Aus Russlandexperten werden “Russlandversteher”

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Aus Russlandexperten werden “Russlandversteher”



von Roland Bathon


Die deutsche Mainstreampresse ist wieder mal kreativ und hat eine neue Möglichkeit gefunden, Russlandexperten, die auf Wandel durch Annährung statt auf Ausgrenzung von Russland setzen, billig abzuqualifizieren. Denn solche Experten können für die ARD und Co. ja keine richtigen Experten sein. Sie sind “Russlandversteher”.

Gebraucht wird der Begriff, den es so bis vor kurzem gar nicht gab und der es auch noch nicht in den Duden geschafft hat, inzwischen unter Mainstream-Journalisten wie selbstverständlich. Wer Russland gegenüber nach Meinung des Meinungsmachers zu unkritisch ist, wie Alexander Rahr oder Gernot Erler, dessen Qualifikation und Erfahrung man aber nicht direkt in Zweifel ziehen kann, kann man mit dem neuen Unwort “Russlandversteher” sehr einfach dennoch einen passenden Stempel verpassen.

Denn was die Wortschöpfung automatisch implizieren soll, ist klar. Hergeleitet ist der Begriff vom “Frauenversteher”, der es 2009 in den Duden geschafft hat, als “scherzhafte oder ironische Bezeichnung für einen Mann, der sich Frauen gegenüber als sehr einfühlsam oder verständnisvoll gibt” (Zitat Duden). Ein anderes Onlinewörterbuch wird noch deutlicher: “Jemand, der meint, er verstehe die Frauen besonders gut. Er meint es aber nur, in Wirklichkeit hat er keine Schnitte bei Frauen.”

Was dann ein Russlandversteher sein soll, ist völlig klar. Es ist nicht etwa jemand, der Russland fachkundig und kompetent gegenüber steht, sondern blauäugig und von niemandem ernst genommen werden sollte, weder von der russischen, noch von der deutschen Seite und schon gar nicht von Journalisten großer deutscher gebührenfinanzierter Medienanstalten. Da er – nach deren Meinung – alles in Russland nur durch seine “rosa Brille” sieht. Angesichts der Tatsache, dass es sich den “Russlandverstehern” meist um Leute mit jahrelanger Russlanderfahrung handelt, scheinen in der dortigen Luft Halluzinogene Drogen zu sein, die diesen rosaroten Blickwinkel produzieren. So werden mit einem Wort aus Personen, deren landeskundliche und politische Kenntnis Russlands die des durchschnittlichen Russland-Schreiberlings bei deutschen Auftraggebern bei weitem übersteigt, zu belächelten Witzfiguren. Belächelt von Menschen, deren Russlandkenntnisse sich häufig auf einzelne Moskauaufenthalte im dortigen Deutschenviertel beschränken. Wenn sie überhaupt real vorhanden sind.

So wie in einer neuen Analyse der ARD namens “Zar-Attitüde und KGB-Methoden” (ein treffende Zusammenfassung der “Russlandanalysen” aus diesem Hause), die “Russlandversteher” und Russlandkritiker einander gebenüber stellt. Das Ergebnis steht schon vorab fest. Es geht nicht um die objektive Darstellung eines Diskurses, sondern um eine umfangreiche “Entlarvung” der Blauäugigkeit der “Versteher”, die sich nur dadurch retten können, wenn sie auch Kritik äußern, wenigstens an Putin.

Nicht hinterfragt werden natürlich bei der ARD oder ähnlichen Anstalten die Stereotypen der “Kritiker”, ihre Selbstgerechtigkeit und ihre Oberlehrer-Mentalität. Ob die ausgrenzenden Vorstellungen radikaler Russlandkritiker zur Änderung dortiger Verhältnisse wirklich effektiv sind oder ob die rein negative Sicht aller Dinge in Russland richtig ist, ebenfalls nicht. Oder gar, warum sich unter den “Verstehern” so viele Leute mit fundierter Russlandkompetenz befinden. Was wiederum Russlandkritiker im Kopf haben wird als richtig unterstellt, sie sind Helden, Vorkämpfer der Menschenrechte. So schauen aktuell gebührenfinanzierte Russlandanalysen aus. Wer Russland versucht zu verstehen, ist nicht ernst zu nehmen. Ernst zu nehmen ist nur nachplappern von im Westen selbst gebrautem Halbwissen, das sich konform zur eigenen Weltsicht verhält. All das mit dem höheren Ziel der Bekehrung der Menschheit von der eigenen, immer richtigen Meinung.

