Aufstocker - vom Aufschwung abgehängt?

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Aufstocker - vom Aufschwung abgehängt?
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Aufstocker - vom Aufschwung abgehängt?

von Markus Krüsemann / miese-jobs.de

Die Zahl der Aufstocker geht weiterhin langsam zurück. Doch verabschieden sich nur Minijobber und Selbstständige aus dem Leistungsbezug. Die Gruppe der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Bezieher von Hartz IV-Leistungen wächst dagegen wieder. An ihnen scheint der Aufschwung vorbeizugehen.

Bis Mitte des Jahres 2010 war die Zahl der abhängig Erwerbstätigen, die auf Grund zu geringer Einkommen auf zusätzliche Arbeitslosengeld II-Zahlungen angewiesen waren, auf 1,28 Millionen gestiegen. Danach wendete sich das Blatt. Jahr für Jahr ging die Zahl der Aufstocker ein wenig mehr zurück. Im Durchschnitt des Jahres 2016 lag sie dann bei knapp unter 1,09 Millionen ArbeitnehmerInnen.

Abhängig erwerbstätige Aufstocker 2009 bis 2016 (Jahresdurchschnitt)  

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Wie obige Graphik zeigt, sind im genannten Zeitraum aber eigentlich nur geringfügig Beschäftigte (und die hier nicht berücksichtigten selbstständig Erwerbstätigen) aus dem Leistungsbezug gefallen. Bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat sich an der Gesamtzahl wenig geändert, die Zahl der Erwerbstätigen mit einem Bruttomonatseinkommen von mehr als 1.200 Euro ist sogar von durchschnittlich 120.000 im Jahr 2010 auf 167.000 in 2016 angestiegen.

► Aufschwung geht an den Aufstockern vorbei

Angesichts der konjunkturell bedingt positiven Entwicklung am Arbeitsmarkt stellt sich allerdings die Frage, warum die Zahl der Aufstocker in den vergangen Jahren nicht deutlicher gesunken ist. Immerhin setzte ja schon ab 2006 ein kontinuierlicher Beschäftigungsaufbau ein. Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten hatte zwar erst im Jahr 2010 mit 22,8 Millionen Beschäftigten die Talsohle durchschritten, stieg dann aber ebenfalls kontinuierlich auf knapp 24 Millionen in 2016 an. Noch stärker, nämlich von 13,7 auf 15,3 Millionen, stieg im gleichen Zeitraum die Zahl der Teilzeitbeschäftigten, was allerdings nicht unproblematisch ist, denn eine Beschäftigung zu reduzierter Stundenzahl ist oft nicht existenzsichernd. Wer da nicht in einen ökonomisch tragfähigen Haushaltszusammenhang eingebettet ist, dem bleibt nur der Gang zur Behörde oder das Multijobben.

armut_pockets_out_pleite_schulden_schuldenfalle_verschuldung_kritisches_netzwerk_insolvenz_privatinsolvenz_erwerbsarmut_arbeitsarmut_working_poor_zahlungsunfaehigke05x.png Der Aufschwung ging offensichtlich an einem Großteil der Aufstocker vorbei, woran sich zeigt, dass die bloße Zunahme an Jobs allein Erwerbstätige nicht aus der Bedürftigkeit geholt hat. Es kommt auf die Qualität der Jobs an. Und die hat sich in den vergangenen Jahren nicht grundlegend geändert, denn der Beschäftigungsaufbau der verg. Jahre hat sich weniger im Bereich der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung als im Sektor atypischer Beschäftigungsverhältnisse abgespielt.

Es sind eben nicht zu fällig die Aufstocker, die überdurchschnittlich oft in Teilzeit- oder Minijobs mit geringem Arbeitsstundenumfang und vergleichsweise niedrigen Stundenlöhnen beschäftigt sind. Auch in unsicheren Beschäftigungsformen wie der Leiharbeit oder in befristeten Stellen arbeiten sie häufiger, heißt es in der Arbeitsmarktforschung. (>PDF)

Das aber bedeutet im Umkehrschluss: Wer auch im Jobboom nur Teilzeit- oder Minijobs ergattern kann oder auf Grund von zu geringer institutioneller Unterstützung bei der Kindererziehung oder der Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger auf Vollzeit verzichten muss, wer nur Arbeit zu Niedriglöhnen bekommt, der ist von einer existenzsichernden Beschäftigung weiterhin noch viel zu oft entfernt. Und da, wo Arbeit im Niedriglohnsektor angesiedelt ist, bieten auch Vollzeitjobs trotz des Mindestlohns nicht immer ein Auskommen. Vor allem bei größeren Familien reicht ein Einkommen aus Vollzeitarbeit allein nicht aus, um über die Runden zu kommen.

