Ausbau von Atomenergie und Kohlekraft durch die Hintertür

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Peter Weber
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Verbunden: 23.09.2010 - 20:09
Ausbau von Atomenergie und Kohlekraft durch die Hintertür
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Ausbau von Atomenergie und Kohlekraft durch die Hintertür -
 
EU erklärt Atomstromproduktion zum subventionswürdigen Umweltschutz
 
 
Im Energiefahrplan 2050 der EU werden „Wege zur Dekarbonisierung“ untersucht. Das heißt im Klartext, daß die CCS-Technologie favorisiert und forciert werden soll. In der Verlautbarung der EU-Kommission dazu heißt es wörtlich:
 
„Der Energiefahrplan beruht auf verschiedenen Beispielszenarios, in denen vier Elemente - nämlich Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Kernenergie und CCS (CO2-Abtrennung und  Speicherung) - eine unterschiedlich große Rolle spielen. Keines der Szenarios dürfte vollständig eintreten, aber aus allen  ergeben sich eine Reihe von sinnvollen Handlungsoptionen für die nächsten Jahre. Basierend auf dem heute vorgestellten Fahrplan sollen in den kommenden Jahren weitere politische Initiativen zu spezifischen Bereichen der Energiepolitik folgen.“
 
Oberflächlich betrachtet, hört sich das gut an. Aber praktisch läuft es darauf hinaus, daß durch den nötigen Ausschluß bzw. fehlender Bedenken gegen Atom- und Kohlestrom Tür und Tor geöffnet wird für die einzelnen EU-Länder, ob England und Frankreich mit Atomstrom oder Deutschland mit Kohlekraft), um den real existierenden Energiewahnsinn auf Jahrzehnte festzuschreiben. 
 
 
 
CO2-Sequestrierung      Schema: Wilfired Cordes, Oldenburg  / Quelle: Wikipedia
 
 
Hinter CCS versteckt sich ein aufwändiges Verfahren zur Abspaltung von CO², das dann anschließend im Boden eingelagert wird. Dieses Projekt ermöglicht es der EU und den Regierungen, den Ausbau der Dinosaurier-Kohlekraftwerk-Vorhaben weiter voranzutreiben. Unter dem Aspekt der Unflexibilität von Großkraftwerken und der Tatsache, daß bereits jetzt Überkapazitäten vorhanden sind, bedeutet dies nichts anderes, als die Energiewende zu blockieren und den Strompreis durch Doppelerzeugung zwangsläufig in die Höhe zu treiben. CCS ist obendrein derartig kostenintensiv, daß es ohne weitere Subventionierungs-Maßnahmen nicht realisiert werden kann. Diese Bestrebungen dienen ausschließlich dazu, die Position der Energiekonzerne zu stützen, ihnen eine wunderbare Profitvermehrung auf Jahrzehnte zu garantieren und uns in Abhängigkeit von ihnen zu halten!
 
Der Kreis schließt sich, wenn ich nun vom Entwurf der neuen Beihilferichtlinie von Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia in den Medien zur Kenntnis nehme. Darin wird simsalabim der Atomstrom einfach zur Umweltschutzmaßnahme deklariert, weil Atomstromherstellung ja bekanntlich CO²-frei sei. Die Konzerne sollen demnach hinsichtlich der Vergabe von Subventionen für den von ihr hergestellten Atomstrom genau so behandelt werden wie die Produzenten von regenerativen Energien, weil beides „kohlenstoffarm“ sei. „Diese Richtlinien gelten für staatliche Hilfen für den Umweltschutz“, heißt es ganz lapidar im Entwurf. Damit wird natürlich nicht nur der Atomstrom geheiligt sondern auch die fossilen Kohlekraftwerke, die beide als Potemkinsches Dorf mit buntem Greenwashing als Fassade für Mainstream-Medien und zur Blendung von naiven Verbrauchern instrumentalisiert werden.
 
Dabei werden nur versehentlich die vorgelagerten und nachgelagerten Emissionen übersehen. Aber in dieser bestechenden Logik sind Subventionen dann zulässig, da Umweltschutz nach offiziellen EU-Richtlinien förderungswürdig ist. Die Crux liegt allerdings darin, auf der anderen Seite Subventionen nach den Regeln des ansonsten als Religion und Ideologie gehandelten freien Marktes verpönt sind. Wir sind es ja gewohnt, daß Regeln nur dort gelten, wo ein Schein aufrecht erhalten werden soll und sie ohne Skrupel ignoriert werden, wenn es um Profit geht. Der Schutzpatron der Scheinheiligen, unser begnadeter Wirtschaftsminister Rösler posaunt bei jeder Gelegenheit herum, daß die Förderung von erneuerbaren Energiequellen „Planwirtschaft“ darstelle, bei Atomstrom und Braunkohlequalm hält sich dieser Prophet der sog. „freien Marktwirtschaft“ allerdings auffallend bedeckt.
 
