Arbeitskämpfe durch klassenkämpferische Opposition: David gegen Goliath

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Verbunden: 21.09.2010 - 20:20
Arbeitskämpfe durch klassenkämpferische Opposition: David gegen Goliath
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Arbeitskämpfe durch klassenkämpferische Opposition


David gegen Goliath: Abdul Raufs Kampf gegen Diskriminierung bei Pakistan Packages Ltd.


von Georg Ismael


Oft klagen deutsche GewerkschafterInnen darüber, dass die Organisation von Arbeitskämpfen in Deutschland von größter Schwierigkeit sei. Die ArbeiterInnenklasse sei sich ihrer Probleme zu wenig bewusst, „es gehe ihr zu gut“ oder, als Kontrast dazu, „sei sie zu prekär beschäftigt“.

Situation in Pakistan

In starkem Kontrast dazu steht der Kampf des Arbeiters Abdul Rauf aus Pakistan. Pakistan ist ein Land, in dem das Durchschnittseinkommen am Tag rund 3 Dollar beträgt. Der Lohn der ArbeiterInnen liegt also noch unter diesem Niveau.
 

 

Wer den Vorstellungen vieler deutscher Linker glaubt, dass es den ArbeiterInnen nur schlecht genug gehen müsse, damit sie zu kämpfen beginnen, wird in Pakistan allerdings enttäuscht werden. Zwar kämpfen die ArbeiterInnen tagtäglich um ihr nacktes Überleben, aber die Kämpfe der ArbeiterInnenklasse sind nicht vom Lohn beeinflusst, sondern an gewerkschaftliche Organisationen und v.a. an eine politische Perspektive gebunden.

In diesem Sinne könnte man auch die drei oben genannten „Argumente“ auf Pakistan übertragen, aber natürlich unter bedeutend schwierigeren Bedingungen. Die ArbeiterInnenklasse zählt zwar rund 60 Millionen, aber nur etwa zwei Prozent davon sind gewerkschaftlich organisiert. Selbst diese zwei Prozent sind in hunderte kleine Gewerkschaften zersplittert. Der Grund dafür ist die lange Geschichte von Militärdiktaturen in Pakistan, die seit den 50ern durch den US-Imperialismus gestützt wurden, und die neoliberalen Reformen ab den 80er Jahren.


Abdul Raufs Kampf bei Packages Ltd.


Wer also heute in Pakistan kämpft, tut dies unter widrigsten Umständen. Abdul Rauf ist einer dieser Kämpfer. Bereits unter der Militärdiktatur von Pervez Musharraf (1999-2008) entschied er sich dazu, in der Verpackungsfabrik des Konzerns Packages Limited in Lahore, einem Konzern, der einem der reichsten KapitalistInnen Pakistans, Syed Babar Ali, gehört, einen Kampf für die Rechte der ArbeiterInnen zu führen.

Sein Kampf bei Packages Limited ist von enormer Symbolik und politischer Aussagekraft. Der Konzern ist der größte Verpackungshersteller für Nahrungsmittel in Pakistan, an dem internationale Konzerne wie Coca Cola, Tetra oder Nestle beteiligt sind. Er ging hervor aus einem Joint Venture Pakistans und Schwedens. Syed Ali hat Aufsichtsratsposten bei anderen europäischen Monopolkonzernen in Pakistan (z.B. Siemens) und ist auch schwedischer Honorarkonsul.

Dieser diplomatische Ehrentitel hielt den Großkapitalisten jedoch nicht davon ab, neben der bereits grauenhaften Bezahlung der muslimischen ArbeiterInnen, seine christlichen ArbeiterInnen, die in Pakistan eine Minderheit stellen, noch zusätzlich auszubeuten.
 

 

Dagegen begann Abdul Rauf 2004 zu kämpfen. Nachdem er herausgefunden hatte, dass das Unternehmen bei den Auszahlungen an die christlichen ArbeiterInnen betrog, begann er, KollegInnen um sich zu sammeln, um Neuwahlen für die Gewerkschaftsführung in seinem Betrieb zu organisieren. Das war das dritte Mal, dass in 49 Jahren Wahlen für einen neuen Gewerkschaftsrat in seinem Betrieb stattfanden. Die Gewerkschaft war bis dahin eine Gelbe Gewerkschaft (vom Management abhängig und gekauft). Doch nach den Wahlen, war Abdul der neue Gewerkschaftsführer im Betrieb und begann, die Auseinandersetzung vorzubereiten.

Eine Woche später wurde er gefeuert. Bereits vorher wurden jeden Monat „ein oder zwei Arbeiter routinemäßig“ gefeuert, die Kritik äußerten. Doch anstatt klein bei zu geben, begann Abduls Kampf jetzt erst richtig.

Er ging zur PTUC, der Pakistanischen Gewerkschaftskonföderation, die den Konzern aufforderte, ihn wieder einzustellen, was natürlich nicht geschah. Er ging zur Presse, um seinen Fall bekannt zu machen. Er sagte der Presse, dass, wenn er nicht wieder eingestellt werden würde, er versuchen werde, andere GewerkschafterInnen zu versammeln, um in Lahore mit Protesten zu beginnen.

