Analyse zur Aussagekraft des „NSU-Bekenner-Videos“

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Analyse zur Aussagekraft des „NSU-Bekenner-Videos“
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Analyse zur Aussagekraft des „NSU-Bekenner-Videos“

Wiederentdeckung einer Automarke


Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann


Herr Schmitz hatte zuhause ein Fotoalbum im Schrank. Im Fotoalbum waren Fotos von einem Fußballspiel. Auf einem der Fotos war auf dem Boden liegend eine zerbeulte Bierdose zu sehen. Unter den Fotos stand: „FC Kaiserslautern (FCK)“ .Was schließen wir daraus? Herr Schmitz ist FCK-Mitglied und bekennt, die Bierdose auf den Boden geworfen zu haben. Kein Zweifel! Besonders dann, wenn das Fotoalbum in einer ausgebrannten Wohnung gefunden worden ist. Das ist Spiegel-Logik.

Das war ein großartiger Coup am 4. November des Jahres 2011. Erst gehen die Akteure in den Tod. Dann – noch am gleichen Tag – geht das Haus, in dem die Toten gelebt haben sollen, in die Luft, damit in den Trümmern des zerstörten, ausgebrannten Hauses unversehrte DVDs mit einem Video "gefunden“ werden können, anhand derer behauptet wird, die Toten hätten sich zu bislang unaufgeklärten Verbrechen bekannt. Eingebaute Versatzstücke der so genannten "Döner-Morde“ und des "Nagelbomben-Attentats“ in der Kölner Keupstraße machen es möglich. Und vor allem lassen die DVD-Produzenten die Bezeichnung NSU wieder auferstehen. Entsprechende Einblendungen sind dafür wie geschaffen. NSU steht jetzt aber nicht mehr für die untergegangene Automarke aus Neckarsulm. Mit NSU ist ein wirkungsvolles Codewort erfunden, das die Republik in Atem hält. Den Toten wird post mortem der eindrucksvolle Name "Nationalsozialistischer Untergrund“ gegeben. Und das Überragende des Coups besteht darin, dass die komplette Öffentlichkeit – fast ohne Ausnahme – die Story zur Grundlage ihres Denkens macht.

Niemand hinterfragt die Aussagekraft und die Autorenschaft des Videos. Niemand fragt, wer sich die wirkungsvolle Bezeichnung NSU tatsächlich ausgedacht hat und warum sie erst nach dem Tod der Hauptakteure in Umlauf gebracht worden ist. Kaum jemand geht der Frage nach, wie wahrscheinlich es ist, in einem von einer Explosion verwüsteten, ausgebrannten Haus eine intakte DVD zu "finden“. Und kaum jemand fragt, wer an der Story insgesamt ein Interesse hat?

In der Vergangenheit sind immer wieder Videos „gefunden“ worden, die das Denken der Öffentlichkeit entscheidend bestimmt haben. Ende des Jahres 2001 wurde in Afghanistan ein Video "gefunden“ und vom Pentagon in Umlauf gebracht, in dem sich eine mit Osama bin Laden bezeichnete Figur zu den Verbrechen des 11. September bekannt haben soll und das alle Zweifler an der Legitimität des völkerrechtswidrigen Krieges „gegen den Terror“ ruhig stellen sollte. Und im Jahr 2005 wurde pünktlich zum zehnten Jahrestag des Vorgangs, der als das Massaker von Srebrenica bezeichnet wird, ein Video "gefunden“, das dieses Massaker in seiner bislang verbreiteten Version im nachhinein belegen und das völkerrechtswidrige Handeln der NATO im nachhinein rechtfertigen sollte. Und nun ist im November 2011 in Zwickau ein Video "gefunden“ worden, mit dem ein so genannter "Nationalsozialistischer Untergrund“ das Licht der Welt erblickt. Warum sollen wir das alles glauben?


Chronologie
 

  • Fr. 04.11.2011 vormittags: Tod (angeblich Selbstmord) von zwei (mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos bezeichneten) Personen in Eisenach in einem Wohnwagen
  • Fr. 04.11.2011 nachmittags: Explosion und Brand im Haustrakt Zwickau, Frühlingsstraße 26, in dem die zwei Toten und eine Frau gelebt haben sollen
  • Sa. 05.11.2011: der vor dem Haus Zwickau Frühlingsstraße 26 positionierte Briefkasten (zum Verschicken von Post) ist verschwunden
  • Di. 08.11.2011 früher Nachmittag: die (als Beate Zschäpe bezeichnete) Frau soll sich der Polizei gestellt haben
  • Fr. 11.11.2011: ab diesem Tag ist von einer DVD mit einem „Bekennervideo“ die Rede, die in den Trümmern des Hauses in Zwickau gefunden worden sein soll
  • Sa. 12.11.2011: es wird berichtet, dass eine DVD „in dieser Woche“" ohne Begleitinformation im Parteibüro der LINKEN in Sachsen-Anhalt eingegangen sei
  • Mi, 23.11.2011: überwacht vom BKA wird der zerstörte Dachstuhl des Haustraktes Zwickau Frühlingsstraße 26 abgerissen
  • Di, 24.04.2012: Beginn des Komplett-Abrisses des Hauses Zwickau Frühlingsstraße  26