► Die aktuelle Entwicklung

Die aktuelle Situation ist schnell umrissen, denn die Entwicklungslinien verliefen auch in der ersten Hälfte des Jahres 2017 (jüngere Zahlen liegen nicht bzw. nur unvollständig vor) in den seit Mitte 2016 vertrauten Bahnen (vgl. 06.11.17): Den fortgesetzten Anstiegen bei den voll- und teilzeitbeschäftigten Hartz IV-BezieherInnen stehen etwas umfangreichere Rückgänge bei den geringfügig beschäftigten Aufstockern gegenüber, sodass unter dem Strich ein leichtes Minus steht.

Entwicklung der Aufstockerzahlen 2011 bis Mitte 2017 (Quartalswerte)

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Den Angaben aus der fortlaufenden Analyse der Grundsicherung für Arbeitssuchende der Bundesagentur für Arbeit (BA) zufolge, belief sich die Zahl der abhängig Erwerbstätigen, die zusätzlich zu ihrem Erwerbseinkommen aufstockende Arbeitslosengeld II-Zahlungen erhielten, Ende Juni 2017 auf 1,076 Millionen. Gegenüber dem Vorjahresmonat ist das ein Rückgang um 1,2 Prozent. Dessen ungeachtet stellen die abhängig Erwerbstätigen weiterhin knapp ein Viertel aller Hartz IV-LeistungsbezieherInnen.

Im genannten Zeitraum ging die Zahl der Aufstocker mit Minijob um immerhin 6,1 Prozent auf 486.000 Personen zurück. Zuwächse gab es hingegen in der Gruppe der Teilzeitbeschäftigten. Zuletzt wurden hier knapp 396.000 Personen gezählt, ein leichtes Plus von 1,0 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Erneut deutlich stärker gestiegen ist die Zahl der vollzeiterwerbstätigen Aufstocker. Sie lag Ende Juni 2017 bei mehr als 194.000 Personen, das sind gut 14.000 mehr als ein Jahr zuvor, was einem kräftigen Zuwachs um 7,9 Prozent entspricht.

Markus Krüsemann, Soziologe und Mitarbeiter am Institut für Regionalforschung in Göttingen.

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Quellen:

Statistik der BA (2018): Analyse der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Januar 2018, Nürnberg. - weiter. (PDF)

Statistik der BA (2018): Tabellen, Erwerbstätige erwerbsfähige Leistungsberechtigte, Nürnberg, Januar 2018.

Statistik der BA (2018): Strukturen der Grundsicherung SGB II (Zeitreihe Monats- und Jahreszahlen ab 2005), Oktober 2017, Nürnberg.

Bruckmeier, K./ Eggs, J. u.a. (2013): Aufstocker im SGB II: Steinig und lang - der Weg aus dem Leistungsbezug. IAB-Kurzbericht, Nr. 14/2013, Nürnberg. - weiter.

Weiterlesen:

Achatz, J./ Gundert, S. (2017): Arbeitsqualität u. Jobsuche v. erwerbstätigten Grundsicherungsbeziehern. IAB-Forschungsbericht, Nr. 10/2017, Nürnberg. - weiter. (PDF)



► Quelle: Erstveröffentlicht durch Markus Krüsemann am 09. Februar 2018 auf dessen Infoportal miese-jobs.de >> Artikel. Verbreitung des Textes unter der CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland (CC BY-NC-ND 3.0 DE). Grafik 1 + 2 sind Bestandteil des Originlartikels. Die Bilder sind NICHT Bestandteil des Originalartikels und wurden von KN-ADMIN Helmut Schnug eingefügt, für sie gelten ggf. andere CC-Lizenzen. (s.u.)

► Bild- und Grafikquellen:

1. Grafik I: Abhängig erwerbstätige Aufstocker 2009 bis 2016 (Jahresdurchschnitt). Quelle: Statistik der BA: Grundsicherung für Arbeitsuchende.

2. ARM TROTZ ARBEIT - WORKING POOR dank der verfehlten zunehmend liberalisierten Lohn- und Arbeitsmarktpolitik (Niedriglohn, Leiharbeit, Zeitarbeit, lächerlich geringer Mindestlohn und andere politische Fehlentscheidungen). Grafik: schuldnerhilfe - Horst Tinnes, Linz/Österreich. Quelle: Pixabay. Alle bereitgestellten Bilder und Videos auf Pixabay sind gemeinfrei (Public Domain) entsprechend der Verzichtserklärung Creative Commons CC0. Das Bild unterliegt damit keinem Kopierrecht und kann - verändert oder unverändert - kostenlos für kommerzielle und nicht kommerzielle Anwendungen in digitaler oder gedruckter Form ohne Bildnachweis oder Quellenangabe verwendet werden. >> Bild (ohne Textinlet). Das Textinlet wurde von Wilfried Kahrs (WiKa) eingearbeitet.

3. Grafik II: Entwicklung der Aufstockerzahlen 2011 bis Mitte 2017 (Quartalswerte). Quelle: Statistik der BA: Analyse der Grundsicherung für Arbeitsuchende.