Am nächsten Tag ging er mit Flugblättern zurück zum Betrieb und begann, sie zu verteilen. Kurz darauf kam der Betriebsschutz, um ihn mit geladener Waffe an der Schläfe zu bedrohen. „Sie sagten, sie würden einen Krankenwagen rufen, um meinen Leichnam abzutransportieren. Sie sagten, ich wäre eine Gefahr für das Unternehmen und das ich derjenige wäre, der sie töten wolle und nicht umgekehrt.“

Dass die Wachen nicht nur blufften, zeigt die Tatsache, dass bereits Abdul Rehman, der damalige Gewerkschaftsführer bei Packages Ltd. in den 70er Jahren ermordet wurde. Doch Abdul Rauf ließ sich nicht einschüchtern. Er ging zwar an diesem Tag, aber er ging, um einen rund 10 Jahre andauernden Kampf zu beginnen.

Mit Hilfe des PTUC Gewerkschaftsverbandes und finanzieller Unterstützung der "Swedish Graphic Worker`s Union" war er dazu in der Lage vor die pakistanischen Arbeitsgerichte zu gehen. In Lahore fanden kleinere Demonstrationen von linken ArbeiterInnen und GewerkschafterInnen statt und die Presse begann zu berichten. Zwar wurde er für lange Zeit nicht wieder eingestellt, aber bei Packages Ltd. hörten die ungezügelten Kündigungen anderer ArbeiterInnen vorerst auf. „Er (der Kapitalist) weiß, dass ich bereit dazu bin zu demonstrieren und für jeden Arbeiter zu kämpfen, den er entlässt“, sagte Rauf 2005. Einige Zeit später gelang es ihm, per Gerichtsbeschluss erneut eingestellt zu werden und seinen Kampf aus dem Betrieb heraus fortzusetzen.


„Ich habe sie mutiger gemacht“


Doch der Grund dafür waren weder Einsicht von Packages Ltd. noch Hilfe der schwedischen Botschaft, auf die ebenfalls politischer Druck aufgebaut wurde. Letztere schien bei Interview-Anfragen schwedischer Journalisten allerdings an Amnesie zu leiden. Es war die Tatsache, dass Rauf einen hartnäckigen Kampf führte, der über die ArbeiterInnen seines Betriebs hinaus Interesse zu wecken begann.


„Schau, meine Schwierigkeiten sind nichts Ungewöhnliches hier. Ich kann die ArbeiterInnen jetzt nicht verlassen. Ich muss etwas tun. Ich spüre ihre Erwartungen an mich. Wer sonst wird für sie sorgen? Mein Kampf ist wichtig für die ArbeiterInnen in Pakistan. Ich weiß, ich habe sie mutiger gemacht.“


Nachdem er am 7. März 2013 erneut gefeuert wurde, kämpfte er zwei weitere Jahre um seine Wiedereinstellung. Mittlerweile aber haben sich seine Mittel erschöpft und er wird gezwungen sein, sich eine neue Stelle zu suchen. Doch er wird seinen Kampf nicht beenden. Darin ist er sich einig mit den anderen ArbeiterInnen in Pakistan, die sich entschlossen haben, sich zu organisieren, wie die Labour Qaumi Movement, über die wir bereits berichteten. Die ArbeiterInnen dieser Gewerkschaft berichteten uns 2014, dass Schergen der Unternehmer und des Staates auf ihre Häuser geschossen hätten. Als wir sie fragten, was sie nun tun würden, antworteten sie, „Wir kämpfen natürlich weiter. Was sollen wir auch anderes tun. Wenn wir aufhören zu kämpfen, sterben wir vielleicht nicht durch eine Kugel, aber dafür können wir unsere Familien nicht mehr ernähren.“


Lehren für Deutschland

Sicherlich verhungern aktuell keine ArbeiterInnen in Deutschland, wenn sie den Kampf für ihre Rechte nicht aufnehmen. Doch die stattfindende Verarmung breiterer Schichten der ArbeiterInnen in Deutschland wird weiter voranschreiten, wenn die Gewerkschaften nicht beginnen, mit der gleichen Entschlossenheit zu kämpfen wie Abdul. Das größte Hindernis in Deutschland ist jedoch nicht die Angst vor einer Kugel im Kopf. Es ist die Angst der Gewerkschaftsbürokratie, die für sie aktuell die Entscheidungen trifft, ihre Position des Vermittlers (Sozialpartnerschaft) zwischen KapitalistInnen und ArbeiterInnen zu verlieren, sollten die ArbeiterInnen zu entschlossen kämpfen.

