auch von den großen Fluggesellschaften übernommen. Flogen 1994 nur 3 Mio. Passagiere mit Billigfliegern, waren es 1999 bereits 17,5 Mio. 2002 wurde das Lufthansa-Tochterunternehmen Germanwings gegründet. 2013 bewältigte es mit nur wenig mehr als 2.000 Mitarbeitern bereits ein Fluggastaufkommen von 13 Mio. Passagieren.

Billigfluggesellschaften zahlen ihren Mitarbeitern, die entweder nicht oder nur zu einem geringen Prozentsatz gewerkschaftlich organisiert sind, bei härteren Arbeitsbedingungen schlechtere Löhne und greifen häufig auf (zum Teil von ihnen selbst mitbetriebene) Leiharbeitsfirmen zurück. Zudem üben sie wegen der direkten Konkurrenz einen erheblichen Druck auf die Mitarbeiter der verbliebenen konventionellen Fluglinien aus.

Hinzu kommen zwei weitere Faktoren, die die Entwicklung der internationalen Luftfahrt in den vergangenen Jahren entscheidend geprägt haben:

  • Die Krise von 2007 / 2008 hat nicht etwa zu einer Eingrenzung, sondern zur Ausweitung der Derivatewirtschaft geführt. Die den Banken in den USA, Japan und der Eurozone fast zum Nullzinssatz zur Verfügung gestellten Billionenbeträge sind fast ausschließlich zur Spekulation benutzt worden und haben den Druck auf die Investoren in der Realwirtschaft noch weiter erhöht.
  • Der zweite Faktor ist der seit einigen Jahren tobende Wettbewerb der klassischen Luftfahrtindustrie mit neuen, nur wenige Jahre alten Konkurrenz-Airlines aus dem Nahen Osten, die samt und sonders von den erheblich niedrigeren Treibstoffkosten ihrer ölreichen Länder profitieren.

Da unter diesen erschwerten Geschäftsbedingungen die normalerweise fällige Erhöhung der Flugpreise wegen der nachlassenden Kaufkraft der Zielgruppe der Billigreisenden (sie sind am stärksten vom Absinken der Reallöhne und der Ausweitung des Billiglohnsektors betroffen) nicht möglich war, blieb den Airlines angesichts des Pochens der Investoren auf hoher Rendite nur die kontinuierliche Senkung ihrer Kosten. Sie hat bei allen Luftfahrtunternehmen eine höchst gefährliche Spirale in Gang gesetzt und zur fortschreitenden Verschlechterung der Sicherheitssituation für die Fluggäste geführt.

Um genau diesen Missstand zu verschleiern und somit von den wahren Ursachen der Misere der Branche abzulenken, beeilt sich die Luftfahrtindustrie nach jedem Unglück, den Fokus der Öffentlichkeit so schnell wie möglich auf Faktoren wie „menschliches Versagen“ zu richten. Bereits beim bis heute nicht erklärten Verschwinden des Fluges 370 der Air Malaysia wurden verschiedenste Spekulationen über einen möglichen Selbstmord des Piloten verbreitet. Diesmal sind es die angeblichen und bisher nicht bewiesenen psychischen Probleme eines Kopiloten, die der Öffentlichkeit als Ursache der Katastrophe präsentiert werden.  

Dass die Mainstream-Medien die Luftfahrtindustrie dabei rückhaltlos und unter Missachtung aller journalistischen Grundsätze unterstützen, liegt daran, dass sich die Informationsindustrie als ein Teil der Realwirtschaft in einem ähnlichen Kampf wie die Luftfahrtindustrie befindet. Auch hier verlangen die Investoren, dass jede Möglichkeit, die Rendite zu erhöhen, ergriffen wird.
 

 

Wie der Absturz der Germanwings-Maschine und sein Nachspiel zeigen, besteht der Unterschied zwischen beiden Industrien im Grunde nur in der Art und Weise, wie sie ihr Geschäft betreiben: Die einen nehmen den Verlust von Menschenleben billigend in Kauf, damit die Bilanzen stimmen, die anderen vernichten den Ruf Verstorbener und zerstören das Leben ihrer Angehörigen, um höhere Auflagen oder Zuschauerzahlen zu erzielen.

Ernst Wolff

 



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Bild- und Grafikquellen:


1. Airbus A320 (D-AIPX) der Germanwings-Airline am Barcelona Airport. Diese Maschine stürzte am 24. März 2015 über den französischen Alpen ab - bekannt als Germanwings Flight 9525. Foto: SEBASTIEN MORTIER, bearbeitet von Lämpel. Quelle: Flickr. / Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 generisch“ (US-amerikanisch) lizenziert.

2. David Warren (* 20. März 1925 auf Groote Eylandt, Northern Territory; † 19. Juli 2010 in Melbourne) war ein australischer Wissenschaftler, der durch die Erfindung des Flugschreibers bekannt geworden war. Er studierte in Sydney und promovierte in London, Vereinigtes Königreich. 1935 kam Warrens Vater bei einem der ersten Flugzeugabstürze in der Geschichte Australiens um Leben. Das letzte Geschenk seines Vaters war ein Detektorempfänger, mit dem Warren im Schlafsaal des Internats abends Radio hörte. Der Detektorempfänger weckte sein Interesse an der Elektrotechnik. Er begann, als Hobby Funkgeräte zu bauen. Als aufgrund des Krieges Amateurfunk verboten worden war und seine Hoffnung, der jüngste Funkamateur Australiens zu werden, gedämpft wurde, wandte er sich der Chemie zu.

Warren wurde 2002 für seine Verdienste für die Luftfahrtindustrie, insbesondere durch die frühe konzeptionelle Arbeit und die Entwicklung eines Prototyps des Flugdatenschreibers im Jahre 1956 zum Officer des Order of Australia ernannt.

Foto: Australian Government, Department of Defence - Defence Science and Technology Organisation (DSTO). Quelle: Wikimedia Commons. Dieses Werk wurde von seinem Urheber Australian Government, Department of Defence als gemeinfrei veröffentlicht. Dies gilt weltweit.


3. Journalismus (Schreibtischtäterhandwerk, Propaganda, Lüge) "Reiche Menschen bezahlen reiche Verleger dafür, dass sie die Mittelschicht glauben machen, die Armen und Mittellosen seien an allem Schuld" Grafik: Elias Schwerdtfeger Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0)

4. Cover: "WELTMACHT IWF - Chronik eines Raubzugs" von Ernst Wolff.