Bisher wurde weltweit noch nicht ein einziges Atomkraftwerk ohne direkte oder indirekte Milliardensubventionen der betreffenden Staaten errichtet. Dieser Goldesel muß mit selbstredend mit dem besten Kraftfutter gemästet werden, damit er ewig lebe. Atomstrom und fossile Energie würden bei realistischer Kalkulation, bei der auch die externen Kosten incl. sämtlicher direkter oder indirekter staatlicher Transferleistungen herangezogen würden, total unwirtschaftlich. Denn dann würde sich die Relation zu den alternativen Energien umkehren, so daß sich nur noch Investitionen auf diesem Sektor rechneten. Wenn ich darüber hinaus noch die nicht kalkulierbaren und nicht in Geld auszudrückenden potenziellen Risiken sowie die Gesundheits- und Umweltschäden einbeziehe, die größtenteils auch nicht mehr reversibel sind, wäre das Thema eigentlich für jeden gesunden Menschenverstand erledigt. Aber der gesunde Menschenverstand hat zur Zeit keine Hochkonjunktur, denn die Deppen und Profiteinsacker sind an der Macht.
 
 
Monstermaschinen zur Braunkohlegewinnung im Tagebau     Foto: Heike / Quelle: pixelio.de
 
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat die Prognosen der EU-Kommission widerlegt. Obwohl es in der Einleitung des Energiefahrplans heißt „Langfristige Zukunftsprognosen sind nicht möglich“, versteigt sich die Kommission in vage Kaffeesatz-Vorhersagen und behauptet allen Ernstes, daß die Solarkosten 2050 höher sein werden als heute. Dabei hat man die voraussichtlichen Herstellkosten dadurch verdreifacht, indem man die technologische Entwicklung einfach außer acht gelassen hat. Atomstrom würde jedoch im Jahre 2050 preiswerter als heute angeboten werden können, orakeln die „Experten“ aus Brüssel den Atomstrom zu einem Billigheimer zurecht, der dann als Sonderangebot verhökert werden kann. Dabei sind die Atomstromkosten in den letzten 40 Jahren trotz Subventionierung und unehrlicher Kalkulation ständig gestiegen – und es gibt keinen vernünftigen Grund anzunehmen, daß dieser Prozeß beendet ist.
 
Beispielsweise geht man launischerweise davon aus, daß 2050 Atomstrom für 4.300 € Kilowatt feilgeboten würde – dabei belaufen sich die aktuellen Kosten für die beiden in Bau befindlichen Kernkraftwerke Olikiluotok (Finnland) und Flamanville (Frankreich) schon auf 5.100 € pro Kilowatt. Ich weiß keine Details, aber wir können davon ausgehen, daß auch diese eine schönfärberische Rechnung ist und Subventionierung sowie fehlende Haftungsbedingungen nicht berücksichtigt wurden. All dies ist doch der schlagende Beweis dafür, daß Atomkraftwerke auf einem wirklich freien Markt überhaupt nicht überleben könnten. Wozu denn sonst Subventionen? Jedenfalls steht eines so fest wie das Amen in der Kirche: Der Bürger darf die Zeche in doppelter Weise bezahlen, zum einen in Form von überhöhten Energiepreisen und zum anderen durch seine Steuerabgaben!
 
Atomenergie hat in der EU eine lange Tradition, denn die EU ist bereits als Atomstaat gegründet worden. Bei der Atomkraft haben wird es sozusagen mit einem Gründungsmythos zu tun – und Mythen sind bekanntlich nicht tot zu kriegen. 1957 schon wurde der Euratom-Vertrag in die Welt gesetzt, mit dem sich sämtliche EU-Staaten dazu verpflichtet haben, „Absatzmärkte für die Atomkraft zu schaffen, Investitionen zu erleichtern und mittels Atomkraft den Wohlstand der Menschen zu mehren.“ Da kann ich als alter Lateiner nur noch antworten: „et in secula seculorum. Amen“.
 