Während sich in Pakistan die Aufgabe stellt, erneut industrielle Massengewerkschaften aufzubauen und die übriggebliebenen Versatzstücke existierender Gewerkschaften wieder zu vereinigen, steht in Deutschland die Aufgabe, eine klassenkämpferische Basisopposition in den Gewerkschaften und Betrieben aufzubauen, die keine faulen Kompromisse mit den Bossen duldet. Es braucht eine Opposition, die das vorantreibt, wofür Gewerkschaften da sind, die ArbeiterInnen in jedem Betrieb zu organisieren - auch dort, wo die Mitgliedsbeiträge niedrig und die Organisierung schwer sind.

Eine weitere Lehre, die wir aus dem Kampf Abduls, der Muslim ist, ziehen können, ist, sich nicht anhand von Konfession oder Herkunft spalten zu lassen. Sein Mut, sich gegen die Ungerechtigkeit gegenüber den christlichen ArbeiterInnen zu erheben, hat nicht nur symbolisch einen wichtigen Beitrag geleistet, die Spaltung der ArbeiterInnenklasse in Pakistan zu überwinden. Er hat auch aufgedeckt, wie widerlich die Hetze jener europäischen und amerikanischen KapitalistInnen gegen Muslime und MigrantInnen im Namen „christlicher Werte“ ist, während eben diese KapitalistInnen die Spaltung in Ländern wie Pakistan von genau der anderen Seite betreiben, um Profite zu machen.

Natürlich ist es schwer, gewerkschaftliche Kämpfe, insbesondere unter prekären Verhältnissen zu organisieren - in Deutschland, wie in Pakistan. Sie können in Entlassungen für einzelne ArbeiterInnen, wie bei für Abdul Rauf, enden. Aber diesen Kampf nicht zu führen, wird mit Sicherheit zu Entlassungen und immer schlimmeren Arbeitsbedingungen führen. Aber Abdul hat nichts zu bereuen. Er weiß, dass er einen wichtigen Beitrag für die Belegschaft in seinem Betrieb und seine gesamte Klasse geleistet hat. Er hat Erfahrungen mit ihr gemacht und Bewusstsein geschaffen, die sie in den riesigen sich anbahnenden Auseinandersetzungen gegen die aktuellen landesweiten Privatisierungen und zunehmenden Streikkämpfe nutzen werden.

Freilich ist es auch möglich, die ArbeiterInnenklasse in Deutschland zum Kampf zu bewegen. Die aktuellen Streiks bei Bahn, Post, den ErzieherInnen oder bei Amazon beweisen das. Diese Kämpfe können bereits auf millionenstarke Gewerkschaften zurückgreifen.

Es sind also weniger die oben genannten Probleme aus Pakistan, die hierzulande den Kampf blockieren. Es ist die politische Passivität der Führung, das Festhalten der Gewerkschaftsbürokratie an der Sozialpartnerschaft. Die deutschen Gewerkschaften sind auch nach zwei Jahrzehnten des Schrumpfens von 12 auf 6 Millionen, die genau dieser Politik geschuldet ist, nach wie vor riesig im Vergleich zu den pakistanischen Gewerkschaften.

Aber: um den Zerfall der deutschen Gewerkschaftsbewegung umzukehren, braucht es keine Belehrungen darüber, wie wenig die ArbeiterInnen von Politik oder ihren eigenen Problemen wissen würden, „wie gut es ihnen ginge“ oder warum „sie zu prekär seien, um organisiert zu werden“. Es sind diese Erfahrungen des gewerkschaftlichen Kampfes, die die deutsche ArbeiterInnenklasse braucht.

Wenn sich diese Kämpfe entwickeln, verbinden und von einer klassenkämpferischen Opposition vorangetrieben werden, wird schnell klar sein, dass Gewerkschafter wie Abdul kein alleingelassener David sind. Es wird sich zeigen, dass die vermeintlich mächtigen KapitalistInnen nichts als Scheinriesen sind.

Georg Ismael, Infomail 826, 22. Juni 2015

 


 

► Quelle: Gruppe Arbeitermacht - deutsche Sektion der Liga für die 5. Internationale > zum Artikel


Bild- und Grafikquellen:

 

1. Pakistanische Textilverkäufer. Foto: Steve Evans, Cultural Researcher, Communications Specialist, and Photographer. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Namensnennung-Nicht kommerziell 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0)

2. Straßenszene in Lahore, mit knapp über 7 Mio. Einwohnern nach Karatschi die zweitgrößte Stadt Pakistans. Sie liegt am Ufer des Flusses Ravi, nur wenige Kilometer von der Grenze zu Indien entfernt. Sie ist die historische Hauptstadt des Punjab und heute als Hauptstadt der pakistanischen Provinz Punjab der industrielle und kulturelle Mittelpunkt Nordostpakistans. Foto: Heinrich Böll Stiftung, Berlin. Quelle: Flickr. und Wikimedia Commons. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 generisch“ (US-amerikanisch) lizenziert.

3. Grafito KAPITALISMUSKRITIK, Bockenheim, Frankfurt am Main. Foto: Rupert Ganzer. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Attribution-NoDerivs 2.0 Generic (CC BY-ND 2.0)