 

Der Coup ist grandios. Alle Welt glaubt die Story mit dem NSU-Bekennervideo. Eine Reihe von Verbrechen gelten ab jetzt als aufgeklärt. Für die Ermordung von zehn Menschen wird anhand des Videos die 3er-Gruppe mit der Bezeichnung NSU verantwortlich gemacht. Aufgrund des angeblichen Versagens des Staates kann die Beseitigung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten ins Auge gefasst werden. Insbesondere für die "Linken“ ist ein Spielfeld geschaffen, auf dem sich Entrüstung austoben darf. Die Zahl der Publikationen in den Medien von "links“ bis "rechts“ ist gigantisch. Ein wesentlicher Teil der öffentlichen Aufmerksamkeit wird hier gebunden. Von den großen Verbrechen unserer Zeit wird abgelenkt.

Während der Tod von zehn Menschen einen Sturm von Publikationen hervorruft, bleiben 1,7 Millionen Tote, die bislang Opfer des völkerrechtswidrigen Krieges „gegen den Terror“ geworden sind, aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit so gut wie verbannt – wie auch der Tod von mehr als 10 Millionen Menschen, für den die USA seit 1945 verantwortlich sind. Millionen von Artikeln gegen die Verbrechen des Imperialismus, die bei Anlegen von gleichen Maßstäben geschrieben werden müssten, bleiben ungeschrieben. Statt die Terrorzelle namens NATO ins Bewusstsein zu rücken, wird auf die Zwickauer Terrorzelle orientiert. Über die Fixierung auf den Nationalsozialismus kann die Aufmerksamkeit von neuen Verbrechen abgelenkt werden, kann beispielsweise eine Verurteilung des an den Palästinensern begangenen Verbrechens als moralisch verwerflich hingestellt werden. Diejenigen, die für die Toten der imperialistischen Kriege und andere staatliche Verbrechen verantwortlich sind und damit die eigentlichen Faschisten unserer Zeit sind, können sich als Demokraten darstellen, die gegen "Rechts“ vorgehen.

Zweifelndes, hinterfragendes Denken, das in Betracht zieht, dass wir es mit einer False-Flag-Operation besonderer Art, mit einem geschickt inszenierten Desorientierungsmanöver zu tun haben, ist ausgeschaltet. Selbst in einer kritischen Zeitung wie der jungen Welt, die für sich reklamiert, die Lügen unserer Zeit aufdecken zu wollen, ist vom „Auffliegen der für zehn Morde verantwortlichen Terrorzelle“ die Rede. Dabei ist es kein Kunststück zu erkennen, dass die Beweiskraft des "Bekennervideos“ gegen Null geht. Der nahe liegende Gedanke, dass das NSU-Konstrukt insgesamt eine Geheimdienst-Kreation ist, kommt nicht auf. Für Geheimdienste ist es keine besonders schwierige Aufgabe, zwei Menschen auszuschalten, ein Haus in die Luft zu sprengen und eine DVD zu platzieren und dann zu "finden“.