Seien wir ehrlich: Wollte man eine solche Analyse in der anderen Richtung gleich gestalten, könnte man auch Russlandexperten Russlandhassern gegenüber stellen und hätte genug Argumente dafür. Es wäre ein leichtes und nicht einseitiger als Analysen und das Russlandbild der deutschen großen Sendeanstalten. Wie tief ist das Niveau der einstmals von Kapazitäten wie Prof. Dr. Gabriele Krone-Schmalz geleiteten Berichterstattung der ARD aus Moskau gesunken? Oh, hoppla. Das ist ja keine Kapazität, nur weil sie viele Jahre dort gelebt und sich über Jahrzehnte intensiv mit diesem Land beschäftigt hat. Sie ist ja nur eine “Russlandversteherin”.

Roland Bathon

 



Quellen:  Dieser Artikel erschien als Erstveröffentlichung bei russland.RU > Artikel

russland.RU berichtet in Wort und Bild aus Russland und über Russland. Ungebunden, unabhängig und überparteilich. Ohne Vorurteile und Stereotypen versucht russland.RU Hintergründe und Informationen zu liefern um Russland, die Russen und das Leben in Russland verständlicher zu machen. Da wo die großen Verlage und Medienanstalten aufhören, fängt russland.RU an.

 

► Bild- und Grafikquellen:

 

1. Wladimir Putin Karikatur. Urheber: DonkeyHotey. The source images for this caricature of Vladimir Putin are Creative Commons licensed photos available via Wikipedia: face and body. Quelle: Flickr. Verbreitung mit CC-Lizenz Attribution 2.0 Generic (CC BY 2.0)

2. Buchcover "Russland verstehen. Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens." von Prof. Dr. Gabriele Krone-Schmalz

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Antirussische Vorbehalte haben in Deutschland eine lange Tradition und sind in zwei Weltkriegen verfestigt worden. Auch in der Ukraine-Krise lässt sich ihre Wirksamkeit beobachten. Tatsächlich ist aber nicht nur das Verhältnis zwischen Russland, dem Westen und der Ukraine vielschichtiger, als es der Medien-Mainstream suggeriert, sondern auch die russische Geschichte seit dem Ende des Kalten Krieges. Demokratie und Menschenrechte verbreiten – wer möchte das nicht. Es lässt sich aber sehr wohl über das Tempo und über die Methoden streiten. Und es lässt sich fragen, welche Interessen der Westen unter dem Deckmantel einer Menschenrechtsrhetorik verfolgt.

3. Buchcover: "Russland auf eigene Faust" von Roland Bathon und Sandra Ravioli. Paperback, 120 Seiten, ISBN 978-3-8334-9869-5, VK € 8,90 [D]

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Roland Bathon hat zehn umfangreiche selbst organisierte Reisen seit dem Millennium nach Russland unternommen, die ihn in die verschiedensten Gegenden zwischen Ostsee und Sibirien führten, von Sankt Petersburg bis in das entlegenste Dorf im Ural. Seit fünf Jahren betreibt er im Internet mehrere führende Russland-Reiseseiten.

Sandra Ravioli lebt in Russland seit 1992 und ist als Privatdozentin für diverse Universität tätig. Sie arbeitet nebenher als Projektmanager für unterschiedliche Unternehmen. Sie betreibt als Hobby das Russlandnetz, einen selbst organisierten Service für Unternehmensberatung, Übersetzungen und Individualreisen, in dem Hochschuldozenten aus ganz Russland beratend tätig sind.