Aufgrund des bereits einsetzenden Proteststurms seitens der Kernkraftkritiker und der mit einer gewissen Ratio gesegneten Mitbürger, hat man in Brüssel die Ankündigungen vorsorglich mit einem lauwarmen Dementi relativiert. Das liest sich dann folgender maßen: Weil es bisher noch keine Leitlinien für staatliche Beihilfen gäbe, unkt ein Sprecher von Almunia, arbeite man nun daran, solche auszuarbeiten. Es handele sich allerdings „nur“ um einen unverbindlichen Entwurf, der noch von der EU-Kommission abgesegnet werden müssen. Außerdem sei man an einer öffentlichen Konsultation interessiert. Und das Beste kommt noch zum Schluß: „Die EU-Kommission möchte in keiner Form zu Subventionen für Kernkraft ermuntern.“ Wer’s glaubt, wird selig. 
 
Dazu paßt: Mutti läßt ausrichten, daß sie die Pläne der EU-Kommission ablehne. Wie wir die Gesinnung unserer Öko-Fanatikerin einschätzen ehrlich einschätzen, wird sie sich mit ihrer politischen Autorität nicht eine Spur gegen diese vorsintflutlichen und schädlichen Intentionen wehren. Insgeheim wird sie diese Entwicklung erfreuen und sie sich eins ins ihr medial bekanntes Fäustchen lachen. Denn die Merkel war wegen ihrer Voreingenommenheit als Physikerin, ihrer ideologischen Bindung an konservative CDU-Energieauffassungen sowie ihrer Verfilzung mit den Energiekonzernen stets eine Befürworterin der Kernkraft und von Großkraftwerken. Eine Energiewende, die ihren Namen auch verdient und die mit einer Dezentralisierung/Regionalisierung der Energieerzeugung untrennbar verbunden ist, hat sie niemals gewollt und unterstützt. Sie hat sich nur notgedrungen und halbherzig aufgrund des Drucks der öffentlichen Meinung und in ihrer Charaktereigenschaft als Populistin für eine alternative Energiepolitik entschieden. Dabei war sie stets bemüht, darauf zu achten, daß die getroffenen Richtungsänderungen unverbindlich, löchrig und mit Hintertürchen ausgerüstet waren, so daß jederzeit – bei passenden Rückenwind – eine Kehrtwende möglich ist.
 
 
 
Kraftwerk Lippendorf südlich von Leipzig     Foto: Marco Barnebeck (Telemarco) / Quelle: pixelio.de
 