Was es mit den DVDs auf sich hat
 

  • lt. Spiegel (11.11.2011) soll in den Trümmern des Hauses Frühlingsstraße Nummer 26 Beweismaterial, darunter DVDs gefunden worden sein, „in denen eine Gruppe mit dem Namen 'Nationalsozialistischer Untergrund' eine Rolle spielt – und die Bezüge zu den Döner-Morden enthalten. Die Filme sollen zum Teil verpackt gewesen sein.“
  • lt. Spiegel (12.11.2011) sollen Ermittler in der Asche des abgebrannten Gebäudes "Beweise, die auf eine rechtsextremistische Motivation der Morde hindeuten und auf eine Terrorzelle namens 'Nationalsozialistischer Untergrund' gefunden haben. DVDs sollen Bezüge zu den Döner-Morden enthalten.“
  • lt. Spiegel (12.11.2011) sollen die „toten Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt... ein Geständnis hinterlassen [haben]. Auf vier DVDs, die die Ermittler in den Trümmern des Wohnhauses der Gruppe in Zwickau fanden, erklären die Terroristen, ihre Gruppe 'Nationalsozialistischer Untergrund' sei ein 'Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz Taten statt Worte'.“
  • lt. taz (12.11.2011) sollen „nach taz-Informationen... einzelne Exemplare der DVD schon verschickt worden sein“
  • lt. Freie Presse (12.11.2011) ist die DVD ohne Begleitinformation „in dieser Woche“ (zwischen Mo, 7. und Do, 10.11.2011) im Parteibüro der LINKEN in Sachsen-Anhalt eingegangen und am Fr, 11.11.2011 an Landesinnenminister Holger Stahlknecht (CDU) übergeben worden
  • lt. Spiegel (13.11.2011, 08:49 Uhr) „sollten“ „vervielfältigte DVDs den Ermittlern zufolge in Umschläge verpackt und… an Medien und islamische Kulturzentren verschickt werden“
  • lt. Welt (13.11.2011, 16:01 Uhr) „sollten“ „die DVDs nach Erkenntnissen der Ermittler… an Medien und islamische Kulturzentren verschickt werden“
  • lt. Bildzeitung (15.11.2011) wurden DVDs an Büros der Partei „Die Linke“ verschickt
  • lt. NDR-Magazin ZAPP (16.11.2011) hat der Spiegel das „Bekennervideo“ mit Exklusivrechten gegen Geld vom Verein apabiz (Antifaschistisches Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e.V.) erhalten. Für andere Medien, die z.B. 2000 Euro bezahlt haben sollen, galt eine Sperrfrist. Zur Höhe der vom Spiegel geleisteten Zahlung machte apabiz keine Angaben. (Die „Junge Freiheit“ nennt apabiz am 17.11.2011 linksradikal und suggeriert so für apabiz eine gewisse Staatsferne.)
  • lt. Wolf Wetzel von der Anti-Nazi-Koordination Frankfurt (29.06.2012) packte „Beate Zschäpe… mehrere Kopien dieses Propagandafilmes ein und verschickte sie an bürgerliche Zeitungen und an die Kommunistische Arbeiterzeitung (KAZ) – um ganz sicher zu gehen, dass der Film auch tatsächlich an die Öffentlichkeit gelangt“


Eigenartig! Laut Spiegel und Welt sollten die DVDs an die Medien verschickt werden, wurden es aber nicht. Aber laut Wolf Wetzel, der am 4.7.2012 auch für die junge Welt schrieb, hat Beate Zschäpe die DVDs also an bürgerliche Zeitungen verschickt. Das konnte sie nur bis zum 8. November. Dann war sie in Polizeigewahrsam. Selbst wenn sie mit dem Abschicken bis zum 8. November gewartet haben sollte, müssten die Sendungen am 9. oder 10. November den einen oder anderen Adressaten erreicht haben. Warum ist das nicht sofort öffentlich geworden? Und warum musste der Spiegel sie erst käuflich erwerben, um darüber am 12. November exklusiv berichten zu können? Und wie konnte eine Organisation, die das Etikett "antifaschistisch“ trägt, mit einem Organ kooperieren, das die großen Verbrechen unserer Zeit propagandistisch begleitet?

Wir sehen: Es ist vorrangig der Spiegel, der für fast die ganze Öffentlichkeit die Richtung vorgibt. Wahnsinn, wie so etwas immer wieder funktioniert! Das Ganze ist so geschickt eingefädelt, dass selbst überwiegende Teile der Linken den Grundaussagen der Story Glauben schenken. Die Geschichte scheint für Linke geradezu wie geschaffen zu sein. Wenn es gegen "Rechts“ geht, nehmen "Linke“ die über die Herrschaftsmedien transportierten Denkvorgaben der Herrschenden begierig auf.

Und auch der für die Süddeutsche Zeitung schreibende Hans Leyendecker tut, was er kann, indem er am 26.12.2011 diejenigen, die in Erwägung ziehen, dass die beiden Männer in Eisenach von einer „in Diensten des Staates stehenden Person“ getötet worden sein könnten, als „Rauner“ und „Verschwörungsjunkies“ hinstellt. Er wird seinen Grund dafür haben.
 



Quellen sind aufgeführt unterklick hier


Entnommen aus: DAS KROKODIL (Ausgabe 2)

- Grundsatzschrift über die Freiheit des Denkens - bissig – streitbar – schön und wahr und (manchmal) satirisch


mehr dazu und wie es sich bestellen läßt, hier:   http://www.das-krokodil.com/