 
Abschließend noch einige  prägende Zitate aus dem „Energiefahrplan 2050“. In der Einleitung und im weiteren Text heißt es:
  • „Langfristige Zukunftsprognosen sind nicht möglich. In den Szenarios dieses Energiefahrplans 2050 werden Wege zur Dekarbonisierung des Energiesystems untersucht. Es kann unmöglich vorhergesagt werden, ob das Ölfördermaximum erreicht wird, da wiederholt neue Vorkommen entdeckt wurden, in welchem Umfang Schiefergas in Europa wirtschaftlich sein wird, ob und wann die CCSTechnologie (Carbon Capture and Storage, d. h. die CO2-Abscheidung und -Speicherung) kommerziell ausgereift ist, welche Rolle die Kernenergie in den Mitgliedstaaten spielen und wie sich der weltweite Klimaschutz entwickeln wird. Gesellschaftliche, technologische und verhaltensbezogene Änderungen werden ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf das Energiesystem haben.“
Mit diesen Formulierungen werden alle Möglichkeiten für die Zukunft offen gelassen, sich entweder für eine gemäßigte Energiewende (radikaler Ausbau ausgeschlossen), für eine Bevorzugung von Atom- und/oder Kohlekraft oder für andere den Konzernen andienende Versionen zu entscheiden. Im übrigen ist die Handleserei über die Entwicklung bis 2050 unvereinbar mit dem in der Einleitung vorangestellten Postulat, daß langfristige Zukunftsprognosen nicht möglich seien. Hier hat wohl die linke Hand nicht gewußt, was die rechte unternimmt.
  • „Die meisten Szenarios deuten darauf hin, dass die Strompreise bis 2030 steigen, danach jedoch fallen werden. Der Großteil dieses Anstiegs erfolgt bereits im Referenzszenario und hängt damit zusammen, dass alte, bereits vollständig abgeschriebene Erzeugungskapazität in den nächsten zwanzig Jahren ersetzt wird.“
Hier haben wir es wieder mit einem typischen Orakel zu tun: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist!“ Auf die Idee, daß Strompreissteigerungen auch, oder sogar hauptsächlich, mit der Ausnutzung der monopolartigen Position der Energiekonzerne zu tun hat, kommen die EU-Strategen aus guten Gründen natürlich nicht.
  • „Die Dezentralisierung des Stromsystems und der Wärmeerzeugung nimmt aufgrund einer vermehrten Erzeugung aus erneuerbaren Energien zu. Allerdings müssen, wie die Szenarios zeigen, zentralisierte große Systeme wie Kernkraft- und Gaskraftwerke und dezentrale Systeme immer mehr zusammenarbeiten.“
Mit dieser Formulierung wird zumindest theoretisch die Existenz der Möglichkeit einer Dezentralisierung des Systems zugegeben. Allerdings wird stillschweigend von der Präferenz der zentralen Energieversorgung ausgegangen und eine Zusammenarbeit der beiden Zweige empfohlen. Ich kann mich des Eindrucks aber nicht erwehren, daß dieser Hinweis nur dazu dient, um die Dezentralisierungstendenz zu kontrollieren und zu begrenzen.
  • „Kohle leistet in der EU einen Beitrag zu einem diversifizierten Energiemix und zur Versorgungssicherheit. Mit der Entwicklung der CCS-Technologie und anderen neu entstehenden, umweltfreundlichen Technologien könnte die Kohle weiterhin eine wichtige Rolle für eine künftige nachhaltige und sichere Versorgung spielen. Öl dürfte sogar 2050 noch Bestandteil des Energiemixes sein und vor allem für den Langstreckenpersonen- und -güterverkehr verwendet werden.“
Diese Ausdrucksweise liefert einen gewichtigen Beitrag zur Zementierung und auf Generationen ausgerichtete Weiterführung sowie den Ausbau von fossiler Kraftwerkstechnik zum Schaden von Umwelt und Mensch. 
  • „Die Kernenergie wird benötigt, um einen erheblichen Beitrag zum Umbau des Energiesystems in den Mitgliedstaaten zu leisten, in denen diese verwendet wird. Sie bleibt weiterhin eine zentrale Energiequelle für die CO2-arme Stromerzeugung. Die höchste Verbreitung der Kernenergie findet sich in dem Szenario „verzögerte CCS-Technologie“ und in dem Szenario „diversifizierte Versorgungstechnologien“ (18 % bzw. 15 % der Primärenergie), die die niedrigsten Gesamtenergiekosten ausweisen.“ 
„Nachtigall, ick hör dir trapsen“. Eine eindeutigere Aussage pro Kernenergie kann es gar nicht geben: es handelt sich um einen Persilschein für die freie Fahrt in die schöne heile Atomwelt.
  • „Die Analyse der Szenarios zeigt, dass die Kernenergie zu niedrigeren Systemkosten und Strompreisen beiträgt. Die Kernenergie wird als großmaßstäbliche CO2-arme Option in der EU weiterhin einen Platz im Stromerzeugungsmix haben. Die Kommission wird den Rahmen für die Sicherheit und Gefahrenabwehr im Nuklearbereich weiter fördern und dadurch dazu beitragen, gleiche Ausgangsbedingungen für Investitionen in den Mitgliedstaaten zu schaffen, die bereit sind, die Kernenergie als Option für ihren Energiemix beizubehalten.“
Diese Aussage schlägt dem Faß den Boden aus und ist eine ausgesprochene unverschämte Lüge! Ausgerechnet der Energieträger mit den höchsten Gesamtkosen für Umwelt und Volkswirtschaft, der außerdem mit unverantwortlichen Sicherheitsrisiken behaftet ist, soll zu niedrigeren Systemkosten und Strompreisen beitragen. 
 
 
 
Wann gehen bei dt. Atomkraftwerken die letzten Lichter aus?   Foto: Volker Wiedemann / Quelle: pixelio.de
 
Wo leben wir eigentlich, daß von der Realität unbeleckte Bürokraten derartigen Schwachsinn ungestraft verzapfen dürfen und niemand korrigierend einschreitet? Anscheinend in einem Tollhaus, in dem sich die Dümmsten und die Kapitalkräftigsten zu einer ungleichen Union zusammengefunden haben.
 
 
Peter A. Weber